Oops, kommt etwa Bewegung in die Korruptionsbekämpfung? Die European Sports Security Association (ESSA) – wenn ich es recht verstehe: eine von Sportwettenanbietern betriebene Non-Profit-Organisation (geht das?) – fordert eine Welt-Anti-Korruptions-Agentur im Sport.
Spontan sage ich: Gute Idee, so eine World-Anti-Corruption-Agency (WACA). Hatte ich auch schon :)
Jedenfalls, die ESSA, bereits im Gespräch mit etlichen Sportverbänden, teilt mit:
URGENT NEED FOR GLOBAL BODY TO TACKLE SPORTS CORRUPTION
The European Sports Security Association calls for a robust and independent global sports anti-corruption body
The European Sports Security Association (ESSA) today called for the establishment of a robust and independent global body able to hand down tough penalties and sanctions that will act as effective disincentives in tackling corruption in sport. (…)
In der vergangenen Woche hatte Transparency International (TI) ein Arbeitspapier zur Korruption im Sport vorgelegt, das weit hinter dieser WACA-Forderung zurückbleibt. Schade eigentlich.
Dieses Dokument, maßgeblich von der deutschen TI-Chefin und langjährigen Sportfunktionärin Sylvia Schenk erarbeitet, die u.a. Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer war, stellt erstmals einen übergreifenden Rahmen für die nationalen Chapter von Transparency International dar. Der Sportsektor schaffe „bei der Finanzierung, der Sorgfaltsprüfung, in der Kultur und bei den Strukturen ein Umfeld, das verführerisch für Geldwäsche durch organisierte Kriminalität ist“, heißt es in dem Papier. „Dies kann angesichts der Gelegenheiten, schmutziges Geld zu investieren und kleine Summen in große zu verwandeln, letztlich alle Sportbereiche betreffen.“ Sportorganisationen beweisen „generell wenig Transparenz, wenn es darum geht, wichtige Informationen und Dokumente öffentlich zu machen“. Geld werde innerhalb der Sportverbände „oft ohne oder nur mit geringer Aufsicht verteilt, so dass Korruptionsrisiken entstehen“.
- englische Version des Papiers (pdf, 8 Seiten)
- deutsche Version des Papiers (pdf, 10 Seiten)
- die deutsche Sektion hatte schon einmal einen Aufruf gegen Korruption und für Transparenz im Sport gestartet
- der brandneue Global Corruption Report 2009 (pdf, knapp 500 Seiten)
Schwerpunktmäßig behandelt das Papier die Bereiche: Wettbetrug, Einfluss der organisierten Kriminalität, demokratische Führung von Verbänden, Transferfragen, Sponsoring, Korruption in Medien sowie Korruption bei Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Austragung sportlicher Großereignisse wie Olympischer Spiele oder Welt- und Europameisterschaften im Fußball.
Transparency International ist in mehr als 90 Ländern aktiv, mit dem Thema Sport befasste man sich bislang in Maßen in Kenia, Argentinien, der Schweiz, Deutschland und Italien. Zuarbeiten für das Papier kamen nun auch aus Dänemark, Tschechien, Kamerun, Südafrika, Polen und der Ukraine – wobei letztere drei Länder die nächsten großen Fußballmeisterschaften ausrichten: die WM 2010 und die EM 2012.
Ich finde, dem Thesenpapier fehlt es gewaltig an Systematik. Es erinnert über weite Strecken an eine schlecht sortierte Presseschau der vergangenen Jahre. Die Auswahl der erwähnten Korruptionsfälle leuchtet mir nicht ein.
Der Adressat des Papiers wird ebenfalls nicht genannt. Kurz vor dem Olympischen Kongress Anfang Oktober in Kopenhagen hätte sich eine überzeugende Argumentation in Richtung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) angeboten. Diese Chance wurde vertan.
Soweit ich die Grundlinien von TI verstehe, soll niemand offen kritisiert und schon gar nicht attackiert werden, man strebt vielmehr gemeinsam mit den Betreffenden Lösungen an. Eine ganz andere Herangehensweise als im Journalismus, wo es vor allem darum geht, Missstände aufzudecken, um es kurz zu fassen.
Erstaunlich zudem, dass im Arbeitspapier einige Vorleistungen nicht erwähnt wurden — schon 2005 erarbeitete ein Vertreter des norwegischen Chapters von TI gemeinsam mit der Kommunikationskonferenz „Play the Game“ einen Forderungskatalog zur Korruptionsbekämpfung im olympischen Weltsport (ich war in einer Arbeitsgruppe während der PtG-Konferenz daran beteiligt):
Vor zwei Jahren hatte der langjährige IOC-Vizepräsident Richard Pound (Kanada) die Einrichtung einer Welt-Anti-Korruptions-Agentur (WACA) analog zur Welt-Anti-Doping-Agentur angeregt. Verbündete für diese Idee fand er im IOC nicht, ob er es auch energisch verfolgt hat, weiß ich allerdings nicht.
