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Das Olympische Bildungsmagazin

FIFA-Reformen? Eine Frage der Kommunikationsherrschaft

15.08 Uhr: Ich stelle das Aktuelle mal ausnahmsweise voran und aktualisiere meinen Bericht aus Zürich von vorn.

Sitze gerade in Blatters Pressekonferenz. Sepp verkauft sich als Erneuerer der FIFA. Ich habe mich getäuscht: weder Pieth noch Zwanziger tauchen hier auf. Es ist allein eine Sepp-Blatter-Show. Propaganda. Dafür hat mal jemand das schöne, beängstigende Wort von der Kommunikationsherrschaft geprägt.

Sepps Propagandisten haben im schlecht besetzten Presseraum bereits vor eineinhalb verbreitet, Pieth habe einen schwachen Eindruck vor dem Exko gemacht. Die Botschaft: große Klappe, nichts dahinter – ich wiederhole: so stellen es Blatters Medienlenker dar.

Pieths Bericht steht nun online beim Basel Institute on Governance:

ZÜRICH. Um mal wieder mit einem ganz plumpen Einstieg zu langweilen: Die Sonne scheint nicht mehr über dem Zürichsee. Dabei war so wunderbares Frühlingswetter hier. Doch heute, wenn FIFA-Supremo Joseph Blatter in Kürze seine Blitz-Reform durchpauken will (das hatte er zumindest versprochen), sind Wolken aufgezogen. Es wird kühl. Und sollten die FIFA-Exekutivler, mehrheitlich wohl noch immer dubiose Figuren, in zahlreiche Skandale verstrickt, tatsächlich wahrmachen, was sich in den vergangenen Wochen angedeutet hat, dann wäre die teuer erkaufte Propagandashow der vergangenen Monate endgültig verpufft. Die Bremser wollen mehr Zeit und überhaupt: Statuten ändern? Sich selbst beschneiden? Nur noch ein Vizepräsident pro Kontinent? Transparenz herstellen in Sachen Verdienst und Boni? Ein echtes Kontrollorgan installieren, eine Ethikkommission mit Ermittlungsbefugnis, auch retrospektiv?

Wo kommen wir denn da hin?

Das wäre nicht mehr die FIFA. Das wäre nicht mehr unsere Familie, sagen sich Sepps langjährige Getreuen. Und blocken. Was sonst.

Ich habe mich in den vergangenen Tagen wieder ein bisschen umgehört in Zürich, habe die üblichen Bars und Hotelflure unsicher gemacht. Ein bisschen was gesehen. Ein bisschen was gehört. Und habe gestern zwei Texte dazu gedichtet, erschienen auf Spiegel Online („Im System von Geben und Nehmen“) und in der Badischen Zeitung („Die FIFA tut sich schwer mit der Selbstreinigung“).

Weniger aus Großkotzigkeit, sondern viel mehr aus Transparenzgründen, weil ich über Mark Pieth schreibe, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich zu jenen Journalisten gehörte, die Pieth zu einem Hearing seines Independent Governance Committees eingeladen hatte. Gemeinsam mit meinen Freunden Andrew Jennings und Jean Francois Tanda habe ich aber abgesagt und statt dessen eine eigene Reform-Agenda veröffentlicht, eine Liste dringender Maßnahmen, die auch heute – egal was passiert – kaum tangiert werden:

Hier nun eine bloggemäß aufbereitete Variante meiner gestrigen Berichterstattung, ab 15 Uhr geht es los im FIFA-Headquarter, dazu dann später mehr.

* * *

Da liegen sie, die beiden Dokumente, die eigentlich kein Journalist sehen dürfte und die dem Fußball-Weltverband FIFA ein neues Fundament geben sollen. „Bitte nicht zitieren“, ermahnt die Quelle.

