War das Dopinggeständnis des ehemaligen Radprofis Bert Dietz wichtig? Natürlich. Hat es die Dopingdiskussion auf ein neues Niveau gehoben? Keinesfalls. War es das erste Geständnis dieser Art? Ganz und gar nicht. Es gibt kein Argument, das in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht längst entwickelt worden wäre. Nur wurde kaum gehandelt. Wer jetzt so tut, als rolle er die Sache politisch auf, macht sich lächerlich. Doping hatte immer eine politische Dimension, weil der Hochleistungssport, in allen Systemen, jährlich mit Milliarden aus Steuermitteln alimentiert wird. Es mag Unterschiede zwischen dem DDR-Dopingstaatsplan 14.25 und der Freiburger Schule geben, doch diese Differenzen sind marginal. Es bleibt ein System von Lüge und Schande.
Über die Gefahren des Dopings ist genug gesagt. Wer Augen hat zum Sehen, wer einen Kopf hat zum Denken, wer die Realität nicht ausblendet wie ein Parteibonze, der weiß von den Gefahren. Nur ein Beispiel, wohin Blutdoping führt: Radprofis verenden elendig, ihr Blut verklumpt, das Herz hört irgendwann auf zu schlagen. Und weil die Doper die Drangsale kennen, stellen sie sich nachts alle zwei Stunden den Wecker, um sich Insulinspritzen zu setzen oder Tabletten zu schlucken, die bewirken sollen, dass das Blut nicht aufhört zu fließen. Diese Art des Sports ist ein Massaker. Suizid ist zwar nicht strafbar, wenn aber andere Menschen Sportler dopen, dann ist das ein Verbrechen. Es dürfte kein Cent aus öffentlichen Mitteln in diesen kriminellen Kreislauf fließen. In Deutschland findet sich indes keine politische Mehrheit für ein echtes Antidopinggesetz, niemand bestraft einen Sportverband mit Entzug der Förderung. Sportminister, die sonst gern vorbeugend tätig werden und Bürgerrechte außer Kraft setzen, mutieren auf Ehrentribünen zu Vereins-Maskottchen. Wem das zu scharf ist, der will die Wahrheit beugen oder hat nichts begriffen. Er sollte einen Arzt seines Vertrauens aufsuchen, aber besser keinen Freiburger Mediziner.
Um die Schädlichkeit des Dopings aber soll es diesmal nicht gehen, man will sich ja nicht jedes Mal wiederholen. Reden wir also über einen vernachlässigten Aspekt des systemimmanenten Dopings, reden wir über: die Rolle von Journalisten. Denn, so viel Ehrlichkeit muss sein, es waren und sind ja nicht nur die Doper und Sportfunktionäre, die Mediziner und Sportpolitiker, die Sponsoren und Sportwissenschaftler, die ein flächendeckendes Dopingsystem installierten – ob nun aktiv oder durch ihr Schweigen, durch Lügen, Leugnen, Nichtstun, Feigheit, Dummheit und andere Korruptionsformen. An dieser Koalition der Schande haben auch Journalisten einen gehörigen Anteil.
Es ist bezeichnend, dass manche Redakteure das Thema erst jetzt für schlagzeilenträchtig erachten, da es in einer Boulevardsendung des ehemaligen Journalisten Reinhold Beckmann gelaufen ist. Das sagt viel über diese Branche, die sich dem Augenblickseffekt verschreibt und nicht den Inhalten. Es wird gerade wieder viel exklusives Nichts produziert. Doch vielen, die jetzt als vermeintliche Experten hektisch befragt werden, fehlt es an Fachwissen. Andere haben in der Vergangenheit, jeder an seiner Stelle, zünftig zur Verschärfung des Dilemmas beigetragen.
Verdächtig oft hört man derzeit den Satz: „Wir haben es ja schon immer gewusst.“ Doch wer bitteschön hat dieses angebliche Wissen je artikuliert? Es waren wenige. Und es sind nicht diejenigen, die jetzt behaupten, es schon immer gewusst zu haben. Wer über Jahre versucht hat, der Wahrheit näher zu kommen, hat es jetzt nicht nötig, sich zu verteidigen. Die Mehrzahl hat gejubelt, und sie hat diejenigen, die Fragen stellten, bekämpft, teilweise mit brutalen Mitteln.
Das aktuellste Beispiel dafür ist Hans-Joachim Seppelt, jener Mann, der hinter den ARD-Dopingenthüllungen steckt, obwohl er doch vor einem Jahr aus dem Senderverbund vergrault werden sollte. Die perfide Kampagne, vom damaligen Sportkoordinator Hagen Boßdorf betrieben, scheiterte, weil sie öffentlich wurde. Am Ende musste der Ullrich-Biograf, Telekom-Nebenverdienstler, Tour-de-France-Schönredner und Stasi-Zuträger Boßdorf die ARD verlassen und Seppelt wurde mit Journalistenpreisen überhäuft. Seither ist der Reporter das personifizierte schlechte Gewissen der Öffentlich-Rechtlichen. Er hat endlich die Freiräume, die guter Journalismus braucht, und er nutzt sie mit erstklassigen Beiträgen. Dass Bert Dietz ausgerechnet bei Beckmann ausgepackt und dafür wohl auch eine Menge Geld kassiert hat, ist allerdings absurd. Aber so ist das Leben. Man kann nicht alles haben.
© Berliner Zeitung, 24. Mai 2007, Leitartikel
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Wow. Pointiert geschrieben und so wahr.
Aber das ist Souveränität: Die Fahrradfahrer und ihre Ärzte übergehen das, weil sie ahnen, sie kämen schlecht weg, wenn die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf diese Zeilen fiele. Könnte sich so mancher Funktionär ein Beispiel dran nehmen ;)
SZ: Finale für Boßdorf – Verfahren gegen ehemaligen ARD-Sportkoordinator eingestellt