KAPSTADT. Möchte mal jemand einen Original-Milliardenvertrag sehen, in dem die TV-Rechte der Fußball-Weltmeisterschaften geregelt werden?
Kein Problem, zeige ich gern, habe ich noch nie gezeigt. Hier also das so genannte Shortform-Agreement, einst abgeschlossen zwischen der FIFA, der ISL (Sporis Holding) und Leo Kirch (Taurus Film) mitsamt aller Zahlungverpflichtungen. Was fehlt, sind eigentlich nur etwaige Bestechungssummen, sollte es die gegeben haben, rein theoretisch.
- Vertrag über die Fernsehrechte an den Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 (pdf, 10 Seiten, 600 kB)
Ich übertreibe es mal wieder mit dieser Nachtlektüre.
Andreas fragt in den Kommentaren zum Beitrag „Katar und die WM 2022: Fußball im Kühlschrank“, wie „man eigentlich logisch erklären“ könne, dass für die TV-Rechte an der Fußball-WM 2006 plötzlich 1,5 Milliarden CHF gezahlt wurden, wo doch für die drei Weltmeisterschaften zuvor (1990, 1994, 1998) nur 340 Millionen CHF gezahlt worden sind. Nun, die Antwort lautet:
- Die Verträge zuvor waren vom damaligen FIFA-Generalsekretär Joseph Blatter dilettantisch ausgehandelt.
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Die Verträge 2002 und 2006 mussten offenbar an die ISL-Gruppe (die damalige Holding war die Sporis, aus der später die ISMM wurde) vergeben werden.
Denn die ISL hatte im Dezember 1995 im japanischen Karuizawa überraschend vom IOC den Laufpass bekommen und wurde aus dem TOP-Programm katapultiert. Und ohne die IOC-Sponsorenrechte bzw. das Makeln derselben, was mit 20 Prozent Provision plus Erstattung sämtlicher Kosten vergütet wurde (kein Wunder, dass Richard Pound und Michael Payne damals den Vertrag auflösten), hätte die ISL-Gruppe nicht mehr existieren können.
Binnen eines halbes Jahres wurde aus der ISL, die bis dahin nur Sponsorenrechte im olympischen Bereich gemakelt hatte, eine TV-Vermarktungsfirma. Jean-Marie Weber (ISL/Sporis) verbündete sich mit der Taurus des Leo Kirch. Der wiederum hatte damals in der Schweiz in aller Stille die Vermarktungsfirme Prisma gegründet und zahlreiche Experten aus anderen Firmen abgeworben – in weiser Voraussicht, dass er mit der ISL die WM-TV-Rechte erwerben würde.
Nachfolgend das entsprechende Kapitel aus dem Buch Das Milliardenspiel, das ich 1998 gemeinsam mit Thomas Kistner veröffentlicht habe. Das Kapitel ist unredigiert, wurde im Februar 1998 geschrieben. (Der SPIEGEL schrieb damals zum Erscheinen des Buches: „Revolution am Hofe Havelange“)
Insofern ist es wichtig, sich die Erkenntnisse aus dem ISL-Strafprozess hinzuzudenken, wonach die ISL-Gruppe offenbar sämtliche Verträge mit Schmiergeld akquiriert hat – das ist gerichtsfest. Es empfiehlt sich außerdem, mal danach zu googeln, wie Kirch in der Fußballwelt seine Verträge finanziert hat. Da ist einiges publiziert worden, als sein Imperium um die Jahrtausendwende zusammenbrach.
Selbstverständlich sind alle Zitate der nachfolgenden Buch-Passage, etwa aus den Briefen von Eric Drossart und denen von Blatter, mit den entsprechenden Dokumenten zu belegen. Ich habe die alten Fax-Kopien auch noch irgendwo eingescannt im Archiv.
Ich erinnere mich an ein Abendessen mit dem damaligen Kirch-Adlatus und Geschäftsführer Dieter Hahn, der in München einige Journalisten eingeladen hatte. Er sagte damals, er hätte „Das Milliardenspiel“ mit größtem Interesse gelesen. Sehr interessant sei die Lektüre gewesen, aber „das Beste“, so Hahn, „haben sie nicht geschrieben“. Tut mir auch leid, ich hätte „das Beste“ gern gewusst und juristisch wasserdicht gehabt.
Hier also das Kapitel, für Feinschmecker wie Andreas:
* * *
Der große Coup
Ãœber die besondere Vertrauensbeziehung zwischen Havelange und Weber war in der Branche schon immer getuschelt worden. Manchmal machten fast schon ehrenrührige Geschichten die Runde – vor allem, als die FIFA am 3. Juli 1996 die Verwertung ihrer Fernsehrechte (außer USA) für die Weltmeisterschaften der Jahre 2002 und 2006 vergab. Nutznießer waren die Sporis-Holding und die Taurus Film GmbH, ein Unternehmen aus der Firmengruppe des Münchner Medienmoguls Leo Kirch.
Erstmals in der Geschichte der Fußball-WM wurde mit dieser Aufgabe also kein öffentlich-rechtliches Fernsehunternehmen mehr betraut. Laut schrien die Verlierer auf nach jener äußerst dubiosen Abstimmung des Exekutivkomitees Anfang Juli 1996. Die Nerven lagen blank. Am besten faßte die Konfusion ein Mitbewerber zusammen:
Das, was der Herr Kirch meint, gekauft zu haben, was die ISL meint, vermittelt zu haben, und was die FIFA meint, verkauft zu haben, sind drei verschiedene Paar Schuhe.
Als schärfste Kritiker der FIFA traten plötzlich jene hervor, die mehr als zwei Jahrzehnte lang die WM-Fernsehrechte innehatten: Das Konsortium unter Führung der EBU, das in dem Bewerbungsprozeß als Vertreter sämtlicher öffentlich-rechtlicher Anstalten des Erdballs aufgetreten war.