Eine schräge Szene, wie in der TV-Werbung: „Nicht anfassen, nur gucken!“

Dann macht es flutsch, und etliche hundert Seiten knallen auf den Tisch eines Zürcher Restaurants. Das Möbelstück hält dem Druck stand. Das Dokument wiegt mehr als ein Pfund, es enthält ingesamt 250, teils grundlegende Änderungen in den FIFA-Statuten, die eine Arbeitsgruppe unter Leitung des gewesenen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger vorgelegt hat.

Viel dünner ist das Papier, das mit großer Spannung erwartet wird und das den Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees erst am Mittwoch übergeben wurde: Es sind die Empfehlungen des Baseler Strafrechts-Professors Mark Pieth. Auf 21 Seiten, inklusive Anhang, hat Pieth notiert, wie der strukturellen Korruption in der FIFA beizukommen ist.

In großen Lettern prangt die Vokabel „confidential“ auf der Titelseite. Vertraulich. Aber nur bis Freitagnachmittag. Dann wird das Dokument ins Internet gestellt, dann wird alle Welt sehen, ob die FIFA-Regierung die Mindestforderungen von Pieth und Zwanziger erfüllt und wirklich Reformen einleitet.

Pieth und Zwanziger stellen einige gemeinsame Kernforderungen: Etwa die sofortige Einsetzung einer unabhängigen Ethikkommission, die auch retrospektiv tätig werden soll und also die Fälle der ehemaligen Exekutivler Jack Warner (Trinidad), Mohamed Bin Hammam (Katar) oder Ricardo Teixeira (Brasilien) aufarbeiten muss. Vor allem aber stünden dann die WM-Vergaben an Russland und Katar auf der investigativen Agenda. Man fordert auch die Offenlegung der Bezüge und Boni aller FIFA-Manager und Mandatsträger. Eine Forderung, der bislang nicht einmal Präsident Blatter nachkommt, der immer nur von einem Gehalt von etwa einer Million Franken redet.

Pieth und Zwanziger verlangen zudem die Einsetzung einer Nominierungskommission, die ab sofort alle FIFA-Amtsträger durchleuchtet und eine Art polizeiliches Führungszeugnis ausstellen soll. Dagegen wehrt sich das Establishment mit den üblichen Verdächtigen und Vetternwirtschaftlern.

Was bisher geschah in einem hausinternen und grundsätzlich intransparenten Reinigungsprozess, läuft noch unter dem Label „Propaganda“.

Reformen im Formel-1-Tempo hatte FIFA-Präsident Joseph Blatter im Oktober großspurig versprochen. Er wollte damit beginnen und ein brisantes Dokument veröffentlichen, das die FIFA sei Jahren unter Verschluss hält und das sowohl die millionenschwere Korruption im Exekutivkomitee als auch die Mitwisserschaft und Duldung seitens der FIFA-Administration beweist: Es geht um die so genannte Einstellungsverfügung im ISL-Bestechungsskandal. Im Dezember musste Blatter zurückrudern und schob juristische Gründe vor, die gegen eine Veröffentlichung sprächen. Mark Pieth hat nun vergangene Woche in einem Gespräch mit Graham Dunbar von der Nachrichtenagentur AP erzählt, er habe das Dokument mehrfach erfolglos bei Blatter eingefordert.

Der Anfang vom gesicherten Rückzug? Wollte Pieth damit der Welt erklären, er habe es versucht, aber in dieser FIFA sei das halt unmöglich?

Kurz vor dem Showdown lässt sich Pieth dazu nicht mehr befragen. Er hat zuletzt nur wenige Statements lanciert und etwa über den „fürchterlichen Ruf“ der FIFA gesprochen. Für kommenden Montag hat er einen Interview-Marathon organisiert, ich habe mir auch einen Termin gesichert. Klingt beinahe, als wolle jemand ein Wochenende die Ereignisse überschlafen.

