Die Geschichte von Juan Antonio Samaranch und dem KGB zieht ihre Kreise. „KGB plays chess“ ist derzeit das sportpolitische Top-Thema zwischen Vancouver, Madrid, Lausanne, London – und natürlich Moskau. Doch wenn ich es recht verstehe, muss Samaranch nicht viel befürchten, und die IOC-Führung kann sich weiter blöd stellen, das Prinzip der drei Affen vervollkommnen und die Öffentlichkeit für dumm verkaufen. Alles nur Gerüchte, wie mir IOC-Kommunikationsdirektor Mark Adams mitteilte?
Nothing but rumors? Not at all.
(Es mag jetzt ein bisschen albern wirken, wenn ich öfter mal mit meinem englischen Halbwissen einen englischen Satz einstreue und die folgenden Zitate gar nicht erst übersetze. Aber das hilft den vielen Kollegen, Interessierten und Funktionären, die hier regelmäßig vorbei schauen und die gestrige Samaranch-Geschichte goutiert haben. Einige englische Beiträge habe ich im Blog verbrochen – es werden demnächst mehr, es geht nicht anders.)
Zurück zum eigentlichen Thema. Nothing but rumors? Keineswegs. Allerdings, und das ist der Unterschied zur ostdeutschen Stasi, sind die KGB (FSB) Archive im Prinzip geschlossen. Sie waren unter Jelzin teilweise zugänglich, als Verbrechen der Stalin-Ära thematisiert wurden. In der Ära des KGB-Zaren und Samaranch-Kollegen Wladimir Putin ist das nicht so einfach mit den Unterlagen.
Ich habe mich lange mit Juri Felschtinski ausgetauscht, dem Autor des Buches und der Samaranch-Enthüllungen, den ich leider nicht früher erreicht hatte. Er sagt:
Vladimir Popov, a former high ranking KGB officer, responsible for sport agents, has liftet his anonymity. This is a new quality. Vladimir Popov knows all the names of the sport spies, all the nicknames and all the recruting officers. He is a very reliable source with strong arguments.
But nevertheless I do not expect any comments from the FSB people. It’s all about damage control. They know what he knows.
Damage control. Darum geht es auch Samaranch. Darum geht es selbstverständlich dem IOC.
Der Witz an der Geschichte aber kommt jetzt. Denn die Enthüllung, dass Samaranch ein KGB-Agent gewesen sei, ist nicht neu und – von den Gerüchten im olympischen Circuit mal abgesehen – keinesfalls erst jetzt erfolgt, wie nicht nur ich annahm. Juri Felschtinski hat darüber in seinem Anfang des Jahres erschienen Buch „The Corporation: Russia and the KGB in the Age of President Putin“ viel ausführlicher geschrieben.
Im Schachbuch – das gerade auf Russisch veröffentlicht wurde und das im Dezember im Schach-Fachverlag Exzelsior auf Deutsch erscheint – geht es um den KGB und seine Machenschaften im Schach. Samaranch ist nur eine Notiz, kein großes Thema.
Juri Felschtinski sagt deshalb:
To my great surprise no one paid attention to my chapter in the Putin-book which was published in English. Ironically people now pay attention to a publication in Russian which is not even published in English.
Tja, man kann es sich nicht aussuchen. So funktionieren die Medien: unberechenbar.
Im Kern geht es darum, um die IOC-Präsidentenwahl 1980:
„The Corporation: Russia and the KGB in the Age of President Putin“,
— © Juri Felschtinski
His election was preceded by something of a detective story. As an ambassador in the USSR, Samaranch developed an interest in Russian history and culture. He grew particularly fond of Russian antiques, which he collected with the love of a genuine connoisseur ans shipped to his home in Spain. The USSR prohibited taking objects of cultural and historic value out of the country (…)
In Soviet times, all antiques were closely monitored by the KGB; so ambassador Samaranch, a frequent buyer of increasingly valuable rarities, was taken note of. After a while, an agent from the KGB’s Second Main Directorate, which monitored the Spanish embassy, met with Samaranch and gently explained to him that his actions were subject to prosecution in accordance with the RSFRS’s Criminal Code (…) and were classified by Soviet law as the smuggling of contraband goods.
Samaranch was offered a choice: he could either be compromised through the publication of articles in the Soviet and foreign press detailing his activities, which would undoubtedly have put an end to his diplomatic career, or he could collaborate with the KGB as a secret agent. Samaranch chose the latter option.
