LONDON. Zum Abschluss des Tages mal keine Befindlichkeiten, sondern nur Infos. Anbei ein Textlein, das ich am Nachmittag mit Eindrücken von der Pressekonferenz der WADA im MPC und, aus der Ferne, von der IOC-Session für verschiedene Medien gedichtet habe. Ungeschminkt in voller Länge, verbessert und verlinkt, wie es sich gehört.
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John Fahey ist dieser Tage ein Präsident ohne Reich. Sein Unternehmen heißt zwar Weltantidopingagentur (WADA), doch bei Olympischen Spielen hat die Agentur nichts zu sagen. Die WADA übernimmt auch in London, wie seit Sydney 2000 bei allen Spielen, eine Beobachterrolle. Das komplette Antidopingprogramm verantwortet im Zeitraum vom 16. Juli bis 12. August jener Konzern, der die fünf olympischen Ringe besitzt und vermarktet: das Internationale Olympische Komitee (IOC).
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden bei weltweit 71.649 gemeldeten Tests 107 Sportler des Dopings überführt und aus dem Verkehr gezogen. Andererseits wurde gerade bekannt, dass beispielsweise der Welt-Gewichtheberverband IWF unter russischen und armenischen Athleten keinerlei Trainingskontrollen durchgeführt hat. Ausgerechnet Gewichtheben, eine typische Dopingsportart.
Zwischen diesen Extremen bewegt sich der so genannte Kampf gegen Doping.
Einerseits sind ein großer Teil der positiven Fälle intelligenten Tests zuzuschreiben und hat die WADA nach dem Kooperationsvertrag mit der internationalen Kriminalbehörde Interpol nun auch Abkommen mit den Weltverbänden der Pharmaindustrie (IFPMA) und der biotechnischen Industrie (BIO) geschlossen. Das kann, sofern die Firmen wirklich mitspielen, Informationen über neue Produkte rechtzeitig weitergeben und etwa beim Nachweis behilflich sind, durchaus effektiv sein – aber nur dann.
Andererseits können Verbände machen, was sie wollen, ohne bestraft zu werden. Die Macht dazu hätte das IOC. Es könnte beispielsweise einen Olympia-Ausschluss verfügen, hat das aber noch nie getan.
In London werden die neuen Mitglieder des angeblich unabhängigen Observer-Teams der WADA, diesmal vom Kanadier René Bouchard geleitet, die Prozeduren von Dopingtests und Analytik prüfen und im Herbst ihren Bericht erstellen. Zuletzt wurden in derlei Berichten grobe Mängel gerügt, etwa bei den Sommerspielen 2008 in Peking, wo den Prüfkommissaren der Zugang zu Meetings und Labors verweigert worden war, und wo 102, also die Hälfte der teilnehmenden Nationen ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen waren.
Dennoch bemühte sich WADA-Präsident John Fahey (Australien) am Mittwoch demonstrativ um gute Stimmung. Hervorragend sei die Zusammenarbeit mit dem IOC und dem Organisationskomitee LOCOG. Fahey sagte ernsthaft:
Ich applaudiere! Die Londoner Spiele sind die Spiele mit den meisten Tests in der olympischen Geschichte!
Das IOC hatte zuvor bereits seine rund 5000 Tests in London als neuen Rekord verkauft – im Vergleich zu 2359 vor zwölf Jahren in Sydney und 4770 vor vier Jahren in Peking.
Als ob es auf die Anzahl der Tests ankäme. Entscheidend sind die Qualität und das kriminalistische Gespür, mit dem die Sportler und deren Entourage überprüft werden.
Absurd waren Faheys Lobeshymnen auch deshalb, weil wenige Stunden zuvor, am anderen Ende der Stadt im Grosvenor House, auf der IOC-Vollversammlung Klartext gesprochen wurde. Vor allem vom Kanadier Richard Pound, der als WADA-Gründungspräsident von 1999 bis 2007 Faheys Vorgänger war.
