Zum Inhalt springen

Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, Tag 17

10.48: She did it again. „Das Lustige bei den 50 Metern ist, du hast keine Schmerzen“, sagt Britta Steffen. Was jetzt noch kommen kann? „Nichts. Urlaub.“ Dann überlegen. Analysieren. „Ich weiß noch nicht, ob es das Ende ist.“ Wenn, dann war es ein sehr schönes Ende.

12.10: Immer noch Wasserwürfel, Laptop auf den Knien, Notizbuch vor dem Bauch, Kamera zu Füßen, Aufnahmegerät arbeitsbereit auf dem Rucksack postiert. Ein schöner Job. Konnte gerade eine Woche im Zeitraffer passieren lassen: Pressekonferenz mit Britta Steffen, Gespräch mit Norbert Warnatzsch, PK mit Dara Torres (es flossen Tränen) – und in fünf Minuten kommt The Big M, der es tatsächlich geschafft hat. Acht Mal Gold. Beifall von den Reportern. Da kommt The Big M, die Legende. Und tatsächlich: Er atmet schwer durch. Die Australierin Leisel Jones hat übrigens gesagt, ihr Höhepunkt sei es hier gewesen, Michael Phelps beobachten zu dürfen. The Big M sagt gerade, er sei sprachlos. Dann erzählt er trotzdem, wie es so war im Pool und überhaupt.

15.37: Ein aktueller Text zu den Befindlichkeiten von Britta Steffen und Norbert Warnatzsch.

18.10: Ein letzter (?) Beitrag aus Peking zu The Big MMichael Phelps.

18.32: Niemand kann mehr arbeiten. Die Inder ziehen ein, vielleicht auch Pakistani, wie ein Kollege vermutet. Egal: Wenn zwei Dutzend von ihnen brüllen und lamentieren und in ihre Telefone schreien, ist das irgendwie blöd. Bin genervt, mache den Kameraden das auch klar. Nach zwanzig Minuten ist der Spuk vorrüber. Von der Ruderstrecke kommen wenig später die Kollegen H und E, sie sind noch schlimmer genervt, weil sie jubelnde und feiernde und küssende und lobhudelnde Sportreporter aus aller Herren Länder nicht ertragen. Als sie davon erzählen, brüllt am dreißig Meter weiter die nächste Horde. Irgendwas ist passiert. Irgendeine von 915 Medaillen gilt es zu feiern.

19.10: Das Programm heute, nicht nur eigentlich, sondern echt wahnsinnig: Wie soll man das nur aushalten, von Bolt zu Phelps in wenigen Stunden – und dann auch noch halbwegs sinnvoll drüber schreiben. Ziemlich viel Wundersames auf einmal. Ziemlich viel für einen, Journalisten sind auch nur Menschen. Habe selten so viele Kollegen über einen 100-Meter-Lauf schimpfen und kopfschütteln und wettern sehen und hören. Bin mal gespannt, ob sie es auch so rüberbringen. Denn eins ist ja auch klar, das beobachte ich schon seit Jahren: Gemeckert wird viel, unter uns, sie wissen schon, ganz schlimm dies und das und überhaupt, denen ist doch nicht zu trauen … und wenn man dann nachliest oder nachschaut, was so fabriziert wurde über diesen und jeden vermeintlich skandalösen Vorfall, kommt man ins Grübeln. Da stehen dann meist ganz andere Texte, und man denkt, man sei im falschen Film gewesen.

19.12: Vielleicht führt das jetzt ein bisschen zu weit, aber einen Beitrag von Thomas Hahn zur Rolle des Sportjournalismus bei politischen Spielen wollte ich schon vor Tagen verlinken. Mache ich es halt jetzt. Es geht ja nicht nur um die politischen Spiele, sondern vor allem darum, ob wir dem Schauspiel überhaupt glauben können.

