Journalisten und alle, die sich (noch) so nennen, Blog-Kommentatoren, PR-Schaffende, Blogger, Spin-Doktoren und andere verkrachte Existenzen, bitte mal herhören: Ich glaube, im Home of FIFA in der FIFA-Straße in der FIFA-Stadt Zürich wird jemand gesucht, der sein Handwerk beherrscht.
Hat jemand Interesse?
Bewerbungen bitte an:
Fédération Internationale de Football Association
FIFA-Strasse 20
P.O. Box 8044 Zurich, Switzerland
Das Handwerk ist, simple Texte zu verfassen, wozu zweifelsfrei die Produktion so genannter „Kolumnen des FIFA-Präsidenten“ zählt, oder Kommentare des Präsidenten, wie sie einst Peter Hargitay wenigstens geschickt in der Financial Times untergebracht hat, eine etwas schwierigere Aufgabe, möchte man meinen. Jedenfalls, es beleidigt meinen Spaß/und die Lust an der, sagen wir: intellektuellen Auseinandersetzung mit Joseph Blatter & Konsorten, so schwächliche Beiträge zu lesen wie den, der gestern per FIFA-Pressemitteilung empfohlen wurde.
Dear media representatives,
For your information, FIFA President Joseph S. Blatter’s latest column has been published today on FIFA.com. You can read it here …
Diese „Kolumne“, die natürlich keine ist, zeigt einmal mehr, wie schlecht Joseph Blatter beraten ist. Ich weiß gar nicht, wer ihm derzeit noch Hinweise gibt als PR-Mann an seiner Seite. Auf einer Position also, die ein Schleuderjob ist, ein sicher gut dotierter. Vielleicht lässt Sepp sich auch gar keinen Rat mehr geben? Ich schätze, das war mehr eine rhetorische Frage, denn eine der herausragenden Eigenschaften des Blatter-Sepp ist es doch, nützliche Hinweise, egal von Freund oder Feind, wie ein ultrastarker Staubsauger aufzusaugen.
Oder ersinnt er derlei Elaborate tatsächlich selbst? Ich meine, so kolumniert doch kein normaler Mensch, das liest sich wie maschinelles Gestanze. Lassen wir das seltene Stück zum Thema „FIFA lehnt Videobeweis und andere technische Hilfsmittel ab„, die Kolumne des Präsidenten also, bei der es schon an der Überschrift gewaltig hapert, einfach für sich sprechen. Und wirken.
Nur eine Bitte habe ich:
Lieber Herr Blatter, lieber Sepp, bitte mit dem vielen Geld (oder den Anleihen aus Marketingverträgen des kommenden Jahrzehnts) jetzt nicht hektisch Franz Josef Wagner als Kolumnenschreiber verpflichten, tun Sie mir den Gefallen, ja?!
FIFA-Position betreffend Technologie im Fussball
Bei seiner 124. Jahresversammlung am 6. März 2010 in Zürich, die wie stets im Jahr der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ von mir im Namen der FIFA geleitet wurde, entschied sich der International Football Association Board (IFAB) gegen Technologie im Fussball.
Die FIFA begrüßt diesen Beschluss aus folgenden Gründen:
Universalität des Fussballs: Eines der Hauptziele der FIFA ist der Schutz der Universalität des Association Football. Dies bedeutet, dass sichergestellt werden muss, dass der Fussball weltweit nach den gleichen Regeln gespielt wird. Eine Gruppe Teenager in einem kleinen Ort spielt aus diesem Grund nach den gleichen Regeln wie die Profispieler, die sie im Fernsehen sehen.
Die Einfachheit und Universalität des Association Football ist einer der Gründe für den Erfolg des Fussballs. Männer, Frauen, Kinder, Amateure und Profis spielen weltweit dasselbe Spiel.
Menschliche Dimension: Bei jeder Technologie entscheidet am Schluss ein Mensch. Wieso sollte man also die Verantwortung des Schiedsrichters jemand anderem übertragen? Selbst eine Zeitlupeneinstellung bringt keine Klarheit. Es kommt nur zu oft vor, dass zehn Experten zehn verschiedene Meinungen zu einer Spielsituation haben.
Die Fans lieben es, über das Spielgeschehen zu diskutieren. Das macht den menschlichen Charakters unseres Sports aus.
Ziel der FIFA ist es, die Qualität des Schiedsrichterwesens zu verbessern. Die Schiedsrichter müssen professioneller, besser vorbereitet und gezielt unterstützt werden. Aus diesem Grund werden Schiedsrichterexperimente (wie zusätzliche Schiedsrichterassistenten oder die Aufgabe des vierten Offiziellen) weiter analysiert und so entschieden, wie die Schiedsrichter am besten unterstützt werden können.
