ZÜRICH. Heute jährt sich zum ersten Mal die bizarre Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an zwei neureiche Powerholder des olympischen Sports: die Totaldemokratien aus Russland und Katar. Schon vergessen, so ging das damals aus:
2018 FIFA World Cup™
Round 1: England 2 votes, Netherlands/Belgium 4 votes, Spain/Portugal 7 votes and Russia 9 votes
(as no absolute majority was reached, the candidate with least amount of votes, England, was eliminated)
Round 2: Netherlands/Belgium 2 votes, Spain/Portugal 7 votes and Russia 13 votes (Russia obtained an absolute majority)
2022 FIFA World Cup™
Round 1: Australia 1 vote, Japan 3 votes, Korea Republic 4 votes, Qatar 11 votes, USA 3 votes (Australia eliminated)
Round 2: Japan 2 votes, Korea Republic 5 votes, Qatar 10 votes and USA 5 votes (Japan eliminated)
Round 3: Korea Republic 5 votes, Qatar 11 votes, USA 6 votes (Korea Republic eliminated)
Round 4: Qatar 14 votes and USA 8 votes (Qatar obtained an absolute mayority)
Der Status Quo ist 365 Tage später unverändert: Russland richtet die WM 2018 aus, Katar die WM 2022 …
… wenn nicht doch etwas dazwischen kommt.
Wenn nicht Korruption in großem Stil bewiesen werden kann – bisher ist das noch nicht der Fall.
Diesen bitteren ersten Jahrestag nutze ich für eine kleine Analyse und als Auftakt zu einer Reihe von Hintergrundtexten und Kurzporträts zu den Personen und Geschäften des FIFA-Exekutivkomitees.
In den nächsten zwei Wochen wird viel passieren. In einer Woche beispielsweise wird sich das IOC endlich zur ISL-Bestechung erklären (jedenfalls zu einigen Personen, die IOC-Mitglieder sind und kassiert haben, wie Havelange/FIFA und Hayatou/FIFA und auch Lamine Diack/IAAF). Eine Woche darauf trifft sich das FIFA-Exekutivkomitee in Tokio, wo dann Blatter die ISL-Einstellungsverfügung veröffentlichen will. Dies sind die wichtigsten Termine, es gibt weitere hochinteressante, und es laufen Recherchen. Eins kann Mann schon mal sagen: Ricardo Teixeira, der gerade als WM-Organisationschef 2014 die Marionette Ronaldo vorgeführt hat, klammert sich weiter an seine Posten als CBF-Präsident und FIFA-Exekutivmitglied, was nicht erfolgreich sein wird – seine Reise nach Tokio hat er, Stand heute, vorsorglich abgesagt.
Selten wurden die neuen Machtverhältnisse im Weltsport so manifestiert wie am Abend des 2. Dezember 2010. In der Züricher Messe griffen Russlands Präsident Wladimir Putin und Emir Hamad Al Thani von Katar nach dem faszinierendsten Goldpokal des Planeten. Das Exekutivkomitee des Fußball-Weltverbandes FIFA sprach unter dubiosen Umständen Russland die Weltmeisterschaft 2018 und Katar die WM 2022 zu. Begleitet war diese irreguläre WM-Vergabe von zahlreichen Korruptionsaffären in der FIFA. Darüber, mit wie vielen Millionen Euro die Öl- und Gasmilliardäre aus Russland und Katar die Stimmen der Exekutivmitglieder gekauft haben könnten, ranken sich seither die wildesten Gerüchte.
Es ist von mehreren Dutzend Millionen die Rede, die auf verschlungenen, professionellen Wegen quer über den Globus transferiert worden sein sollen.
Dutzende Millionen – pro Stimme.
Es war ein Abend, an dem sich den letzten Gutgläubigen die Verkommenheit dieses Gewerbes erschloss. Ein Jahr nach diesem Ereignis muss man allerdings sagen, dass außer zahlreichen Indizien keine gerichtsfesten Beweise vorliegen. Und es gibt in dieser Parallelgesellschaft keine Instanz, keine Kriminalbehörde, die ermitteln würde. Dafür fehlt es teilweise am rechtlichen Rahmen, den unzureichenden Antikorruptionsgesetzen, die einen Weltkonzern wie die FIFA kaum erfassen. Und es fehlt am politischen Willen etwa in jenen neun Nationen, die Russland und Katar unterlagen. Auf der anderen Seite weiß man seit langem, dass Russland und Katar Geheimdienstler und die teuersten Detekteien der Welt damit beauftragt haben, die Lage zu klären und gegebenenfalls Spuren zu verwischen.
