Ich habe kürzlich dargelegt, warum ein Wahlsieg von John McCain der Todesstoß für Chicagos Olympiabewerbung gewesen wäre. Mit Barack Obama bekommt die Bewerbung nun einen ernstzunehmenden Drive. Auch wenn Obama derzeit Wichtigeres zu tun hat, als über die Olympischen Sommerspiele 2016 zu schwadronieren: Chicago darf wieder hoffen, ist nicht mehr aussichtlos gegen Madrid, Tokio und Rio. Jürgen Kalwa meint, ich würde zuviel spekulieren (u. a. in einem Beitrag für die SZ und einem etwas längeren für die BLZ). Ich glaube nicht, dass zuviel spekuliert wird, aber ich verklage Jürgen Kalwa nicht gleich, sondern trage noch einige Argumente vor. Philip Hersh trägt in seinem Blog in der Chicago Tribune (und in der Los Angeles Times) beinahe deckungsgleiche Argumente zusammen: „Obama and the Olympis: the secret is out“. Sage nur niemand, ich hätte abgeschrieben. Meine Zeitungstexte waren schon gedruckt, als ich Hersh per Google alert las :)
Ich habe im Laufe des Jahres mehrfach mit Chicagos Bewerbern über Obamas Rolle gesprochen, im Juni in Athen und im August in Peking. Sie haben sich verständlicher Weise mit Zitierbarem zurückgehalten, um McCain nicht zu verprellen. Off the records aber haben sie klar gemacht, dass sie voll auf den Obama-Faktor setzen. Das kann man ihnen kaum verübeln. Hören wir Obama selbst, am 6. Juni 2008, kurz nachdem Chicago vom IOC-Exekutivkomitee zu den vier Finalisten (neben Tokio, Madrid und Rio) gewählt wurde – zur Candidate City. Er wohnt übrigens – vor seinem Umzug ins Weiße Haus – nur zwei Blocks von jener Stelle entfernt, wo das Olympiastadion gebaut werden soll. Und er sagt, er würde die Spiele gern eröffnen, im Sommer 2016, wenn seine zweite Amtszeit als US-Präsident zu Ende geht. Die zweite Amtszeit, sagt er – tatsächlich:
In the interest of full disclosure, I have to let you know that in 2016, I’ll be wrapping up my second term as President. So I can’t think of a better way than to be marching into Washington Park alongside Mayor Daley … as President of the United States and announcing to the world, ‚Let the games begin!‘
Das ist doch mal ein Wort. Das Video davon haben Chicagos Bewerber um Pat Ryan kürzlich schon bei der Paso-Vollversammlung (amerikanische NOK-Vereinigung) in Acapulco und der Vollversammlung der asiatischen NOK-Vereinigung (Oca) auf Bali präsentiert. Wenn sie demnächst bei Europas Sportgipfel in Istanbul antanzen, werden sie garantiert Sequenzen aus Obamas „Acceptance Speech“ im Grant Park vorführen.
Ich weiß gar nicht genau, warum die Japaner gleich so nervös werden. Schon gestern sagte deren NOK-Präsident Tsunekazu Takeda: „I wonder how IOC members will react when Mr Obama appears in a presentation for Chicago.“ Dass Obama am 2. Oktober 2009 bei der entscheidenden IOC-Vollversammlung in Kopenhagen die Bütt steigen wird, gilt als ausgemacht. Richard Pound sagt: „It is going to be hard for him (Obama) to find time in his first year in office, but if he could come to Europe one or two days early and talk with members, it could be a major factor. That is how London won.“ Für London hatte sich im Juli 2005 in Singapur Tony Blair engagiert – im Juli 2007 dealte Wladimir Putin für Sotschi. Beide waren erfolgreich. (Noch mal etwas Persönliches: So eine Olympiabewerbung ist eine feine Sache, da kann man mal all die Polit-Promis des Planeten live erleben. Ich erinnere mich an die Session in Singapur, als ich an einem Morgen um 7 Uhr/wegen der Zeitverschiebung/ zunächst beim Frühstück mit Hillary war, danach flink ins Taxi hüpfte, um den Termin mit Blair noch zu schaffen.)
Ein Grundkonflikt, den Chicago bzw. das amerikanische Olympiakomitee USOC mit dem IOC, der Vereinigung Nationaler Olympischer Komitees (ANOC) und den olympischen Sportweltverbänden austragen muss, bleibt natürlich bestehen: Das USOC wird noch vor Kopenhagen auf einen Teil seiner Einnahmen aus den olympischen Marketingverträgen verzichten müssen. Worum es genau geht, habe ich hier beschrieben. Seither gab es zwar ein (oder zwei) Treffen, doch entschieden ist noch nichts.
In der 2016-Bewerbung spielen viele Faktoren eine Rolle. Auch der Obama-Faktor. In Kürze sollen Gespräche zwischen Obamas Wahlkampfteam und den Olympiabewerbern stattfinden. Einige Obama-Helfer, die nicht im Stab des Weißen Hauses unterkommen, suchen einen neuen Job. Es muss nicht unbedingt der Spindoktor David Axelrod sein, einst Journalist bei der Tribune, der wohl mit nach Washington wechselt. Es bleiben viele andere. Schaut man sich die Personen in Obamas Transition Team an (gerade wurde übrigens seine neue Webite www.change.gov gelauncht, momentan wegen Überlastung kaum zu erreichen), ergeben sich etliche Überschneidungen: So wird der Kongressabgeordnete Rahm Emanuel, ein früherer Clinton-Berater, als Stabschef des White House gehandelt. Valerie Jarrett, Vizechefin des olympischen Bewerbungskomitees, die schon 2004 als Finanzchefin zu Obamas Senatoren-Wahlkampfteam zählte, gehört jetzt zu den Schlüsselkräften des Transition Teams.