(…) Journalistisch betrachtet ist der Sport ein besonderes Ressort. Manche behaupten sogar, ein besonders schwieriges Ressort. Er ist ein Ressort zwischen Unterhaltung und Wahrheit. Wir schauen in den Fernseher und glauben, dort den Sport zu sehen. In Wirklichkeit sehen wir nur den kleinen, flimmernden Ausschnitt von dem Sport, der unser Grundbedürfnis nach Zerstreuung befriedigt. Es gibt Sportjournalisten, denen dieser Ausschnitt reicht. Die haben es einfach. Die vergessen die Welt ums Stadion und alle Einflüsse, die hinterfragen wenig und folgen gehorsam dem Schauspiel. Diese Sportjournalisten sind die willkommenen Helfer der Sportunterhaltung und der Industrie, die um den Sport entstanden ist. Durch sie funktioniert der Handel mit künstlichen Mythen und Heldengeschichten immer präzise und ohne Widerrede. Durch sie wird der Sport zu einer nicht ganz billigen, aber höchst effektiven Werbebühne für Wirtschaft und Politik. Weil in ihrer Berichterstattung der Sport zuverlässig als Schauplatz positiv belegter Werte wie Jugendlichkeit, Fairness oder Völkerverständigung erscheint und immer unbelastet bleibt von irgendwelchen politischen oder sonst wie kritischen Aussagen. Schließlich sehen diese Sportjournalisten im Sport nur den Wettkampf, keine Ausdrucksform mit Inhalt, wie sie etwa das Theater darstellt. Der Sport ist in ihren Berichten schön und doof.

Kompliziert wird die Aufgabe des Sportjournalisten erst dann, wenn er versucht, die Wahrheit zu dieser ganzen Helden- und Mythenindustrie darzustellen. Wenn er feststellen will, ob die Heldengeschichte wirklich eine Heldengeschichte ist oder nur der Geschäftsgang eines fachmännisch gedopten Profis. Der Sportjournalist wird erst dann richtig gefordert, wenn er den Sport auch inhaltlich bewerten will. Wenn er den Sport nicht nur als plumpe Massenunterhaltung sieht und ihn entsprechend bewertet. Wenn er für das Publikum sozusagen die Unterscheidung zwischen gutem Sport und schlechtem Sport treffen will. Zwischen einem Sport also, der tatsächlich Ausdruck authentischer menschlicher Bewegungskultur ist und sich nur im Rahmen seiner gesellschaftlichen Verantwortung – etwa im Sinne universeller Menschenrechte – als Werbebühne benutzen lässt. Und einem Sport, der alles kommerziellen Interessen unterordnet.

Sport ist Geschäft, an dem viele so genannte Partner hängen, vor allem die Sportartikelindustrie und höchst potente Sponsoren. Die Sportverbände sind Unternehmen mit streng hierarchischen Strukturen, die dafür Sorge tragen, ihr Produkt – den Sport – durch Handel zu fördern. Dieser Handel kann im Sinne eines guten Sports ablaufen. Oft aber befördert er vor allem den schlechten Sport. Kommerzialisierung und Politisierung sportlicher Leistung haben dazu geführt, dass Manipulationen aller Art gerade die olympische Geschichte geprägt haben und weiterhin prägen. Welche Rolle die Lobbyisten dabei den Sportjournalisten zuschreiben, ist klar: Die Sportjournalisten sind erwünscht, sie werden sogar gebraucht, aber natürlich sollen sie in ihren Berichten ganz im Rahmen des kleinen Ausschnitts bleiben, der ins Format einer emotionsgeladenen Traumfabrik passt.

