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Das Olympische Bildungsmagazin

Der Sport, die Politik, die Dopingopfer und der Bundesgerichtshof

Es wurde aber auch Zeit. Zum Treffen von Dopingopfern mit der DOSB-Spitze gestern in Berlin mein Kurzbeitrag im Deutschlandfunk:

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Die überarbeitete und verlinkte Variante des Beitrags folgt sofort. Zuvor aber noch einige Gedanken zur Frage: Was/wer ist eigentlich ein Dopingopfer? Die Frage ist ja seit einigen Tagen brennend aktuell, nicht nur deshalb, weil in SPD-Kreisen (Dagmar Freitag/DLV-Vizepräsidentin), Clemens Prokop (DLV-Präsident), Peter Danckert (Sportausschuss-Chef) ganz plötzlich Irritationen auftreten. Werden hier Opfer gezielt diskreditiert?

Es lohnt sich, derlei Fragen zu erörtern. Für Juristen und für solche, die es werden wollen, als Argumentationshilfe: Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 9. Februar 2000 in der Strafsache gegen den Dopingarzt und Stasispitzel (IM Jürgen Wendt) Bernd Pansold, der bei Red Bull in Salzburg für Nachwuchssportler zuständig ist.

Darin geht es vor allem um die Frage der Verjährung von Dopingtaten, auf Seite 7 wird eine Art Opfer-Definition getroffen, finde ich.

Die betroffenen minderjährigen Sportlerinnen wurden von Staats wegen unter Hintanstellung wesentlicher persönlicher Belange für staatliche Zwecke instrumentalisiert.

Weiter, und nachfolgende Passage gilt m. E. auch für erwachsene Sportler, die gedopt wurden:

Obgleich sie nicht als Systemgegner angesehen waren, vielmehr vom System als besonders förderungswürdig anerkannt waren, wurden auch sie zu Opfern des Systems, da ihnen ohne Rücksicht auf ihren Willen eine sogar ihrem Wissen vorenthaltene Aufopferung ihrer Gesundheit durch Hinnahme beträchtlicher gesundheitlicher Gefährdung abverlangt wurde.

Es ist traurig und beschämend, dass diese Frage im Jahr 20 nach der Wende noch diskutiert werden muss und neu aufgeworfen wird.

Hier nun meine Anmerkungen – sachlich, versteht sich – zum gestrigen Termin:

Die Eckdaten des Treffens am 30. Juni in der Berliner Dependance des Deutschen Olympischen Sportbundes: Das Gespräch dauerte zweieinhalb Stunden. Auf Seiten des DOSB diskutierten: Präsident Thomas Bach, Vizepräsidentin Gudrun Doll-Tepper und Generaldirektor Michael Vesper. Für die Dopingopfer sprachen: Ines Geipel, Andreas Krieger, Uwe Trömer und Bernd Richter. Geipel, Trömer und Krieger sind seit langem Wortführer der Dopinggeschädigten. Bernd Richter, ehemals Hammerwerfer beim ASK Potsdam, wurde in der DDR auch politisch verfolgt und saß im Stasi-Gefängnis.

In Kernfragen der Auseinandersetzung über den Umgang mit Dopingtätern gab es keine Annäherung. Ines Geipel: „Klar ist, dass wir zu den belasteten Dopingtrainern unterschiedliche Positionen haben. Wir haben noch mal sehr klar gemacht, dass eine Entschuldungspauschale nicht reicht. Wir bleiben dabei, dass es konkreter zugehen muss im Zusammenhang mit den belasteten Trainern.“

Die Opfer werden weiter dagegen angehen und rechtliche Mittel gegen Trainer und die Vergabe von Sportfördergeldern prüfen. Eine umfassende Eingabe beim Petitionsausschuss des Bundestages ist anhängig. Es bleibt auch bei den bereits angekündigten Protestaktionen im August rund um die Leichtathletik-WM in Berlin. „Es wird eine internationale Pressekonferenz geben. Es wird die Andreas-Krieger-Medaille vergeben werden“, sagt Ines Geipel. Damit werden wir ein deutliches Signal auch im Kontext dieser Trainerdebatte setzen. Also soviel Unabhängigkeit muss es von unserer Seite aus geben. Und das, dächten wir, erträgt der freie Sport in Deutschland auch.“

DOSB-Generaldirektor Vesper hatte sich am Montag vehement gegen eine Pressemitteilung der Dopingopfer verwahrt (hier wurde darüber diskutiert, der DOSB-General fürchtete offenbar um seine Kommunikationsherrschaft). Er machte nun im Gespräch erneut die Grundhaltung von Sport und Politik deutlich:

Unsere Position ist klar: Wir stehen gegen eine Generalamnestie für Trainer, die sich am Doping in der DDR, am Staatsdopingsystem beteiligt haben. Wir stehen aber auch gegen eine Generalverurteilung dieser Trainer für immer und ewig, sondern wir sagen: Wir möchten uns gerne mit den Einzelfällen beschäftigen und die Kommission, die wir eingesetzt haben unter Udo Steiner, sich damit befassen lassen.

(Es wäre übrigens dringend geboten, würde die Steiner-Kommission endlich sämtliche zur Verfügung stehenden Dokumente, etwa Gerichtsbeschlüsse, wahrnehmen. Die Opfer wollen wohl einige pdf-Dateien und Originale zur Verfügung stellen.)

