Interessante Geschichte von Achim Muth heute in der Main-Post zum westdeutschen Doping vor 40 Jahren. Lesebefehl:
In Kurzfassung aus Muths Text, darum geht’s – es liegen Akten vor …
… die die frühe Existenz des sich in der Bundesrepublik Deutschland entwickelnden systemischen Dopings just zu jener Zeit der Olympischen Spiele belegen. Es geht um die Anwendung von Anabolika sowie die Verabreichung von Insulin und Wachstumshormonen – alles mit Wissen des Staates und finanziert aus Steuergeldern.
Tief verstrickt darin waren das unter staatlicher Finanzierung 1970 gegründete Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das damals seinen Sitz in Löwenich bei Köln hatte, heute in Bonn angesiedelt und nach wie vor dem Bundesinnenministerium (BMI) unterstellt ist, und alte Bekannte: Die Professoren Herbert Reindell und Joseph Keul der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg – ausgerechnet jenem Institut, über das die „Zeit“ erst Anfang 2013 schrieb, es gelte „als westdeutsches Abziehbild des DDR-Dopingstaatsplans“. Schlagzeilen machten vor allem die enge Verbindung der Uni Freiburg zum dopingverseuchten Radrennstall des Team Telekom um Jan Ullrich in den Jahren um den Jahrtausendwechsel. Die Telekom-Mannschaftsärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid kamen vom Freiburger Institut.
Bei der nun entdeckten Akte handelt es sich nach Überzeugung von Wissenschaftlern mit hoher Sicherheit um das erste Dokument zur bundesfinanzierten Dopingforschung in Deutschland und es zeigt, dass in Freiburg bereits Anfang der 70er Jahre die Ethik vernachlässigt worden ist (…)
Die Akte VF-1220/13/72:
Unmittelbar damit verbunden sind drei Beiträge, die einen Überblick liefern, interessante Kommentare und darunter hunderte weiterführende Links – wer sich also einlesen möchte:
Das ist in der Tat sensationell: Versuche mit Wachstumshormon schon in den 70ern! Damals ausschließlich aus den Hirnanhangdrüsen von Leichen gewonnen – und dann auch noch in Kombination mit Insulin?
Ein unfassbar „fortgeschrittenes“ Doping – zum ersten Mal ist dieser Cocktail öffentlich, glaube ich, mehr drei Jahrzehnte später aufgefallen, mit Balco.
Und in Freiburg, nachweislich bei Klümper, ist man dem offensichtlich treu geblieben: 1991 – das hatte Gerhard Treutlein herausgefunden – Abrechnung von hGH-Rezepten über den Olympiastützpunkt Freiburg. Außerdem 1996, der Fall Birgit Hamann-Wolf, die Klümper vorwarf, ihr hGH gespritzt zu haben.
Welcher deutsche Promi-Arzt wird noch mal als Zögling Klümpers bezeichnet und mit wem zog Keul durch die Welt um Turniere zu gewinnen?ß!!
Langsam aber sicher wird es mehr als deutlich, warum solch eine massive Blockadepolitik bezgl. der Dopingaufklärung seit 1990 betrieben wird.
Es dürfte für einige deutsche Ikonen sehr, sehr ungemütlich werden. Und da dürften Zabel und Ullrich eher die Nebenrolle spielen.
In der Aufregung ganz vergessen… Für welchen Fußballverein war einer der Telekom Ärzte langjährig als Mannschaftsarzt tätig??
Das BISp muss natürlich erklären, ob es Reindell/Keul 1972 Doping-„Forschung“ mit hGH (und Insulin) genehmigt hat (und wenn nicht, das nachweisen). Immerhin war damals das Risiko von Infektionen etwa mit Creutzfeldt-Jakob gegeben.
Es muss offenlegen, woher die Versuchkaninchen kamen, was die Ergebnisse dieser Studie waren etc.pp. …
Der Erste, der hGH-Missbrauch im Sport zugegeben hat, war übrigens der amerikanische Sportarzt Robert Kerr, vor den Spielen in LA – auch noch über ein Jahrzehnt nach den Freiburger Forschungen.
Wenn ich da lese das die untersucht haben wie sich Anabolika und anderes auf den Kreislauf auswirken, klingelt da was bei mir. Ich erinnere mich da an eine tote westdeutsche Weitspringerin, die an Kreislaufversagen gestorben sein soll.
cycling4fans.de: Kofink/Lepping: Dopinghistorie – frühe Dopingforschung, Pressemitteilung 31.7.2013
Das BISP beauftragte einst die Dopingforschung. Heute beauftragen sie die Aufarbeitung der Dopingvergangenheit. Interessantes Geschäftsmodell….
