(Ich will die kleine Chronik fortsetzen und rein kopieren, was ich gestern auf die Schnelle – und aus der Ferne – zum FIFA-Treffen in Zürich fabuliert habe. Zuvor hatte ich im Schweizer Radio schnell noch Andrew Jennings als FIFA-Ethikchef vorgeschlagen, gemäß unserer volldemokratischen Abstimmung von vor einigen Jahren. Auch diesmal aus Zeitnot leider keine Links, aber dafür gibt es ja Tags und verwandte Artikel da unten.)
Die Propaganda läuft auf Hochtouren. Joseph Blatter, der Hauptverantwortliche für das allumfassende Korruptionssystem im Fußball-Weltverband (FIFA), der mit jeder beleidigten Äußerung ganze Fußballnationen in Aufruhr versetzt, etwa als er über mögliche Korruption bei der Vergabe der WM 2006 an Deutschland plauderte, wird in deutschsprachigen Boulevardmedien plötzlich als der Held gefeiert.
Die Bild-Zeitung, die am Dienstag einen offenen Entschuldigungsbrief des 76 Jahre alten Schweizer Patriarchen veröffentlichte, legte online mit einer Home-Story nach. Und der Blick, bei dem Blatters Kommunikationsdirektor Walter de Gregorio einige Jahre Sportchef war, titelt nach der FIFA-Exekutivsitzung ebenfalls online:
Blatter siegt an allen Fronten – Weg frei für mehr Transparenz bei der FIFA.
Was war passiert?
- Haben sich etwa plötzlich alle Empfänger der mehr als 142 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld, die von der Marketingagentur ISL/ISMM verteilt wurden, gemeldet?
- Haben Russland (2018) und Katar (2022) wegen der Korruptionsvorwürfe die Weltmeisterschaften zurückgegeben?
- Wird die WM-Vergabe an Deutschland überprüft?
Nein, Blatters FIFA-Regierung hat in Zürich lediglich die Besetzung der neuen Ethikkommission abgesegnet.
Ethik und die FIFA, das verträgt sich eigentlich nicht. Bislang waren derlei Gremien stets von Blatter handverlesen worden, mitunter ließ er deren Beschlüsse im Papierkorb verschwinden und legte sie gar nicht dem Exekutivkomitee zur Ratifizierung vor. Etwa 2006, als die so genannten Ethiker einen deutschen Journalisten wegen seiner kritischen Berichterstattung zur Persona non grata erklärten erklären wollten.
(Dieser Kerl schaut regelmäßig vorbei in diesem Theater.)
Nun aber riskiert der Baseler Strafrechtler und Compliance-Experte Mark Pieth auf Blatters Wunsch und für viel Geld seinen Ruf und strukturierte um. Auch der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, der bei seiner Aufnahme ins Exekutivkomitee im Juni 2011 Lobeshymnen auf Blatter sang, werkelte an Statutenänderungen.
Der Umstand, dass die künftige Gerichtskammer der Ethikkommission vom Münchner Richter Hans-Joachim Eckert geleitet wird, der im Siemens-Korruptionsprozess gestählt wurde, verrät Zwanzigers Handschrift. Die Ermittlungskammer leitet der US-Amerikaner Michael Garcia, ein ehemaliger Staatsanwalt mit Interpol-Erfahrung.
Die anderen dreizehn Mitglieder der Kammern sind eine eher enttäuschende Besetzung. Teilweise windige Typen und Blatter-Freunde wie der Australier Les Murray. Einige Vertreter aus Übersee haben bereits in der alten Kommission schlechten Dienst verrichtet.
Blatter sagte, was er nach nahezu jeder wichtigen Sitzung sagt:
Ich bin ein glücklicher Präsident!
Assistiert wurde er von Zwanziger, den Nachrichtenagenturen mit den Worten zitieren:
Aus Sicht der FIFA-Exekutive ist er absolut tragbar.
Zwanziger sagte, er habe keinen Auftrag gehabt, Blatters Rücktritt zu fordern. So wie es vor einigen Tagen Reinhard Rauball verlangt hatte, der Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL), der sein Begehren sogar erneuerte. Doch DFB-Vertreter und Blatter spielen wieder Doppelpass, nach einigen medialen Geplänkeln, die nur bei all jenen für Aufregung sorgen, die ungern ins Archiv gucken und also nicht die Regeln dieser Show begreifen.
All jene, die die Weltmeisterschaft nach Deutschland holten, sind Blatter zur Seite gesprungen. Außer einem gespielten Aufschrei der Empörung hatten DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, Franz Beckenbauer und der Lobbyist Fedor Radmann nicht viel zu sagen. Ihre WM-Bewerbung sei sauber und über jeden Zweifel erhaben gewesen, gaben sie zu Protokoll, obwohl längst das Gegenteil bewiesen ist. Denn die Deutschen haben, zum Beispiel, über Firmen aus dem ehemaligen Reich des Medienmoguls Leo Kirch FIFA-Exekutivmitglieder und dubiose Figuren im Umfeld der FIFA-Regierung mit traumhaften, nebulösen Verträgen und Geldsummen bedient. Nichts davon ist aufgeklärt.
