Moin. Zum Auftakt des Wahltages mal wieder Befindlichkeitsduselei. Eigentlich hatte ich vor Wochen vor, den Sportpolitikern des Bundestages ein Zeugnis auszustellen oder irgendetwas Originelles zu schreiben. Doch ganz ehrlich, nach all dem, was ich in letzter Zeit erlebt habe mit und in der „gemeinsamen Sportfraktion„, der „Familie des Sports“, war es mir, sagen wir: aus ästethisch-moralischen Gründen nicht möglich, den vielen kleinen Zustandsbeschreibungen, etwa den Notizen aus Sportausschuss-Sitzungen, den Umfallern eine Abrechnung hinterherzuschicken. Als Bauchmensch, der ich auch bin, schwer zu leugnen, fand ich es am Ende weise, von diesen Zeugnissen zu lassen und mich nicht länger aufzuregen. Das Tagesgeschäft liefert die nächsten Aufreger ohnehin, dazu in Kürze mehr.
Jedenfalls, am Ende eines Deutschlandfunk-Sportgesprächs („Stunde der Lobbyisten“) mit den MdBs Peter Danckert (SPD, Hertha BSC, NADA, Pferdesportverband BB u.a.), Detlef Parr (FDP), Eberhard Gienger (CDU, DOSB-VP) und Winfried Hermann, waren drei MdBs ganz erschrocken, wie familiär-zurückhaltend ich mich aufgeführt habe. Nun ja, es war diesmal meine Aufgabe, gemeinsam mit Herbert Fischer-Solms Fragen zu stellen:
Unlängst wurde andiskutiert, warum es so wenige journalistische Berichte zur abgelaufenen Sport-Legislaturperiode gibt. Keine Ahnung, müsste ich antworten, wollte ich nicht anecken. Fällt mir aber schwer, deshalb sage ich lieber, und zwar vorsichtig: Es zeigt wohl eher, wie unpolitisch und unkritisch der deutsche Sportjournalismus immer noch ist.
Ein bisschen was habe ich nun doch gefunden, es ist seit der kleinen Aufstellung vor drei Tagen etwas hinzugekommen. Das bisschen also notiere ich hier, denn das Blog dient mir ja gewissermaßen auch als öffentliches Archiv.
- Michael Reinsch in der FAZ: „Der Machtkampf um den Sport„
So knallhart geht der geschätzte Kollege nicht mit den Abgeordneten ins Gericht. Schade eigentlich. Interessant finde ich dennoch einige Details, zum Beispiel:
Nun wollen sich andere mit Macht dem Sport zuwenden. „Der Sportausschuss bleibt im Blick der FDP“, sagt der scheidende Abgeordnete Detlef Parr. Ihn kostete der Griff seiner Fraktion nach dem Kulturausschuss 2005 den Vorsitz im Sportausschuss. Nun soll Joachim Günther, FDP-Abgeordneter aus dem Vogtland, zum Zuge kommen. „Die Union will den Vorsitz im Ausschuss“, sagt aber auch Klaus Riegert, deren sportpolitischer Sprecher.
Joachim Günther von der FDP also. Hat bislang kaum etwas Substanzielles beigetragen, würde ich sagen und führe als bescheidenen Beweis einmal mehr meine Notizen an. Ein FDP-Mann an der Spitze des Sportausschusses? Dann hätte das UDIOCM, also der DOSB-Präsident Thomas Bach, langjähriges FDP-Mitglied, Ziehkind etlicher FDP-Minister und über die Jahre auch in einigen FDP-Gremien aktiv, endlich alles in seiner Hand. Sofern er es nicht ohnehin schon hat.
- Tobias Reitz auf Zeit Online: „Auf zur Wahl, Sportsfreund!“Â
- Oliver Fritsch auf Zeit Online im Gespräch mit Winfried Hermann: “Wir reden viel, aber handeln nicht�. (Stimmt)
- Schon von Ende August, Wolfgang Hettfleisch in der FR über Peter Danckert: „Der heimliche Sportminister“.