EBU-Generalsekretär Jean-Bernard Munch wetterte über eine „nicht transparente Entscheidungsfindung“ durch die FIFA. Er äußerte sogar den Verdacht, daß Sporis/ISL und die Kirch-Gruppe das EBU-Angebot kannten, bevor sie es um 600 Millionen Franken überboten. Munch sagte weiter, ISL-Geschäftsführer Jean-Marie Weber, der auch inoffizieller Berater von Havelange sei, sei der entscheidende Mann in diesem Geschäft gewesen. Zwar könne er es nicht beweisen, so der langjährige Insider, „aber es wäre mir unverständlich, wenn Weber unser Angebot nicht gesehen haben sollte“. Dagegen habe die EBU „bis zuletzt nicht gewußt, daß Kirch/Sporis dabei waren“, ergänzte Sportdirektor Richard Bunn.
FIFA-Direktor Keith Cooper bezeichnete Munchs Vermutung eilig als „absurd“. Auch ISL-Sprecher Christoph Malms, der sonst die Kontakte Webers über alle Maßen lobt, wollte davon nichts wissen. Weber sei kein FIFA-Berater und man habe das EBU-Angebot nicht gekannt.
Auch mit einem Abstand von fast zwei Jahren hat sich die Verärgerung in der Branche nicht gelegt. Und sie fokussiert sich immer noch auf den heiklen Verdacht der persönlichen Seilschaften. EBU-Sportdirektor Bunn meint rückblickend, die FIFA habe „eine völlig unnormale Geschäftspraxis“ bewiesen. Die Entscheidung sei auch deshalb „absolut merkwürdig“ gewesen, weil sich das EBU-Angebot (2,2 Milliarden, Produktionskosten exklusive) letztlich „in der gleichen Höhe bewegt hat wie das von Sporis und Kirch“ (2,8 Milliarden, Produktionskosten inklusive).
Wir waren bereit, viel Geld auszugeben, und wir hatten ja bereits das gesamte Knowhow dazu. Außerdem hätte sich die FIFA den ganzen Ärger mit dem Pay-TV erspart.
Die begünstigenden Umstände, unter denen Sporis/ISL in das für sie fremde Fernsehgeschäft eingestiegen sind, waren damals auch anderen Konkurrenten bekannt. Zwischenzeitlich sah sich die FIFA selbst zu der Erklärung genötigt, es habe keinerlei Vorabsprachen mit einer Firma gegeben. Angesichts der eigenartigen Konstellation hatte sich manch einer für den sofortigen Rückzug entschieden: Medienzar Rupert Murdoch etwa, wahrlich kein blutiger Anfänger auf diesem Sektor. Dessen News Corporation sprang vom Bieterkarussell ab, angeblich, weil Murdoch der FIFA nicht über den Weg traute und weil ihm der geplante Abschluß bis ins Jahr 2006 in dem schnelllebigen Geschäft einfach zu lang erschien.
Wie Kirch und die Sporis-Tochter ISL zueinander fanden, ist ebenfalls ein gut gehütetes Geheimnis. Malms „weiß nicht mehr so genau, wie wir mit denen ins Geschäft kamen“ – was von bemerkenswerter Vergeßlichkeit zeugt, nur ein Jahr nach dem Erhalt der Rechte. Eine wirtschaftliche Notehe sei es aber nicht gewesen, „wir hätten auch anders die finanziellen Garantien über die Banken bringen können.“ Da verwundert ein wenig, daß es in den ersten Verlautbarungen nach dem Fernsehdeal zunächst Kirch alleine war, der für die Gesamtsumme von 3,4 Milliarden Mark bürgen sollte. Eingeweihte meinen sich erinnern zu können, daß Kirch und der verstorbene Horst Dassler schon in den achtziger Jahren über gemeinsame Projekte nachgedacht haben. Die beiden Bayern waren ja im CSU-Staat nicht allzu fern voneinander.
Weil Kirch dann unmittelbar nach der FIFA-Entscheidung sein Digitalfernsehprojekt DF 1 startete, hub in Deutschland sofort eine erbitterte Diskussion an: Werden die Spiele der Fußballweltmeisterschaften künftig exklusiv nur noch im Pay TV übertragen – oder weiterhin in frei zugänglichen Kanälen? Medienexperten jeder Couleur wettern seither lautstark durcheinander. Kurioserweise schrieen dabei immer wieder auch Kirchs CDU-Parteifreunde auf, die mit auffallend wachsweichen Mediengesetzen erst zur Ausbreitung seines Imperiums beitrugen.
Es ist viel Heuchelei im Spiel, auf allen Seiten. Nüchtern betrachtet ist es so: Die FIFA hat sich an den Fernsehfreibeuter Kirch verkauft. Und der Programmdirektor der Nation nutzt den Fußball, den jetzt so mancher Diskutant als Kulturgut geschützt sehen will, als Vehikel, um seine Herrschaft auf dem Fernsehmarkt weiter auszubauen. Selbst wenn der beträchtliche Betrag von 2,8 Milliarden Schweizer Franken (1,3 Milliarden für 2002 – 1,5 Milliarden für 2006), den Sporis und Kirch der FIFA garantieren, durch den Weiterverkauf der Rechte nicht gedeckt werden sollte – Kirch würde daran nicht zugrunde gehen. Zum einen hat er ja nur die Hälfte der Summe zu verantworten, zum anderen ist anzunehmen, daß er raffiniert genug sein wird, im Sog des Fußballs seine umfänglichen Filmpakete teurer zu verkaufen und damit mögliche Verluste im Rechtehandel wettzumachen.
FIFA-Präsident Havelange und Generalsekretär Blatter indes war ein hilfreicher Doppelpaß mit den alten Gefährten gelungen. Vor allem das Kontaktmonopol des Jean-Marie Weber bewahrte die ISL davor, nach dem IOC auch noch die FIFA zu verlieren – dieser Schluß scheint einleuchtend zu sein. Dem einstigen Branchenführer ISL hatte immerhin der vollständige Abschied aus dem großen Sportgeschäft gedroht. Nachdem die Trennung vom IOC beschlossene Sache war, mußte die ISL, ein Neuling im Fernsehgeschäft, offenbar unbedingt den TV-Vertrag der FIFA bekommen – zumal es die ISL-Manager in jenen verwirrenden Monaten auch nicht geschafft hatten, ihre Option auf den Marketingvertrag mit der FIFA für 2002/2006 wahrzunehmen. Ein Versäumnis – oder eine Frage der Finanzierbarkeit künftiger Vorhaben? FIFA-Generalsekretär Blatter bestätigte sogar das Ende der Option im März 1996, was auf Konfusion und Führungslosigkeit innerhalb der Sporis/ISL-Gruppe schließen ließ. Denn immerhin lud Blatter nun andere Unternehmen zum Bieten ein. Auf die Marketingverträge kommen wir später zurück. Bleiben wir zunächst beim Fernsehgeschäft.