Der KGB nahm dann Kontakt zu den Genossen im Ostblock auf und bat deren Geheimdienste, alles zu tun, um Samaranchs Wahl zum IOC-Präsidenten sicherzustellen. Dazu gibt es ein Schriftstück, ein dechiffriertes Telegramm, unterschrieben vom damaligen stellvertretenden KGB-Chef und späteren KGB-Boss Viktor Chebrikov. Der Plan ging auf – auch durch Mithilfe von Dassler, Guelfi, Weber und all den anderen im Sportbusiness und im Dunstkreise von Geheimdiensten Tätigen.
As the result, Samaranch was elected President of the IOC, where for many years he loyally served the country to which he was connected by his work as an agent and by his gratitude for its help in getting him a high international position.
Sportpolitisch kann man diese Einschätzung bestätigen. Ich habe es gestern einmal mehr gesagt: Samaranchs Beziehungen ins ehemalige Sowjetreich sind Legende – bis hin zur dubiosen Kür von Sotschi zur Winterolympiastadt 2014. Ausgerechnet Sotschi, das subtropische Paradies, wo KGB-Mann Putin urlaubt und (natürlich) Geschäfte macht. Samaranch wurde damals von den Russen im letzten Moment eingeflogen und hat seinen alten Kumpels Witali Smirnow, langjähriger IOC-Vizepräsident und Organisationschef der Sommerspiele 1980, und Schamil Tarpischtschew, ehemals Jelzins Tennislehrer, Sportminister und verantwortlich für das spurlose Verschwinden vieler Milliarden Dollar aus dem Wodka-Fond, noch einige IOC-Stimmen beschafft.
Was kaum noch wundert, einige Spione mehr:
According to Mr. Felschtinski the current Russian IOC members Witali Smirnow and Schamil Tarpischtschew, longtime FIFA Executive Board member Wjatscheslaw Koloskow and Russian NOC President Leonid Tjagatschew (code name „Elbrus“) have also served as KGB agents – among other high-ranking sport officials.
Das soll für heute erstmal genügen. Es drängt mich, andere Samaranch-Geschichten aufzuwärmen, die in jene Zeit passen und das Bild runden, etwa seine Mitgliedschaft im Opus Dei, dessen Elite-Akademie Instituto de Estudios Superiores de la Empresa (IESE) er einst besucht hat. Damit habe ich mich vor Jahren aus der Ferne mal im Buch „Der olympische Sumpf“ befasst. Opus-Dei-Experte John Hutchison, der Samaranch Supernumerarier des Opus Dei nennt, schrieb in seinem Standardwerk „Die Heilige Mafia des Papstes“/“Pope’s Holy Mafia“, in der Zeit des Kalten Krieges habe Samaranch das Opus Dei „über die Aktivitäten der Sowjets auf dem laufenden“ gehalten.
Ja, der Leser enrasen hat Recht – diese Geschichten sind besser als jeder Roman, weil sie nie enden. Schade nur, dass wir alle so wenig darüber wissen. Samaranch wird nicht plaudern. Smirnow ebenfalls nicht. Und, sorry, Jean-Marie Weber schon gar nicht.
Demnächst mehr in diesem Theater.
Nachtrag, 21.15 Uhr, schon jetzt mehr: Unter Berufung auf Paris Match meldet Insidethegames: IOC member takes legal action over spy claims. Ooops. Diesmal geht es um Spionage-Vorwürfe gegen Albert von Monaco – ausnahmsweise nicht um den KGB.
Nachtrag, 8. November:
- Johann Skocek im österreichischen Standard: „Der geheime Kompass“
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Johann Skocek im Standard: „Der geheime Kompass“
Hallo Jens,
zunächst einmal ein Kompliment für deinen Blog, ich verfolge das Geschehen auf den Seiten mit großem Interesse.
Besonders die Lesebefehle und Buchempfehlungen (wie zuletzt zum Thema KGB und Schach) geben immer wieder Anregungen, sich mit dem Gestirn Sport-Politik-Wirtschaft-Kommerz zu befassen.
Vielleicht könntest du die Top 10 deiner Buchempfehlungen einmal in eine Sammlung „Über-Weihnachten-zu-lesen“ für alle Interessierten bündeln und so den Bloggern näher bringen?
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