Man kann dabei durchaus den Eindruck bekommen, dass der Sport seine eigene Pressefreiheit pflegt: Die Presse ist frei, solange ihre Berichte dem Sport dienen. Der Blick über den Tellerrand hinaus aber, die kritischen Fragen im Sinne der Wahrheitsfindung, die übrigens der Glaubwürdigkeit des Sports dienen, sind auf höchster sportpolitischer Ebene bestenfalls geduldet. Eher muss man in vielen Fällen sagen: Sie sind nicht erwünscht, werden abgetan und von den verbandseigenen PR-Strategen abgewehrt, weil sie, wie man immer wieder hört, „nicht positiv für unseren Sport“ seien und man Sport und Politik trennen müsse. Das zeigt die Erfahrung. (…)

19.57: Ich bin eben ein Vollprofi. Bevor ich zu den Halbfinals der Sprinterinnen vom MPC rüber ins Stadion flitze, gehe ich kurz noch Essen. Kein Problem, ist ja Zeit, Vollprofi hat sich schließlich im Infosystem schlau gemacht. Als er wieder hochkommt vom Schnellimbiss, muss Vollprofi allerdings erkennen, dass die Halbfinals ohne ihn stattfanden. Denn ich habe am falschen Tag nachgesehen, gestern statt heute, und Frauen und Männer habe ich auch verwechselt. Aber sonst, ich schwöre, stimmt manches an meinen Geschichten.

20.36: Nicht übel, der Blick. Habe drei Plätze allein für mich, ich entscheide mich für Aisle 210, Row 02, Seat 06. Das darf jetzt nur niemand vom IOC oder der IAAF lesen, sonst kriegen die noch mit, dass die Chinesen die Pressetribüne doch sehr großzügig dimensioniert haben. Aber im nächsten Jahr bei der WM ist das sowieso alles anders. Im Berliner Olympiastadion fürchten sich alle vor den legendär schlechten Arbeitsbedingungen. Jetzt sind es nur noch zwei Plätze. Der Kollege L kommt gerade von nebenan, vom National Indoor Stadium und dem Turnen hinzu, er will auch mal Leichtathletik gucken.

20.45: Das mit der Hitze im Olympiastadion, ich sagte es bereits gestern oder vorgestern, haben die Chinesen übrigens auch gedeichselt. Geht in Ordnung. Es hat sich doch merklich abgekühlt jeden Abend, kein Vergleich zu den monsunartigen Verhältnissen bei der Eröffnungsfeier.

21.53: Haben die Chinesen gar nichts mehr im Griff? Erst Hitze, dann Regen, nun ein Stürmlein. Es wird kalt. Ich brauche eine Sportjacke.

21.57: Lopez Lomong hat sich im Halbfinale über 1500 Meter verabschiedet. Er wurde Letzter.

22.01: Bevor es wieder ernst wird mit dem Sprintfinale, schnell noch ein sportpolitisches Kleinod, betr.: Meine spezielle Freundin Fani Halkia, die auf meiner Flop-Liste von Athen 2004 auftauchte. Schon damals war klar: Sie ist eine Betrügerin, eine Lügnerin, eine Doperin. Nun ist sie endlich aufgeflogen. Kleiner Auszug aus einer Meldung des Sportinformationsdienstes:

Seit vier Jahren lief bei ihr der Verdacht mit, jetzt ist Olympiasiegerin Fani Halkia den Jägern tatsächlich ins Netz gegangen – als vierter Dopingfall der Spiele von Peking. Der positive Test der griechischen Goldmedaillen-Gewinnerin über 400 m Hürden von Athen, den Kontrolleure im Auftrag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) vornahmen, stammt aus dem vorolympischen Trainingslager in Japan. Das Vertrauen in den ohnehin angeschlagenen griechischen Sport dürfte damit endgültig dahin sein. (…) Die Wunderdroge der Griechen hieß und heißt offenbar Methyltrienolon. Seit März wurden inklusive Halkia 19 Athleten positiv getestet, darunter elf Gewichtheber, und fast alle hatten das anabole Steroid genutzt. (…) Halkia reagierte mit Fassungslosigkeit. „Ich dachte erst die Nachricht sei ein Witz“, sagte sie in der Nacht zu Sonntag und fügte hinzu: „Ich werde nicht akzeptieren, dass da krankhafte Menschen sind, die mich sabotieren wollen.“ Aus dem Olympischen Dorf musste die 29-Jährige umgehend ausziehen.

