Passt eigentlich zur Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“: Ich habe im Deutschlandfunk noch einmal in gebotener verbaler Zurückhaltung das Vorgehen so genannter Volksvertreter im Bundestag kommentiert, von denen einige gerade in Chile und Brasilien herumdilettieren.
[Verlinkt wird später, vielleicht, ich habe jetzt keine Zeit dafür.]
Wer die Berichterstattung über die erste nunmehr wieder nichtöffentliche Sitzung des Bundestags-Sportausschusses analysiert, bewegt sich im Reich des Absurden. Abgeordnete, die lange Jahre keinen substanziellen Beitrag zur deutschen Sportpolitik geleistet haben, außer dem, die Öffentlichkeit auszusperren, erlangen zunehmend die Deutungshoheit über ihre Inkompetenz. Sie dürfen intransparente Vorgänge im Ausschuss kommentieren, werden plötzlich wieder gefragt und mit Floskeln zitiert, beugen die Wahrheit ungeniert – und können ihren Fraktionschefs am Ende sogar hübsche Medienwerte vorgaukeln.
Sicher, kaum ein Bericht – ob nun in Blogs oder herkömmlichen Medien – sparte diesmal den Fakt aus, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen blieb. Bei den nächsten Sitzungen aber, wenn das Unerhörte zur Normalität geworden ist, wird das gewiss anders aussehen, besonders in den Texten der so genannten Nachrichtenagenturen, für die meist nur eine Nachricht ist, was von offiziellen Stellen verkündet wurde.
Die Kernfrage lautet deshalb:
Muss Journalismus im dritten Jahrtausend noch so funktionieren? Gibt es eine Pflicht zur Termin-Berichterstattung über einen Ausschuss, der sich mehrheitlich der Öffentlichkeit verweigert?
Eine Antwort darauf lautet: Es gibt diese Pflicht nicht. Es gibt sie überhaupt nicht – mehr.
Eine zweite Antwort lautet: Dagegen hilft nur Recherche, und zwar losgelöst von Sitzungsterminen.
Es sind die Abgeordneten, die mit Ihrer Haltung eine wahrhaftige Berichterstattung verhindern. Und es spielt auch keine Rolle, ob fast alle Ausschüsse des Bundestages ebenfalls nichtöffentlich tagen. Derlei Verhaltensmuster sind inakzeptabel – sie passen nicht in diese Zeit. Denn die Gesellschaft braucht Transparenz wie die Luft zum Atmen. Der Bürger darf Transparenz erwarten und verlangen. Journalisten sollten es auch.
Journalisten sind nicht dafür da, den Zeitvertreib von Untätigen und Inkompetenten zu protokollieren. Abgeordnete, von denen man weiß, dass sie in vielen Jahren der öffentlichen Sitzungen kaum einmal fundierte Vorträge vorbrachten und ihre Kontrollpflichten sträflich vernachlässigten, nun danach zu befragen, wie heldenhaft sie gerade hinter verschlossenen Türen die Demokratie verteidigt haben, nein, das ist nicht Aufgabe von Journalismus.
Mag sein, dass das einmal anders gewesen ist, mag sein, dass manche Redaktionen ihren Job noch immer so verstehen. Doch im Jahr 2011 nach Christi Geburt sollte man mit derlei Vorstellungen getrost brechen. Denn auch dadurch macht sich Journalismus, ohnehin oft als aussterbendes Gewerbe bezeichnet, tatsächlich überflüssig.
PR und Propaganda können die Hundertschaften von Spin Doktoren und anderer professioneller Wahrheitsbeuger im Umfeld des Bundestages viel besser erledigen. Dafür werden sie bezahlt.
Dank fantastischer technischer Möglichkeiten wird nicht nur die professionelle Kommunikationsbranche revolutioniert, auch das gesamte Kommunikationsverhalten der Menschen. Es kann darauf, und auf das Vorgehen des Sportausschusses, nicht Antworten aus dem vergangenen Jahrhundert geben, aus einer geradezu vorsintflutlichen Zeit, als es weder Handys noch Internet gab, als Berichte an der Schreibmaschine oder handschriftlich verfasst wurden, als man Fernschreiber benutzte und seine Tonbänder noch ins Studio trug.
