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Das Olympische Bildungsmagazin

Diack macht ernst: IAAF-Präsident bis ins neunte Lebensjahrzehnt

Coe, Diack, Bubka

Es gibt Momente im Leben, die sollte man einfach beschreiben. Sportpolitik wird selten so lebendig und nachvollziehbar, wie am Freitagmittag im Hotel Interconti in Berlin. Vor allem spielt sich Sportpolitik selten so öffentlich ab.

In den Hauptrollen: Lamine Diack, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF), Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sowie zwei hochdekorierte Olym­pia­sieger und Multifunktionäre – Sebastian Newbold Coe und Sergej Nasarowitsch Bubka. Coe und Bubka bemühen sich seit Jahren um die Rolle des Kronprinzen in der IAAF, die noch einflussreichere Positionen verheißt – zum Beispiel im IOC.

Am Tag vor Weltmeisterschaften in der olympischen Kernsportart treffen sich traditionell die Vorstände von IAAF und IOC. Das ist in Berlin nicht anders.

Die Pressekonferenz von Rogge und Diack ist für 12.30 Uhr terminiert. Um 12.28 Uhr betritt Sebastian Coe mit einer Beraterin den Saal. Lord Coe ist Olympiasieger (1980 und 1984 über 1500 Meter), Organisationschef der Olympischen Sommer­spiele 2012 in London und IAAF-Vize­präsi­dent. Das reicht ihm nicht. Er will IAAF-Präsi­dent werden und sich dadurch eine der ex-officio-Mitgliedschaften im IOC sichern.

Coe positioniert sich strategisch günstig im Raum. Als wenig später der Sene­ga­lese Lamine Diack in weißem Gewand durch eine Seitentür tritt, ist er routi­niert zur Stelle, wieselflink und leichtfüßig, wie einst im unwiderstehlichen Spurt auf der Zielgeraden. Schon steht Coe neben Diack, tätschelt dessen Schulter und schnattert auf ihn ein.

Coes Rivale ist der Ukrainer Sergej Bubka, Olympia­sieger 1988 im Stab­hoch­sprung, noch immer Weltrekordler, ebenfalls IAAF-Vize und zugleich IOC-Mitglied. Er kommt drei Minuten später. Coe und Bubka üben Smalltalk, posieren für die Fotografen. Die dritte Kandidatin aber fehlt: Die Marokkanerin Nawal El Moutawakel, Olympiasiegerin 1984 über 400 Meter Hürden, Mitglied in den Vorständen von IOC und IAAF, hält sich lieber im Hintergrund. Sie sitzt draußen in der Lobby und arbeitet ihre Gesprächslisten ab.

Coe und Bubka glauben, das Spiel zu beherrschen.

Der Pressetermin beginnt. IOC-Boss Rogge skizziert grob die Inhalte des gemeinsamen Meetings. Diskutiert wurde etwa über Blutprofile und Blutkontrollen. IOC und IAAF wollen mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) sicherstellen, dass künftig alle Dopingkontrolllabors Blutanalysen durchführen können. Blutkontrollen soll es auch in Afrika geben, wo derzeit zwei Labors arbeiten, in Südafrika und Tunesien. Es ist die Stunde der Versprechen, Entscheidungen sind nicht zu verkünden. „Es tut mir leid, dass ich ihnen nur gute Nachrichten überbringen kann“, sagt Rogge und grinst.

Nun ist Diack an der Reihe. Er referiert, was ihm sein Kommunikationschef aufgetragen hat, sprich über das „mystische Olympiastadion“, über das olympische Duell 1936 im Weitsprung zwischen Jesse Owens und Luz Long, deren Nachfahren bei der WM kommende Woche die Weitsprung-Medaillen übergeben sollen. Was man halt so sagt, um für die eigene Veranstaltung zu werben. Wenigstens vergisst er, über Superstars der Szene und seinen sehnlichen Wunsch nach Weltrekorden zu reden. Kein Wort zu Usain Bolt. Wenige Minuten zuvor hat die IAAF noch per Kommuniqué bestätigt, dass es auch in Berlin zwei Sponsoren für jede Weltbestmarke 100.000 US-Dollar zahlen. Weltrekorde und Stars – darauf basiert Diacks dürre Philosophie, die Leichtathletik zu verkaufen.