- Zwei Beiträge von mir: „Wo Politiker die Lobbyisten sind“ (Zeit Online) und „Akrobatik unter Kameraden“ (Berliner Zeitung/der komplette Text steht hier.)
Und schließlich hat sogar der DOSB etwas geliefert – vielen Dank. Ich habe mich durch die Sport-Erwähnungen in den Parteiprogrammen sowie die Q & A Sessions von Sportverbänden und Parteien tatsächlich durchgekämpft. Ich meine, bis 18 Uhr und zur ersten Hochrechnung ist ja noch etwas Zeit, wer mag:
- Sport in den Wahlprogrammen der Parteien
- CDU-Antworten auf Fragen der Sportverbände
- SPD-Antworten auf Fragen der Sportverbände
- Grünen-Antworten auf Fragen der Sportverbände
- FDP-Antworten auf Fragen der Sportverbände
- Linke-Antworten auf Fragen der Sportverbände
Ich komme etwaigen Fragen zuvor: Ja, ich lasse mich bei meiner Wahl durchaus von den deprimierenden Erfahrungen in der Sportfamilie leiten.
Danke, jw, für die Zusammenstellung.
Schon bemerkenswert und kennzeichnend für die Umkehrung guter demokratischer Gepflogenheiten innerhalb der Sportfamilie: Selbst die FDP fordert die Aufnahme des Sports ins Grundgesetz. Also Ausdehnung der Subventionsmentalität. Wäre irgendwas anderes damit gemeint, gäbe es für den großspurigen „Nationalen Dopingpräventionsplan“ mehr als 300.000 Euro im Bundeshaushalt …
Wenn ein Sportausschuss das Wahlverhalten beeinflussen kann, lebt man in Goldenen Zeiten.
Na gut, „gold“ ist missverständlich im Zusammenhang mit Sport.
Aber mein Verdacht, dass es nicht die freakigen Fans sind, die den Sport zu ernst nehmen, bleibt.
Apropos Wahl.
Deutscher Fernsehpreis 2009
Beste Sportsendung: Leichtathletik WM im ZDF
Das hatte TobiasL an anderer Stelle schon kommentiert.
etwas Off-topic: Ich habe hier im Blog etwas zu den Neuheiten rund um Claudia Pechstein aus der letzten Woche vermisst. Der Zeitraum der Dopingvorwürfe ist ja wohl deutlich gekürzt worden. Würde mich über eine Einordnung aus vertrauter Quelle (also hier!) sehr freuen. Ist das nur taktisches Geplänkel oder was steckt dahinter? Danke.
@ Patrick: Das wurde hier vermeldet und diskutiert. Ich kann nicht auf jede Entwicklung eingehen und werde das wegen anderer Termine wohl auch in den nächsten Wochen kaum tun. Kommt drauf an, wann der Termin beim CAS ist.
http://www.sueddeutsche.de/C5o38b/3068909/Ende-Oktober.html
Hatte bisher keine Zeit, sämtliche Sportausschussler zu überprüfen. Der SID meldet:
Ja, der Herr Danckert, bekannt und beliebt wegen der Dr.-Peter-Danckert-Abfahrt an der A13.
Ich gehörte zu den Privilegierten, die den großen Freund des fairen Sportsgeists (Berliner Zeitung: „Als Vorsitzender des Sport-Ausschusses hat er sich dort auch als Doping-Gegner profiliert.“) wählen durften. Habe ich aber nicht.
zur stunde der lobbyisten:
ich bin aus dem facepalmen gar nicht mehr rausgekommen, als cdu-mann gienger auf jens‘ kritische nachfrage bezüglich des auftretens von interessenskonflikten bei bekleidung einer doppelfunktion meinte, das es bisher zu keinen ’schwierigkeiten‘ gekommen sei.
soll ich das jetzt so verstehen, dass die verquickung von sportpolitik und verbandspolitik bislang reibungslos funktioniert hat?
als dosb-präsidiumsmitglied UND gleichzeitiges sportausschussmitglied kann ich mir/meinem verband doch wunderbar steuergelder zuweisen. find ich unglaublich, dass eine solche doppelfunktion zulässig ist!