Gleichzeitig sagt Vesper, er wende sich gegen jede Verunglimpfung von Dopingopfern, wie sie in diesen Tagen vor allem aus dem Sportausschuss des Bundestages zu vernehmen waren. Dazu hat Andreas Krieger einen persönlichen Brief an Peter Danckert (SPD/Pferdesportverband Berlin-Brandenburg/Nada-Kuratorium) geschrieben. Danckert kämpft um seine Wiederwahl in einem Ost-Wahlkreis und würde nur zu gern eine Art Sportminister werden. Seine Haltung – geschichtsklitternd? ostalgisch? populistisch auf seinen Wahlkreis zugeschnitten? – illustriert vielleicht dieses Interview im Deutschlandfunk mit Herbert Fischer-Solms:

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DOSB und Dopingopfer wollen künftig punktuell gemeinsam arbeiten. Die Opfer sollen in Präventionsmaßnahmen des Sports eingebunden werden (dieses Versprechen hatte es vor Jahren schon einmal gegeben), es soll einen Ansprechpartner beim DOSB geben, das wird wahrscheinlich der Justitiar Holger Niese sein, außerdem eine gemeinsame Beratungsstelle (mit dem DOH/auch dieses Projekt wurde vor Jahren schon einmal besprochen).

In Berlin suchten beide Seiten den Dialog, ohne sich zu verleugnen. Die Opferrente ist dabei eine zentrale Forderungen der ehemaligen Athleten. Vesper sagt: „Wir haben verabredet, dass wir uns sehr bald nach der Bundestagswahl wieder zusammensetzen. Weil eine der Fragen, die wir heute diskutiert haben, die Frage der Rentenzahlungen für schwer geschädigte Dopingopfer, diese Frage ist nicht von uns zu lösen, die ist allein von der Politik zu lösen. Und da denken wir, dass wir Gespräche führen werden nach der Bundestagswahl, wenn die neue Regierung sich gebildet hat.“

12 Gedanken zu „Der Sport, die Politik, die Dopingopfer und der Bundesgerichtshof“

  1. Das höchstrichterliche Urteil nr. 2, BGH-Ablehnung des Revisionsbegehrens von Ewald, sagt Ähnliches:

    Die mit dem Doping bewußt verursachten Gesundheitsschädigungen und -gefährdungen hatten ihren Unrechtsschwerpunkt in der Nichtaufklärung der betroffenen Sportlerinnen, die um der staatlich vorgegebenen Vertuschung willen systematisch vorgegeben war. Daher gilt für die Frage des Ruhens der Verjährung, soweit Körperverletzungen zum Nachteil erwachsener Sportlerinnen betroffen waren, nichts anderes als bei den entsprechenden Vergehen zum Nachteil Minderjähriger.

    http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/01/5-330-01.pdf

  2. „Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“
    Bertolt Brecht

    wie wahr, wie wahr

  3. Habe ein bisschen nach einer Opfer-Definition gesucht (bevor die Suche nach einer Definition fuer das Wort „Dopingopfer“ losgeht). Aber selbst das Opferentschaedigungsgesetz (OEG) definiert nicht, wer ein Opfer nach diesem Gesetz ist. Es regelt (ueberraschend fuer mich) nur, wer Ansprueche hat.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Opferentsch%C3%A4digungsgesetz

    http://www.gesetze-im-internet.de/oeg/index.html

    Nichtjuristen moegen sagen: Lappalie. Juristen koennten denken: Opfer ist kein Rechtsbegriff. Oder auch: Fuer die Entschaedigung vorsaetlich Verletzter braucht man das Wort „Opfer“ eigentlich nicht.

    Doping ist ebenso kein Rechtsbegriff, und meine einzige Idee, wo man ihn in Gerichtsentscheidungen vielleicht definiert finden koennte, sind Entscheidungen ueber Betrugstaten (Der Dopende betruegt zum Nachteil des Nicht-Dopenden). Diese Doping-Definition (Leistungssteigerung durch unerlaubte Mittel) duerfte aber fuer eine Definition fuer „Dopingopfer“ unbrauchbar sein, denn sie saehe den Dopenden als Taeter.

  4. btw: Wer eine BGH-Entscheidung wie die obige nicht zur Veröffentlichung fähig vorliegen hat, findet sie über diese Seite (das Unterstrichene über dem Namen des Gerichts ist das Aktenzeichen) in dieser Form. Heruntergeladen darf zwar nur zum nicht gewerblichen Zweck (worüber ich immer wieder kichern muss), aber ein Link dürfte in jedem Fall unverfänglich sein.

    Ähnliches findet sich bei den Landes- und Fachgerichten.

    Vielleicht ist dies ja bereits bekannt; ich staune immer wieder, wie wenig bekannt dies ist.

  5. ps: Ähm, beim BGH dann auf „Entscheidungen“ klicken (keine Ahnung, warum die url gleich bleibt).
    Und ach, diese Urteile sind natürlich anonymisiert, aber ist ja manchmal besser als gar nichts (und für eine abstrakte Diskussion wie die hier geführte auch ausreichend).

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