Als Ergänzung zu einem Aufreger dieser Woche, den Dopingfällen Asafa Powell, Tyson Gay et al, muss ich eine Pflichtlektüre unbedingt nachtragen. Den Bericht der von Richard Pound geleiteten WADA-Arbeitsgruppe zum weltweiten Dopingkontrollsystem.
Lesen! Bitte!
Vieles, was dieser Tage geschrieben und gesendet worden ist, wäre besser geworden, wäre kompetenter geworden, hätten die Autoren die Pound-Studie gelesen. Die Erläuterungen und die 90 Empfehlungen an die WADA, die Sport-Weltverbände (IF), die Nationalen Anti-Doping-Agenturen (NADA), die Sportler und Betreuer, für das Testprogramm, die Labore, die Organisatoren von Wettbewerben und den Welt-Sportgerichtshof (CAS) fassen den derzeitigen Stand der heißen Diskussion wunderbar zusammen.
Im Prinzip reichen zwei Zitate, um einen Grundsatzstreit zu umreißen, der derzeit ausgetragen und mit der Inthronisierung des neuen WADA-Präsidenten Craig Reedie (GBR, IOC) im November in Johannesburg vorentschieden oder gar entschieden wird.
WADA is an independent, international, regulatory body concerned with doping in sport; it is not a “service” organization …
… schrieb Richard Pound im Mai.
Die WADA muss eine Serviceeinrichtung für die Verbände sein …
… sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter wenige Tage später in Lausanne, als er aus dem IOC-Hauptquartier eilte (nach einem Krisengipfel des Sports zur WADA, der offiziell kein Krisengipfel sein sollte).
Ein beeindruckendes Detail, das Pound erwähnt:
Von rund 250.000 Dopingtests weltweit jährlich erbringen weniger als ein Prozent ein Analyseergebnis.
Dies sei keine signifikante Veränderung gegenüber 1985 und der Vor-Ben-Johnson-Ära, merkt Pound humorlos an.
Ergänzend und etwas frischer, zum Runterbrechen aufs nationale Lager, auch, um zu sehen, wie kritiklos hierzulande argumentiert und berichtet wird (ganz anders als Pound) – der NADA-Jahresbericht 2012:
Ich habe mich dem Thema dieser Tage nicht groß annehmen können, dazu allein dem Schweizer Radio ein Interview gegeben:
Einige Lese- und Archivempfehlungen:
- Christof Gertsch in der NZZ am Beispiel der Tour de Suisse: Dopingbehörde ausgesperrt
Da sagt zum Beispiel Swiss-Olympic-Boss Jörg Schild:
Eines der Hauptübel des Anti-Doping-Kampfs sind die internationalen Verbände, die nicht bereit sind, Verantwortung abzugeben und Veränderungen zuzulassen.“
Unter diesem Beitrag hat Ralf einige aktuelle Interviews von Perikles Simon verlinkt. Immer wieder lesens- und nachdenkenswert:
… und natürlich etliche Beiträge von Grit Hartmann hier im Blog, wie etwa dieser:
Die IWF pflegt eine Praxis, die mir aus keinem anderen Weltverband bekannt ist. Sie hat unter Aján aus der Pharmakultur in der Hebersparte ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt, indem sie Dopingstrafen von den Nationalverbänden kassiert.
Das ist legal in der Welt des olympischen Sports – allerdings bei den Hebern auch hoch dubios, weil zum Teil im Dunstkreis von Ajáns mäßig transparenten Geldgeschäften angesiedelt.
- Im Zeitraum zwischen März 2009 und Ende 2012, so geht es aus der gerade den Nationalverbänden vorgelegten Vierjahres-Bilanz hervor, verdiente die IWF am Dopingbetrug offiziell 3,1 Millionen Dollar, mehr als sie für Tests, Analytik und so genannte Erziehungs-Programme ausgab.
Der erste Fall kostet einen Nationalverband 5.000 Dollar; ab drei und mehr Dopern pro Jahr wird es richtig teuer, ab 50.000 Dollar aufwärts. Können Verbände nicht zahlen, sehen ihre Athleten bei Wettbewerben im Folgejahr zu. Über die Höhe der Strafe entscheidet die Exekutive. Einige Verbände wurden schon zu 500.000 Dollar Buße verdonnert. Einem europäischen Verbandschef platzte ob der Abzocke mal der Kragen. Im Laufe von zehn Jahren, beschwerte er sich schriftlich, habe Aján persönlich 200.000 Dollar kassiert, und zwar in bar, worauf der bestanden habe. (…)
Und, sehr gut und sehr wichtig, die Daily Mail fokussiert auf Russland, die Leichtathletik-WM und Sotschi 2014:
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Würde den von Dir per Interview geäußerten Positionen doch in einem Detail widersprechen wollen – für das ich nur auch keine Erklärung habe ;) Du sagst, es sei kein Wille bei den Verbänden erkennbar.
