Er hat ein stolzes Alter erreicht. Er war der prägende olympische Sportfunktionär der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Neben dem IOC-Gründer Pierre de Coubertin war Juan Antonio Samaranch, der heute in seiner Heimatstadt Barcelona verstarb, sicher der wichtigste aller bisherigen acht IOC-Präsidenten. Der treue Diener des Caudillo, der überzeugte Franquist.
Sie singen ihm nun ihre Hymnen, kein Wunder, sind doch rund zwei Drittel der IOC-Mitglieder unter Samaranch kooptiert worden. Ein Mausoleum hat er längst.
Er hat es sich selbst errichtet, schon vor rund zwanzig Jahren. Im Juni 1993 wurde dieses Olympische Museum hoch über dem Genfer See in der Capitale Olympique eingeweiht. Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern, als unten am Seeufer Berliner Olympiagegner verhaftet wurden (Berlin bewarb sich damals um die Sommerspiele 2000), und drinnen in Museum ein wütender Berthold Beitz (der mal unter Samaranch Vizepräsident war) durch einen kleinen Wassergraben marschierte. Katarina Witt war natürlich auch da. Samaranch mochte sie sehr.
Jedenfalls, dieses Museum trägt längst den Namen „Juan Antonio Samaranch“, der dem IOC ja auch in der Person seines Sohns Juanito erhalten bleibt.
Seinen letzten großen Auftritt vor dem IOC hatte der Senior im Oktober 2009 in Kopenhagen, als sich Madrid vergeblich um die Olympischen Spiele 2016 bewarb. Juanito stellte den Papa damals mit den Worten vor:
The big one, the real one! And of course, my father.
Und der Alte sagte:
I know that I am very near to the end of my time. I am 89 years old. May I ask you to grant to my country the honor to host the Olympic and Paralympic Games 2016!
Diesen einen Wunsch haben sie ihm nicht erfüllt. Ansonsten hat er in all den Jahren fast alles bekommen.
Samaranch Senior war eine der zentralen Figuren meiner Arbeit über zwei Jahrzehnte. Er wird es auch noch lange sein, schätze ich, oder besser: das System Samaranch wird weiter beschrieben. Denn es wirkt ja noch immer. Dazu gehören viele zentrale Figuren und Institutionen, die sich in diesem Blog tummeln.
Ob sie nun Seppblatterjeanmarieweberwitalismirnowhorstdasslerandréguelfiislismmodersonstwie heißen. Zudem wird 2013 nach Lage der Dinge wohl ein Samaranch- und Dassler-Jünger neunter IOC-Präsident, wenn kein Wunder geschieht. Favorit auf die Nachfolge von Jacques Rogge ist derzeit eindeutig: Thomas Bach, das UDIOCM, der gewesene Dassler-Adlatus und Siemens-Berater, Mann der vielfältigen Lebenssachverhalte.
Zuletzt habe ich mich im November mit Samaranch auseinander gesetzt und mit der Frage, ob er KGB-Agent gewesen ist. Diese Frage wird sich womöglich nie beantworten lassen. Er sagt(e) natürlich: Nein. Eine Verpflichtungserklärung gibt es nicht, und der ehemalige KGB-Führungsoffizier, der das ausgeplaudert hat, kann auch keine anderen Dokumente vorlegen, wie ich inzwischen weiß. Eher werden wir irgendwann erfahren, ob er tatsächlich Supernumerarier des Opus Dei gewesen ist, wie einige Quellen sagen.
Ich denke, dass ich in den nächsten Tagen noch einige Leseempfehlungen zu Samaranch anbieten werde. Einige Dokumente und sicher auch eine Art Reader dessen, was ich in den Jahren zu Papier gebracht habe, etwa gemeinsam mit Thomas Kistner im Buch „Der olympische Sumpf“, was nun auch schon wieder eine Ewigkeit her ist.
* * *
Die Nachricht vom Tode Samaranchs habe ich heute auf dem Weg zum Bundestags-Sportausschuss erhalten.
