VANCOUVER. Wie versprochen, noch einige Zeilen zu den IOC-Blogger-Richtlinien für Olympia-Akkreditierte. Je länger ich darüber nachdenke, desto skandalöser finde ich es. Glaube auch nicht, dass diese Restriktionen aufrechtzuerhalten sind im digitalen Zeitalter, wo alle Grenzen verschwimmen und jeder zum Publisher wird. Werde sicher in den kommenden Tagen einige Male drauf eingehen und zumindest einige Aspekte der hochkomplexen Thematik anreißen. In der Vorbereitung auf diesen Beitrag habe ich einen langen Artikel von René Martens in der Funkkorrespondenz vom Dezember 2009 gelesen („Wem gehört der Sport?“). Der Artikel ist nicht frei verfügbar. Würde das liebend gern als Gastbeitrag veröffentlichen und/oder mindestens auf das Original verlinken, just in case, René Martens liest mit …
Nun aber mein aktuelles Geschichtlein:
Die Dienstmeldung von Lindsey Vonn kam überraschend. Die weltbeste alpine Skirennfahrerin teilte auf Twitter und Facebook mit:
Hey Everyone, because of the Olympic rules (blackout period) I will not be able to post any updates from now until march 3rd. Sorry, it bums me out too! Even though I won’t be able to write to you I can still get your messages so keep them coming! :) xoxo Lv
Es wird hier jetzt eine Weile ruhig. Gemäß den olympischen Richtlinien darf ich mich bis Anfang März nicht melden. Die Nachricht verbreitete sich Ende vergangener Woche in Windeseile. 25.000 bestätigte Fans hat Vonn auf Facebook, dem mit bald 400 Millionen Nutzern größten Online-Netzwerk der Welt. 35.000 Menschen folgen ihren Kurznachrichten auf Twitter. Vonn ist bei den Winterspielen in Vancouver eine Hauptrolle zugedacht. Gerade posierte sie auf dem Olympia-Cover von Sports Illustrated. Und nun das.
Das IOC verbietet Lindsey Vonn zu bloggen? Im Nu war das Thema ganz groß in den herkömmlichen Medien. Kaum eine amerikanische Zeitung, kaum ein Internetportal, kaum eine TV-Station, die nicht berichtete.
Das Problem war nur: Lindsey Vonn hatte die „IOC Blogging Guidelines“ nicht gelesen und sich aufs Hörensagen verlassen. Vom amerikanischen Olympiakomitee USOC und vom IOC wurde sie umgehend aufgeklärt. Standesgemäß via Twitter.
„Lindsey Vonn dachte, sie dürfe während der Spiele nichts posten“, sagte mir IOC-Kommunikationsdirektor Mark Adams. „Das stimmt nicht. Wir haben sofort getwittert und ihr die Regeln geschickt. Ich räume ein, dass die Regeln vielleicht etwas schwer zu verstehen sind. Es ist nun mal eine neue Ära. Es ist schwer, die Regeln den rasanten Entwicklungen im Bereich Social Media anzupassen.“
Das IOC hat die 13 Regeln für Vancouver im September 2009 veröffentlicht. Die „Blogging Guidelines“ (englische Version, deutsche Version) gelten für alle Olympia-Akkreditierte – mit Ausnahme von Journalisten. Deren Arbeit ist durch Artikel 49 der Olympischen Charta geschützt, sagt das IOC.
49 Â Media Coverage of the Olympic Games
1. The IOC takes all necessary steps in order to ensure the fullest coverage by the different media and the widest possible audience in the world for the Olympic Games.
2. All decisions concerning the coverage of the Olympic Games by the media rest within the competence of the IOC.
Bye-law to Rule 49
1. It is an objective of the Olympic Movement that, through its contents, the media coverage of the Olympic Games should spread and promote the principles and values of Olympism.
2. The IOC Executive Board establishes all technical regulations and requirements regarding media coverage of the Olympic Games in an IOC Media Guide, which forms an integral part of the Host City Contract. The contents of the IOC Media Guide, and all other instructions of the IOC Executive Board, are binding for any and all persons involved in media coverage of the Olympic Games.