Plötzlich wird es spannend.

Ein Reporter fragt, ob es stimme, dass er 2011 nicht abtreten, sondern vier Jahre dranhängen wolle. Diack spricht nicht besonders gut Englisch, zudem hat man selten den Eindruck, dass er aufmerksam zuhört. Sein Sprecher Nick Davies aber hört alles. Er übersetzt dem Chef die Frage ins Französische. Dann passiert Erstaunliches: Diack antwortet in Englisch. Putzmunter teilt er mit: „Ja, das ist möglich. Mir geht es momentan gut. Wenn meine Gesundheit mitspielt, kann ich mir das vorstellen.“

Unruhe im Saal. Bubka und Coe schauen bedröppelt. Sie lachen nicht mehr. Sie haben verstanden. Zwar schiebt Diack nach, sollte er doch abtreten, stünden gewiss gute Nachfolger bereit. Doch die Botschaft macht dem ehrgeizigen Duo Sorgen. Kurz darauf, nach der Pressekonferenz, tun die Präsidentschaftsanwärter so, als könnten sie sich nicht an Diacks Worte erinnern. Bubka, der ohnehin nicht gern mit Journalisten redet, brummelt etwas wie: „Diack ist ein guter Präsident.“ Coe herrscht den Fragesteller regelrecht an: „Tatsächlich? Hat er gesagt, dass er weiter macht? Ich beteilige mich nicht an Spekulationen.“

So spekulativ scheint die Debatte nicht zu sein. Sportfürsten belieben nicht zu scherzen, wenn es um alles geht – um die Macht.

Lamine Diack, der ehemalige Weitspringer, ist stets stolz auf seine Fitness. Auf seine Manneskraft sowieso, er spricht gern von seinen fünfzehn Kindern. Beim nächsten IAAF-Kongress 2011 in Daegu (Südkorea) wäre er 78 Jahre alt, dass er dann vier Jahre bis ins neunte Lebensjahrzehnt verlängert, dürfte seit Freitagmittag geklärt sein. Unternehmungslust im reifen Alter liegt voll im Trend der Branche. Schließlich will einer von Diacks IOC-Kollegen, FIFA-Präsident Joseph Blatter, derzeit 73, in zwei Jahren ebenfalls verlängern – und mindestens bis 2015 amtieren.

Diack kam im November 1999 ins Amt. Nach dem Tod des langjährigen IAAF-Chefs Primo Nebiolo führte er den Verband zunächst interimsmäßig. Im Sommer 2001 wurde er in Edmonton zum ersten Mal regulär gewählt. Er hat seinen Laden im Griff – aber er setzt inhaltlich kaum Akzente. Gewiss, die IAAF investiert relativ viel Geld in die Entwicklungshilfe. Ansonsten aber dominiert Diacks hohles, von Superlativen gespicktes Gerede.

Helmut Digel, IAAF-Councilmitglied, hat Diacks Ankündigung, sich nicht vom Chefsessel trennen zu wollen, live miterlebt. Er schüttelt den Kopf. Allerdings mag er auf die Bitte, die Ära Diack zu umschreiben, keine Antwort geben. Er hat den Chef zu oft kritisiert, er will seine Zeit in der IAAF stressfrei ausklingen lassen. „Ich habe meinen Frieden mit ihm geschlossen“, sagt Digel.

Das können andere noch nicht behaupten. Coe, Bubka und El Moutawakel müssen die neue Lage erst einmal analysieren.