Die direkte Beziehung zwischen dem Weißen Haus und den Bewerbern ist also gegeben. Warten wir mal ab. Demnächst habe ich Gelegenheit, mich auch wieder in der Spezialdemokratie des IOC umzuhören.
To be continued.
Bitte nicht verklagen…. Ich habe keine Rechtsschutzversicherung….. Und außerdem sind wir ja im Resultat einer Meinung. Welche Gewichte bei der Entscheidung schwerer wiegen, werden wir sehen. Obama ist sicher ein Pluspunkt für die USA. Zu New Yorks Niederlage habe ich eine abweichende Ansicht. Das haben die New Yorker ganz alleine hinbekommen, als sie (und der schwerreiche Besitzer des Madison Square Garden) jedes verfügbare Torpedo (inklusive Rechtsstreitigkeiten) abschossen, um den ambitionierten Plan des Bürgermeisters zu blockieren. Dass das IOC in solch einer Situation lieber eine andere Stadt für geeignet hielt, kann ich sehr gut verstehen. Dass US-Journalisten das nicht gemerkt haben, verstehe ich schon sehr viel weniger. Aber die patriotische Brille verdunkelt eben meistens. Hersh, den ich durchaus schätze, halte ich denn auch in der Chicago-Frage nicht für den besten Zeugen. Der ist nicht nur Patriot, sondern im Fall der Windy City vor allem Lokalpatriot. Man las ihn früher nur in der Chicago Tribune. Seit der Verlag die LA Times geschluckt hat, wird er auch dort publiziert.
Fände es irgendwie Schade, wenn schon wieder die USA dran kämen. Wären ja schon die 5.Sommerspiele. Und sie waren schon in den 80er und 90er dran.
Und hat nicht irgendwann mal jemand gesagt: „Don’t mix politics with sport“…
Ich habe das nicht gesagt :) Es war Chinas Parteichef. Und das ist ja gerade das Problem. Falls der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde Obama feiern und Chicago bevorzugen: Ich dementiere! Ich versuche nur, die Szene zu beobachten und Entwicklungen zu beschreiben und zu erahnen. Wenn es nach der Destination geht, dann sage ich: ab nach Rio.
Rio, zwei Jahre nach der Fußball-WM in Brasilien ist doch langweilig. Ernsthaft: Glaubt irgendwer hier, dass es NICHT Madrid werden wird?!
Nein, das glaubt niemand. Ich hoffe es nur.
Nur über Samaranchs Leiche. Obwohl.. der Mann ist ja auch schon 88.
andere möglichkeit: obama macht karl rove zum olympiabewerbungschef. der hat das gesamte methodenrepertoire vermutlich drauf, das man für sowas brauchen könnte. (ich stelle mir gerade das udiocm beim waterboarding vor… )
gamesbids.com: Future Olympic Bid Cities May Be Required To Criminalize Doping
http://www.gamesbids.com/eng/other_news/1216133882.html
Bislang hatte ich eher den Eindruck, dem IOC wäre eine laxe Dopinggesetzgebung lieber. Mußten die italienischen Behörden nicht einwilligen, keinesfalls ohne Rücksprache mit dem IOC in Sachen Doping aktiv zu werden?
Hier noch der Originalartikel des Telegraph:
IOC pressure Great Britain to change doping laws ahead of London Olympics 2012
http://www.telegraph.co.uk/sport/othersports/olympics/london2012/3405340/IOC-pressure-Great-Britain-to-change-doping-laws-ahead-of-London-Olympics-2012.html
Ich habe da auch entschiedene Zweifel. Was wohl das UDIOCM dazu sagen wird? Ich glaube, Ralf, wir wissen es beide.
Klar gibt es immer mal wieder Äußerungen in dieser Richtung, nur sagt auch Arne Ljungqvist viel, wenn der Tag lang ist. Ich hätte natürlich nichts dagegen, wenn es so käme, doch das würde bedeuten, Deutschland müsste seine Gesetzgebung ändern, und zwar für die Münchner Bewerbung für 2018, oder? Ich denke, es ist ein Gedanke, mehr nicht, und sicher werden dieser Tage andere erklären – zum Beispiel das UDIOCM – wie Ljungqvist es gemeint haben könnte.
Bleiben wir bei den Fakten. Fakt ist: Im vergangenen Jahr hat man auf der Weltantidopingkonferenz in Madrid nicht einmal gewollt/vermocht/durchgesetzt, dass künftige Bewerber für Sportgroßereignisse NUR mit knallhart funktionierenden Antidopingsystemen überhaupt berücksichtigt werden. Bisschen umständlich jetzt formuliert. Sorry, ist früh am Sonntagmorgen. Jedenfalls, aus dem von Pound & Co angedachten Pflichtparagrafen ist eine Kann-Bestimmung geworden. Also nichts.
Letzte Anmerkung: So habe ich es in der Erinnerung, habe das jetzt nicht noch einmal überprüft.
Pingback: Die etwas anderen Demagogen: links, schrill, poetisch : jens weinreich
JO 2016 : 7 disciplines passent leur grand oral
http://www.lesdessousdusport.fr/jo-2016-7-disciplines-passent-leur-grand-oral-2333
FAZ-Kommentar: Obama für Olympia – Kann er das auch?
http://www.faz.net/s/Rub31BAF3CC293542EBAD4C45D7027BF394/Doc~E7A73C07CB5D64A86BA53F5D63BD618CE~ATpl~Ecommon~Scontent.html