Am 18. August 1995 hatten zunächst die International Management Group (IMG) und die Bertelsmann-Tochter Ufa das Rennen eröffnet. IMG-Vizepräsident Eric Drossart schrieb dem „lieben Sepp“ Blatter, man wolle für die weltweiten Fernsehrechte der Weltmeisterschaft 2002 sowie die dazugehörigen Sponsoren- und Lizenzrechte eine Milliarde Dollar zahlen. Dies sei ein vorläufiges Angebot mit Verhandlungsspielraum nach oben, wie Drossart deutlich zu verstehen gab – obwohl die FIFA noch nicht einmal klare Angaben darüber gemacht hatte, welche Rechte sie unter welchen Bedingungen überhaupt ausschreiben wollte. Entwickelte sich nun ein knallharter Milliardendeal auf Weltsportniveau? Es war von Anfang an eher kurios-provinziell.
Auch aus der Angst heraus, die FIFA würde ihren alten Partner ISL bevorteilen, bot IMG vorsorglich eine Milliarde für das Rechtepaket – und mußte bei Blatter zugleich erst einmal Auskunft verlangen über die Konditionen und den Zeitplan der Bewerbungsphase. Kopien des Briefes verschickte Drossart an seinen Partner Bernd Bauer, Geschäftsführer der Ufa, sowie an FIFA-Präsident Havelange und die Mitglieder der Exekutive.
Sogleich geschah Erstaunliches: Blatter empörte sich über diesen informativen Geschäftsvorgang. Am 29. August teilte er IMG-Manager Drossart seine „Ãœberraschung“ mit, „daß der als streng vertraulich gekennzeichnete Brief per Fax an alle Mitglieder der FIFA-Exekutivkomitees und andere Adressaten verschickt wurde. Wir sind nicht überzeugt, daß dies die geeignetste Methode war“.
Was war so Ungehöriges passiert? Eigentlich nur dies: Ein Firmenverbund (IMG/Ufa) hatte der FIFA ein Angebot unterbreitet, das um ein Vielfaches über den bisherigen Verträgen lag. Doch der FIFA-Angestellte Blatter beschwerte sich, daß IMG/Ufa nicht nur ihn, sondern gleich alle Entscheidungsträger des Sportverbandes informiert hatten.
Blatters Bauchschmerzen lassen deutlich erkennen, daß er um sein Informationsmonopol bangte. Es war (und ist, wie wir noch sehen werden) in der FIFA guter Brauch, daß Blatter im stillen Kämmerlein entsprechende Offerten sondiert und dann den verantwortlichen Gremien wie der Finanzkommission und der Exekutive entscheidungsreife Empfehlungen vorlegt. Das Vorgehen von IMG brach mit dieser eigenartigen Tradition, es war nämlich jetzt von Anfang an zwei Dutzend FIFA-Gewaltigen bekannt.
Die von Drossart angeforderten Bedingungen der Rechtevergabe blieb Joseph Blatter schuldig. Man arbeite mit allen Kräften daran, erwiderte Blatter nur am 19. September 1995. Gleichzeitig verlangte er eine Konkretisierung des IMG-Angebots, ohne auf die Fragen einzugehen, die Drossart in seinem ersten Brief aufgeworfen hatte – zum Beispiel, ob die FIFA neben den Fernseh- auch die Marketingrechte auszuschreiben gedenke.
So konnte also Drossart am 9. Oktober nur wiederholen, was er bereits im August angekündigt hatte: Für eine Milliarde Dollar wären IMG und Ufa bereit, sämtliche Rechte an der WM 2002 zu erwerben. Drossart bot der FIFA nun sogar an, eine Art Aufsichtsrat zu bilden, um die Tätigkeit von IMG/Ufa zu kontrollieren. Weil er den Gerüchten entgegnen wollte, es handle sich bei der Offerte um den totalen Rechte-Ausverkauf?
Blatter empfand den zweiten Brief Drossarts offenbar als Affront. Der Umgangston wurde rauher. Am 15. November schrieb Blatter nicht mehr an den „lieben Eric“, sondern an „Mr. Drossart“. Wenigstens erklärte er nun aber, daß die FIFA die Fernseh- und Marketingrechte der WM 2002 im Paket verkaufen wolle. Dabei sei man jedoch gewissen Zwängen unterworfen, denn der aktuelle Marketingpartner ISL besitze noch eine Option für Verhandlungen über die Marketingrechte, welche erst drei Monate vor der Abstimmung durch die FIFA-Exekutive über den neuen WM-Ort 2002 auslaufe. Die FIFA könne mit IMG/Ufa erst nach Ablauf der ISL-Option verhandeln. Von einer ähnlichen Option in TV-Fragen war in diesem Brief noch nicht die Rede.
Drossart sorgte sich nun erst recht, ausgedribbelt zu werden. Er wandte sich an den FIFA-Vizepräsidenten Chung Mong-Joon, der an der Spitze der südkoreanischen WM-Bewerber für 2002 stand. Drossart schickte Chung „ein aussagefähiges Dossier unseres Rechtegebots, das für Sie und ihre Kollegen in der Exekutive nützlich sein sollte“. Dem Schreiben an Chung legte Drossart eine Kopie des Blatter-Briefes vom 15. November bei.
Die Sache wurde verworrener, die Widersprüche häuften sich. Daß es in der FIFA durchaus Bestrebungen gab, die Entscheidungsgewalt von Blatters Tafelrunde einzudämmen, belegt auch ein internes Protokoll der IMG-Tochter Trans World International (TWI).