Ich sehe in diesem Fall nur einen „krankhaften Menschen“, um ihr Vokabular aufzugreifen: Fani Halkia.

22.13: Auch Weltmeister Bernard Lagat ist über 1500 Meter rausgeflogen.

22.35: Drei Jamaikerinnen vorn im Sprint. Das hat es bei Olympischen Spielen noch nie gegeben, auch nicht von DDR- oder US-Frauen. Die wichtigsten Fakten auf die Schnelle: Die Siegerin Shelly-Ann Fraser ist erst 21 Jahre alt, wie Usain Bolt. Wie Bolt lief auch Fraser zwanzig Hundertstel Sekunden voraus. Sie gewann in persönlicher Bestzeit von 10,78 Sekunden. Nach einigen Minuten setzte die Jury nach der Auswertung des Zielfotos Sherone Simpson und Kerron Stewart mit je 10,979 Sekunden gemeinsam auf Rang zwei. Schneller als Shelly-Ann Fraser waren in der olympischen Geschichte nur zwei Frauen: Florence Griffith-Joyner (1988) und Marion Jones im Jahr 2000 in Sydney. Während Griffith-Joyner, 1998 mysteriös im Schlaf gestorben, noch als olympische und Weltrekordlerin geführt wird, als Olympiasiegerin natürlich auch, wurden Jones alle fünf Sydney-Medaillen aberkannt. Shelly-Ann Fraser trägt Zahnspange. Sie hat ihre Bestzeit binnen eines Jahres um 0,53 Sekunden verbessert. Wow! Da darf man ruhig mal ein Ausrufezeichen setzen.

41 Gedanken zu „Peking, Tag 17“

  1. Grad im ARD-Studio… Herr Antwerpes holt den Schampus raus und möchte mit Gold-Britta anstoßen, trinkt dann allerdings allein den edlen Tropfen – „Ich trinke gar keinen Alkohol – schmeckt mir nicht.“ – „Oh, aber dann stoßen wir an.“ – „Kann ich das Wasser nehmen…?“

  2. „Beifall von den Reportern.“
    Aha. Ich bin ja nur für den Lokalteil in meiner Stadt unterwegs, aber da klatsche ich eigentlich nur, wenn die lieben Kleinen eine Schulaufführung zeigen.

  3. freut mich wirklich für britta steffen – aber auch für den stand deutschlands im medaillenspiegel… vor ein paar tagen bin ich aus meinem USA-urlaub zurückgekehrt und mir ist eins aufgefallen: sämtliche nationen und auch die offizielle olympia website ordenen den medaillenspiegel nach gewonnenen goldmedaillen usw. AUSSER in den vereinigten staaten! sowohl NBC, die new york times und los angeles times sehen die USA an der spitze des medaillenspiegels!!! grund: hier erfolgt das ranking nach gewonnenen gesamtmedaillen und da steht man noch vor china!

    Hat dieser „zweite“ medaillenspiegel irgendeine bewandnis, ausser dass dadurch die eigene nation im besseren licht dasteht?!

  4. Steffen ist vor allem eins: das einrücklichste Indiz, dass „project believe“, zu dem dieser Sport mutiert ist, wirkt, wenn es um die eigenen Athleten geht. Hirndoping mit einer Psychologin? Steffen ist 1,43 sec. schneller als Otto vor 20 Jahren, das über 50 Meter, auch schneller als Inge de Bruin bei ihrem OR. Nein, Olympia ist die zu besichtigende Kultur der Entgrenzung, meinetwegen der talentiertesten Responder auf Substanzen, die wir wahrscheinlich gar nicht alle mit Namen kennen. Führt auf anderer Ebene gerade wieder unser deutscher Sportführer vor, um mal wieder an das Motto über dieser Seite zu erinnern:
    Der Verlauf, zitiert dpa, „bestätige die Entscheidung des IOC, die Spiele an Peking vergeben und auch in stürmischen Zeiten immer zu den chinesischen Gastgebern gestanden zu haben, erklärte Bach.“ Passt alles zur Freakshow.