Pound, der vom IOC-Präsidenten Jacques Rogge ins Abseits gestellt wurde, hat sich zuletzt zum schärfsten Kritiker der olympischen Bewegung aus den eigenen Reihen entwickelt. Kürzlich hatte er moniert, dass – wie im jüngsten Compliance-Bericht der WADA nachzulesen ist – in 40 Nationen gegen den weltweit gültigen WADA-Code und damit auch gegen das olympische Grundgesetz, die IOC-Charta, verstoßen wird. Das IOC hat derzeit 204 Nationale Olympische Komitees (NOK) anerkannt. „Wenn das IOC nichts tut, wird jeder lachen“, sagte Pound. Im Laufe der Jahre hatte er schon versucht, NOK oder olympische Sportverbände, die konsequent gegen die Regeln verstoßen, für die Spiele zu sperren. Vergeblich.
In London attackierte Pound nun den Umgang des IOC mit den 2004 bei den Sommerspielen in Athen eingefrorenen 3000 Dopingproben. Erst nach weltweiter Medienkritik und Druck der WADA waren im Frühjahr rund 100 B-Proben mit neuen Analysemethoden überprüft worden, wobei es fünf positive Fälle gegeben haben soll. Das hätte viel früher geschehen müssen, sagte Pound.
Die eingefrorenen Proben sollten eine abschreckende Wirkung haben. Aber wenn wir sie nicht untersuchen, haben wir auch keine abschreckende Wirkung.
IOC-Medizinchef Arne Ljungqvist, ein langjähriger Fahrensmann an der Seite von Pound, die zusammen mit intelligentem Vorgehen etwa bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City den Doper Johann Mühlegg enttarnt hatten, räumte die Versäumnisse ein.
Wenn wir von Null-Toleranz-Politik reden, müssen wir alle Chancen nutzen und das auch beweisen.
— Richard Pound
Ljungqvist sagte, man habe keine Informationen gehabt, dass in Athen Substanzen verwendet wurden, die damals noch nicht nachweisbar gewesen seien. Ljungqvist bestätigte keine positiven Nachtests, sondern sprach nur von „einigen verdächtigen Proben“. Bei Nachtests eingefrorener Proben der Sommerspiele 2008 in Peking und der Winterspiele 2006 in Turin waren fünf Athleten das Blutdopingmittel Cera nachgewiesen worden.
Tags zuvor hatte Fahey auf der IOC-Session berichtet und versprochen, „die Rechte der sauberen Sportler zu schützen“.
Fachliche Diskussionen, wie sie Pound und Ljungqvist führen, scheinen Fahey aber noch immer zu überfordern. Bei kritischen Fragen ließ er seinen Generaldirektor David Howman antworten. Der teilte immerhin mit, dass in London mit zwei verschiedenen Analysemethoden auf das Wachstumshormon HGH getestet wird. Der erste Test, entwickelt vom deutschen Hormonforscher Christian Strasburger, wurde 2008 in Peking erstmals verwendet.
WADA-Jahresberichte
Die ‚Annual Reports‘ der WADA für die letzten Jahre:
Das neue, wirkungsvolle und auf Markern basierende Verfahren, entwickelt von Peter Sönksen, sollte eigentlich schon im Jahr 2000 in Sydney angewandt werden. Mit zwölf Jahren Verspätung geschieht das nun. Dieses Verfahren soll den Einsatz des Wachstumshormons bis zu drei Wochen rückwirkend detektieren. Sönksen hatte 1996 mit der Forschung begonnen, wurde mit mehreren Millionen Dollar gefördert und sich im Laufe der Jahre bitter über die Nichtzulassung beklagt, auch über IOC-Präsident Jacques Rogge. Nun wurde die Methode laut Fahey vor zwei Wochen plötzlich zugelassen. Es bleiben viele Fragen offen.
