Der ältere, leicht aggressive Herr hier links heißt Kevan Gosper und kommt aus Australien. Er dient selbstlos dem Olympismus. Seine Biografie, die im Jahr 2000 verlegt und von einer Journalistin geschönt wurde, heißt: „An olympic life“. Eigentlich hatte sich das Gosper so gedacht: Buch rausgeben (Frühjahr 2000), in Sydney große Spiele feiern (Herbst 2000) – und ein dreiviertel Jahr später IOC-Präsident werden (Juli 2001). Das hat dann nicht ganz geklappt. Es hat vor allem deshalb nicht geklappt, weil Gosper im Mai 2000 seine damals elfjährige Tochter Sophie als erste Australierin in Olympia mit der olympischen Fackel laufen ließ. Dumm aber auch. In Australien dominierte diese Geschiche wochenlang sämtliche Medien. Es war das Gospergate. Der Daily Telegraph aus Sydney druckte im Mai 2000 ein unvorteilhaftes Foto des Ober-Olympiers auf der Titelseite und schrieb in riesigen Lettern, Gosper sei ein „Reptil“. Er sei „gierig, halsstarrig, selbstsüchtig, aufgeblasen und egoistisch“.
Warum ich daran erinnere?
Dass ausgerechnet der 74-jährige Kevan Gosper sich heute in Peking als erster Kritiker der Fackellauf-Demonstranten und als Bewahrer vermeintlicher olympischer Werte aufspielt, hat eine bigotte Note: Denn seit einem spektakulären Zwischenfall auf der ersten Etappe des Fackellaufes 2000 gilt Gosper in seiner Heimat als Synonym für olympischen Nepotismus.
Eigentlich war damals als erste australische Fackelläuferin die 15-jährige Yianna Souleles vorgesehen. Souleles, Enkelin griechischer Einwanderer, war von den Mitschülern des Spyridon-Colleges in Sydney gewählt worden. Doch kurz vor der Zeremonie in Olympia wurde sie von Sophie Gosper ersetzt. „Der griechische Staatspräsident hat mich gefragt, ob meine Tochter ein Stück mit der Fackel laufen wolle“, behauptete Gosper. „Hätte ich etwa Nein sagen sollen?“
Nein? Ach, Quatsch. Also übernahm Sophie Gosper die Flamme vom griechischen Leichtathleten Lambros Papacostas. Da Sophie erst elf Jahre alt war, hätte sie in Australien nicht einmal zu den 11.000 Fackelläufern gehören dürfen, denn dafür war als Mindestalter 12 Jahre angesetzt. Aus Gospers Familie haben noch andere die Fackel getragen: Sein Bruder Peter (1956 in Melbourne, als Kevan Gosper die Silbermedaille mit der 4 x 400-m-Staffel gewann) und sein Sohn Richard (1996). Gosper selbst war auch Fackelläufer, sogar mehrfach.
Die Affäre spitzte sich kurz vor den Sommerspielen noch einmal zu. In einer Dokumentation des deutschen Filmemachers Albert Knechtel (disclaimer: ich nenne ihn Freund, was er möglicher Weise abstreiten wird), die in zwei Dutzend Ländern ausgestrahlt wurde (auf Arte hieß er: „Die Spielemacher“, in einer kürzeren BBC-Variante „The Great Olympic Illusion“), stellte sich Gosper selbst bloß: Während der Zeremonie in Olympia herrschte er den damaligen IOC-Sprecher Franklin Servan-Schreiber an und gab ihm Anordnungen, wie Sophie nach dem Fackellauf bei TV-Interviews in Szene zu setzen sei. Was Gosper vergaß: Servan-Schreiber war von der TV-Crew mit einem drahtlosen Mikrofon ausgestattet worden.
Im Film leistete sich Gosper mehrere peinliche Auftritte. Der Mann, der sich selbst für einen Medienprofi hält, als Chef der IOC-Pressekommission Journalisten gern belehrt und bei kritischen Fragen auch mal dazwischen bellt, hatte offenbar nicht begriffen, dass eine Fernsehkamera nicht nur Bild- sondern auch Tonaufnahmen macht. Als Servan-Schreiber ihn mit einer vergleichsweise harmlosen Anfrage eines Journalisten konfrontierte, erklärte Gosper, was er von Medienvertretern hält: Erzähl dem sonstwas, sagte er sinngemäß: Gib ihm irgendwelche Zahlen, der wird es schon schlucken, der ist doch nur ein Reporter.