Finanzieller Aspekt: Die Anwendung moderner Technologien kann sehr kostspielig sein und ist weltweit daher nicht möglich. Viele Spiele – selbst auf höchster Ebene – werden nicht im Fernsehen übertragen. Allein für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ werden fast 900 Qualifikationsspiele ausgetragen, für die dieselben Regeln gelten müssen, genauso wie für alle Spiele des Association Football weltweit.
Die Tests einiger Firmen betreffend Technologie im Fussball sind ebenfalls sehr teuer. Der klare Entscheid des IFAB nach sorgfältiger Prüfung und eingehendem Studium der in den letzten Jahren durchgeführten Tests ist vor diesem Hintergrund ebenfalls zu begrüßen, da er Unternehmen davon abhält, weiter große Summen in Projekte zu investieren, die letztlich nicht realisiert werden.
Weitere Nutzung von Technologie: Die Frage wurde bereits aufgeworfen: Würde ein Ja des IFAB zur Torlinientechnologie der Technik in anderen Bereichen des Spiels nicht Tür und Tor öffnen? Schon bald könnte jeder Entscheid in jedem Winkel des Feldes hinterfragt werden.
Charakter des Spiels: Der Association Football ist ein dynamisches Spiel, das für die Überprüfung eines Entscheids nicht einfach unterbrochen werden kann. Wird das Spiel für einen Entscheid unterbrochen, könnte es den natürlichen Gang des Spiels beeinflussen und einem beliebigen Team eine Torchance nehmen. Es wäre unsinnig, das Spiel zur Überprüfung eines Entscheids alle zwei Minuten zu unterbrechen, da dies die natürliche Dynamik des Spiels beeinträchtigen würde.
Über den Sinngehalt dieser „Kolumne“, nicht nur über die Form, können wir natürlich auch diskutieren.
genial: Blatters internes Argumentationspapier zum TV-Beweis usw. wurde offenbar einfach mit dem Wort Kolumne überschrieben.
Auch in Sepps Umgebung wird es immer dunkler. Wie in Frankfurt.
also doch?
Ansonsten wird man an kleine Kinder erinnert, die sich beim Versteckenspielen mit vor dem Gesicht gehaltenen Händen mitten in den Raum stellen.
@ indykiste: Ich war mit der Korrektur fünf Sekunden schneller.
Was für Horrorvisionen hat Blatter eigentlich?
Der Ball wird ins Tor geschossen. Das Spiel wird anschließend für fünf Minuten unterbrochen (die Spieler selbst bleiben aber auf dem Platz). Zwischenzeitlich werden die Aktionen vor dem Torschuss genau untersucht. Endlich betritt ein Notar das Spielfeld und übergibt dem Schiedsrichter einen Umschlag. Dieser teilt dann mit, ob das Tor zählt oder nicht.
@Jens pah! :-) (OT:email erhalten?)
Jens wäre das nicht was für dich? Also jetzt nur alle paar Wochen für Sepp eine Kolumne schreiben und in der Zeit dazwischen die Erinnerung an diese niedere Arbeit mit ganz viel tollen Qualitätjournalismus verdrängen. ;)
Ach und während indykiste dir ein „nicht“ mopsen wollte, schenke in dir ein „g“ für den sauren Staub.
OT: Wann ist heute der Showdown in Frankfurt?
Nehme das „g“ dankbar entgegen. Mit besten Wünschen an Maren Gilzer.
Nach dem Showdown habe ich über Twitter gefragt bzw. nach dem Termin der TV-Übertragung. Habe bislang keine verlässliche Antwort erhalten.
Nun wie es aussieht, hat sich niemand getraut unegoistisch den Königsmörder zu spielen! Da sind wohl mehr Leute als Interessenten an dieser Position dran und wollen sich ihre Chance 20er zu beerben nicht berauben, soll doch jemand anderes für die Gemeinschaft den Dolch zücken!
Beim Videobeweis bin ich ganz auf Sepps Seite, wenn ich auch die Argumente nicht alle so kaufe.
Fakt ist, daß ich schon oft genug mit Freunden, trotz mehrerer Fernsehkameras, nachher immer noch unterschiedlicher Meinung war, ob etwas Tor, Foul oder Abseits war. In 8 von 10 Fällen würde vielleicht eine Kamera klären helfen, ob der Ball über der Linie ist – in 2 Fällen würde das die Kamera auch nicht, weil es schwer ist, wenn solange der Ball in der Luft ist, oder weil vielleicht ein Körperteil zwischen Kamera und Ball ist.