Schon damals, am 2.Dezember 2010, galt das von Präsident Joseph Blatter geführte FIFA-Exekutivkomitee weltweit als Synonym für Korruption, als Musterbeispiel einer mafiosen Familie. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass mit dem Schweizer Korruptionsaufklärer Mark Pieth (Universität Basel) ein Experte für die Organisierte Kriminalität den Vorsitz im neuen Governance-Komitee der FIFAübernahm. Doch auch Pieth wird nicht aktiv ermitteln und kriminelle Umtriebe aufklären, wie er am Mittwoch in Zürich erklärte. „Die forensische Arbeit überlasse ich anderen“, sagte Pieth, er habe sich dafür entschieden, nach vorne zu blicken und die FIFA bei der Umstrukturierung in Compliance- und Transparenzfragen zu beraten.
Wer aber klärt dann Korruptionsvorgänge auf? Wer bringt Licht in das Dunkel der WM-Vergaben 2018 und 2022? Darauf wusste Pieth keine Antwort.
[Ich habe vergangenen Mittwoch in Zürich noch ein kurzes Interview mit Mark Pieth geführt. Das reiche ich nach – wie auch eine erste Bewertung seines Papiers. Eine ziemlich gute Fernanalyse dazu habe ich in der taz von Markus Völker gelesen: Ein Wächter für Sepp Blatter]
- Das Pieth-Gutachten vom September: Governing FIFA – Concept Paper and Report
So kommt es dieser Tage zu merkwürdigen Vorgängen. Da ermuntern ranghohe FIFA-Mitarbeiter Journalisten sogar, den Machenschaften der Ganoven im Exekutivkomitee nachzugehen: Den Geschäften des argentinischen Vizepräsidenten Julio Grondona etwa, der offenbar märchenhaft gefüllte Auslandskonten unterhält. Oder den Umtrieben des Brasilianers Ricardo Teixeira.
Joseph Blatter, gegen den durchaus Indizien vorliegen, kann und will nichts gegen Russland und Katar unternehmen. Es sind nur einzelne Stimmen, die eine WM-Überprüfung fordern. Zuletzt haben sich Australiens Verbandschef Frank Lowy und der englische Politiker Damian Collins geäußert. DFB-Präsident Theo Zwanziger, Neuling im Exekutivkomitee, wurde mehrfach so zitiert, als wollte er die Katar-Frage aufklären. Es heißt, er werkle mächtig hinter den Kulissen. Doch unternimmt Zwanziger öffentlich brisante, einschneidende Vorstöße und drängt etwa entschieden auf eine Untersuchungskommission zu den WM-Vergaben?
Als Chef der Statutenkommission hat er Blatter kürzlich in Zürich ein Papier vorgestellt, in der unter anderem vorgesehen ist, die Stimmverhältnisse auf dem FIFA-Kongress den Mitgliedszahlen und Erfolgsstatistiken der 208 FIFA-Nationen anzupassen. Winzige Eilande wie Anguilla oder Neukaledonien sollen also künftig nicht mehr eine Stimme wie Deutschland oder Brasilien haben. Nur: Um dies durchzusetzen, bedarf es auf einem Kongress der Voten derjenigen, die sich damit selbst beschneiden müssten. Undenkbar, derzeit.
Im vergangenen Jahr hat sich das FIFA-Exekutivkomitee durchaus verändert – notgedrungen. Drei Mitglieder wurden wegen Korruption ausgeschlossen, Adamu (Nigeria), Temarii (Tahiti) und der Katari Mohamed Bin Hammam, der Einspruch erhebt vor dem Welt-Sportgerichtshof (CAS). Vizepräsident Jack Warner aus Trinidad, ein notorischer Absahner, kam seinem Ausschluss durch einen Rücktritt zuvor. Sechs neue Mitglieder wurden in ihren Kontinentalverbänden gewählt. Ein Platz, der von Warner, muss noch neu besetzt werden.