  5. @bjoern
    Den Medaillenspiegel nach Gesamtmedaillen zu ordnen hat keinerlei Bewandnis außer der, dass er meiner Meinung nach fairer mit den Sportlern umgeht, die „nur“ Silber- und Bronze-Medaillen geholt haben. Und die Amis (und Kanadier) machen das schon lange so, nicht erst seit 2008. Am schönsten sind natürlich die Spiegel, die man selbst ordnen kann.

  6. Die Bedingungen in Berlin sind schlecht? Selbst nach dem Umbau? Merkwürdig…aber eine generelle Bemerkung-die Einblicke in Ihre(deine) Arbeit sind wirklich ganz großer Sport-wenn auch Koffein-gedopt. ;)
    Und die 100m gehen mir immer noch nicht aus dem Kopf…das wäre ohne Jubel und ohne Posen und ohne Tempo rausnehmen ein Rekord für die Ewigkeit geworden, da bin ich felsenfest von überzeugt. Werden Weltrekorde, die von nachweislich gedopten Sportlern erlaufen/erschwommen/errudert etc wurden eigentlich aberkannt oder nur die Medaillen?

  7. Die Rekorder werden gelöscht. War damals jedenfalls bei Ben Johnson der Fall. Problematisch würde es nur, wenn es zu viele beträfe… :)

  8. Auch die Weltrekorde sind futsch. Sonst wäre bis 1999 immer noch der gedopte Ben Johnson Inhaber des Weltrekords gewesen.

  9. Mich würde ja interessieren wo sich so ein Mr. Hyde seinen Schuss setzt? Und wer entsorgt danach die Spritzen und Beutel?

  10. Etwas für Freidenker(, aber bitte vor dem Lesen bitte erst einmal Extremosan nehmen – Danke !)
    http://www.brandeins.de/ximages/573695_044b10108e.pdf

    Ein Auszug aus deinem Interview mit Markus Pawelzik, Mediziner, Psychiater und Philosoph.

    Novy: Sie haben dargelegt, wie die Logik des Leistungssports unerbittlich auf Doping zutreibt. Aber was ist denn Ihre Alternative? Hier geht es ja ums Grundsätzliche, es geht auch um Moral. Was Sie jetzt sagen, das klingt, als sollte man die Dämme brechen lassen, weil die Macht des Faktischen das gebietet. Meinen Sie das?

    Pawelzik: Nein, man muss jetzt die Argumente, die gegen Doping sprechen, einmal unter die Lupe nehmen. Das erste Argument lautet immer, Doping schadet den Athleten. Das ist absolut nicht haltbar. Ein sozusagen medizinisch uninformiertes Doping kann natürlich erheblich schädlich sein. Aber wenn man einfach mal daran denkt, dass Sie nach einem komplizierten Beinbruch und langer Immobilität erheblichen Muskelverlust erleiden, und dass man ihn ganz selbstverständlich mit anabolen Stereoiden, das sind genau die Mittel, um die es meistens geht, hilft, in kürzerer Zeit mit Physiotherapie wieder Muskeln aufzubauen. An dem Beispiel können Sie sehen, dass die anabolen Stereoiden per se nicht besonders schädlich sein können.

    Novy: Wie ja auch so manches andere, was die Medizin verschreibt. Aber was ist mit der Unfairness, wenn sich der Athlet über den anderen steigern kann durch Medikamente?