Unter Berufung auf Gespräche mit Chung und mit dem afrikanischen Fußballpräsidenten Issa Hayatou unterrichteten die Manager einander, die FIFA-Exekutive hätte sich schon im Mai 1995 ausdrücklich für eine transparente Bewerbungsprozedur zu TV- und Marketingrechten ausgesprochen. Europäische und afrikanische Exekutivmitglieder würden sogar eine Änderung der FIFA-Statuten anstreben: Auf dem FIFA-Kongreß im Juli 1996 sei die Einberufung eines neuen „Arbeitskomitees“ geplant, dem lediglich Präsident Havelange und die Chefs der Kontinentalföderationen angehören sollten. Allein dieses Komitee, und nicht mehr die von Blatter und Havelange kontrollierte Finanzkommission sollte mit der Auswertung der TV- und Marketingsangebote betraut werden und der Exekutive Empfehlungen unterbreiten. Dazu ist es zwar nie gekommen – im Dezember 1995 jedoch hofften die TWI/IMG-Manager noch sehr auf die Möglichkeit dieses demokratischen Meinungsbildungsprozeß und hielten fest:
Wenn das tatsächlich der Fall wäre, sollte Chung von Blatter eigentlich Kopien aller Angebote fordern können, welche die FIFA bis heute erhalten hat.
Soweit die interne IMG-Kommunikation. Offiziell bot Eric Drossart dem FIFA-Generalsekretär am 7. Dezember 1995 zum wiederholten Mal ein Gespräch über die Milliardenofferte an. Es sei eine weise Entscheidung der FIFA, Fernseh- und Marketingrechte im Paket zu verkaufen, lobte Drossart. Dann machte er Blatter erneut auf grundlegende Widersprüche in der Haltung aufmerksam. Am 15. November hatte Blatter erklärt, die FIFA schließe für 2002 die TV-Vermarktung im Bezahlfernsehen aus, gleichzeitig aber akzeptiere man sogenanntes „privat viewing“. Drossart fragte nun: Was ist darunter genau zu verstehen? Nur „Privatfernsehen“ oder mehr?
Wir verstehen die FIFA-Haltung so: Pay TV ist ausgeschlossen, private Fernsehsender aber sind erlaubt. Sehen wir das richtig? Können Sie uns das so bestätigen?
Drossart ging auch auf das Erstverhandlungsrecht der ISL ein. Man verstehe nicht, warum die ISL eine weltweite Exklusivität erhalte, obwohl sie mit Ausnahme der USA gar keine gebündelten TV- und Marketingrechte besitze. Die TV-Rechte bis 1998 hielt bekanntlich das von der EBU angeführte Konsortium öffentlich-rechtlicher Anstalten. Blatter aber scherte sich nicht um die für die Bewerber elementar wichtigen Fragen. Er vermied ein Gespräch mit IMG/Ufa, bestätigte am 21. Dezember 1995 in dürren Zeilen den Erhalt des Drossart-Briefes und wünschte „fröhliche Weihnachten und ein glückliches neues Jahr“.
Die Verhandlungsoption der ISL lief dann am 29. Februar 1996 ab, ohne daß die FIFA mit der Agentur überein gekommen war. Dies bestätigte Blatter per Pressemitteilung vom 19. März 1996. Kurz zuvor hatte er dies bereits der IMG verkündet. In diesem Brief vom 15. März sprach Blatter erstmals davon, daß über die Rechte an der WM 2002 „und darüber hinaus“ verhandelt werde. Bisher hatte es stets gelautet, es ginge nur um die WM 2002.
IMG-Mann Drossart erschrak. Nun mußte er annehmen, daß Blatter mit der ISL schon immer über die Titelkämpfe 2002 und 2006 verhandelt hatte, während die IMG mit ihrem Gebot für 2002 schon mehr als ein halbes Jahr vertröstet worden war. Drossart schrieb also an Blatter, er sehe sich von der FIFA als Rechtebewerber „nicht gleichberechtigt“ behandelt.
Wir sind über viele Dinge verwirrt und bitten dringend um Klarstellung.
Drossart listete unter anderem folgende Punkte auf:
- Im September 1995 hatte Blatter mitgeteilt, die FIFA arbeite hart an einem Zeitplan der Rechtevergabe. „Uns wurde nie gesagt, wie die Vergabe-Prozedur aussieht. Ist das System schon etabliert?“ erkundigte sich Drossart.
- Im November 1995 hatte Blatter behauptet, TV- und Marketingrechte würden nur im Paket vergeben. Im Frühjahr 1996 aber verhandelte die FIFA getrennt mit der ISL (offiziell nur über Marketing) und mit der EBU (über Fernsehen). Drossart wollte deshalb wissen: „Akzeptieren Sie jetzt getrennte und integrierte Vermarktungsangebote?“
- „Uns war nicht bekannt, daß auch das EBU-Konsortium eine ähnliche Option wie die ISL hätte. Ist dies der Fall, und wenn ja, wann läuft sie aus?“
- Beschwerte sich Drossart nach einem halben Jahr, in dem er vergeblich auf die Beantwortung vieler Fragen gewartet hatte, darüber, hören zu müssen, daß nun auch die Rechte 2006 zur Disposition stünden.
Drossarts Brief endete mit einem sehr persönlich gehaltenen Absatz, in dem er an Blatters Integrität appellierte und ein Versprechen, das Blatter im Sommer 1995 gegeben hätte, nämlich daß das Gebot der IMG gleichberechtigt neben allen anderen behandelt werde. Das aber war schon lange nicht mehr der Fall. Auch Ende April, als Drossart nun nach Erhalt der offiziellen Ausschreibung (in der plötzlich nur noch von den Fernsehrechten die Rede war) erneut an Blatter schrieb, machte er auf „eklatante Widersprüche“ aufmerksam:
Es fällt mir schwer zu glauben, daß die FIFA aufrichtig versucht, unser Angebot in einem fairen Wettbewerb zu behandeln.