Und der personelle Umbruch hat gerade erst begonnen. Die Abschiede von Grondona und Teixeira, Worawi Makudi (Thailand), Nicolas Leoz (Paraguay), Chuck Blazer (USA) und Issa Hayatou (Kamerun) stehen bevor. Teixeira, Leoz und Hayatou stehen auch im Fokus des ISL-Korruptionsskandals. Die FIFA hat hier zur nächsten Sitzung in zwei Wochen in Tokio die Veröffentlichung eines Dokumentes versprochen, in dem neben Teixeira auch dessen ehemaliger Schwiegervater Joao Havelange, der FIFA-Ehrenpräsident, als Schmiergeldempfänger genannt wird – was Journalisten bereits recherchiert hatten.
FIFA-Ehrenpräsident Havelange ist zugleich dienstältestes Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Nun mehren sich die Informationen aus eigentlich zuverlässigen Quellen, dass das IOC-Exekutivkomitee in einer Woche in Lausanne der Empfehlung seiner Ethikkommission folgen und Havelange ausschließen könnte.
[Havelange-Rausschmiss aus dem IOC? Ich kann es immer noch nicht glauben. Doch die Leute, die mir das erzählen, sind nicht blöd und sehr nah dran.]
Mal davon abgesehen, dass die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro zum hundertsten Geburtstag Havelanges im Joao-Havelange-Stadion ausgetragen werden sollen – diese rigorose Bestrafung könnte ein Erdbeben in der Szene auslösen. Es heißt, die Fraktion um Havelange, Warner, Bin Hammam, Grondona und andere plane einen Vergeltungsschlag gegen Blatter.
Der Plot hat das Zeug zu einem Thriller, einem Bestseller: Hier Blatter, einer der Architekten des Korruptionssystems, der plötzlich den Aufklärer gibt und allen Ernstes als Reformpräsident in die Geschichte eingehen will – dort eine Bande verantwortungsloser Ganoven. In dieser Konstellation liegt auch ein Schlüssel dafür, endlich die WM-Vergaben an Russland und Katar aufzuklären.
Insider meinen, in den PR-Aktionen der FIFA auch die Handschrift von Peter Hargitay zu erkennen, der lange Jahre Blatters persönlicher Berater war, der bis vor einem Jahr für die australische WM-Bewerbung werkelte. Hargitay zählt zu den wenigen in der Szene, die direkten Zugang zu Blatter haben, was vielen in der FIFA-Administration nicht gefällt. Hargitay taucht auf FIFA-Pressekonferenzen auf und versucht, Journalisten zu instruieren. Auf Anfrage behauptet er allerdings, nicht vertraglich gebunden zu sein.
Auf einem etwas anderen Niveau ist der Schweizer Aloys Hirzel tätig. Hirzel, PR-Guru seines Landes, geht derzeit in der FIFA-Zentrale ein und aus. Kundenbeziehungen publiziere er nicht, sagt er. In der FIFA erfährt man, dass Hirzel auf politischem Parkett tätig sei und etwa das Lobbytreffen des FIFA-Präsidenten kommende Woche in Bern mit den Abgeordneten des Nationalrats maßgeblich vorbereite. Auch dort will Blatter sich als Reformer verkaufen. Eine Studie des Schweizer Sportministeriums zu Korruption in der FIFA und möglichen Gesetzesänderungen wurde bereits erfolgreich verzögert. Statt Ende 2011 soll das Papier nun erst Ende 2012 vorgelegt werden. Zum zweiten Jahrestag der WM-Vergabe.
Hirzel übrigens, das mag unerheblich sein (oder auch nicht, weil es die Branche gut beschreibt), war mit seinen Dienstleistungen ebenfalls in den Bewerbungsfeldzug der Kataris für die WM 2022 eingebunden.