Es gab in Zürich eine wirklich gut klingende Nachricht: Anders als von Pieth angekündigt (und wie ich es folglich seither verbreitete), wird es doch keine Verjährungsfrist geben. FIFA-Chefermittler Michael Garcia könnte also sofort die WM-Vergaben an Deutschland, Russland und Katar aufklären, in dem er etwa die Konten der FIFA-Exekutivmitglieder überprüft. All das soll, so hat Pieth behauptet, jetzt möglich sein.
Garcia muss sich eigentlich nur jenes Foto anschauen, das die FIFA am Dienstag auf ihrer Webseite veröffentlichte:
Da sitzen die Exekutivler und stimmen über die Ethikkammern ab.
Im Vordergrund der schwergewichtige US-Amerikaner Chuck Blazer, der mindestens zehn Millionen Dollar Provisionen kassiert hat – klare Korruption. Gegen Blazer ermittelt das FBI.
Neben Blatter sein Generalsekretär Jerome Valcke, der seit dem legendären Prozess um FIFA-Sponsorenverträge mit zwei Kreditkartenfirmen als Serienlügner bezeichnet werden kann. Und der in einer Email an den ehemaligen korrupten FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner behauptet, man wisse doch, dass Katar die WM gekauft habe.
Zu Blatters Rechten: der Erste Vizepräsident und Finanzchef Julio Grondona aus Argentinien. Der unterhält Schwarzkonten in etlichen Ländern, die mit mindestens 120 Millionen Dollar gefüllt sind.
An die Arbeit, Michael Garcia!
Die TAZ hat erkannt wie es gemacht werden muss, auch wenn es verdammt teuer werden kann… http://img839.imageshack.us/img839/6100/42501039406335065273914.jpg
@Jens Wie waere es mit einem Spendenbutton ? Der Abgang waere mir sogar einen Theo wert ;)
@ Andreas: Schau doch mal bitte rechts oben, da hat mein Freund cf alles eingerichtet. Paypal geht. Oder Flattr. :)
Hallo Herr Weinreich,
ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Leistung. Eigentlich wollte ich Ihnen zu Ihrer Arbeit gratulieren, aber dann fiel mir ein, dass ich nicht mit Ihnen tauschen möchte. Angesichts von Personen wie Blatter und Zwanziger hätte mich längst der Ekel übermannt; ich hätte schon lange hingeschmissen.
Daher gratuliere ich Ihnen zu Ihrer Leistung und hoffe, dass sie auch weiterhin Früchte trägt. Machen Sie weiter so. Jeder noch so kleine Nadelstich gegen die „Fußballfamilie“ und andere Sümpfe der Korruption ist wichtig.
Viele Grüße aus Hamburg.
@Jens War jetzt zwar eher auf die Aktion der TAZ gemuenzt, aber du hast Recht. Ich werde mir mal einen Account bei Flattr anlegen ;)
Von PR verstehen gewisse Leute bei der FIFA wohl nichts, anders ist die Aussage von Pieth zum Intellekt von Hoeness nicht zu erklaeren.
„Köln (RPO). Der Schweizer Anti-Korruptions-Experte Mark Pieth hat Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß nach dessen kritischen Aussagen zum Fifa-Präsidenten Joseph S. Blatter (76) mangelnden Intellekt vorgeworfen.“ Zu finden in der RPO und einigen anderen Zeitschriften.
Auf Michael Garcia wartet eine Menge Arbeit, der CAS hat die lebenslange Sperre von Mohammed Bin Hamman aufgehoben. Teflon Sepp duerfte not amused sein :D
CAS: Football – ETHICS: Mohamed Bin Hammam case: Appeal upheld; insufficient evidence
in diesem zusammenhang dürfte wohl folgendes interview mit pieth von interesse sein.
meine frage, weil es angesichts der neuen alten erkenntnisse so naheliegend ist: sind garcia oder/und eckert eigentlich befugt, auch gegen den paten blatter zu ermitteln? oder gibts für diesen fall bereits irgendwelche vorkehrungen, die eben so etwas verhindern sollen? und was, um himmels willen, ist „eine mediale hypothek“?
Tja, da scheint die Million, mit der Bin Hammam geschmiert haben soll, wohl irgendwie vom Hmmel gefallen. Oder auch nicht. Denn der CAS nennt die Aktion „a case not proven“.
Selbst wenn Blatter seiner Wahl mit der Sperre nachgeholfen hat, so richtig ein Grund zum Trauern ist es nicht, dass Blatters langjähriger Wahlkampfhelfer – der merkwürdigerweise das Urteil mit dem Satz kommentierte, „die Wahrheit“ sei nun belegt – raus ist. Und MBH scheint angesichts neuer Vorwürfe vom asiatischen Verband AFC auch keine Rückkehrambitionen mehr zu haben, er hält es wie Warner oder Teixeira, laut AFP:
Was mindestens den Vorteil hätte, dass sich die neue Ethiker-Truppe womöglich gar keine Mühe geben wird, die Trinidad-Bestechung besser zu belegen. Und für Sepp womöglich den, dass MBH, wenn man ihn denn in Ruhe lässt, nicht auspackt über die gerüchteumtosten Wahlkämpfe des Alleinherrschers ;-D
Was wird wohl der Grund sein, weshalb keiner so recht an Blatter rankommt ?