Pieths Ruf als weltweit anerkannter Korruptionsbekämpfer ist in der FIFA-Affäre bereits Schaden erlitten. Weniger deshalb, weil die FIFA für die Arbeit Honorar an sein Institut an der Uni Basel überweist und er die Rechnungen nicht offenlegt, sondern vielmehr wegen anderer verbalen Salti. Er wollte sich auf Strukturreformen beschränken und nicht die Korruptionsaffären der Vergangenheit und Gegenwart aufarbeiten, hieß es zunächst. Inzwischenklingt das, nach beträchtlichem öffentlichen Druck, schon anders: Sollten Pieth und Zwanziger mit ihren Ansätzen durchkommen, wären Ermittlungen zu den skandalumtosten Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 (an Russland) und 2022 (an Katar) möglich. Auch dürfen sich Selbstbediener vom Schlage des kürzlich aus dem FIFA-Vorstand demissionierten Brasilianers Ricardo Teixeira nicht mehr sicher fühlen und müssten um ihre millionenschweren FIFA-Pensionen fürchten.

Doch die Konstellation bleibt absurd, wenn Punkt 28 „Reformprozess“ von 32 Tagesordnungspunkten verhandelt wird: Da sitzen Figuren wie FIFA-Finanzchef und Vizepräsident Julio Grondona aus Argentinien, der nach Aktenlage mit mehr als 100 Millionen Dollar gefüllte Auslands-Schwarzkonten unterhält, und sollen mit der eigenen Vetternwirtschaft brechen. Die aktuelle Recherche auf den Fluren der Zürcher Nobelhotels Grand Dolder, Baur au Lac und Savoy ergibt eindeutig: Grondona @ Co wollen gar nichts verändern.

„Es ist ein Skandal, was da abläuft“, sagt ein langjähriger FIFA-Manager. „Die Konföderationen wollen ihre Macht erhalten. Die UEFA lässt Zwanziger hängen. Am Freitag wird das alle Welt wissen.“ Wenn Blatter in der letzten Nacht nicht noch ein Kunststück gelingt gelungen sein sollte.

Er hat seine Bande zwar längst nicht mehr im Griff, doch er ist ein Meister der Improvisation. Abschreiben darf man ihn nie.

Zu den weiteren Absurditäten zählt schließlich auch, dass sowohl Zwanziger als auch Pieth auf Blatter bauen müssen, ausgerechnet auf jenen Mann also, der als FIFA-Direktor (1975-1981), als Generalsekretär (1981-1998) und als Präsident (seit 1998) das System des Geben und Nehmens perfektioniert hat. Und der nun, sich stramm dem neunten Lebensjahrzehnt nähernd, von seinen PR-Soldaten als Reformator verkauft wird. Ausgerechnet Blatter.

Der Vorstand tagt seit Donnerstagnachmittag im abgeschotteten Headquarter auf dem Zürichberg. Die Reform ist in Gefahr. Vergangene Woche wurde Zwanziger beim UEFA-Gipfel in Istanbul niederkartätscht – vor allem von jenen Funktionären, die wie er für die UEFA auch im FIFA-Vorstand sitzen. UEFA-Präsident Michel Platini (Frankreich) lobt die Arbeit des Deutschen zwar öffentlich, intern aber scheint sein wichtigster Wahlhelfer das Sagen zu haben: Marios Lefkaritis, ein steinreicher Zypriot, ist nicht nur der Königsmacher in der UEFA, der Wahlergebnisse stets exakt vorherzusagen weiß, er stemmt sich auch energisch gegen jegliche FIFA-Reformen. Zufall oder nicht, dass Lefkaritis und einige mit UEFA- und FIFA-Exekutivlern verbundene Anwaltsbüros auf Zypern im Zusammenhang mit möglicher Korruption bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 immer wieder genannt werden?