Drossart wiederholte einen Teil seiner Fragen vom 29. März, die immer noch unbeantwortet waren. Diesmal aber wurde er, wohl schon ahnend, ausgebootet zu sein, deutlich schärfer im Ton. So hieß es unter anderem:
Da die FIFA jetzt nicht mehr über Marketingverträge redet, heißt das, man hat sich mit der ISL geeinigt, obwohl die exklusive Verhandlungsfrist überschritten war? Oder wurden die Marketingrechte zur späteren Vergabe zurückgezogen?
(Damit lag Drossart richtig, wie sich zeigen sollte, die Marketingrechte wurden im Dezember 1997 an die ISL vergeben – wieder gegen ein weitgehend ignoriertes Angebot der IMG.)
Hat sich die Marktsituation in den vergangenen Monaten so radikal geändert, daß die FIFA wieder zur alten, regressiven Struktur der getrennten Rechtevergabe zurückkehrt?
… wollte Drossart wissen, und er schloß mit dem Hinweis:
Es fällt sehr schwer, zu einem anderen Schluß zu kommen als dem, daß hier zwei Sorten von Regeln angewendet werden. Eine für das EBU-Konsortium und für die ISL, und eine für alle anderen.
Blatters Zwischenbescheide seien lediglich kleine „kosmetische Ãœbungen“ gewesen, um die FIFA gegen „künftige Vorwürfe der unfairen und unsauberen Wettbewerbsführung zu schützen“, die zunehmend in der Presse erhoben worden waren.
Drossarts Gesamteindruck aus dem Versteckspiel war schlicht vernichtend:
Mir scheint, die FIFA hat für den Fußballsport und ihre Mitglieder eine Fürsorgepflicht, ihr kommerzielles Eigentum zum besten Vorteil dieses Sports und seiner Mitglieder umzusetzen. Momentan ignorieren Schlüsselfiguren der FIFA jedoch diese Anforderung, in dem sie Wettbewerber abschrecken.
Diesen Beschwerdebrief verschickte Drossart wie schon sein erstes Schreiben vom August 1995 an alle Mitglieder des Exekutivkomitees und diesmal auch zusätzlich an alle Konföderations-Präsidenten. Geholfen hat es seiner Sache nicht. In der Zwischenzeit hatte die Blatterfraktion den alten Freunden von der ISL schon den Weg in die Zukunft bereitet.
Auf der Strecke blieb dabei auch die EBU, die für die Fernsehrechte an den Endrunden 2002 und 2006 im Februar 1996 insgesamt 2,2 Milliarden Schweizer Franken geboten hatte. Zudem verfügte das EBU-Konsortium ja über langjährige erstklassige Erfahrungen bei der technischen (TV-Übertragung) und organisatorischen (Weitervergabe der Rechte) Abwicklung solcher Mammutprojekte. Auch hatte FIFA-Präsident Havelange dem Partner eine Vertragsverlängerung fest versprochen, wie der EBU-Vorsitzende Albert Scharf erklärte.
Die FIFA aber, die offiziell mit der ISL eigentlich nur über die Marketingrechte (insgeheim aber über Fernsehfragen) verhandelte, ignorierte auch das zweite EBU-Angebot.
Im Juni 1996 erklärte die EBU ihre Bereitschaft, den schon zehn Jahre zuvor ausgehandelten Preis für die WM-Endrunde 1998 in Frankreich von 135 Millionen auf 200 Millionen Schweizer Franken zu erhöhen – sofern ihr auch die Rechte 2002/2006 zugesprochen würden. Die FIFA hatte auf dieser Erhöhung bestanden, nachdem sie das WM-Feld lange nach Abschluß des entsprechenden TV-Vertrages von 24 auf 32 Mannschaften erweiterte.
„Havelange hatte die WM ja aufgestockt, ohne mit uns geredet zu haben, dann wollte er plötzlich mehr Geld“, erklärte EBU-Manager Richard Bunn. Man habe sich viel zu lange auf das Spiel der FIFA-Spitzen eingelassen. „Als wir die nachträgliche Aufbesserung des Vertrags in Aussicht stellten, war Havelange ein Held. Da hat es wieder geheißen, Havelange hätte den Fußball gerettet, und wir spielten mit. Dabei hat sich die FIFA ein neues Gebäude gebaut. Das ist im Grunde unser Gebäude. Unsere Fernsehgelder stecken nicht in den Klubs, sondern in dem Gebäude.“
Am 15. Mai 1996, um zwölf Uhr mittags, war die offizielle Bewerbungsfrist für die TV-Rechteinteressenten abgelaufen. Noch am Nachmittag gab die FIFA bekannt, sieben Offerten erhalten zu haben:
Von ABC Television (USA), CSI (Schweiz), CWL (Schweiz), IMG (USA), Sporis (ISL)/Kirch (Schweiz) und TEAM (Schweiz).
Dazu natürlich von der EBU. Die FIFA-Finanzkommission unter Vorsitz des Dänen Poul Hyldgaard werde die Angebote sorgfältig prüfen, so hieß es, und dem Exekutivkomitee am 31. Mai einen Bericht vorlegen.
Die Tagung Ende Mai war dann erst einmal von der Vergabe der WM-Endrunde 2002 überlagert. Die verfeindeten Rivalen Japan und Südkorea hatten sich in jeder Hinsicht den extensivsten Wettbewerb aller Zeiten geliefert – jede Seite soll 80 Millionen Dollar investiert haben. Präsident Havelange wollte die WM in Japan sehen; einer seiner Vizepräsidenten, der Südkoreaner Chung, war Finanzier und Wortführer der zweiten Bewerbung. Die europäischen Vertreter im Exekutivkomitee hatten sich schon lange vorher für ein Co-Hosting, eine gemeinsame Ausrichtung, ausgesprochen. Diesem Vorschlag mußte sich Havelange zähneknirschend beugen, denn 14 der 21 Mitglieder hatten ein Papier für das Co-Hosting unterzeichnet und darin erklärt, sie würden für Südkorea stimmen, falls ihr Aufruf von der FIFA-Spitze ignoriert werden sollte. Zudem hatte UEFA-Präsident Johansson vorsorglich beantragt, eine eventuelle geheime Abstimmung von den FIFA-Rechnungsprüfern überwachen zu lassen. „Offensichtlich erschien es ihm zu riskant, das Stimmgut während zweier Stunden (zwischen der Abstimmung und der Resultatsverkündung) in die Obhut von Havelange und Generalsekretär Sepp Blatter zu geben“, kommentierte der Züricher Sport. Vertrauen ist eben der Anfang von allem …
Da nach diesem beachtlichen Mißtrauensvotum offenbar auch Blatter keine andere Lösung mehr einfiel, verlas Havelange auf der Sitzung ein Statement für eine gemeinsame WM. Wenige Tage zuvor hatte er noch erklärt, im Sport gebe es nur Sieger und Verlierer, die FIFA-Regeln erlaubten kein Co-Hosting, und dies werde sich nicht ändern, solange er Präsident der FIFA sei. Nun sagte er kleinlaut:
Ich habe mich einem vom Exekutivkomitee einhellig unterstützten Vorschlag gefügt.