danke auf jeden fall an jens und herbert fischer-solms für die sehr kritischen nachfragen am ende der gesprächsrunde. da hat jedes wort gesessen. auch die frage nach der kostentransparenz bei olympiabewerbungen hat die herrschaften ja in einige erklärungsnot gebracht, hehe. ;)
dpa: Bach: Sport soll im Innenministerium bleiben
Ich habe da noch eine andere Erklärung: die Bürger sind sehr an den sportlichen Erfolgen der Protagonisten interessiert, aber schon deutlich weniger daran, wie sie zustande kommen (siehe die treue Fangemeinde von Ulle) und noch weniger an den Hintergründen (also den politischen Akteuren und den von ihnen gesetzten Rahmenbedingungen, die ja dankenswerterweise hier im Blog erhellt werden). Die Materie ist manchmal etwas kompliziert – allein schon wegen der ganzen Verbindungen zwischen den Akteuren und den vielen involvierten Institutionen. Aber scheinbar gibt es auch nicht genug Druck durch die Öffentlichkeit, Transparenz herzustellen.
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel: Sportpolitik: Schwarz-gelbe Verfärbungen
dlf: Winfried Herrmann und Klaus Riegert – Die Sportpolitik nach der Wahl
dpa: Auszüge aus dem Koalitionsvertrag zum Thema Sport
Robert Ide im Tagesspiegel: Neue Köpfe für alte Ziele
Die entsprechende Passage lautet:
„ANTI-DOPING-POLITIK
Für das Selbstverständnis unserer Sportpolitik ist die Autonomie des Sports und seiner Verbände von zentraler Bedeutung. Wir wollen den Sport bei der Sicherung und Realisierung seiner Werte unterstützen. Im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit steht dabei die konsequente Bekämpfung von Doping im Zusammenwirken von sportlichen Sanktionen und strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen. Für uns ist nur dopingfreier Sport förderungswürdig. Wir werden den im Sommer 2009 zwischen Bund, Ländern, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) verabschiedeten Nationalen Dopingpräventionsplan umsetzen. Die Forschung zur Bekämpfung des Dopings muss gezielt weiter gefördert werden.
Ziele wie die Bekämpfung von Doping, die Einordnung der autonomen Sportbewegungen und ihrer Regeln in den europäischen Rechtsrahmen können vor allem in länderübergreifender Weise effektiv wahrgenommen werden. Wir werden deshalb die internationale sportpolitische Zusammenarbeit verstärken.“
Das ist in meinen Augen mehr als „mit keinem Wort erwähnt“. Das ist eine Absage an eine entsprechende gesetzliche Regelung.
Und wer nicht ohne meinen typischen Zynismus auskommt, der darf sich noch Gedanken machen, ob die Behauptung „Wir wollen den Sport bei der Sicherung und Realisierung seiner Werte unterstützen. Im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit steht dabei die konsequente Bekämpfung von Doping …“ nicht widersprüchlich ist.
FAZ-Kommentar von Jörg Hahn: Wer wird hier untergebuttert?
FAZ: Gienger für Danckert im Spiel?
Giengers mögliche Versetzung an die Spitze des BT-Sportausschusses ist das viel zu spät erfolgte Eingeständnis des DOSB, den falschen Mann auf den Posten des Vize-Leistungssport gesetzt zu haben. Mit dem „Ebse“ als Chef wird der Ausschuss die Stromlinienform bekommen, die sich Bach immer gewünscht hat. Andererseits muss sich sich erst noch erweisen, ob der DOSB mit einem neuen Vize nicht vom Regen in die Traufe kommt.
Pingback: Der neue Sportausschuss … : jens weinreich
Pingback: Bundestags-Sportausschuss schließt Medien aus: Mdb wollen sich nicht beim iPad-Spielen beobachten lassen … : jens weinreich
Pingback: Sportförderung des Bundes im Olympiajahr 2012 und die Demokratie-Profis im Bundestags-Sportausschuss : sport and politics