Eigentlich muss die Frage aktuell lauten: Was erlauben IAAF?
Mit den Promi-Sprinter-Fällen (NADA-Funde) hat das zwar nichts zu tun, weshalb es wohl in der Betrachtung zu kurz kommt – allerdings hat die IAAF in den letzten Monaten mit Hilfe ihres Blutpass-Programms so viele Athleten aus dem Verkehr gezogen wie historisch betrachtet noch nie irgendein Verband (und auch keine nationale Agentur) – türkische und, richtig, osteuropäische/russische Athleten. Auch prominente (Olympiasiegerin Alpetkin) darunter.
Das halte ich für absolut bemerkenswert; da wird derzeit massiv vorgeführt, was möglich ist, wenn man die (indirekten) Testmöglichkeiten nutzt. Perikles Simon merkt das natürlich auch an, in einem der oben verlinkten Interviews deutet er an, er DÜRFE die vermuteten juristischen (?) Hintergründe nicht nennen.
Also: Wir kennen den Hintergrund nicht – aber was die IAAF demonstriert, ist neu.
Im Grunde habe ich das auch gesagt, das Interview war 11 Minuten lang. Habe mehrfach versucht zu akzentuieren. Zum Zeitpunkt des Interviews war nicht klar, wer was gefunden hat, jedenfalls nicht bei Gay.
Ich weiß nicht, ob sich hier um „die IAAF“ handelt und ob Diack da wirklich hinter steht. Die Details, wer da gerade mit wem agiert, kämpft und vielleicht auch mauschelt, entziehen sich meiner Kenntnis. Habe Anfang der Woche auch kaum woanders dazu etwas Erklärendes gefunden. Im Grunde aber sehe ich diese Entwicklung (die der prominenten Aufgeflogenen) positiv. Es ging ausführlicher, fast die Hälfte wurde geschnitten, aber soweit ich es höre, gut bearbeitet und nicht entstellend.
Es handelt sich tatsächlich um „die IAAF“ (also merkwürdiger Weise Diacks Verband) – um Fälle, die die allein aufgrund ihres eigenen Blutpassprogramms auffliegen lässt.
Das hat mit den Sprint-Promis (Adverse Analytical Findings) erstmal nichts zu tun. Und ich weiß nicht, ob man die so hoch hängen muss, wie IOC das gerade in looking-at-the-bright-side-attitude tut. Die Jamaica-Nada hat schon vor zwei Jahren Spitzen-Athleten mit Aufputschmitteln aus dem Verkehr gezogen. Das sagt mehr über die (zurückgebliebene) Qualität des Dopings als über die der Tests. Und der USADA kann man wohl einen gewissen Detektierwillen unterstellen, der vor großen Namen nicht halt macht.
Gunter Gebauer zum Thema
DLF: Im Sport gibt es noch einige Helden
BR Alpha:Sind doch eh alle gedopt: Haben Sie noch Spaß am Spitzensport?
Im ZDF klärt Perikles Simon den Hintergrund seiner Andeutungen auf: Die IAAF hält eine Studie zurück, die die Ergebnisse der 2011 bei der WM in Daegu von allen Athleten genommenen Bluttests ausgewertet hat:
Interview mit Perikles Simon
Ältere Studien sind offensichtlich schon Schreckensszenario genug, etwa diese Auswertung der Leichtathletik-Daten (2001 – 2009). Demnach in 14% der Blutproben Hinweise auf Doping:
Sottas et al: Prevalence of Blood Doping in Samples Collected from Elite Track and Field Athletes
„Die IAAF“.
Torwandschießen muss er noch üben, der Gute.
Ja.
Nun bin ich weit davon entfernt, das für verständlich zu halten. Zum Gesamtbild gehört aber schon, dass der Verband wohl die Ergebnisse der Studie nutzt bzw. weiter mit denen arbeitet – die Blutpassfälle, die nun eingedenk der (nachweistechnisch wenig spektakulären) Sprint-Stars unter den Tisch fallen.