Als Blockierer enttarnen sich derzeit in Zürich auch Südamerikas Fußballboss Nicolas Leoz (Paraguay) und Afrikas Verbandschef und Skandalnudel Issa Hayatou aus Kamerun – wenig überraschend. Theo Zwanziger, seit Juni 2011 im Exekutivkomitee und auch deshalb unabhängig, hat wie Pieth damit kokettiert, er habe keine Zukunft in der FIFA, sollten die Reformen scheitern. Zwanziger wird eventuelle Konsequenzen aber wohl noch ein Wochenende überdenken.

25 Gedanken zu „FIFA-Reformen? Eine Frage der Kommunikationsherrschaft“

  1. Nicht das ich wüsste. Ich kenne Marangos ziemlich gut, er hat mir nie davon erzählt. Es war so eine typische Ankündigung, um Schlagzeilen zu bekommen und Angst zu schüren.

  2. Marios Lefkaritis, the Cypriot representative on FIFA’s Executive Committee, was totally taken aback when asked by insideworldfootball if he had taken bribes. „You must be joking“, he said.

    I must say: I’m totally taken aback. Dass die Lichtgestalt Platini, der das mit den Reformen jetzt zu schnell geht, die Vorwürfe gegen ihren Strippenzieher nicht aufgeklärt hat ;-D

  3. Pingback: Jean-Francois Tanda zur Akte ISL und FIFA-Intransparenz | Daniel Drepper

  4. „Völkerverständigung kann man billiger organisieren“
    SZ-Interview mit Viola von Cramon vom 4.7.2012

    „[…] Wir bezahlen unsere GEZ-Gebühren nicht dafür, dass wir Orwellsche Bilder nach Gusto der Uefa bekommen. Die großen demokratischen Nationen müssen aufstehen und sagen: Das lassen wir uns nicht mehr bieten! Und das selbe muss für die Frage der Vergabe gelten. […]“

    http://violavoncramon.de/userspace/NS/v_cramon/00001_Allerneuste_Systematik/03_Texte/120704_Interview_Cramon_Voelkerverstaendigung_kann_man_auch_billiger_organisieren.pdf

  5. Seltsam, dass seit Jahren niemand ein Problem mit den GEZ-Gebühren zu haben scheint, wenn unsere herrlichen Öffentlich-Rechtlichen bei Sportübertragungen oben „live“ einblenden, obwohl sie bereits stattgefundende Wettkämpfe zeigen. Daran kann im Wintersport doch kaum die UEFA Schuld haben?

  6. War es abzusehen, daß die Einstellungsverfügung gerade heute veröffentlicht würde? Bin etwas überrascht…

    140.785.618,93 CHF. Mindestens. = 160 Millionen CHF

  7. Es war dieser Tage zu erwarten. Die 160 Mio stimmen nicht ganz, JF Tanda verzeiht mir, wenn ich das sage, ich habe es ihm am Telefon schon gesagt. Kleiner Denkfehler, der in der Hektik des Redaktionsnachmittags passiert: Eine Summe (18-19 Mio, wenn ich das frei richtig wiedergebe) war schon auf einem Schmiergeldkonto geparkt, wurde aber wegen der akuten Zahlungsschwierigkeiten der ISL-Gruppe wieder auf andere Konten überwiesen. Es bleibt also bei dem, was wir seit einiger Zeit wissen: Mehr als 140 Mio.

    Ich rechne das mit den Angaben aus der Einstellungsverfügung gleich nochmal durch :)

    Denke, die Summe vom Dezember 2010 (140.785.618,93 CHF) muss leicht nach oben korrigiert werden. Deshalb habe ich damals ja auch in der Überschrift geschrieben: „Mindestens.“

  8. Pingback: #FIFAcorruption, die Einstellungsverfügung zum ISL-Korruptionssystem : jens weinreich

  9. Pingback: Was vom Tage übrig bleibt (74): FIFA-Boy Mark Pieth schlägt Alarm; Australian Crime Commission Report “Organised Crime and Drugs in Sport” : sport and politics

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