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Das Olympische Bildungsmagazin

Moskau – Berlin. Mit dem Bus.

Habe gerade kurz entschlossen ein Busticket gebucht. Online, muss also erst mal sehen, ob die Russen das durchgehen lassen oder nicht doch wieder ein zweites Mal abkassieren wollen. Da ich aber auch ein Onlineticket erhalten habe – von Ecolines -, das ich noch irgendwo ausdrucken muss, denke ich, dass es keine großen Probleme geben sollte. Den Tipp gab es kostenlos von iris und Reiner, den ich dann wohl am Sonntagabend kennen lerne. Ich sage nur: Social Media.

Mein Fahrplan:

Wenn alles klar geht, bin ich also nach knapp 37 Stunden Busfahrt in Berlin, wenn ich die Zeitdifferenz jetzt richtig einsortiert habe. Mmmh, wenn nicht, verfluche ich halt iris und Reiner. Wenigstens kann Eyjafjallajökull die Busfahrt nicht stören, oder? Und wenn alles gut geht, finde ich noch drei Stündchen Schlaf, um am Dienstag pünktlich meinen Pflichten beim Kindergeburtstag nachzukommen.

Zum Glück habe ich noch einige jener grünen Pillen im Marschgepäck, die mir Christian Putsch vor einigen Monaten in Südafrika im Notfall empfohlen hatte. Gegen akutes Rückenleiden. Da es zwischen Sonntag und Dienstag hier etwas ruhiger wird, denn aus dem Bus kann ich beim besten Willen nicht live bloggen, spreche ich endlich mal zwei Lesebefehle aus, die ich schon längst hätte aussprechen müssen.

Zwei Webseiten meines südafrikanischen Wunderheilers, bitte bookmarken:

Apropos Bücher: Leider keins dabei für die Busfahrt. „Berlin – Moskau. Eine Reise zu Fuß“ von Wolfgang Büscher würde sich anbieten, nochmal zu lesen, eine meiner Lieblings-Reisereportagen. Die Busfahrt wird voraussichtlich nicht so spannend.

Alternativen zur Busfahrt durchs Baltikum waren also, schauen wir uns das mal auf der jüngsten Grafik aus Norwegen an:

  • Warten in Moskau, bis irgendwann – in diesem oder im nächsten Jahrhundert – mal wieder ein Flieger abhebt.
  • Die russische Staatsbürgerschaft beantragen.
  • Bei Sotschi 2014 als Hausmeister anfangen.
  • Am Sonntag mit dem Nachtzug über St. Petersburg nach Helsinki, von dort am Montag, 17.30 Uhr, mit der Fähre nach Travemünde, Ankunft Dienstag, 20.30 Uhr. Von Travemünde nach Berlin, Ankunft Mittwochnachmittag.
  • Oder von Helsinki am Dienstag, 18.30 Uhr, mit der Fähre nach Rostock, Ankunft Donnerstagmorgen.
  • Klaipeda wäre auch eine Option gewesen. Oder eine 48-stündige Ãœberfahrt von St. Petersburg nach Saßnitz, ich glaube, ab Dienstag oder Mittwoch.
  • über Sibirien, Kanada, USA, Mexiko nach Brasilien, Ãœberfahrt oder Flug von Recife nach Westafrika oder gleich nach Rom, um es dann der Kanzlerin nachzumachen und nach Deutschland die Autobahn zu benutzen
  • und einige andere unmögliche Optionen

Was ich eigentlich sagen will: Irgendwie blöd, wenn kein Flieger fliegt. Oder? Dabei kann ich es Eyjafjallajökull eigentlich gar nicht übel nehmen. Er macht auch nur seinen Job.

Zugfahren wäre keine sensationelle Alternative gewesen. Bis mindestens Dienstag ist eigentlich alles ausverkauft, was nach Deutschland fährt. Und dann wäre da noch ein Visum für die Durchfahrt durch Lukaschenkos Totaldemokratie Weißrussland zu besorgen. Am Wochenende hat die Botschaft natürlich geschlossen. Erste Chance wäre also am Montagmorgen mit schätzungsweise einigen hundert anderen Visa-Antragstellern gewesen. Ein Ticket für eine Zugfahrt nach Prag (Ankunft Mittwoch, dann weiter nach Berlin) hätte ich über Beziehungen :) schon noch bekommen.

Ich hatte gestern den Präsidenten eines olympischen Weltverbandes erwähnt, der im selben Hotel wie ich gestrandet war. Klaus Schormann, Chef der Union International de Pentathlon Moderne (UIPM), wird mir diese kleine Indiskretion gewiss nicht übel nehmen, wenn er in einigen Tagen tatsächlich in seiner hessischen Heimat ankommen sollte, was ich ihm wünsche. Schormann hat nämlich gerade den Zug nach Wien genommen. Ankunft Wien irgendwann am Montag, dann weiter Richtung Frankfurt.