Transparenz – das ist eine der großen Klammern dieser Zeit. Doch Deutschland bewegt sich, was die Qualität und Wirksamkeit etwa von Informationsfreiheitsgesetzen angeht, noch auf der Stufe eines Entwicklungslandes.
Transparenz sollte kein Schlagwort sein, sondern ein politisches Konzept. Dazu gehört eben auch der freie Zugang zu den entscheidungsrelevanten Informationen von Amtsträgern, für alle: für Bürger und Journalisten. Journalisten haben zudem die Aufgabe, Transparenz herzustellen, wenn andere sie verweigern. Die Bürger haben das Recht, jene abzustrafen, die Transparenz verhindern, etwa bei Wahlen.
Bereits Mitte 2010 ergab eine Forsa-Studie im Auftrag der Firma SAS, dass 88 Prozent der Deutschen die Veröffentlichung nicht-personenbezogener Daten durch die Bundesbehörden wünschen, dass 81 Prozent der Bürger glauben, eine derartige tatsächliche Informationsfreiheit gewährleiste wirkliche Teilhabe am politischen Geschehen. [Manchmal zitiere sogar ich aus „Studien“. Wenn es passt :)]
Das war vor anderthalb Jahren – seither dürften sich die Verhältnisse weiter rasant verändert haben, ablesbar etwa an Stuttgart 21, am Erfolg der Occupy-Bewegung oder der Piratenpartei.
Doch im deutschen Sport und in der Sportpolitik, in Ländern, Bund und – leider zu oft vernachlässigt – besonders in der Sportabteilung des BMI, dominiert die Intransparenz, dominieren Geheimniskrämerei, Ämterverquickung, Postengeschacher und über Jahrzehnte gewachsene Netzwerke.
Die Kaste der Sportpolitiker erhält Funktion und Bedeutung fast allein dadurch, dass sie sich Informationsfreiheit verweigert, Restriktionen walten lässt und Öffentlichkeit aussperrt.
Ein zu großer Respekt vor dem Amt verbietet sich. Denn es ist nicht Aufgabe von Journalisten, Abgeordnete zu bewundern und ihnen automatisch Kompetenz zuzuschreiben. Es ist vielmehr so: Abgeordnete haben dem Bürger und damit der Öffentlichkeit zu dienen. Sie haben ihre Kompetenz, wenn schon nicht täglich, dann doch alle paar Wochen in derlei Ausschusssitzungen zu beweisen.
Wenn sie das mehrheitlich nicht tun – und das darf als inhaltliches Fazit der Berichterstattung über den Sportausschuss gezogen werden -, wenn sie noch dazu bei existenziellen Themen am iPad daddeln und Nickerchen halten, wenn billige Parteipolitik wichtiger ist als fachliches Engagement, wenn Fraktionszwang die Auseinandersetzung dominiert, dann muss das so beschrieben werden. Und es wurde von manchen so beschrieben, überaus korrekt.
Aufgabe von Journalismus ist nicht, die Hausaufgaben zu erledigen, die Sportpolitiker wiederholt versäumen; Aufgabe von Journalismus ist nicht, Politikern als Interview getarnte PR-Zeit einzuräumen; Aufgabe von Journalismus ist vielmehr, Hintergründe aufzudecken, Vorgänge zu enthüllen, die die Herrschenden lieber nicht öffentlich gemacht haben wollen, und – schlicht und ergreifend, frei nach Rudolf Augstein:
„Sagen, was ist.“
Dagegen hilft nur Recherche, und zwar losgelöst von Sitzungsterminen.
Wahres Wort. Aber wer kann und darf heute noch viel Zeit für Recherchen aufwenden?
Na, da dürfen wir Trottel, die da berichtet haben, ja froh sein, dass Du die „gebotene verbale Zurückhaltung“ offensichtlich auch uns gegenüber walten lässt ;-D Ansonsten würde jedenfalls ich mich freuen, wenn Du so viel „Recherche“ aufwenden könntest, Deine oben erwähnte „Analyse“ der Berichterstattung – wenigstens hier im Blog – mit Beispielen zu illustrieren.
Man muss halt lesen und nicht missverstehen wollen.
Absurd ist und bleibt es schlicht und ergreifend, wenn die Kameraden behaupten und kommentieren dürfen, was hinter verschlossenen Türen stattfand – und wenn sich, die DOSB-Führung um Thomas Bach vor den Türen die Zeit vertreibt; wurde ja alles berichtet.