* * *

Erschienen in der Berliner Zeitung: „Erbschleicher unter sich“

12 Gedanken zu „Diack macht ernst: IAAF-Präsident bis ins neunte Lebensjahrzehnt“

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  3. SZ-Kommentar von Thomas Kistner: Cash um jeden Preis

    Auch den Entscheid für die IEC-Offerte traf der 76-Jährige wohl im Alleingang, ohne das Council zu befragen. Nun will er wieder antreten, um 2012 vom IAAF-Thron direkt ins Präsidentenamt von Senegal zu wechseln.

  4. Michael Reinsch in der FAZ (05.05.): Finanzkollaps befürchtet

    Der IAAF droht darüber allerdings die Puste auszugehen. Von Ausgaben von 70 Millionen Dollar und nur 47 Millionen Dollar Einnahmen wollen manche Fachleute beim IAAF-Budget wissen, das von hohen Personalkosten und ehrgeizigen Entwicklungsprojekten geprägt ist.

  5. Joachim Mölter in der SZ: Auf dem Weg ins Abseits

    Wenn sich die europäischen Funktionäre nicht schleunigst auf einen Kandidaten einigen und dessen Unterstützung organisieren, droht der Leichtathletik eine düstere Zukunft.

  6. Bei Diack gibts eben auch „vielfältige Lebenssachverhalte“. Es ist bitter, dass die europäischen Mitgliedsländer der IAAF, kaum mehr Einfluß haben. Ein Afrikaner an der Spitze, jährliche Millionen-Einnahmen und das Prinzip „One-Country-One-Vote“ ist eine brisante Mischung. Das Einzige was stört ist die Leichtathletik.

  7. Na ja, „die Europäer“ haben es auch selbst verbockt. Bubka und Coe, um nur zwei Beispiele zu nehmen, sind ja „Europäer“, nur interessieren sie sich in der IAAF bloß für die eigene Karriere. Ich meine, Coe ist bis 2012 gut ausgelastet, und man kann nicht sagen, diesen Job mache er nur für sich. Aber in der IAAF hätte sich, wenn denn jemand interessiert ist, längst schon eine Art Oppositionsführer profilieren können; oder besser: überhaupt jemand profilieren. Weit und breit: nichts. Bis auf Nawal, die noch ein wenig im Hintergrund abwartet und sich gerade profiliert.

    Ansonsten gilt natürlich, dass die Politik anderswo gemacht wird, die Welt ist groß und Europa nur ein Teil. Was aber europäische Funktionäre nicht davon befreit, Profil zu zeigen und Mehrheiten zu organisieren, wenn sie denn Profil haben.

  8. Wenn ich die Printmedien richtig verfolgt habe, hatte die „Süddeutsche“ bereits vor fast vier Wochen in der Print-Ausgabe (nicht online) die Wiederwahl-Absicht von Diack verkündet. Die einzige europäische Reaktion auf diesen intern schon längst bekannten Schritt des Senegalesen war vor einer Woche die Ankündigung des Euro-Verbands EAA, einen „offenen Brief“ an die IAAF richten zu wollen. Er soll die IAAF ermahnen, zum einen den von Diack in Unordnung gebrachten Verbandsetat auszugleichen und zum anderen die TV-Vertragssituation (IEC statt EBU) zu überdenken. Sicher, dieser o. Brief ist ein bisher nicht dagewesener Vorgang, aber echter Widerstand gegen den drögen Diack sieht anders aus. Die seit Jahren latente Animosität zwischen IAAF und EAA hat dazu geführt, dass die Europäer ihr Eigenleben von Mal zu Mal stärker gepflegt haben, statt eine realistische Opposition inkl. Gegenkandidaten aufzubauen. Weder der Lackaffe Bubka noch der Lord aus London trauen sich – aus opportunistischen Gründen -, gegen Diack anzutreten.
    Die EAA hat die gefährliche Situation für die europäische Leichtathletik zwar erkannt und hat auch gute Ideen, wie dagegen anzugehen wäre, aber sie hat „keine Eier“, wie Olli Kahn zu sagen pflegt, um die Lage in Zusammenarbeit mit der IAAF zu verbessern. Opa Diack wird nach seiner Wiederwahl 2011 noch zwei Jahre weitermachen, dann Bubka als seinen Nachfolger präsentieren und sich dann nach Dakar verabschieden. Das eine ist so übel wie das andere. Prost Mahlzeit, Leichtathletik!