Auch ne kleine Korrektur zum ZDF: Die Jamaica-Fälle waren keine oder nicht asschließlich WADA-Tests, sondern welche der JADCO, der Nada dort. Sehr interessanter Artikel, auch dazu, im Guardian:
Athletics fights on after Tyson Gay and Asafa Powell doping scandal
Torwandschießen muss man nicht können, aber Whistleblowing ist schwer im Kommen. Man muss sich danach ja nicht öffentlich outen.
Ich denke einfach (und ich habe zuvor gesagt, dass ich mittlerweile zu weit entfernt von der IAAF bin, da war ich mal viel näher dran), dass es so ist wie immer im Leben (und sogar in Sportverbänden): Es gibt Gruppen, die kämpfen gegen die Mehrheit in den jeweiligen Gremien. Meister Diack zählt gewiss nicht zu den Aufklärern. In der Vergangenheit haben sich da beispielsweise Abby Hoffman oder Arne Ljungqvist verdient gemacht – stets im Kampf gegen den anderen Teil des Establishments. Bin mir deshalb ziemlich sicher, dass es auch Kräfte gibt, die die Studienergebnisse, die Simon erwähnt (Daegu 2011) nicht verheimlichen wollen.
Erinnere mich an eine Grundsatzkritik von Hoffman in 2004, die damals immerhin das bemerkenswerte Ergebnis brachte, dass dem damaligen (inzwischen verstorbenen) Generalsekretär Guylai die Verantwortung für Antidoping entzogen wurde. Gewiss hat Guylai sich zeit seines Lebens weiter eingemischt, aber: das war ein kleiner Sieg von Aufklärern.
Oder, eines meiner Lieblingsbeispiele: WADA 2001, ganz zu Beginn, als Pound mit Ljungqvist gegen den Widerstand von Verbruggen Saltin gestützt hat. Etappensieg. Kurz darauf wurden Mühlegg, Lasutina und Danilowa in Salt Lake City mit Aranesp erwischt – sie wussten nicht, dass das, gerade auf den Markt gekommen, nachweisbar war (außerdem wurde in der Dopingliste ab damals erstmals der Verbal-Trick „artverwandte Substanzen“) benutzt.
Wahrscheinlich findet sich für fast jeden schlagzeilenträchtigen Fund so eine Konstellation im Hintergrund. Meine Beispiele sind schon ein bisschen alt. Aber als Schablone wunderbar anzuwenden:
Saltin und Ljungqvist haben sich damals a) mit dem Hersteller verständigt und b) beim ersten Weltcup der Langlaufsaison begonnen, Profile anzulegen und Auffälligkeiten zu verfolgen.
Es läuft bis heute immer so, und wenn – wie ich im Mai nach der erwähnten IOC-WADA-Sitzung beobachtet habe – Diack mit Blatter tuschelt (und einer Meinung ist) und kooperiert, dann gibt es in der IAAF doch auch andere Kräfte.
Siehst Du selbstverständlich richtig – die Schablone zeigt, dass es sich um stabil-instabile Zustände handelt …
Mir ist ja noch eine ganz andere Idee dazu gekommen, warum die IAAF derzeit so viele Athleten auffliegen lässt: Wir wissen, dass die Weltverbände seit dem Konflikt Wada/UCI der Wada gern Zügel anlegen möchten und dabei versuchen, das IOC auf ihre Seite zu bringen (falls das da nicht bereits ist). Während die Wada mehr Kompetenzen haben möchte und das auch bestens begründet, der Pound-Bericht.
Anfang August gibt es in Moskau die gemeinsame Exekutivsitzung von IAAF und IOC. Dort könnte ja theoretisch Folgendes passieren: Die IAAF-Exekutive feiert die Erfolge ihres Blutpassprogramms besonders laut, die IOC-Exekutive klatscht öffentlich dazu. Ergo: Die Wada braucht weder mehr Kompetenzen und schon gar nicht mehr Geld – das können die IFs schon ganz allein …
Insofern ist es gar nicht genug zu würdigen, dass Perikles Simon ein bisschen dazwischen funkt ;)
In der Leichtathletik ist es mit der sauberen neuen Generation schon mal nicht besonders weit her…
AP: Nine Turkish track and field athletes get steroid bans
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Universität Tübingen: Grundsätzliches Einverständnis der WADA zur Veröffentlichung der Tübinger Doping- Studie