Und das ist das absurde Ergebnis der Entscheidung von vor zwei Wochen. Ein Reich der Absurditäten.
Was die „Nachrichtenagenturen“ angeht, hat – imho – der SID wieder besser berichtet als dpa, wo man glaubte, das absurde Ereignis auch noch mit einer offiziösen Nicht-Meldung zu garnieren:
Und wo dann der Wahrheitsallergiker Riegert seinen Psalm absondern darf, als hätte er davon Ahnung und als hätte er bei vergangenen Bewerbungen inhaltlich Gehaltvolles beigetragen:
„Zudem wurde bekannt“ … auch hübsch, hübsch absurd.
Ich habe niemanden als „Trottel“ bezeichnet, jedenfalls keinen Journalisten.
Wie gesagt, man muss so einen Kommentar lesen und verstehen wollen. Wenn man das nicht will, kann man natürlich auch Dinge unterstellen, die nicht gesagt wurden und zu anderen absurden Schlüssen kommen.
Verstehe. Du hast die Berichterstattung der Agenturen „analysiert“ und im Reich des Absurden verortet.
Gab es einen Grund, das nicht mitzuteilen?
Die Situation ist grundsätzlich absurd, das kann ich gern noch einmal notieren.
Ansonsten ist ein Kommentar ein Kommentar.
Und ich bin nicht verantwortlich für Überschriften, Unterzeilen und halbfette Vorspänne auf fremden Webseiten.
Ich kann auch nicht verhindern, wenn Du in diesen Beitrag, einen von vielen zum Thema, partout etwas hineininterpretieren willst, was u. U. nicht meiner Intention entspricht.
Nur zu. Auch deshalb stelle ich Beiträge ja zur Diskussion – und verkünde nicht nur meine bescheidenen Weisheiten (so wie es grundsätzlich üblich ist in der Branche).
Was ich stark anzweifle. Das hierzu erforderliche Zeitfenster ist immer nur einen winzigen Spalt geöffnet. Wer versucht, es ohne Erlaubnis weiter zu öffnen, hat zwar für ebenso kurze Zeit die Öffentlichkeit in seinem Bann, aber dann ist er selber dran. Assange, Bradley Manning, Katharine Gun, Dr. David Kelly stehen für den mutigen Versuch der Transparenz. Was mit ihnen passierte oder zu passieren droht, wissen wir auch.
Hier ist doch die Frage angebracht, wer braucht Transparenz und wer ist ihr Feind und will sie daher verhindern ?
Transparenz wird regelmäßig durch Arroganz und/oder Restriktion ersetzt, weil es immer wieder gut funktioniert. Den Bürger für dumm zu verkaufen, ist Methode und nicht strafbar.
Die Öffentlichkeit zu belügen, scheint nicht mal ein Kavaliersdelikt, sondern Voraussetzung zur Mandatserfüllung.
Transparenz zu erlauben, wenn alles klar scheint, ist nicht lauter, sondern doch nur Opportunismus.
Transparenz ist eher eine der Herausforderungen unserer Zeit. Sie hat es deswegen so schwer, da sie nicht zu den Tugenden der Macht gehört.
Leider bin ich mir sicher, dass es gerade unter Journalisten noch zu viele gibt, die genau das für „gutes“ Geld tun, was der Öffentlichkeit schadet: Transparenz verhindern.
Ausnahmen bestätigen die Regel, Pauschalierung ist auch hier nicht angebracht.
@TheSecretDyslexicAuthor#1 (verzeih mir das scherzchen; aber schau bei deinem pseudonym vielleicht noch mal hin)
lass‘ mich zunächst eine lockere antwort auf diese gewiss wohlmeinende, aber doch leicht naïve frage geben: wer muss!