IOC-Präsident Rogge hat die Korruptionsbekämpfung, die angeblich einmal zu seinen wichtigsten Themen gehörte, jedenfalls nicht prominent auf die Tagesordnung des Olympischen Kongresses gesetzt. IOC-Präsident Rogge, das ist jener Mann, der auch nichts gegen Jean-Marie Weber hat, den womöglich größten Schmiergeldzahler des olympischen Sports.
Über das Thema Korruption und Weber und ISL/ISMM habe ich übrigens schon vor langer Zeit mit Rogge gesprochen. Eine Passage aus einem Interview, das im Juni 2005 in der Berliner Zeitung erschien:
Es deutet sich neues Ungemach an im Zusammenhang mit den Prozessen gegen Manager des langjährigen IOC-Marketingpartners ISL. Es geht um Schwarzgeld, geheime Konten, dubiose Stiftungen und Bestechungsgelder in Millionenhöhe; mutmaßlich auch an Funktionäre aus dem Umfeld des IOC. Wie genau sind Sie darüber informiert?
Rogge: Wie jeder in dieser Branche habe ich die ISL-Krise aufmerksam verfolgt. Ich weiß, dass der Untersuchungsrichter seine Arbeit abgeschlossen hat und in einigen Monaten Prozesse beginnen sollen. Sie kennen mich gut genug, um meine Haltung einschätzen zu können. Ich sage: Wenn da schmutzige Wäsche zu waschen ist, soll es passieren. Dann soll die Wahrheit ans Licht gelangen, dann sollen die Richter ihr Urteil sprechen. Ich habe damit kein Problem. Ich würde das begrüßen. Das würde uns allen helfen.
Erinnern Sie sich an den drastischen Vergleich, den Sie für derartige Aufklärungsarbeit mal gewählt haben?
Rogge: Klar, diese Aussage gilt noch immer. Insofern habe ich als Chirurg für die Sportpolitik gelernt, denn beim Kampf gegen die Korruption geht man nicht anders vor, als wenn man versucht, einen Abszess abzutöten: Man muss die Beule aufschneiden, den Eiter ausfließen und dann die Wunde austrocknen lassen.
Ich darf in diesem Zusammenhang einmal mehr auf das Buch „Korruption im Sport“ verweisen. Für den einen oder die andere mag es sich großkotzig anhören, nun denn, aber in diesem Sammelband waren wir doch sehr um Systematik bemüht. Zum Beispiel …
… um diesen Definitionsversuch und eine einordnende Darstellung des Strukturproblems Korruption im olympischen Weltsport
… um die Formulierung von Präventionsmaßnahmen, als da wären (ich sage immer wieder: man wird doch mal träumen dürfen):
- Transparenz im Umgang mit öffentlichen Mitteln im Sport
- Transparenz der Sportverbände und ihrer Funktionsträger
- Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Lobbyisten-Registers (national und international) im Sport
- Einrichtung eines Korruptionsregisters
- Erstellung nationaler und internationaler Korruptionsranglisten im Sport
- Bestellung von Ombudsmännern in allen nationalen und internationalen Verbänden, Kronzeugenregelung, Schutz von Whistleblowern
- Einführung verbindlicher und aufeinander abgestimmter Ethik-Richtlinien in allen olympischen Verbänden
- Gründung einer Welt-Anti-Korruptions-Agentur des Sports (WACA)
- Kontrolle durch Nichtregierungsorganisationen
- Schwerpunktthema Korruptionsprävention auf dem Olympischen Kongress 2009 in Kopenhagen
- Implementierung des Sportbetrugs, der Korruption im Sport in nationale Rechtssysteme und in internationale Anti-Korruptions-Konventionen
- Einbeziehung der internationalen Sportkonzerne (auch Sportverbände genannt) in internationale Anti-Korruptions-Konventionen
Passend dazu und hier im Blog bereits verlinkt: Am Rande der Jahrestagung der Kriminologischen Gesellschaft hat deren Vorsitzende Britta Bannenberg erneut die mangelnde Korruptions-Prävention im Sport kritisiert. Sie sprach von einer „klandestinen Struktur des schweigenden Sports“. Im Deutschlandfunk sagte Frau Bannenberg, Rechts-Professorin an der Universität Gießen:
Ich entdecke starke Parallelen zwischen der organisierten Wirtschaftskriminalität, Korruption und Sport-Strukturen.
Bannenberg setzt sich etwa für den Straftatbestand Sportbetrug ein und hat dazu wissenschaftliche Arbeiten vorgelegt. „Mich wundert seit langem, dass die Sportverbände sich in keiner Weise mit Whistleblower-Systemen, mit anonymen Meldesystem und Ombudsleuten auseinandersetzen“, sagte sie.