    Pawelzik: Vielleicht noch eine ganz kleine Bemerkung. Der Sport selber ist in vielen Fällen in hohem Maße schädlich, das wollte ich an dieser Stelle noch einfügen. Das Fairplay-Argument ist in dem Moment hinfällig, wenn das Dopingverbot fällt oder aber, wenn die Mehrzahl ohnehin dopt. Übrig bleibt das einzig wirklich interessante und gleichzeitig vage Argument, das auf den Ethos des Sports hinauswill.

    Novy: Also die grundsätzliche Grenze?

    Pawelzik: Genau. Sport, so wäre die Idee, ist gut für unsere Gesinnung und Zivilisation, und man sollte diesen Sportgedanken nicht zur Disposition stellen.

    Novy: Als Idee?

    Pawelzik:Als Idee. Und da würde ich sagen, die herrschende Idee, die herrschende Praxis hat das schon lange ab absurdum geführt. Ich habe nichts dagegen, die Idee wiederzubeleben. Nur, wenn man das täte würde die Gladiatorenvariante des modernen Leistungssports zur Disposition stehen. Da muss man sich einfach klar machen, dass das enorme wirtschaftliche Interessen sind, die dahinter hängen. Da wäre ich sehr skeptisch, ob das gelänge, so dass ich unter dem Strich sagen würde, es ist allemal fairer, das Doping in einer medizinisch kontrollierten Form zu erlauben. Vor allem dann, wenn man es den Unterprivilegierten dieser Erde auch ermöglicht, auf diese Weise an der Konkurrenz an fairer Form teilzunehmen.

    Novy: Vielleicht wäre ja eine Extra-Olympiade, für jeden eine mit und eine ohne Doping die Lösung. Das war Markus Pawelzik über Doping und Doppelmoral.

  11. @ trebor: ich sitze zwar im stadion, habe aber nichts wirklich gesehen – stimmt das mit der zahnspange bei frau Fraser?

  12. Apropos Zahnspangen…SNIP (Claudia Lepping, Berliner Redaktion, Stuttgarte Zetung)

    Für die Leistungsschau der Athleten investieren Wissenschaft und Pharmaindustrie Millionen in die Athleten. Vor etwa zehn Jahren wunderten sich viel zu wenige darüber, dass US-Sprinter im zarten Alter von 35, 36 Jahren plötzlich Zahnspangen trugen. Der Grund: Durch Hormondoping begannen auch die Kiefer wieder zu wachsen und lockerten sich die Zähne. Später zuckten allzu wenig die Achseln, als eine Sprinterin schwanger wurde, um nach drei Monaten abzutreiben – weil da der Grundstock des Hormonspiegels fürs Doping optimal erschien. Worüber werden sich die Beobachter bei Olympia in China wundern? Allein in der Leichtathletik sind zwei Dutzend heiße Kandidaten für eine olympische Medaille wegen Dopingsperren nicht am Start; viele aber sind nach langjährigen Sperren erstmals wieder dabei. Dass sie dabei sind ist alles, zeigt alles.

  13. Habe gerade noch einen aktuellen Artikel zum Sprint geschustert. Reine Zahlenspiele, aber interessant, finde ich. Wenn die IAAF nicht lügt auf ihrer offiziellen Webseite, steigerte sich Fraser in einem Jahr um 0,53 Sekunden – wohlgemerkt auf 100 Metern. Ihre 10,78 sind nur von Griffith-Joyner 1988 (10,62 in Seoul) und Jones (10,75, inzwischen getilgt) in Sydney unterboten worden bei Olympia.
    Und dann die Zahnspange, sorry. Aber man kann es natürlich auch auf außergewöhnliches Talent und superleichtes Schuhwerk und solche Sachen zurückführen.