Die Dopingbekämpfung ist aber nicht nur wegen zahlreicher Versäumnisse und Blockaden von allen Seiten eine Geheimwirtschaft – selbst diejenigen, die das Geschäft ernsthaft betreiben, müssen mitunter Geheimniskrämerei betreiben. „Wir sagen nicht alles, was wir nun testen können“, sagte David Howman. Wie immer will man Betrüger überraschen.
Die WADA werde sich künftig immer mehr auf die Forschung und darauf, intelligent und kostensparend zu testen und das internationale Netzwerk von Interpol zu nutzen. In London sei es schwierig wie nie zuvor, zu dopen und nicht erwischt zu werden, sagte WADA-Chef John Fahey:
Aber ich wäre dumm, würde ich behaupten, bei diesen Spielen würde niemand betrügen.
Aber, aber, aber, im ZDF haben sie gerade gesagt, dass schlechte Zeiten auf die Doper bei Olympia zukommen. Weil die WADA, das sind jetzt voll gut, oder so.
Ok, ZDF. Ich leg mich nochmal hin und schlafe weiter.
Schön das hier so zu lesen, da andernorts die selben (gleichen?) Fakten ganz anders gesponnen werden und als größtmöglicher Erfolg verkauft werden. Könnte aber evtl. an gewissen Dreh-Doktoren liegen, die die Kommunikation verarzten. Vielleicht möchte ja der ein oder andere Mitleser hier sich den Text auch mal anschauen? Wie gesagt, mir als Laien in allen Belangen springt da ein gewisser Kontrast direkt ins Gesicht:
http://www.sueddeutsche.de/sport/zwei-tage-vor-olympia-dopingjaeger-ueberraschen-mit-neuem-test-1.1422575
Eine alte Weisheit, die leider nur selten wahr und ernst genommen wird. Viel (alles) hängt davon ab, wer sie verkündigt und ob sie gerade passt.
Ansonsten sehr informativ zu erfahren, in wessen Hände der Antidopingkampf gelegt ist. Kann man eigentlich Sportlern Kram sein, die dem Antidoping a priori nicht vertrauen wollen ?
@Bernie
So wie das ZDF gestern abend das Urteil zu Lebensversicherungen verfälschend dargestellt hat, so haben sie auch arrogant und oberflächlich zum für London zugelassenen HGH-Test kommentiert. Wenn sie nicht dumm sind, dann können sie nur die Absicht haben, zu manipulieren. Leider kann Otto-Normalverbraucher nicht alles im Internet und unabhängig recherchieren und somit bleibt immer öfters für ihn die relative Wahrheit auf der Strecke.
Gram sein, Herbert, gram sein :)
Zum HGH-Nachweis: Ich kenn mich da ja nicht mehr wirklich aus. Kollegen, die sich auskennen, sagen a) damit ist der Strasburger-Test quasi hinfällig, weil nur für 24 Stunden relevant, b) sei es wirklich eine neue Qualität, c) aber eben eine, die schon für 2000 verschleppt und immer wieder aus unerfindlichen (?) Gründen verzögert wurde – bzw wurde eine Anerkennung verzögert.
Insofern halte ich Jubelmeldungen für nicht angebracht. Schaun wir mal, was dabei raus kommt.
Besonders die englischen Journalisten (und jemand von der New York Times) haben gestern aber mehrfach nach den dopingfreien Spielen gefragt. Ironiefrei!
#ichkannesnichtmehrhören
Ist denn bekannt, ob absehbar war, dass die Sönksen-Methode bei Olympia 2012 eingesetzt werden wird? Oder kam das jetzt völlig überraschend? Oder vor zwei Wochen? Zumindest in letzterem Fall dürfte es dann ja maximal in der ersten Olympia-Woche positive Proben geben – intelligente und rational handelnde Doper vorausgesetzt …
AFP: Antidopage: la ministre des Sports Valérie Fourneyron au comité exécutif de l’AMA
Noch bevor die Volleyballerin und Sportärztin im Exekutivkommitte der WADA ihre Arbeit tatsächlich aufnimmt, hat sie zumindest schon mal etwas Gutes getan, nämlich Jaime Lissavetzky abgelöst.