Das kann doch keiner mehr ernst nehmen, der ernst genommen werden will.
Andreas Strepenick in der BadZ: Akte VF-1220/13/72
Achim Muth und Mathias Hausding in der Mainpost: Doping-Forschung: Opposition spricht von Skandal
die Sueddeutsche hat den Abschlussbericht der HU:
http://www.sueddeutsche.de/sport/bericht-der-humboldt-universitaet-berlin-wie-die-bundesrepublik-jahrelang-doping-foerderte-1.1737918
http://www.sueddeutsche.de/sport/doping-und-der-deutsche-sport-schweigen-im-glashaus-1.1735167
… kaufen der Papierausgabe lohnt aber auch.
Mein Gott, wird immer absurder, die Geschichte dieser „Studie“ und ihrer Veröffentlichung. Man kann weder der einen noch der anderen Seite glauben. Jetzt bedienen die Autoren verschiedene Medien und lenken damit auch Berichterstattung.
Aber, es geht ja um die Sache, schon klar.
Obwohl, wem es heutzutage um die Sache geht, der nimmt seine Studie und macht daraus eine wunderbare Webseite – NUR DANN wäre das mit Steuermitteln geförderte Projekt wirklich öffentlich.
1) Haben Sie die in der Akte erwähnten (noch lebenden) Personen vor Veröffentlichung mit den Vorwürfen konfrontiert? Haben Sie sie auf die Veröffentlichung hingewiesen?
2) Sicher, dass die Autoren die SZ bedient haben? Was sagen die Autoren dazu?
1) Keine Ahnung. Nicht mein Job.
2) Vielleicht war es auch die NSA.
Nach Lektüre der SZ knappe Anmerkung zur Bewertung des Ganzen:
Ich weiß nicht, ob die *veröffentlichten* Inhalte es tatsächlich rechtfertigen, nun von „systematischem Doping“ auch in der alten Bundesrepublik zu sprechen. Es gab aber systematische Dopingforschung.
Für neu und wichtig halte ich – das hat zuerst die „Main-Post“ verdeutlicht -, dass es so früh, gleich nach Gründung des BISp, aus Steuergeldern bezahlte Dopingforschung im Westen gab. Bisher kannte man nur die Testosteron-Ringstudie 87-89 unter Beteiligung von Freiburg, Köln, Saarbrücken. Diese Art Auftragsforschung mit Bundesmitteln ist also zwei Jahrzehnte lang gelaufen, dafür gab es bisher keine Belege.
Neu auch, s.o., dass diese medizinischen Experimente auf extrem „fortgeschrittene“ Dopingkenntnisse der Creme der westdeutschen Sportmediziner hinweisen (hoch gefährliche Versuche mit hGH/Insulin schon Anfang der 70er, Epo 1988).
Hier wäre es absolut wünschenswert, dass die Namen der an den Studien beteiligten Mediziner öffentlich würden (waren die z.B. auch Verbandsärzte?). Auch, wer die Probanden bei diesen Versuchen waren (alles Kaderathleten?), bei welchen Trainern die trainiert haben etc. Da sind BISp, BMI in unabweisbarer Aufklärungspflicht.
Einschränkungen (wie gesagt, ohne die 800 Seiten zu kennen):
Generell und ohne verharmlosen zu wollen: Das sind zunächst überwiegend Nachweise für staatlich geförderte Dopingforschung. Im Osten gab es dann, der nächste Schritt, die Verbandskonzeptionen: über die DTSB-Spitze und Sportstaatssekretär bzw. deren Leistungssportkommission wurden die Generalsekretäre der olympischen Verbände und über die Verbandsärzte und Trainer angewiesen, was und wie viel in welchem Zyklus an welche Kaderathleten (namentlich) zwangszuverabreichen war. Auch systematisch bei Jugendlichen – ab dem Zeitpunkt, als sie in den Kader für internationale Wettkämpfe in ihrer jeweiligen Sportart aufrückten.