Schormann ist in der Regel so 300 Tage im Jahr auf internationaler Mission. Aber wenn Eyjafjallajökull hustet, nutzt ihm seine HON-Circle-Mitgliedschaft bei der Lufthansa auch nichts. Ich kürze jetzt mal einen Ad-hoc-Vortrag des Geografielehrers Schormann über Vulkane und die Wahrscheinlichkeit ab, ob Eyjafjallajökull die Reisetätigkeit in Europa noch auf Monate schwer beeinträchtigt, und konzentriere mich wieder auf die kleine Geschichte. Klaus Schormann hatte also in Russland mit den Modernen Fünfkämpfern zu tun. Die Assistentin des russischen Verbandschefs, die ich gestern auch kurz kennenlernen durfte, hat wiederum einen Onkel, und der Onkel ist zweiter Mann bei den russischen Eisenbahnen, weshalb es möglich wurde, dass Herr Schormann doch noch vorhin nach Wien einchecken konnte. Die weißrussische Botschaft haben sie ihm am Sonnabendnachmittag auch kurz aufgemacht, damit er durch Weißrussland traveln durfte. Den Tipp, dass er dafür ein Visum braucht, hatte er von mir und hat sich sehr nett dafür bedankt: Mit dem Versprechen, dass seine russischen Pentathlon-Kollegen mir ein Zugticket nach Prag besorgen.

Ich sah mich schon fast als Teil der großen Sportfamilie, als mir Schormann noch SMSte:

Sie können auf meine Solidarität zählen!

So ungefähr ging eine kleine Geschichte, die sich gestern abspielte. Ich denke, über all die Gestrandeten und ihre Versuche, die Heimat anzusteuern, ließe sich eine hübsche Reportage stricken – und das würde ich eigentlich jetzt lieber machen, als 37 Stunden Bus zu fahren. Die Kanzlerin, darauf ist in den Kommentaren mehrfach hingewiesen worden, hätte da auch einiges beizusteuern.

13.21 Uhr: Weiter gehts Es bleiben noch einige Stunden bis zur großen Reise. Kleiner Stadtbummel. Lubjanka. Bolschoi. Dort habe ich mal Giselle gesehen. Warum ausgerechnet Giselle? Warum fasele ich jetzt über ein Ballett? Weil es das Lieblingsstück von Juan Antonio Samaranch Sen. ist. Sie führen Giselle immer auf, wenn Samaranch Moskau besucht. Als er in Moskau lebte, hat er bestimmt hundert Mal Giselle gesehen. Und zu seinem Abschied als IOC-Präsident im Juli 2001 gaben sie? Giselle. Putin war damals übrigens auch da. Und vor dem Bolschoi plauderte ich mit Jean-Marie Weber über den damals ganz aktuellen ISL-Konkurs. Ganz ehrlich, Jean-Marie hat es ohnehin schon manchen Leuten erzählt: Ich habe ihm damals zuviel versprochen. Habe mich im Überschwang des ISL-Konkurses zu weit aus dem Fenster gelehnt, als ich sagte: Wir werden die Listen der Schmiergeldempfänger schon noch kriegen. Dumm von mir. Jugendlicher Übermut.

Vorhin hat übrigens noch der American Express Reiseservice angerufen. Sie haben mich umgebucht auf:

MOSKVA (SVO) – BERLIN (SXF): SU111, 20APR 08.10-08.55

Das ist nett. Aber wenn ich die Nachrichten recht deute, wird auch dieser Flieger nicht fliegen. Ich werde deshalb wohl nachher in den Bus steigen und bereite mich schon mal drauf vor, beim Japaner in der Bolschaja Dimitrowka: zwei Mojito bisher und ein kleines Asahi. Dabei sollte es nicht bleiben, wenn ich die 37 Stunden überstehen will.

Andererseits: Was ist das schon. Auf Twitter las ich gerade von einer Busfahrt von Istanbul nach Hannover. Im Hotel haben mit mir drei Dienstreisende ausgecheckt, die mit Bestechungsgeld Tickets für einen Zug nach Kiew bekommen haben, von da kämpfen sie sich über Polen nach Deutschland vorkämpfen. Auch sie meiden Weißrussland wegen der fehlenden Visa.