Ich – der nie auf einer FIFA-Exekutive war, niemals das Allerheiligste betreten oder gar den großen Weltballbeschwörer face to face erleben durfte, meine, weil es einfach sein System ist. Er hat es aufgebaut. Er ist das System. Solange er nicht Kontrolle oder Gesundheit verliert, kann ihm nichts passieren.
Genauso ist es, Herbert.
Das FIFA-System ist designt, um Blatters Macht zu erhalten. Dazu hatte er 31 Jahre Zeit. Ein beträchtlicher Teil der FIFA-Ressourcen gehen seit vielen Jahren dafür drauf, diese Macht zu erhalten und ihn in besserem Licht dastehen zu lassen. PR, Lobbyismus, seine vielen Kommunikations-Paladine etc pp
Im Prinzip (Jerewan) – ja. Nur geht mir das etwas weit, wenn, allein weil er gegen Blatter antritt, einer wie Bin Hammam den Ritterschlag erhält. Soll ja vorgekommen sein in der Berichterstattung ;-(
Oder wenn, wie hier, öffentlich-rechtlich in Bezug auf die WM 2006 festgestellt wird:
Ich gehe nicht davon aus, dass in Sportverbänden eine Art Befehlsnotstand herrscht. Nicht mal in der FIFA und im „System Blatter“.
Generell halte ich die FIFA-Situation für eine schwierige, weil da ein Paradoxon wohl Realität ist: Es ist nicht nur Propaganda, dass Blatter, Kern des Problems, auch Teil der Lösung ist – so man meint, die könnte von innen kommen. (Und von außen sind die Möglichkeiten doch eher begrenzt, trotz dieser und jener Politiker-Äußerung, trotz dieser und jener staatsanwaltschaftlicher Ermittlung in Brasilien oder Argentinien.) Im Moment jedenfalls und angesichts der Figurenansammlung im FIFA-Exko. Pieth hat Grondona genannt als Gegner jeder Änderung – und der ist noch so stark, dass er im Exko seinen Landsmann Ocampo verhindert hat, der sich zweifellos mit lateinamerikanischen Diktaturverlängerungen (Grondona ist ja eine personifizierte), Geldflüssen etc.pp. bestens auskennt und ihm wirklich hätte zu Leibe rücken können.
Das sagt etwas – bin aber nicht ganz sicher, was.
Sicher werden nicht geringe Vorbehalte, vor allem determiniert durch unübersehbare Ungewissheiten über eine von außerhalb inspirierten Veränderung der FIFA und deren evtl. für die Fussballpolitik unkontrollierbaren Follow- ups – in welche Richtung auch immer -, potentielle Protagonisten einer gewünschten Säuberung des Rinderställe des Blatter eher mit konkreten Aktionen zögern lassen. Es mag die Angst vor dem unfassbar Dekandenten und der zu erwartenden Blossstellung großer Teile der internationalen Fussballpoltik sein, die eine Totalsäuberung des Systems Blatter ohne Blatter noch verhindert. Daher hat man sich scheinbar auch auf eine softe Form der Reform ( die als Ethikkommission auch pr-mäßig gut rüberkommt) von innen und mit Blatter geeinigt. Es gibt allerdings nur wenige Fälle – mir fallen ggw. gar keine ein -, wo es „gelang“ , auf solche Weise desaströse Systeme zu kurieren. Früher oder später hat´s dann doch zum totoalen Kollaps geführt. Warten wir den Montag ab. ;-)
Weitere Einblicke ins System: der Bin-Hammam-Audit, via AP.
Hochzeitsreise für seinen Sohn, Zahnarzt und Friseur. Und andere Schrecklichkeiten, wie (ungeklärte) 250.000 für Jack Warner. Außerdem: Nur T-Shirts für Blatter, aber Anzüge für Hayatou. Was das wohl bedeutet?
Mal ´ne Sachfrage. Lohnt es sich von Thomas Kistner FIFA-Mafia zu lesen oder reicht das im Blogg erworbene Wissen aus ? Bitte nur ernstgemeinte Antworten. ;-)
Herbert, Sie sind hier ziemlich gut bedient. Insbesondere wenn es um einige analytische Fragen geht.
Michael Ashelm in der FAZ: Ein anonymes Meldesystem – mehr Druck auf Blatter
Hans-Joachim Eckert im FAZ-Interview: „Blatter kann man immer den Schwarzen Peter geben“
Peter Burkhardt in der Schweiz am Sonntag: Der halbherzige Reformer
Claire Newell, Holly Watt and Ben Bryant im Telegraph: Daughter of World Cup official had £2m put into account
Tim Röhn in der Welt (21.07.): Dieser Mann untersucht endlich den Fifa-Sumpf
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