  14. @bjoern:

    ich habe jetzt nicht die hefte zur hand, kann mich aber erinnern, dass der medaillenspiegel in den olympiaheften in der ddr auch so aufgeteilt wurde. manchmal zählte man auch die vierten und weiteren plätze mit.
    ich finde das auch fairer, wobei der grund für die aufteilung in der ddr ja mit fairness nichts zu tun hatte. da stand man einfach etwas höher über dem klassenfeind… nun ja, ob das in den staaten etwas mit fairness zu tun hat ;-)

  15. Wobei ich die Zahnspange jetzt nicht als Hauptgrund für mein ungutes Gefühl gelten lassen möchte.

  16. @Jens Weinreich: Nur weil ich mich durch Ihr „Aber man kann es natürlich auch auf außergewöhnliches Talent und superleichtes Schuhwerk und solche Sachen zurückführen.“ angesprochen fühle:
    Nein, das kann man nicht. Im Gegensatz zu Bold hat Fraser eben nicht schon als Jugendliche ihre Konkurrenz dominiert, sämtliche JWR gebrochen und JWM gewonnen. Sie ist wie Bernard, die griechischen Sprinter und die Armee von amerikanischen Sprintern mit auffallend schlechter Haut aus vergangenen Jahren eben kein außergewöhnliches Talent, sondern Kai aus der Kiste mit allen Indikatoren: plötzliche Leistungsexplosion im Erwachsenenalter und passend zum Saisonhöhepunkt, Zahnspange, etc.
    Außergewöhnliche Talente aus deutscher Sicht sind Raphael Holzdeppe und Kimberly Jess. Nicht talentiert im Maße von Bold, aber gut genug, um in den nächsten paar Jahren 6m bzw. 2m+ zu überspringen, ohne dass man sofort laut schreiend zur NADA laufen müsste. Das muss man doch differenzieren können.

  17. man kann als sprinter viel trainieren.
    aber eine halbe sekunde schneller in nur einem jahr sind in dieser leistungsklasse ‚legal‘ nicht drin! und: da gab es doch auch mal eine junge russin. wo ist die denn hin?!

  18. @ nabab: habe die hefte auch nicht zur hand, wenn ich es nicht vergessen habe, wurden immer punkte für die platzierungen 1-8 vergeben. so wie die iaaf bei weltmeisterschaften auch ihre nationenwertung führt. und da errechnete sich halt ein punktestand, der gern als beleg für die von den medaillen mitunter abweichende rangfolge genommen wurde. auf diese weise rechnete sich nach der wende der DLV immer die wm-platzierungen schön, bis von den 15 werfern im team alle vergreist waren. dann waren plötzlich medaillen und punkte weg.
    @ bernemmer löwe: Bolt heißt er, nicht Bold. aber das ist schon verziehen :)
    der unterschied ist mir schon klar. ich glaube es dennoch nicht und habe meine gründe.

  19. fred, meinst du die weißrussin Julia Nesterenko? olympiasiegerin von athen, auch mal doping-auffällig gewesen. war heute dabei, ausgeschieden als fünfte im halbfinale. wieder zurecht gestutzt. vielleicht auch geschockt vom fall Halkia und anderen.

  20. jens, ich bin mir nicht sicher.
    meiner erinnerung nach war sie jünger und wohl auch juniorenweltmeisterin. aber auch hier war der leistungssprung seltsam ….

  21. Nur mal so am Rande: Was haben die britischen Bahnradfahrer (und britischen Radlerinnen auch auf der Straße) denn so gefrühstückt, dass sie alle in Grund und Boden fahren?

  22. Die haben die Olympischen Spiele 2012 gefruehstueckt. Mit Aussicht auf London hat eine nationale Mobilmachung eingesetzt, die, wie bei allen anderen Gastgebern auch, das Ziel hat moeglichst viele goldene Medallien zu behalten. Dazu hat man a) ein System eingefuehrt, dass dem der Deutschen Sporthilfe aehnelt und b) geschaut in welchen Disziplinen man absahnen koennte in vier Jahren. Eine dieser Disziplinen ist halt das bahnradfahren, aber es gibt wohl auch Gedankenspiele einige der erfolgreichen Boxer dafuer zu bezahlen Amateure zu bleiben. Also ist das Konzept nicht voellig unaehnlich zu dem der Chinesen, die sich ja zum Beispiel sehr aufs Gewichtheben konzentriert haben. Und den Rest, den kann man sich halt denken…

  23. bin ja selber schuld, aber da habe ich doch beim zusehen (bin halt auch ein abhängiger) gestutzt: 400 Meter der Frauen?,Christine Ohuruogu und Anastasiya Kapachinskaya, ja waren schon gesperrt, aber man muss ja nicht immer die überforderte wada rufen, zuerst würde ich einfach mal hinsehen.