Bis zum IOC-Orakel nächste Woche ist dieses hier auch ein hübscher Zeitvertreib: Schenk ./. Pieth
der pieth tut sich und seiner reputation keinen gefallen mit diesem job – wahrscheinlich bereut er es schon…
schön, dass wenigstens transparency international sich nicht hat kaufen lassen
wo bleiben eigentlich placido domingo und henry kissinger ;)
@ leipo: Deine Frage ist sehr gut. Hatte ich schon vergessen, die Kameraden. Solltest Du einen Twitter-Account haben, folge bitte @AskPlacido – der Typ ist großartig!
Zu TI: Es handelt sich präzise betrachtet nicht um eine Organisation, sondern eine Person, deren Wirken schwer durchschaubar ist und die sich halt, ungeachtet von Klasse und Fachkenntnis, mehr erwartet hatte. Ob diese Person in anderen Fällen als Rechtsberater verdient und gleichzeitig Kommentare als TI abgibt, lohnt sich zu überprüfen.
War schon schön letztes Jahr. Ich habe mich ja sehr gefreut und tue es noch immer.
Das Positive an der Sache ist neben der persönlichen Unterhaltung der Aspekt, dass das Theater vielleicht dem ein oder anderen gemeinen Fan die Augen geöffnet hat und sich dieser mehr mit „unseren“ Themen beschäftigt. :)
dpa: Kreise: Joao Havelange tritt aus IOC zurück
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Den ersten Havelange-Beitrag gibt es hier: IOC-Doyen und FIFA-Patron João Havelange tritt zurück, weil er nicht rausgeschmissen werden will
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Pingback: Zwanziger gegen WM in Katar
Was ist eigentlich so schlimm am Prinzip 1 Verband/Staat 1 Stimme? Da ist die Stimmenverteilung noch nachprüfbar. Mitgliedszahlen sind schon schwieriger nachzuprüfen. Vermutlich gibt es dann Vorwürfe, dass einige Verbände ihre Mitgliedszahlen nach oben gefälscht haben. Und Erfolgsstatistiken? Gibt einen Anreiz Spiele zu manipulieren, um Einfluss in der FIFA zu gewinnen/zu behalten. Besonders bei den Welt- oder Kontinentalmeisterschaften. Wenn schon die Teilnahme belohnt wird, könnten sogar die Qualifikationsspiele von den Manipulationen betroffen. Vielleicht werden auch Turnierpläne, wie der zu WM 2002, aufgestellt…
Zieht man stattdessen die Einwohnerzahl der Länder heran, würde Europa an Gewicht verlieren. Da der DFB der Verband mit den meisten Mitgliedern ist und dreimal nacheinander das Halbfinale bei einer WM erreicht hat, dürfte klar sein, wem Herr Zwanziger mit seinem Vorschlag helfen möchte.
@salomon
nunja — nachvollziehbarkeit alleine ist ja noch kein gütesiegel für ein verfahren. immerhin ist es ja nicht zuletzt das one-country-one-vote-prinzip, dass
ganovehrenmännern wie dem guten jack w. zu ihrer macht verholfen hat, weil sie als herren über die stimmen von hunderten zwergstaaten ein erhebliches pfund zum wuchern in die hand bekommen. und nichts gegen verbandspräsidenten von idyllischen südseestaaten mit vielleicht 10 aktiven fußballern — aber im zweifelsfall wird sojemand natürlich schon zugänglicher für, sagen wir, fußballfremde argumente sein.von daher spricht meines erachtens schon einiges für die einführung eines anderen systems. dabei ist natürlich klar, dass auch eine neue stimmgewichtung nicht perfekt sein wird. sowieso gibt es hier ja auch kein „richtiges“ system, aber vielleicht ja doch ein in der summe sinnvolleres/realistischeres/gerechteres? die von dir angesprochenen probleme sind dabei natürlich nicht von der hand zu weisen — man könnte sie jedoch umgehen, indem man die gewichte nicht direkt an die aktuell vermeldeten zahlen koppelt, sondern etwas ältere zahlen nimmt und dann eine staffelung nach art des bundesrats oder eu vornimmt. die vorbilder zeigen dabei auch schon, dass die reine lehre bei solchen sachen nicht sehr weit führen wird, aber eine verbesserung gegenüber dem status quo wäre theoretisch schon drin. praktisch sehe ich allerdings nicht, wie so eine reform tatsächlich beschlossen werden könnte.
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