Beim russischen Japaner gibts übrigens Wlan, sonst könnte ich ja nicht bloggen. Schleichwerbung, für Auslandsaufenthalte (vor allem in Nordamerika, aber wie man sieht auch in Russland) empfiehlt sich ein kleiner Vertrag mit Boingo. Gibt es auch im Bundle Laptop und iPhone. Kann es empfehlen. Reduziert die Kosten und ist jederzeit kündbar, wenn man es nicht mehr braucht.

Wem ich beim Japaner aber nicht entgehen kann: Dieter Bohlen. Modern Talking ist echt populär in Russland. Noch immer. Sie lieben die 80er Jahre Songs. In jedem Restaurant bisher. Yourmyheartyourmysoul. Kaum zu glauben.

Darauf noch einen Mojito.

15.18 Uhr: So, und jetzt an der Lubjanka noch einen Geheimdienst-Kaffee und mal getestet, was die russische Kuchen-Theke hergibt. Wie erwartet: eine Menge.

Fünfkampf-Präsident Klaus Schormann SMSt mir gerade von irgendwo zwischen Krim und Karpaten, ich solle unbedingt Getränke einkaufen und Bücher mitnehmen. In seinem Zug gibt es weder Imbis noch Getränke. Armer Mann. Auch das hätte ich ihm sagen können, denn ein Freund hatte mich vorgewarnt. Vielleicht habe ich deshalb auf die Süd-Route über die Ukraine und Transsylvanien verzichtet.

Meine Reiselektüre, eben teuer erstanden: Anna Politkowskajas „Russisches Tagebuch“ und „Klassische russische Erzählungen“, ein zweisprachiger Sammelband, um ein paar Worte aufzufrischen. Dazu eine Straßenkarte von Europa, in der die Hauptstraßen des Baltikums wenigstens verzeichnet sind. Ich sollte wenigstens wissen, wo ich bin, falls der Bus von Litauen über Kaliningrad fährt und nicht direkt nach Polen. Könnte sein, dass mich die Grenzer, wenn sie mich an der Grenze zu Lettland überhaupt rauslassen mit dem abgelaufenen Visum, nicht wieder reinlassen.

An was man so denkt.

Für einen XXL-Traveller wie mich, der stets T-Shirts und Hemden im Dutzend in die Tasche schmeißt und mit allen möglichen Kameras, Laptops, Stativen und einem halben Dutzend Ladegeräten noch zwei Technik-Taschen braucht, wird das im Bus ohnehin ein bisschen eng.

Und meine skandinavischen Kollegen aus Oslo und Aarhus SMSen mir gerade, dass SAS nun erwartungsgemäß auch die Flüge am Montag gestrichen hat. Sie fahren also über Nacht nach Helsinki und schauen dann mal, welche Fähre in dieser Woche noch nicht ausgebucht ist.

15.54 Uhr: Laut Flightradar, darauf ist verschiedentlich in den Kommentaren hingewiesen worden, bewegt sich doch was in jener Gegend, die mich interessiert. Keine Ahnung, wer die beiden Flugzeuge da gerade über Litauen in Richtung Polen/Deutschland/Dänemark steuert.

Flightradar sagt:

Due to an extreme amount of visitors at Flightradar24, we have temporarliy suspended the ability to click on aircrafts (normally shows flightinfo like speed, aircraft type, destination and plane trail).

Kurz vor der Abfahrt werde ich irgendwie sentimental. Da fällt mir doch glatt die russische Hymne ein, über die wir kürzlich bei der Abschlussfeier in Vancouver diskutiert hatten.

Russland, unser geheiligter Staat.
Russland, unser geliebtes Land.
Tatkräftiger Wille und großer Ruhm
Sei dir eigen für alle Zeit.

Refrain

Ruhmreiches Vaterland, unser freies!
Brüderliche Völker, vereint seit Jahrhunderten,
Von den Vorfahren überlieferte Weisheit des Volkes
Ruhmreiches Land, wir sind stolz auf dich!
Von den südlichen Meeren bis zum Polarkreis
Erstrecken sich unsere Wälder und Felder.
Einzig bist du in der Welt, so einzig,
Dass von Gott die Heimaterde beschützt wird.

Refrain

Ein weiter Raum für Träume und Leben
Eröffnet sich uns in den künftigen Jahren.
Uns gibt Kraft unsere Treue zu unserem Vaterland –
So war es, so ist es, und so wird es immer sein.

Refrain

Bis dann.

20 Gedanken zu „Moskau – Berlin. Mit dem Bus.“

  1. Also die Aeroflot hat heute Abend (laut flightradar.com) einen Flug nach Kaliningrad gemacht. Konnte aber nicht genau sehen, woher der Vogel genau kam.

    Wünsche eine gute Reise und freue mich auf den Erlebnisbericht.