3. Only those persons accredited as media may act as journalists, reporters or in any other media capacity. Under no circumstances, throughout the duration of the Olympic Games, may any athlete, coach, official, press attaché or any other accredited participant act as a journalist or in any other media capacity.
Sportler also dürfen während der Spiele nicht journalistisch arbeiten, lediglich persönliche Aufzeichnungen veröffentlichen, ob nun in einem Blog oder in diversen Netzwerken. Sie dürfen nur Tagebuch führen und sollen sich auf ihre Erlebnisse beschränken, nicht aber über Konkurrenten schreiben, schon gar keine olympischen Betriebsgeheimnisse verraten. So steht es in den Richtlinien. Die Regeln wurden im Vergleich zu den Sommerspielen 2008 in Peking verschärft: Sportler dürfen auf ihren Webseiten und Blogs keine Olympischen Ringe und auch nicht das Logo der Vancouver-Spiele benutzen. Zu einigen anderen Änderungen hat sich Dogfood schon vor Monaten geäußert.
Angeblich stehen bei den Spielen und für das IOC doch immer die Sportler im Mittelpunkt. Die aber haben kein privates Recht an olympischen Symbolen. Die Exklusivrechte der Sponsoren und TV-Stationen müssen gewahrt werden. Nur so können jene Milliarden generiert werden, „die letztlich allen Sportlern und Verbänden zugute kommen“, argumentiert Mark Adams. „Natürlich dürfen Sportler bloggen. Wir ermuntern sie sogar dazu. Sie sollen twittern und Facebook nutzen.“ Irritationen, wie sie nicht nur Lindsey Vonn offenbarte, will das IOC am Dienstag beim Treffen mit allen Delegationsleitern (Chef de Mission) ausräumen. Der DOSB, traditionell fest mit dem IOC verschweißt, meldet bislang keine Problemfälle, wohl aber viele Fragen und Unklarheiten.
Die Komplexität der neuen Medienwirklichkeit, die Revolution auf dem Kommunikationssektor lässt sich nicht in dreizehn Regeln fassen. Mark Adams spricht von Grauzonen, in die man sich vortaste. Das Bemühen ist dem IOC nicht abzusprechen. Man hat schnell gelernt, ist in den großen Netzwerken aktiv, seit einem Monat auch auf Facebook, wo das IOC am Sonntag 770.000 Fans hatte, und 20 Stunden später, in dieser Sekunde, schon 826.000.
Bis Freitag, zur Eröffnung der Winterspiele, rechnet Adams mit einer Million.
„Und das in vier Wochen! Phänomenal! Und auf Facebook wird viel aktiver kommuniziert als auf unserer Webseite.“
Sich dieser Dynamik anzupassen, „fällt jedem Apparat schwer, auch dem IOC“, sagt Adams. „Da draußen sind viele Menschen, die über uns reden. Ich sage, wir sollten zumindest versuchen, mit unseren Fans und auch mit unseren Kritikern zu diskutieren. Sich nicht zu beteiligen, ist keine Option. Denn die Diskussion findet sonst ohne uns statt.�
(Das nehme ich ihm natürlich nicht ab, und das weiß er auch. Ich erinnere nur kurz an die unsäglichen Aktionen beim Olympischen Kongress in Kopenhagen oder daran, dass er nicht erlaubt, die Sekretärin der Ethik-Kommission zu interviewen. Viele andere Beispiele ließen sich nennen. Aber das ist nur ein Einschub, der an dieser Stelle nicht entscheidend ist, den ich mir bloß nicht verkneifen konnte. Wie so ein Tanker wie das IOC auf die Herausforderungen reagiert, zählt für mich zu den interessantesten Sportthemen des Jahres. Ich sage nur: Youth Olympic Games in Singapur.)
Das IOC hat inzwischen mit Alex Huot einen „Social Media Manager“ benannt. Eigentlich bräuchte es einige Dutzend Angestellte in diesem Bereich. Doch Unter Präsident Jacques Rogge ist Sparsamkeit befohlen. Wenngleich das Thema Neue Medien ganz oben auf der Agenda steht.