Das ist aber noch der einfache Fall – kniffligere, aber auch häufigere Fälle (Foul im Strafraum) sind ungleich schwerer zu klären. Da das Videobild 2-dimensional ist scheint es oft, als berühre Spieler A Spieler B, aber aus einer anderen Perspektive sieht man, daß es keine Berührung gab. Nur immer gibt es nicht die Bilder der anderen Perspektive.
Mit dem Videobeweis bringt man nur Werbeunterbrechungen in den Fußball, und löst ein paar Fälle, ohne aber alle zu lösen. Man muß lernen sich damit abzufinden, daß es keine objektive Wahrheit gibt.
Blatters Argumentation ist aber nicht die Beste – Frauen und Jugendliche spielen ja z.B. auch nicht 2×45 Minuten. Daß man aber ein Auseinanderdriften von Regeln verhindern will wo immer möglich, das finde ich auch richtig.
Behauptet jemand, dass damit ALLE kniffligen Situationen gelöst werden könnten? Was ich nicht verstehe: Wie kann man so ignorant sein und etwa die positiven Erfahrungen aus den Major Leagues, wo es um ähnlich viel Geld geht, beständig ignorieren?
Einfache Frage: Wie leicht wäre die katastrophalste Fehlentscheidung dieser WM-Qualifikation, Henrys Handspiel, zu revidieren gewesen? Ultraleicht. Das Fragezeichen kann man getrost weglassen. Und noch ein Argument: Was Tor ist und was nicht, lässt sich mit technischen Hilfsmitteln ebenso klar feststellen. Man muss es nur wollen.
Die FIFA ist ja nicht einmal in der Lage, bzw. willens, sprachlich zwischen den Regeln auf der einen Seite und den Mitteln zu deren Einhaltung/Umsetzung auf der anderen Seite zu unterscheiden. Und auch wenn es formell überall dieselben Regeln sind, nach denen gespielt wird, ist es doch lächerlich anzunehmen, dass auch die Umsetzung überall auf demselben Level betrieben werden könnte. Das ist ja einfach unvermeidlich, dass es da Differenzen gibt zwischen „der Gruppe Teenager in einem kleinen Dorf“ und den „Profis im Fernsehen“, da nützt alles Pathos nichts.
Insbesondere stellt auch der Einsatz von Torkameras oder -chips keine neue Spielregel dar, sondern nur ein verbessertes Mittel zur Umsetzung der bestehenden (außerdem gibt es den Videobeweis ja schon längst für die nachträgliche Ahndung von übersehenen Tätlichkeiten, so gesehen ist die Büchse der Pandorra schon einen Spalt offen). Vor allem müssen diese verbesserten Mittel zur Umsetzung der Spielregeln auch nicht flächendeckend, sondern könnten zielgerichtet nur bei ausgewählten Spielen zum Einsatz kommen — etwa in der Champions League und bei WM, EM etc. Nur für den Fall, dass die vorgetragenen Sorgen wegen der ach so hohen Kosten ernst gemeint sind. Besonders lustig sind in diesem Zusammenhang natürlich die rührenden Sorgen um die horrenden Investitionen der Konzerne, die sich in den Kopf gesetzt zu haben, den für überflüssig erklärten Technik-Schnickschnack zu entwickeln. (Ob die dem Sepp nun aus Dankbarkeit eine kleine Spende übergeben?)
Vielleicht steckt hinter all dem auch der Versuch, die Realität zu verdrängen, dass der moderne Fussball in erster Linie eine riesengroße, professionell betriebene Geldmaschine ist. Stattdessen möchte man mit dem bewussten Akzeptieren von groben, potenziell spielentscheidenden Fehlentscheidungen wohl das Image des sympathischen Amateurs pflegen, der Fussball nur deshalb spielt, weil er Spass am Kicken hat — und klar: wenn alle nur aus purem Spass an der Freude spielen, ist es am Ende natürlich auch nicht ganz so wichtig, wie viele Tore die Mannschaften jetzt genau geschossen haben.
(Aber vielleicht sollte jemand dem Sepp mal erklären, dass es zumindest der Anspruch der Torchip-Technologie ist, die Frage Ball vor/auf/hinter der Linie in Echtzeit durch eine objektive Messung zu beantworten, sodass die Totschlagbehauptung, dass „bei jeder Technologie […] am Schluss ein Mensch [entscheidet]“ offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht. Ich möchte Sepp — bzw. seinem Kolumnen-Ghostwriter — natürlich keine Lüge unterstellen, also gehe ich mal davon aus, dass dieser Umstand dem Autor einfach noch unbekannt war.)
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