Habe meinen Zeitplan dennoch nicht geändert, den Sportausschuss verfolgt und abends eine Art Nachruf für zwei Zeitungen gedichtet. Schlechte Nachrufe, ich habe Nachrufe nie gemocht und glaube auch nicht so recht, dass sich so ein Leben in 150 Zeilen pressen lässt, ich hasse das.
Manchmal kommt alles Blöde zusammen: Die Busfahrt von Moskau nach Berlin hängt mir noch gewaltig in den Knochen. Unterwegs funktionierte die UMTS-Verbindung nicht, so dass ich weder aus dem Ausschuss live bloggen, noch früher etwas zu Samaranch schreiben konnte. So dämlich läuft das manchmal.
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Freudentag für IOC-Hasser Weinreich
Sehen Sie, liebe Leser, hier werden sogar superdämliche Kommentare veröffentlicht. Warum, frage ich mich selbst. joremm #2 kann schließlich nichts anderes mitteilen als seine Dummheit.
Berliner Zeitung, 22.04: Herr der Ringe
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Der Helmut Kohl des (olympischen) Sports ist nicht mehr. Oder tut man da doch dem einen oder gar dem anderen Unrecht?
Auch eine bewegende Sache, der Tod von Juan Antonio Samaranch. Wobei mich eigentlich alles bewegt, was mich an meinen Einsatz bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney erinnert. Was von damals hängengeblieben ist, ist eben auch die „Buenos Dias“-Espana-Eröffnungsansprache und die Nachricht vom Tod seiner Ehefrau am nächsten Morgen. Samaranchs Rückflug und die folgende Rückkehr nach Sydney.
In der Bild-Zeitung (`schuldigung) habe ich gelesen, dass Samaranch noch am Sonntag beim Tennis in Monte Carlo gewesen sein soll. Gestorben soll er dann am Mittwoch in der Heimat Barcelona sein.
Wenn das mit dem Tennis-Gucken stimmt, klingt das nach einem rüstigen Senior bzw. Senor. Die Frage ist nur: Wie ist er nach Monte Carlo gekommen – und wie v. a. zurück? Also etwa beschwerlich auf dem Landweg?
Ist am Ende Samaranch DAS Opfer des Vulkanausbruchs und der daruffolgenden Flugausfälle?
Was haben wir – zu recht – mit Jens Weinreich gefiebert. Hat sich währenddessen andernorts, unbeachtet, etwa eine unglückliche Fügung ergegeben? Oder ist das mit Monte Carlo oder zumindest meine aus dieser Info geborene Schlußfolgerung Unsinn??
@ RalfKohler: An Sydney und den Tod seiner Frau musste ich auch denken. Ich hatte einige seltene Male mit ihr zu tun und hatte einen sehr guten Eindruck.
Das klingt doch mal (ein wenig) überraschend.
Anzunehmen, Sie seien ein IOC- oder Samaranch-Hasser (siehe oben) wäre mir trotzdem nicht in den Sinn gekommen.
Aber das geht einfach über das Vorstellungsvermögen des Normalmenschen, dass ein Journalist (der eine oder andere) Personen oder Dinge kritisch betrachten kann, ohne dass das aus Böswilligkeit etc. geschieht, ohne dass man die Personen nicht mehr oder weniger schätzen, zumindest respektieren, könnte.
Ich hatte persönlich nicht mit ihm zu tun. Wenn ihm aber die Überwindung der olympischen Krise, die Überwindung insbesondere des Boykottierens, (mindestens teilweise) zugeschrieben kann, dann gibt es in der Tat eine gewisse Parallele zum Kanzler der Einheit, wobei mir dieser Vergleich vorher ganz spontan eingefallen war.
Übrigens: Ich sage ja immer: Vergleichen kann man auch Äpfel und Birnen, man darf sich nur nicht wundern, dabei (auch) Unterschiede zu entdecken ;_)
JW für dradio.de: mp3-Datei:
Jochen Leufgens und Hajo Seppelt für sport inside: „Olympischer Sonnenkönig“
JW in der NZZ: Karten werden neu gemischt – Wie sich der Tod Samaranchs auf das IOK auswirkt
nolympia.de: Kritischer Nachruf auf Samaranch
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