Aus Sicht des IOC waren die Sommerspiele 2004 in Athen die ersten richtigen Internetspiele, weil Dank Breitbandverbindungen erstmals großflächig Online-Übertragungen möglich waren. Die Sommerspiele 2008 in Peking werden als erste digitale Spiele geführt und haben den Mythos ausgelöscht, dass die Online-Medien angeblich den TV-Anstalten das Geschäft vermiesen. Nein, die Geschäftsfelder profitieren voneinander, schreiben IOC-Medienmanager in ihrer Peking-Auswertung. Über die vielen neuen Kanäle erreicht der Olympiakonzern endlich wieder eine jüngere Zielgruppe, wie interne Analysen und eine Studie der Firma „Sponsorship Intelligence“ beweisen.
„In Vancouver erleben wir nun die ersten Social-Media-Spiele“, sagt Direktor Adams. 2012 will das IOC in London in diesem Bereich richtig Geld verdienen, um drohende Mindereinnahmen aus dem herkömmlichen TV-Geschäft auszugleichen.
Ein Auszug aus den IOC-Unterlagen:
London 2012 is certainly expected to set an example in terms of proven & profitable commercial model being reached on digital media broadcast of the Olympic Games spectacle. With ongoing efforts of our partners and ourselves, we expect to embrace more digital media and user participation centric exploitations. These initiatives, to include exploitation of our valuable Olympic Games Archives and social networking platforms, should help develop a presence outside Games-time as well paving the way for reaching out to new audience.
Und noch eine Passage, auch wenn ich Gefahr laufe, abzuschweifen:
The Digital Revolution encompasses various tools & devices, evolving technology and consumption patterns. Through its various mediums and range of mechanisms of delivery of content whether in data or video format, it enables full exploitation of an Olympic Games broadcast. This means that each moment of an Olympic Games, be it part of ceremonies or sporting action, is guaranteed to be available to the public. It surpasses barriers of famous vs small sports, qualification or final round of events.
Each produced moment is thus guaranteed to be ready for consumption and hence rising opportunities of monetization of this vast and spectacular content that we have to offer in form of the Olympic Games. Digital Media, in particularly the Internet, thus enables all of the content produced (5000 hours for Summer and 1000 hours for Winter Games produced by OBS alone) be broadcast live over multi-streams simultaneously or in VOD, while TV could only show 10% of the whole Games on average.
New content delivery methods across different platforms and mediums, (e.g. Internet including broadband or IPTV, mobile etc.) and growing consumption trends also enhance the number of potential clients interested in Olympic Games broadcast rights, including the telecom firms and Internet Service Providers (ISPs). This increase in interest, of exploiting these rights, is expected to enhance value of these rights and in return the revenue streams of the Olympic Movement.
More than one method of delivery and consumption through Digital Media platforms mean that now we can talk about real interactive user experience of the Olympic Games. It empowers users to view the content on their own terms based on platform, device, time, location and with whole of produced content on offer, they can watch the sport of their choice. Latest technology developments, including ongoing analogue switch-off and others as observed in Beijing, to a certain extent, also enable merger of data and video, resulting in more user centric activation and features like user generated content (UGC), text commentary, trivias, bios, forums, surveys, etc.
All these features extend for taking this enhanced user-experience to outside the Games-time through dissemination of over 35’000 hours of archival video content as well as over 600’000 images as well as activation through communities based on pillars of Olympic Games in form of the athletes, volunteers, collectors and spectators.
Although we strongly believe that the benefits outnumber the threats, the Digital Revolution comes with a few challenges.
Präsident Rogge sagte unlängst: Die digitalen Medien seien „die beste Erfindung seit der Erfindung des Fernsehens“.