nun mit verlaub ein strammer riemen:
es müssen leider alle, bedingungslos und unfreiwillig, die sich aus guten gründen nicht so einfach mit dem schamlosen raub des sports (und anderer schöner angelegenheiten, wie zum beispiel der teilhabe, der kultur, der erinnerung) heutzutage wieder abfinden mögen, welcher offenbar nicht zuletzt durch oder über ein selbstherrliches BMI unter SchäubleMerkel (bzw. dem jeweiligen kabinetts-statthalter) und die dortige augenblickliche, halb-klandestine zwangsverwurstung in immer wieder ein- und das selbe Danaergeschenk an die gefälligsten untertanen zum zwecke der dann vollends klandestinen „bewerbung“ (- ein „angebot, das niemand ablehnen kann“, der „dabei sein“ will im siegreichen Troja -) eines kommenden, so (von mir jedenfalls) gesehen schon im raum stehenden EU-/US- präsidialregimes (-auf das an sich doch kaum jemand aus dem europäischen fußvolk der 99% hierzulande gewettet gehabt hätte, oder? -) mit einer etwas unsportlichen, dafür umso konsequenter uniformierten „sieger“-figur auf dem treppchen bzw. auf dem weissen pferd stattfindet oder stattfinden soll.
@ Herbert #6: Auch da hat wohl die Wortwahl nicht gestimmt? Thema, Klammer, Herausforderung – ist das nicht das gleiche?
:)
Sie haben sonst natürlich recht, und ich kann mal flink noch eine meiner Worthülsen anbieten: Transparenz ist (auch) der größte Feind der Korruption, nicht nur des BT-Sportpolitikers.
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wochenblatt.de: Deutsches Sportabzeichen in Silber für MdB Stephan Mayer
Welt: FDP-Abgeordneter ruft zu Medienboykott auf
Sächsische Zeitung: Wer ist schuld an der FDP-Krise? Die „Pressehetzer“
wieviel selbstdemontage ist eigentlich möglich? — joachim günther probiert es aus. bei SPON hat er es damit auch prominent auf die startseite geschafft. dort wird auch auf den brief in seiner originalen pracht verlinkt.
wenn seine tirade gegen die „linksgrüne“ medienmeute (ich nehme an, er zählt die „welt“ auch dazu) wenigstens in sich konsistent wäre. S21-protest — „linksgrün“, ok (abgesehen davon, dass die spd in bw für S21 war/ist). atomausstieg — „linksgrün“, passt schon (welche partei stellt gleich nochmal die kanzlerin?). aber vorratsdatenspeicherung? ein „linksgrünes“ projekt? war mir bislang entgangen. ist schon eine merkwürdige welt, in der herr günther da leben muss…
Ich finde, er hat recht. Das positivste momentan ist doch, dass die FDP bundesweit konstant unter 3% liegt, das sollte viel mehr betont werden. Und dass solche gestrigen Blockflöten dann endlich aus dem Parlament verschwinden werden.
Frag bei den Sachsen und bei FC Union nach. Da ist er auch schon mal gescheitert. Aufgrund von Mangel und Quote kann so eine Repräsentanz schon mal entstehen. ; -) Die Politik kommt damit ja bekanntermaßen klar, die FDP sowieso.
Liest man dazu seinen Lebenslauf auf der BT-HP, fällt einen die Informationsflut aus den Jahren vor 1990 zusätzlich noch auf. :D
Wenn man dann noch weiß, dass er seinen „Diplomwirtschaftler“ von der DDR-Akademie für Staat und Recht, einer Lehreinrichtung für handverlesene DDR-Spitzenfunktionäre, im Fernstudium erhielt, dann wird einem klar, dass er schon weiß, wie ein Medienboykott lanciert werden kann. ;-)
menschenzeitung.de: Bournout, oder wie?- FDP-Politiker propagiert Medien-Boykott
DJV: DJV weist pauschale Kritik zurück
die zeit der altlinken „freien“ medien, die ehrenwerte politiker einfach so in den schmutz ziehen dürfen, sollte endgültig vorbei sein. zukunftsgestalten wie putin, orban, assad, blatter und co. machen vor, wie erfolgreiche medienpolitik im 21. jahrhundert aussieht!
;-)
Tagesspiegel: Matthies meint: Schluss mit der Hetze gegen die FDP!
Boris Herrmann in der SZ (Printausgabe vom 27.01.): Staunen in Maracana – Seit der Sportausschuss nichtöffentlich tagt, dringen nach außen nur noch die Peinlichkeiten
SpOn: Teure Rennstrecke: Rheinland-Pfalz kündigt Pachtvertrag für Nürburgring
Thomas Holl in der FAZ: Nürburgring: „Ein Fass ohne Boden“
dpa: Nürburgring-Affäre: Ex-Minister wegen Untreue angeklagt
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