  9. Klingt zwar großkotzig, ist aber wahr: Dass das jährliche Defizit 20 Millionen beträgt und folglich 20 Millionen gestrichen werden müssen, habe ich bereits am 9. April im Deutschlandfunk berichtet:

    Im Leichtathletik-Weltverband IAAF rumort es gewaltig. Es geht ums Geld. Die einen behaupten, der Verband stehe vor dem finanziellen Kollaps – die anderen sagen, die Zukunft sei mit Sparmaßnahmen gesichert.

    Wie kritisch ist die Lage der IAAF? Fakt ist: Die Einnahmen aus Fernseh- und Sponsorenverträgen sind in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gesunken. Andererseits wurde der IAAF-Etat enorm aufgebläht, so dass es längst an die Rücklagen geht. Die Hallen-WM kürzlich in Doha wurde in Europa kaum übertragen – in den einstigen Kernmärkten Großbritannien und Deutschland gab es keine Bilder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Im vergangenen Herbst schloss die IAAF unter ihrem senegalesischen Präsidenten Lamine Diack einen TV-Vertrag mit der schwedischen Vermarktungsagentur IEC. Der langjährige Partner EBU, die Vereinigung öffentlich-rechtlicher Anstalten, wurde ausgebootet.

    Auf der Council-Sitzung in Doha mahnte IAAF-Schatzmeister Jean Poczobut aus Frankreich, wenn der Verband so weiter mache, müsse er innerhalb von vier Jahren Konkurs anmelden. Nach Informationen, die dem Deutschlandfunk vorliegen, betrug das jährliche Defizit zuletzt rund 20 Millionen Dollar. Die Rücklagen, angehäuft unter dem langjährigen Präsidenten Primo Nebiolo, sind demnach bald aufgebraucht.

    2009 wurde erstmals ein Sparkurs gefahren. Doch die Einnahmen sinken weiter. Sponsoren und TV-Stationen haben kaum Interesse an der Leichtathletik, die Zuschauerzahlen sind exorbitant rückläufig, wie ein Vergleich der Quoten der WM 2003 in Paris und der WM 2009 in Berlin zeigt: Demnach sanken die absoluten Zuschauerzahlen weltweit um mehr als 40 Prozent, in Europa um rund 30 Prozent.

    Im Mai soll es eine Council-Sondersitzung zum Finanzproblem geben. IAAF-Sprecher Nick Davies erklärte, die Lage sei besser, als zuletzt vor allem in englischen Medien beschrieben. Da war von einer drohenden Apokalypse die Rede. Und dies im Jahr, da die neue Diamond League eingeführt wird. Diese Liga der 14 Edel-Meetings wird in Deutschland auf Sport1 zu sehen sein – das Istaf in Berlin aber gehört nicht zur Diamond League. Noch wird verzweifelt nach einem Titelsponsor gefahndet, auf dessen Millionen die IAAF dringend angewiesen ist. Künftige WM-Ausrichter sollen eine Gebühr von 20 Millionen Dollar an die IAAF zahlen, so eine Idee, über die in der Szene erbittert debattiert wird.

    Die führenden deutschen Funktionäre sind sich einmal mehr uneinig über die Gründe der Misere. Während IAAF-Councilmitglied Helmut Digel zuletzt bei der Hallen-WM die Fernsehanstalten wegen des mangelnden Interesses kritisierte, argumentierte DLV-Präsident Clemens Prokop, die IAAF sei Schuld am TV-Desaster.

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