Zumindest in diesem Punkt wird Lindsey Vonn nicht widersprechen. Auch wenn sie sich auf Twitter korrigieren musste:
Die Komplexität und Unverständlichkeit der Blogrichtilinen machen doch jede Aktivität eines Athleten zum Selbstmordversuch:
Wer trainiert denn vier Jahre, um dann mit einem unglücklichen Bildausschnitt oder einem missverständlichen Text aus dem olympischen Dorf zu fliegen?
Pingback: Jens Weinreich
Pingback: Jan Schütte
Pingback: Bernd Eberwein
Pingback: SEO mit 'nem Vogel
Pingback: Tweets die Vancouver 2010: die ersten Olympischen Social-Media-Spiele : jens weinreich erwähnt -- Topsy.com
Pingback: Thomas Sibold
Pingback: Michael Fiala
René Martens hat seinen lesenswerten Beitrag auch im Blog http://www.direkter-freistoss.de veröffentlicht.
„Under no circumstances, throughout the duration of the Olympic Games, may any athlete, coach, official, press attaché or any other accredited participant act as a journalist or in any other media capacity“ – das wird sich nicht mehr lange halten lassen.
Die Zeiten, in denen nur Journalisten journalistisch tätig waren, sind ja nun vorbei – ob man’s gut findet oder nicht. Wer als Sportler, Coach etc. schlau ist und eine gewisse Neigung dazu hat, produziert selbst mediale Inhalte, um seinen Marktwert zu steigern, Geld zu verdienen und ggf. Spaß zu haben.
Da wird zwar häufig Müll bei herauskommen (vor allem, wenn das Zeug nur von fragwürdigen PR-Leuten geschrieben wird), aber in vielen Fällen wird es auch informativ und spannend sein.
Dieses Blog ist in der Hinsicht sogar ein gutes Beispiel für die Vermischung: Innerhalb eines hochwertigen journalistischen Rahmens melden sich gelegentlich die Originalquellen mit ihrem Fachwissen zu Wort. Das ist vom Prinzip her ein absolut zukunftsträchtiges Modell, glaube ich.
Mich würde es jedenfalls wundern, wenn es diese strikte Trennung in fünf bis zehn Jahren noch gäbe.
Pingback: Klaus Michael
Pingback: uberVU - social comments
Pingback: Twitter und Facebook bei Olympia. Das IOC ruft die ersten Social Media Spiele aus. | Besser 2.0
Wie sieht’s denn jetzt aus. Darfst du weiter machen oder nicht? Nachdem ich mich schon den ganzen Tag am Schreibtisch durch Abhandlungen eines englischen Professors über die Steigbügel von Karl dem Großen gewühlt habe hätte ich hier gerne eine einfache Antwort. Klingt nämlich alles nicht minder kompliziert…
Pingback: mrsRunfast
Pingback: Tran, Le Thien Phuc
Pingback: people-string
Pingback: Daniel
Wolfgang Steiert hat sich auf Twitter (http://twitter.com/WolfgangSteiert) auch erstmal verabschiedet für den Zeitruam der Spiele.
Pingback: djk-sportjugend
Hmmm, überlege gerade, ob ich mir einen Twitter-Account zulege, damit ich tweeten kann, dass ich während der Spiele nicht tweete. Andererseits tweete ich ja sonst auch nicht. Ach was, ich schlafe erst mal eine Nacht drüber…
Pingback: Social Media: was Sie vom IOC lernen können « Das Kulturmanagement Blog
SZ: Sportlerin outet Verfasser obszöner E-Mail auf Facebook
hoppla! was ist denn mit der sz los? gerade wollte ich anmerken, dass udo vetter sich auch schon aus juristischer sicht zu dem thema geäußert hat — und da verlinkt doch die sz aus dem artikel heraus auf genau jenes posting. sollten die onliner der sz im jahre des herrn 2012 etwa ihre automatisch generierten, für ihre lächerliche stumpfsinnigkeit berüchtigten binnenlinks über die wupper geschickt und tatsächlich den wert von externen verlinkungen erkannt haben?!
womöglich geschehen manchmal doch noch wunder.
Pingback: “Wem gehört der Sport? Journalismus, TV-Rechte und die Kontrolle der Bilder im Zeitalter von Twitter” • sport and politics