  2. Erstmal ganz großes Kino Herr Weinreich, wie sie uns hier auf dem Laufenden halten, sehr amüsant :)

    Aber ist es nicht etwas knapp bemessen, nur eine Stunde in Riga? Naja ich hoffe für sie, dass alles gut geht und Sie in 54 Stunden zurück in Deutschlanf sind.

    Viele Grüße

  3. Na dann wünsche ich dir mal eine gute Fahrt und dass dein Rücken das alles mitmacht!.
    Wenn du noch Zeit hast, auf der Tverskaja gibt es einen internationalen Buchladen, wo du dir noch Reiselektüre besorgen kannst ;)
    до Ñ?виданиÑ? !

  4. Ich bin gespannt über deinen Bericht. Ob bei den Pausen des Busfahrers auch Mütterchen mit leckeren belegten Broten (womit belegen die Russen ihre Brote?) und ähnlichem kommen? Man wünscht es dir!

    Und, achja: Viel Glück!

  5. Pingback: Tweets die Moskau – Berlin. Mit dem Bus. : jens weinreich erwähnt -- Topsy.com

  6. @probek,
    danke für die lieben Wünsche. Ich brauche für den 28.4. und 1.5. einen „Guten Flug“ ! Kannste vielleicht nochmal? ;)

  7. In Berlin-Schönefeld, Berlin-Tegel, Erfurt, Leipzig, Hamburg und Hannover seien wieder Flüge bis Sonntagabend 20 Uhr eingeschränkt möglich […] Von diesen Flughäfen aus seien Flüge nun in Richtung Osten erlaubt.

    meldet Spiegel Online in einer Eilmeldung.

  8. Jens, ganz großes Kino hier mal wieder. Wann erscheint denn nun das Buch („Eyjafjallajökull und Sotchi, oder warum moderner Fünfkampf unterschätzt wird“)?

  9. mein Tip: Versuch noch ohropax zu kriegen. Die Busse sind modern mit Fernsehern ausgestattet. Dort laufen normalerweise durchgehend russischsprachige Actionfilme in Stadionlautstärke. Viel Glück

  10. Lieber Jens,

    mit viel Interesse und einem Schmunzeln im Gesicht, las ich deinen Moskau-Bericht im Blog.

    Mir erging es auf einer Reise von Moskau nach Uljanovsk (ca. 800 km Richtung Osten) mit einigen Bediensteten der Bahn ähnlich, in Bezug auf Verdopplung oder Verdreifachung der Preise.
    Hatte damals ein elektronisches Ticket durch einen russischen Freund kaufen lassen. Diese Tickets waren, damals wie heute, personalisiert. Im Zugabteil meinte der Schaffner in Polizeiuniform dann, dass mein Name nicht richtig geschrieben sei, und ich ein neues Ticket benötigen würde. Für seine Umstände wäre zudem ein passendes “Trinkgeld� durchaus angebracht. Nur durch sehr dreistes Dummstellen und dem Verweis darauf, dass ich keinerlei Bargeld dabei hätte, entging ich dem sichtlich genervten Scharlatan.

    Wollte mich in die Riege mit iris und Rainer begeben, in dem ich dir – selbstverständlich auch kostenlos – für künftige Aufenthalte in Moskau sicher einige Orte nennen kann, wo eine Touristenfalle weniger hart ausfällt, wie in deinem Fall. 14.000 RUB für ein Zimmer ist ja wirklich ne Wolke!

    Wünsche dir eine (wenn auch nicht angenehme) gute Reise nach Hause. Auf Kohletabletten schwört meine Gastmutter in Uljanovsk. Die helfen (ähnlich wie Mobilat bei der Bundeswehr) so gegen ziemlich alles.

    In diesem Sinne, trinke auf die russische Seele in dir! Buchempfehlung für nächste Russland-Expedition: Anatolij Rybakok: Die Kinder vom Arbat.

    Tschatsliwo puti,

    Stefan

  11. @JW
    Hauptsache du kommst gut an. Und dann kannst du dich, wenn du Zuhause bist, ein bißchen erholen. Busfahren empfinde ich persönlich als anstrengend.

  12. Pingback: Die Abenteuerreise des Jens Weinreich « sportinsider

  13. Nu bin ich aber auch gespannt wie nen Flitzebogen wie die Reise verlaufen ist. Bitte vor dem Zubettgehen (?) morgen früh noch ein kurzes Lebenszeichen. Danach darf geschlafen werden bevor wir Montag ein ausführliches Reiseinterview erwarten.

  14. Pingback: Und es sprach der Ruler of Dubai: “This is your chance! I have my people here. What can I do for you?” • sport and politics

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