So war nach außen die Einheit gewahrt, die Funktionärskollegen applaudierten, und die Sache war entschieden. (Allerdings sollte diese Entscheidung noch viele Probleme mit sich bringen.)
Havelange kochte vor Wut, hatte er doch eine seiner seltenen Niederlagen einstecken müssen. Die TV-Frage mußte also nun erst recht so gelöst werden, wie er persönlich sich das vorstellte, und zwar noch zum FIFA-Kongreß im Juli – nicht erst, wie irreführenderweise noch offiziell behauptet werden sollte, bei der Exekutivsitzung im Dezember.
Vielleicht haben sich Havelanges Opponenten in diesen Stunden und Tagen ein wenig zu sicher gefühlt. FIFA-Vize Mong-Joon Chung erklärte jedenfalls abends an der Hotelbar, Havelange habe seine Haut nur vorerst gerettet. Die Opposition habe nun endlich die Gewißheit, erfolgreich „Hand anlegen zu können“ an das brasilianische Monument. Ein Beweis der wachsenden Macht sei auch, daß man beschlossen habe, mit der Auswertung der TV-Angebote die Finanzkommission zu beauftragen. Chung sollte sich täuschen. Genau das war Havelanges Vorteil. Das Imperium schlug mit aller Macht zurück.
Am 31. Mai 1996 gab die FIFA folgende Pressemitteilung heraus:
Das Exekutivkomitee pflichtet dem Vorschlag von Präsident Havelange bei, daß die TV-Rechte nur von der Finanzkommission, geleitet von Herrn Hyldgaard, und dem Generalsekretär zu analysieren sind.
Auf Blatter und dessen engen Freund Poul Hyldgaard, den Chef der Finanzkommission, konnte sich Havelange verlassen – er selbst wollte dann in Einzelgesprächen den Rest besorgen und die nötige Mehrheit in der Exekutive herbeiführen. Zu dieser Zeit war immer nur von einem Vertrag für 2002 mit einer Option für 2006 die Rede gewesen. Am 17. Juni offerierten die vier verbliebenen Interessenten (CWL, IMG, das EBU-Konsortium und Sporis/Kirch) ihre Angebote noch einmal der Finanzkommission. ABC, TEAM und CSI stiegen aus.
Die Wochen vergingen mit geschäftigem Treiben auf allen Ebenen. Blatter und Hyldgaard bereiteten in der Finanzkommission den Vorschlag zugunsten von Sporis und Kirch vor – wie so etwas läuft, wird uns später noch ausführlich ein FIFA-Vizepräsident berichten -, und Havelange bestellte Exekutivmitglieder zum persönlichen Gespräch ein. Am Abend vor der entscheidenden Sitzung Anfang Juli 1996 dinierte der Brasilianer in seinem Apartment noch lange mit dem russischen Exekutivmitglied Wjatscheslaw Koloskow.
Auf der Sitzung des Exekutivkomitees ging Havelange frühmorgens siegessicher zur Sache. Hinter verschlossenen Türen kam er schnell auf den Punkt. Er schlug vor, die Rechte für 2002/2006 an Sporis/Taurus zu vergeben, obgleich er wußte, daß die Europäer, wenn überhaupt, dann nur über 2002 befinden wollten. Havelange beantragte die sofortige, offene und einzelne Abstimmung und überrumpelte damit seine Konkurrenten. Havelange fragte zunächst seinen langjährigen Mitstreiter Koloskow:
Bist du nicht auch der Meinung, wir sollten das Angebot akzeptieren, mein Freund?
Gospodin Koloskow, seit vielen Jahrzehnten in der Sportdiplomatie geschult, tat, worum er gebeten worden war. Er nickte. Dies war ein wichtiger Schachzug, weil das erste Jawort aus taktischen Gründen von einem Europäer kommen mußte. War deren Front erst einmal durchbrochen, würden auch die anderen wankelmütig werden.
Die Frage ging reihum und Generalsekretär Blatter notierte eifrig die Stimmenzahl. 21 Mitglieder hatte das Exekutivkomitee damals. Das deutsche Mitglied Gerhard Mayer-Vorfelder und der greise Milliardär Henry Fok aus Hongkong, der damals noch in der Finanzkommission war, fehlten. Von den verbliebenen neunzehn Mitgliedern antworteten nur neun mit Ja – also nicht einmal die Mehrheit. Sechs waren dagegen. Mit Mayer-Vorfelder wären es sieben gewesen, jedenfalls, wenn er seinen Auftrag im Sinne des DFB wahrgenommen hätte. Die übrigen drei unter den Verdutzten enthielten sich der Stimme. Gewiß kein überzeugendes Votum also für einen Milliardendeal, der die Öffentlichkeit wie kein Sportrechtehandel zuvor beschäftigen sollte. Havelange aber konnte trotzdem generös auf seine Stimmabgabe verzichten.
Später sollte er sagen:
Das nächstfolgende Angebot lag um 600 Millionen Schweizer Franken niedriger. Da gab es keine Diskussion.
Im Februar hatte Havelange noch erklärt:
Unsere Partner sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten der European Broadcasting Union.