Es heißt bis heute, der Fackellauf seiner Tochter und die tölpelhaften Auftritte in der TV-Dokumentation hätten Gospers Kandidatur für die IOC-Präsidentschaft unmöglich gemacht. So blieb ihm nur noch eine Rache: Er setzte sich erfolgreich dafür ein, dass Franklin Servan-Schreiber entlassen wurde.
Ich glaube im Übrigen, dass Gosper zu den Spin-Doctors der jüngsten IOC-Finte zählt. Man erklärt Demonstranten gegen den olympischen Fackellauf kurzerhand zu den einzig Schuldigen an der aufgeheizten Lage. Die chinesischen KP-Bonzen aber sind die Bewahrer der so genannten olympischen Ideale. (Wobei niemand wirklich weiß, was das ist.) Indem das IOC also droht, den internationalen Teil des Fackellaufs nach San Francisco abzubrechen, wird den Demonstranten der Schwarze Peter zugeschoben.
Ursache und Wirkung verkehren sich ins Gegenteil, was damit zu tun haben könnte, dass im IOC-Machtbereich dieselbe PR-Firma tätig ist, die auch für die chinesische Regierung und das Pekinger Organisationskomitee (BOCOG) arbeitet. Es ist eine ausgewiesene Firma fürs Grobe. Mehr dazu morgen, u. a. in der Süddeutschen Zeitung.
Diese Propaganda könnte aufgehen.
Warum? Das ist immer wieder auch ein Medienthema. Gestern zum Beispiel wurde landesweit verbreitet, das IOC, namentlich Präsident Rogge, habe China in der Tibet-Frage unter Druck gesetzt. Okay, das kann man so sehen, wenn man vielleicht nicht richtig aufgepasst hat im Sitzungssaal des China World Hotels. Ich aber habe aufgepasst und das, was in der Eile dennoch unklar blieb, von Muttersprachlern und anderen Fachkundigen abgleichen lassen.
Deshalb habe ich gestern für verschiedene Zeitungen geschrieben:
Für seine Verhältnisse hat sich IOC-Präsident Jacques Rogge deutlich wie nie zuvor zur Tibet-Frage geäußert, wenngleich auch er keinerlei Forderungen stellte. „Wir sind sehr besorgt über die Vorgänge in Tibet und rufen zu einer raschen, friedlichen Lösung auf“, sagte Rogge. Er kritisierte die Proteste beim Fackellauf. Es gebe keinen Anlass für einen Olympia-Boykott, sagte Rogge, zumal ein Boykott nur die Rechte von Sportlern verletze.
Über Tibet sprach Rogge allerdings erst, nachdem einer der ranghöchsten chinesischen Parteibonzen gegangen war. In Anwesenheit von Wu Bangguo, Nummer zwei der Parteiführung und Chef des Obersten Volkskongresses, erklärte der IOC-Präsident lediglich: Die exzellenten Vorbereitungen in Peking würden „definitiv zu exzellenten Spielen führen“.
Also nochmal, von Forderungen habe ich nichts gehört. Weder in Peking, noch in den vergangenen Wochen, die Rogge u. a. auf Dienstreise in der Karibik verbracht hat. Aber vielleicht hat er dem Herrn Wu Bangguo hinter verschlossenen Türen ein Ultimatum gestellt. Ich lasse mich da gern belehren. Bis zum Beweis des Gegenteils verbuche ich die Behauptung unter dem Stichwort Propaganda.
Und bei der Gelegenheit fällt mir noch ein dummer Fehler auf, wie peinlich: Wu Bangguo habe ich gestern als Hu Wangguo verkauft, obwohl ich doch noch so viele schöne Geschichten über ihn gelesen hatte, nicht nur in der Wikipedia. Oops, ich habe eben keine Ahnung von den Chinesen, obwohl ich mir Mühe gebe und sogar schon weiß, warum der chinesische Kompass nach Süden zeigt. In China ist vieles anders, das lasse ich einfach mal so stehen.
Aber außer dem Namen des Herrn Wu stimmt einiges in dem Text. Vor allem: Kevan Gosper heißt tatsächlich Kevan Gosper.
überarbeitet am 9. April, 04:42 Uhr
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