Kann man von derart systematischem Doping nun auch in der Bundesrepublik sprechen? Ich bezweifle es – viele Erkenntnisse (u.a. von Berendonk/Franke, Treutlein/Singler) aus den letzten zwei Jahrzehnten zeigen an, dass Doping eher nicht von den Verbänden organsiert wurde, sondern in Trainingsgruppen, die das auch geheimzuhalten suchten. Nur ein Beispiel von vielen: Hammer Sprintergruppe und der Trainer Spilker Ende der 80er. Allerdings, das wiederum hat z.B. Hansjörg Kofink eindrucksvoll beschrieben, wurde auf die Trainer über Qualifikationsnormen Druck ausgeübt.
Das macht es überhaupt nicht besser als im Osten – es entspricht „nur“ dem demokratischen System. Aber ich hätte dann doch Vorbehalte, diesen Unterschied vollkommen zu verwischen. Zwischen systematischer Dopingforschung und systematischem Doping liegt noch ein Schritt.
@2: Whistleblowing ist zwar im Trend, aber es kann gefährlich werden, wenn man an den falschen gerät. Deshalb verstehe ich, wieso derjenige sich nur an einen wendet – es verbreitet sich ja eh. Hat Snowden auch so gemacht.
Systemisch? Systematisch?
Dass die HU-Historiker das West-Doping als „systemisch“ bezeichnen, ist seit einer Zwischen-Veröffentlichung von Forschungsergebnissen im September 2011 bekannt.
In der Süddeutschen wird auf Seite 2, im Haupttext, auch „systemisch“ geschrieben.
In der Süddeutschen wird auf Seite 1, im Zeitungsaufmacher, im ersten Satz „systematisch“ geschrieben.
Es ist ein kleiner Unterschied. Ich weiß noch gut aus der BLZ, wie Zeitungsaufmacher von den Inhalten abweichen können und entstehen.
Hier ist natürlich auch wieder interessant, wie sämtliche Medien dieses „systematisch“ nachplappern, die meisten dieser Medien haben damals, im September 2011, korrekt „systemisch“ berichtet. Ich meine: Korrekt so, wie es die HU-Historiker bezeichnet haben.
Zum hundertsten Mal die Erklärung: Von der politischen Brisanz des Ganzen will ich damit nicht ablenken.
Noch einige Anmerkungen: Einiges aus der SZ wurde von an der Studie teilhabenden Historikern schon anderswo verwertet. Alles in allem merkwürdig bei einer mit Steuermitteln geförderten Forschung.
Genauso wie die Tatsache, sie nicht veröffentlichen zu wollen. Deshalb umso besser, dass sie jemand durchgestochen hat.
@jw
Meine Anmerkung zielte vor allem auf die Überschriften, die online überall zu lesen sind. Beispielhaft, Spon:
Studie enthüllt systematisches Doping in der BRD
„Welt“ titelt gar: Systematisches Staatsdoping in Westdeutschland. Ich meine, dass es Enthüllungen zur Dopingforschung gibt, zuerst und am überraschendsten die von der Mainpost, die belegen, wie lange staatlich geförderte Dopingforschung im Westen betrieben wurde. Einige der genannten Forschungsanträge halte ich für kriminell.
Das bietet Stoff genug für Neubewertung – vor allem der politisch und wissenschaftlich Verantwortlichen.
@ Stefan #19: „Tatsache“? Boris Herrmann schreibt zur Frage der Veröffentlichung in der SZ:
Ich habe Ende vergangenen Jahres, als ich zwei Mal die „Präsentationen“ der Studien und die vielen Merkwürdigkeiten protokolliert habe (Links oben am Ende des Beitrages), schon gesagt:
Nun steht Boris Herrmann besser im Stoff und hat sich ausführlich damit befasst. Allerdings hat er zur Frage der Veröffentlichung der Studie offenbar keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse und hält sich in seinem Beitrag in der SZ zurück. Das meine ich überhaupt nicht süffisant, ich schätze seine Arbeit außerordentlich, ich stelle nur fest.
Aber, Stefan, man kann natürlich immer sagen: Hauptsache durchgestochen.
Nur, noch einmal: 550.000 öffentliche Euros. Konsequent wäre: Richtet eine nette Webseite ein und veröffentlicht alles, was ihr verantworten könnt. Ich erlaube mir zu sagen, dass ich diese Art der Zweitverwertung – heute hier, morgen da – zu diesem politisch brisanten und öffentlich ja doppelt finanzierten Thema :) nicht sonderlich schätze. Bzw dass ich finde, das sei nicht zeitgemäß.
Mehr nicht.
Oh, und diesen Tweet und Kommentar #18 muss ich schon wieder korrigieren:
Fakt ist: Im Vorspann der Seite 2 heißt es auch „systematisch“. Im Haupttext „systemisch“.