Warum dann aber diese Ãœberrumpelungstaktik? Warum diese irreführende Informationspolitik? Warum wurde erst der Vertrag in Windeseile durchgedrückt – und dann Kirch und ISL anderthalb Jahre Zeit gegeben, ihre Verkaufsstrategie auszuhandeln? Völlig überraschend sei die Abstimmung für die Hauptakteure im Fernsehgeschäft gekommen, empörte sich EBU-Präsident Albert Scharf. Er wollte „wie alle anderen erst aus den Nachrichten“ davon erfahren haben.
Ein unerhörter Vorgang? Tatsächlich hatte es in der an die Exekutivmitglieder verschickten Tagesordnung unter Punkt 3.1 nur geheißen:
Bericht der Finanzkommission über die Vergabe der Fernsehrechte.
Daß dies nichts besagen muß, zählt zur traurigen Tradition der Ära Havelange, in der den Weltfußball betreffende Grundsatzentscheidungen immer wieder ohne sachliche Diskussion und gründliche Analyse getroffen wurden. Der Beispiele gab es viele. Nur hatte sich die EBU, der langjährige Partner, nie dafür interessiert. Als man das erste Mal selbst benachteiligt worden war, regte man sich mächtig auf. Hilflos und viel zu spät.
Generalsekretär Blatter erging sich nach der Abstimmung in Formulierungen, die nach Erlösung klangen:
Dies ist eine neue Dimension. Erstens in finanzieller Hinsicht. Zweitens, weil die Zusammenarbeit mit dem Konsortium der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die seit 1974 bestand, beendet wurde.
Drei Monate zuvor hatte er noch gesagt, man dürfe „sich nicht blenden lassen von den großen Summen, die da herumgehen“. Der Sport stehe zu sehr im Mittelpunkt der Finanzen, „und das gefällt mir gar nicht gut“.
9:6 war die Abstimmung ausgegangen, die drei Enthaltungen deuteten wohl kaum auf eine Zustimmung hin. Zunächst aber kursierten sogar unter den Bewerbern ganz andere Ergebnisse. „Das Verfahren bei der Vergabe war äußerst irritierend“, kritisierte der EBU-Chef. „Ständig wurden neue Bedingungen gestellt, bis schließlich die Entscheidung mit einer Stimme Mehrheit getroffen wurde.“ Scharf, Intendant des Bayerischen Rundfunks und damals auch ARD-Vorsitzender, äußerte zugleich sein Unverständnis über das sehr „auffällige“ Fehlen von Gerhard Mayer-Vorfelder – immerhin Vertreter des mitgliederstärksten Verbandes der Welt und mithin auch des für Kirch interessantesten Fernsehmarktes.
Nicht nur in EBU-Kreisen wurde Naheliegendes vermutet: Der schwäbische CDU-Minister Mayer-Vorfelder habe sich angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse vor einer Entscheidung drücken wollen. Hätte er für die EBU gestimmt, wäre die Situation für die ISL/Kirch-Offerte prekär geworden – er hätte sich ja dann in Havelanges Fragerunde als Deutscher gegen die deutsche Offerte erklären müssen und damit gewiß den einen oder anderen der drei Unentschlossenen noch abgeworben. Hätte er aber für seinen Parteifreund Kirch gestimmt, wäre er in Deutschland hart angegriffen worden. Er – nicht Kirch. So hat er gar nicht abgestimmt. Und dafür kaum Prügel kassiert.
Mit welcher Begründung aber fehlte der Finanzminister Baden-Württembergs überhaupt bei der Beratung dieser delikaten Angelegenheit, ausgerechnet bei der teuersten Entscheidung der FIFA-Historie?
Nach Angaben seines Ministeriums hatte Mayer-Vorfelder am Vormittag des 3. Juli 1996 „dringende Haushaltsberatungen“ in Stuttgart. Nachmittag unterstützte er als CDU-Kreisvorsitzender die Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl. Angeblich will sich Mayer-Vorfelder noch einmal rückversichert haben, bevor er auf die Reise nach Zürich verzichtete. „Ich habe Blatter gefragt, ob über irgend etwas entschieden wird“, so erklärte er den Vorgang im Mai 1997. Mach dir keine Sorgen, es sei nur eine Orientierungsrunde, so habe dieser darauf geantwortet. Also seien ihm seine Ministertermine wichtiger gewesen. Später will er dann aus allen Wolken gefallen sein, als das Ergebnis verkündet wurde. War es so?
„Daß ist das erste Mal, daß ich höre, daß Mayer-Vorfelder mich in dieser Angelegenheit kontaktiert hat“, widerspricht hingegen Blatter. „Er hat das ganz sicher nicht gemacht, sonst hätte ich ihm gesagt, daß das auf der Traktandenliste steht, die er auch erhalten hat.“
Und was da drauf steht, das stünde eben nie einfach nur zur Diskussion, „sondern immer zu Diskussion und Entscheid.“ Darüber wiederum gehen die Einschätzungen auch unter Exekutivlern auseinander. Wenn alles, was auf der Tagesordnung steht, automatisch zum Entscheid ansteht, wäre das schon fahrlässig – etwa, wenn sich dort wie so oft 40 oder 50 Punkte türmen und die Mitglieder sich gar kein Bild mehr machen können über die jeweilig in aller Eile abzuhandelnden Sachverhalte. Blatter jedenfalls bleibt bei seiner Darstellung:
Ãœber das Thema haben Mayer-Vorfelder und ich nicht gesprochen.
Als Mayer-Vorfelder mit diesen Aussagen konfrontiert wurde, grinste er.
Dann habe ich eben nicht mit Blatter, sondern mit seinem Sekretariat gesprochen. Das weiß ich doch nicht mehr genau.
Genau genommen interessiert ihn ja die ganze Sache mit den Fernsehrechten kaum. Die angesichts der Kirchschen Pay-TV-Drohung so aufgewühlten Gemüter in Deutschland beruhigt er gerne mit dem lässigen Hinweis:
Wissen die denn überhaupt, wie die Fernsehlandschaft im Jahr 2000 oder 2002 aussieht? Das weiß kein Mensch.