  24. Wäre es denn eine Lösung, Dopingsünder lebenslang zu sperren, damit die nicht nach ein, zwei Jahren wieder oben dabei sind? Wäre das vielleicht Abschreckung?

  25. @ Löwe
    Ich merke schon, wir werden hier Kumpels. :-)

    Freut mich wirklich sehr, dass innerhalb des ganzen Wahnsinns noch jemand darauf schaut, was zumindest doping-intern erklärbar ist und was (weil albern) nicht.

    Dass Bolt und Fraser nicht vom gleichen Stern kommen (auch wenn ihrer beider Heimatsterne weit entfernt von der Erde sind), scheint mir (und dir ja wohl auch) offensichtlich.

  26. Ein Foto aus dem Jahr 2007
    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bb/Emma_Snowsill_1.JPG

    „95 Prozent aller Ausdauerleistungen kann man vergessen!“

    „Erwischt werden nur Idioten.“ (Prof. W. Franke)

    Weltklasse-Triathlet Faris Al-Sultan kann sich vorstellen, nach dem Ende seiner aktiven Karriere Dopingmittel auszuprobieren. Auf die Frage, ob er es reizvoll fände, einmal zu sehen, was noch aus seinem Körper rauszuholen sei, sagte der Ironman-Hawaii-Sieger von 2005 in einem Interview mit der „Welt“: „Auf jeden Fall. Das hat sich doch jeder Sportler schon mal überlegt.“ Am Ende seiner Karriere würde er „das anmelden“. Er gehe „zu denen hin und sage: „Hey, ich bin jetzt voll. Ich habe ein paar Ampullen von dem russischen Kampfpiloten-Amphetamin im Blut. Alle Schalter im Hirn sind auf Go gestellt. Der totale Wahnsinn. Zu wissen, wie gut man dann ist, wäre für jeden Sportler spannend.“

    Sultan beteuerte, noch nie gedopt zu haben: „Auch, wenn ich es am Ende nicht 100-prozentig beweisen kann. Ich könnte ja viel behaupten. Aber ich werde regelmäßig getestet, und auch meine Leistungsentwicklung spricht für mich.“

  27. Pingback: Peking, Tag 18 : jens weinreich

  28. Haben Sie schon mal einen Würfel gesehen? Bei einem Würfelspiel vielleicht? Von weitem?

    Ist es kleinlich, zwischen Würfel und Quader unterscheiden zu wollen?

    Freiheit ist die Freiheit „2+2=4“ zu sagen, auch wenn die Mehrheit der Meinung ist „100“. Wenn dieser Wasserquader nicht Eisbergähnlich zu 8/9 unter der Oberfläche liegt, dann ist es kein Würfel.

  29. Pingback: Peking, Tag 19 : jens weinreich

  30. SZ: „Es gibt nicht nur die bösen Radfahrer“

    Ich kenne auch Sportler, die für zwei Jahre gesperrt wurden und für die das eigentlich das Beste war, was ihnen passieren konnte. Die werden dann zwei Jahre lang nicht kontrolliert, weil sie auf keinem Wettkampf erscheinen, und können fressen, was sie wollen. Dann kommen sie plötzlich viel besser zurück.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

What they say
"I give a shit on you!
I shit on German media!"
Husain Al-Musallam
President World Aquatics
and Co-Conspirator #3
coming soon
fund journalism
FIFA Watch
best of