Und nun aber korrekt (?) …
@16 Grit Hartmann, wichtig: die Dopingforschung via BISp in Freiburg plus den Mitstreitern (oder Konkurrenten?) Saarbrücken, Paderborn(!, Ergänzung zu #16), Köln (Hollmann mitsamt der wichtigen zweiten Reihe Mader; Donike auf einem institutionellen Nebengleis, auf dem aber ganz offensichtlich sowohl Anti-Doping- als auch Doping-Züge fahren konnten) ist nicht „zwei jahrzehntelang gelaufen“. Es gab einen mehrjährigen BISp-förderungsfreien Zeitraum in der Dopingforschung. Ich bin gespannt, wie die HU das bewertet hat.
Selbstverständlich mindert das nicht in entscheidender Weise die Verantwortung der beteiligten Sportmediziner und Staatsbediensteten am Doping West.
Es ist allerdings ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Doping West und Ost. Denn ein mehrjährigens Ausbleiben einer finanziellen Förderung der Dopingforschung hat es meiner Kenntnis nach in der DDR nicht gegeben.
@mb
Interessant. Das wusste ich nicht.
Allerdings und mich oben korrigierend – Zitat aus dem im September 2011 vorgestellten Zwischenbericht der HU-Arbeitsgruppe, der dem BISp „eine zentrale Rolle“ für die Anabolikaforschung zuschreibt:
Das war also schon da …
Die Einzelfallstory kann nun endgültig für die Alt-BRD begraben werden, auch wenn deren Beerdigung unter Ausschluss der Öffentlichekeit stattfinden soll.
Zwar wußte man schon, dass es schlechte Verlierer geben kann; schlechte Sieger könnte jedoch ein Novum sein.
Sprenzler legt den Finger auf die Wunde, die bislang nur bei der DDR „entdeckt“ worden war: Minderjährigendoping, Dopingverordnungen, fehlende Hellhörigkeit im Verbund mit Blauäugikeit (wenn es denn so war…), staatlich gefördertes flächendeckendes Doping zu den OS 1972 und 1976.
Die Sportgeschichte neu und ungeschminkt zu schreiben, wird kaum stattfinden und ist unrealistisch. Eine angemessenere vergleichsweise Betrachtung von Doping im Ost und West hätte es schon lange getan.
Der Dopingopferverband bekommt ein weiteres Betätigungsfeld.
http://www.ardmediathek.de/rbb-fernsehen/rbb-aktuell/systematisches-doping-in-westdeutschland?documentId=16312616
Da müssen sich auch einige der aktivsten Rechercheure des Doping Ost gefallen lassen, dass man ihnen mehr als Blauäugigkeit und zumindest zeitweilige Instrumentalisierung vorwirft.
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In Freiburg wurden – z.T. unterstützt durch staatliche Gelder – Wirkungen von anabolen Steroiden, beta-Blockern, Schlafmitteln, EPO etc. bei u.a. Sportler(inne)n untersucht.
Genau das wird doch aber noch heute weltweit in der Sportmedizin gemacht.
Ein Beispiel (ich könnte viele ähnliche nennen): Australische Wissenschaftler beschrieben zuletzt die leistungssteigernde Wirkung von Wachstumshormon und Testosteron bei Freizeitsportler(inne)n (18 Jahre und älter; Frauen erhielten nur Wachstumshormon; randomisierte plazebo-kontrollierte Studie). Wörtliche Schlussfolgerung „…. Growth hormone significantly increased sprint capacity, by 0.71 kJ (95% CI, 0.1 to 1.3 kJ; relative increase, 3.9% [CI, 0.0% to 7.7%]) in men and women combined and by 1.7 kJ (CI, 0.5 to 3.0 kJ; relative increase, 8.3% [CI, 3.0% to 13.6%]) when coadministered with testosterone to men…….” (Meinhardt U et al. “Ann Intern Med 152: 568-7, 2010). Diese Studie wurde finanziell v. a. von der WADA und der Australischen Regierung unterstützt.
Verstehe ich da etwas falsch? Oder ist das jemand scheinheilig?
Das Problem in Freiburg war dann die weitergehende Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sport.
Man muss aber fragen, wofür den überhaupt Untersuchungen zur Leistungsmodulation durch Pharmaka durchgeführt werden. Das hilft keinem kranken Patienten. Welche Rolle spielen die WADA und Politiker in anderen Ländern?
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