Da ist viel Wahres dran. Nur drängt sich die Frage dann um so mehr auf, warum die FIFA bereits Mitte 1996 in erkennbar allerhöchster Eile Fernsehverträge bis 2006 abschließen mußte?
Auf dem gleich nachfolgenden Kongreß der FIFA, der vierstündigen Mitgliedervollversammlung am 4. Juli 1996, versetzte Havelange seinen europäischen Rivalen um Lennart Johansson noch ein paar genüßliche Rippenstöße. Zunächst versprach er jedem der damals 198 nationalen Verbände aus dem Fernsehvertrag einen Grundbetrag von einer Million Dollar – eine Idee, die Johansson bereits in seinem ersten Visions-Papier vorgelegt hatte. Für die gerade neu aufgenommenen Föderationen der Jungferninseln, von Montserrat oder Guam hatte sich der erste Besuch beim Fußballpapst somit schon gelohnt.
Der Kongreß beschloß mit 130 zu 41 Stimmen, die Zahl der Exekutivmitglieder um je einen Vertreter aus Afrika, Asien und Ozeanien von 21 auf 24 zu erhöhen. Die Europäer blieben bei ihren acht Plätzen. Havelange mußte keine Widerworte erdulden und bedankte sich anschließend für eine „ruhige und faire“ Versammlung, die in einer „Atmosphäre des Friedens und des Fairplay“ stattgefunden habe. „Sie haben sich perfekt verhalten“, lobte er in die Runde.
Weniger zufrieden war der DFB. Zwei seiner Anträge wurden abgeschmettert, darunter der für die Stärkung der nationalen Sportgerichtsbarkeit bei Entscheidungen, die eigene Wettbewerbe betreffen. Zurückziehen mußte er den dritten: Die Aufnahme einer Klausel, nach der in Zukunft die Vollversammlung die Vorsitzenden und deren Stellvertreter in den FIFA-Kommissionen wählen soll, an Stelle der bisher geübten Ernennung durch die FIFA-Exekutive.
So blieb es bei einem winzigen Erfolg für die Europäer – sie ersetzten ihren Vertreter in der fünfköpfigen Finanzkommission (je ein Mitglied aus Europa, Asien, Afrika, Südamerika und Mittel/Nordamerika), den dänischen Blatter-Freund Poul Hyldgaard, durch den Italiener Antonio Matarrese. Mit Hyldgaards Leistung als Kommissionschef in der Vorbereitung der Kirch-Verträge war man offenbar nicht glücklich gewesen. Dafür aber büßten die Europäer nun ihren Chefstuhl in der Finanzkommission ein, was ein wenig verwundert, weil sie immerhin den Kontinent repräsentieren, aus dem der Weltfußball das weitaus meiste Geld erlöst.
Wie der Zufall so spielt, waren nun die wichtigsten Gremien wieder fest in lateinamerikanischer Hand: Der Brasilianer Havelange als Boß der Exekutive und der Dringlichkeitskommission, der Argentinier Julio Grondona an der Spitze von Finanzkommission und des Komitees für die FIFA-Jugendwettbewerbe, Havelanges mexikanischer Busenfreund, der im Dezember 1996 verstorbene Fernsehmogul Canedo, als Chef des WM-Organisationskomitees sowie des zugehörigen FIFA-Büros.
Hyldgaard übrigens wurde noch am 4. Juli zum Ehrenmitglied der FIFA ernannt. Und auch Wjatscheslaw Koloskow, der ja eine Art Streikbrecher gespielt hatte innerhalb der Oppositionsfront der europäischen Exekutivmitglieder, hatte bald Grund zur Freude. Sicher war es Zufall, daß Koloskow in seiner Eigenschaft als russischer Verbandschef vier Monate nach der TV-Vergabe und dem persönlichen Gespräch mit Havelange einen lukrativen Vertrag unterschrieb – mit dem Sportartikelgiganten Nike, der auch die Auswahl Brasiliens unter Vertrag hat und sich zu jener Zeit bei Havelange sehr um einen Kontrakt mit der FIFA bemüht hatte. Bis zum Jahr 2000 treten zehn russische Auswahlteams der Männer, Jugendlichen und Frauen sowie sechs Topvereine der ersten Liga in Nike-Ausrüstung an. „Neben der Ausstattung beinhaltet der Vertrag mit Nike auch Barzahlungen“, erklärte Koloskow auf einer Pressekonferenz.
Wieviel Dollars in den nächsten Jahren nach Moskau transferiert werden, wurde nicht bekannt. Muß auch nicht sein, im Rechtsstaat Rußland gelangen Devisen meist an die richtige Adresse.
* * *
Ähnlich verlief im Jahr darauf die Vergabe der FIFA-Marketingrechte für 880 Millionen CHF. Das ist mal eine andere Geschichte.
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Hehe, dankeschön für den Text. Ein erneuter Grund, warum es mich ärgert, dass Amazon das Buch nicht mehr vorrätig hat. Aber irgendwann kriege ich das noch :)
Die Geschichte hat leichte Parallelen zu den Verhandlungen mit Visa/MasterCard, zu den Verhandlungen nach der ISL Pleite mit den Gericht von Zug … und immer wieder liest man von Jean-Marie. Der, der dem Ex-Vorsitzenden des Kirch-Nachfolge-Unternehmens infront ein rauschendes Fest zum 50. organisiert hat.
(von Gericht rügt Fifa: “täuschendes Verhalten�)
Man könnte Untersuchungsrichter durch Geschäftspartner und Untersuchungen durch Verhandlungen ersetzen und trifft teilweise die Argumentation von Drossart.
Womit man sicherlich eine ganze Zeit beschäftigt wäre: Eine Grafik, mit den wichtigsten Geschäftsleuten/Funktionären und deren Verbindungen untereinander.
Hach, wenn ich mall groß bin, will ich auch Funktionär werden. Man trifft auf so viele interessante Leute.
@Andreas: Hier gibt es die freie Auswahl.
Menno: Diesen Eintrag und das Verlinkte muss ich unbedingt lesen, wenn ich für so was wieder Zeit habe.
Könnte mich da so in zwei bis drei Wochen mal jemand dran erinnern? :)
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