Das komplette Sportgespräch im DLF vom 20. September 2009 zum Thema Korruption (ein halbes Jahr lang online):
Wolfgang Schaupensteiner, Deutschlands bekanntester Korruptionsbekämpfer, wies auf rechtliche Probleme hin: „Vieles was als Korruption im Sport wahrgenommen wird, etwa Schiedsrichterbestechung, ist im Strafgesetzbuch einfach nicht abgebildet“, sagte er. „Es gibt Lücken im Strafrecht. Korruption im Sport ist im deutschen Strafrecht, anders als in anderen Ländern, nicht strafbar.“ An Selbstreinigungskräfte der Branche glaubt Schaupensteiner nicht. Bei Ethik- und ähnlichen Kommissionen in Sportorganisationen sei kritisch zu hinterfragen: „Ist das nur Popanz oder steht eine ernstgemeinte Struktur dahinter? Sind diese Kontrollen nur zum Schein oder sind sie wirklich flächendeckend?“
* * *
- Disclosure 1: Auch Britta Bannenberg und Wolfgang Schaupensteiner sind/waren Autoren im von mir konzipierten und herausgegebenen Sammelband „Korruption im Sport“, ebenso Herbert Fischer-Solms (DLF) und Anno Hecker (FAZ), die das oben verlinkte Sportgespräch geführt haben.
- Disclosure 2: Ich zahle Beitrag im deutschen Chapter von Transparency International.
Dies ist eine überarbeitete, für das anonyme Internet zugeschnittene und damit verlinkte Variante eines Beitrags, der heute in Kurzfassung in der Berliner Zeitung, der Financial Times und der Frankfurter Rundschau erschien.
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Tangierend dazu – eine taufrische Pressemitteilung der FIFA, überschrieben mit:
Die Geschäfte von Jack Warner u.a. aber deckt die FIFA nicht auf. Das wäre ja noch schöner. Was soll man von Sepp und seinem Lügenbaron (betr: Mastercard/Visa-Fall) Jérôme Valcke schon verlangen.
Kleine Illustration zur „Welt“-Lage, die frustrierend sein könnte, es aber nicht sein soll (soll doch der Humor auch mal zu seinem Recht kommen in diesen Zeiten des – wie sagte Schaupensteiner – Popanz):
Irgendwann in den 80ern wählte ein Student der visuellen Kommunikation an einer Münchner Grafikschule als Thema seiner Abschlussarbeit (das von den Studierenden selbst gefunden werden musste) die Gestaltung des kompletten Erscheinungsbildes einer (‚lateinamerikanischen‘) Militärdiktatur.
Dazu gehörte auch der Entwurf der Banknoten des Landes, bzw. eines Beispiels hierfür, und auf der präsentierten Lösung, einem feldjägergrünen Lappen mit dem karikativen Konterfei eines extrem spitznasigen Generals in Phantasieuniform stand als Emittent: „Banco de la Corrumpio“.
Die Welt bräuchte in der Tat einen Anti-Korruptions-Sport.
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JW für den Deutschlandfunk: „Der Sport ist in Gefahr“ – Wettbetrug gefährdet die Integrität des Sports – jetzt will das IOC reagieren
Legale oder illegale Wetten, das macht keinen großen Unterschied. Jede Wette kann manipuliert werden. Die legale Wette des Herrn Rogge bringt den Sportverbänden eine Abgabe. Das Zukunftsszenario im Fußball wird so aussehen:
Die Digitalisierung des TV ermöglicht die real-time Verknüpfung mit der Live Fußball-Übertragung. Der Nutzer kann in real-time im Internet während der Übertragung auf die nächste Aktion wetten. Das bringt Milliarden und mancher Spieler/Trainer wird schwach werden.
Es ist, ehrlich gesagt, zum Kotzen: Legal ist, was dem Sport Geld bringt, wenn Funktionäre oder deren Sprösslinge bei Wettanbietern (Oddset, Lotto-Toto etc) unterkommen und Geld verdienen – illegal ist alles andere. Völlig richtig, dass legale Wetten genau so ein Problem sind. Das ist die große Lüge der Branche – ohne Wetten könnte sie nicht existieren.
@jw. Treffer! Denn: „Wo so viel Gold und Geld, da gibts auch ein Verfolgerfeld“ (Roger Willemsen).
JW in der Berliner Zeitung: Die Lüge im Gipfelgewitter
Kluge Männer, mb und Willemsen. btw: Was macht W. eigentlich?
@jw. Ich glaube, Willemsen hat nichts mit Sport zu tun (?!), daher lasse ich ihm seine Klugheit und mir bleibt die Sportpolitik. Aber ich finde Willemsens Bemerkung, die ich aus seinem Buch über Karl May habe, sehr schön. Da fällt mir auf: Karl May? Jetzt fangen wir hier im Blog auch schon wieder mit dem Thema Plagiatsverdacht an. Also mein Vorschlag, lieber jw: Wir lassen es lieber und beobachten statt dessen die Sportpolitik. Jeder auf seine Weise.
Warum machst Du den Fehler, den imho die meisten Medien machen, und redest vom „Verdacht“. Ist genauso unangebracht wie der Konjunktiv, der bis heute in Medien herumspukt.
ND-Kommentar von Christian Heinig: Gestatten, Blatter IV.
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