ZÜRICH/LAUSANNE. Da können die Herrschaften in der FIFA-Zentrale und im IOC-Hauptquartier unternehmen, was sie wollen. Sie haben die Lage einfach nicht mehr im Griff und werden von der Vergangenheit eingeholt, von den Ereignissen überrollt. Sie können nur notdürftig ausputzen, sie setzen auf viele dumme, willfährige Journalisten und korrupte Medien, die ihren Job nicht verstehen und dem Berufsstand des Journalismus Schande bereiten – und die dann eben inbrünstig und kolossal ahnungslos, oft auch ganz bewusst, die Propaganda der Sportkonzerne verbreiten. Ein Skandal im Skandal.
Es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel diese jüngsten:
- Jean François Tanda, Handelszeitung: Fifa: 120’000 Franken für Korruptionsgutachten
Der renommierte Korruptionsbekämpfer Mark Pieth soll Führung und Transparenz der Fifa verbessern. Laut Recherchen der «Handelszeitung» bezahlt sie dafür ein Taggeld von 5000 Franken – und überwies zusätzliches Geld für ein Gutachten.
Auf diesen Beitrag hat Mark Pieth bereits vorab reagiert und gestern Einladungen an einige Journalisten verschickt, die er im Januar gern interviewen würde. Er selbst will ja nicht retrospektiv tätig werden und ermitteln – das überlässt er anderen. In der Presseerklärung, die gestern ebenfalls verschickt wurde, heißt es:
Frequent Questions on the Independent Governance Committee on FIFA
Over the last few days several questions relating to the governance reform process of FIFA have been raised. The following text should address the most pressing issues:
Are the Committee Members independent?
First, it needs to be pointed out that governance reform and monitoring is serious professional work (comparable to that of auditors) that should not be left to amateurs and that salaries of professionals need to be paid.
Second, as Chairman I personally do not profit at all from this mandate, as the funds generated go either to the Basel Institute on Governance or into a University fund for research at my Chair (employment of research assistants for 2012).
Should one investigate the past before making recommendations on the future?
The Independent Governance Committee is focussing its efforts on bringing about a rapid and effective change of FIFA’s governance structures (some far reaching ideas have been thrown out in our report published last week).
As part of the governance reform process a look back into the past is necessary, as the risk scenarios need to be realistic. Therefore, the Independent Governance Committee will reach out to investigative journalists and host a hearing for experts on FIFA’s past in January 2012.
There is, from the perspective of the Independent Governance Committee, absolutely no objection to an investigation. Several investigations are under way. The Independent Governance Committee will consider making a recommendation how the past could be best addressed and its membership will be composed in a way suited to assess this issue.
Mark Pieth
Weitere Lesebefehle:
- Jesse Fink auf ESPN Star.com: Makudi files must be released
Das sehe ich natürlich auch so. Ich habe der FIFA dazu vor zwei Wochen einen Fragenkatalog geschickt – auf die Antworten warte ich noch. Weitere Dokumente zu Makudi sind in der Pipeline.
- James Dorsey, The Turbulent World of Mideast Soccer: Qatar’s 2022 World Cup bid comes under renewed scrutiny
Newly appointed FIFA executive committee member and German soccer federation president Theo Zwanziger this week denounced the awarding to Qatar in an interview with Agence France Presse. „The basic requirements for a host country have been perverted. I have never understood how such a small country can be awarded one of the most important sports events in the world, especially as Qatar were in last place on the grid before the decision was made,“ Mr. Zwanziger said.
Australian soccer federation president Frank Lowy, speaking last week days after Mr. Blatter opened the door to an investigation of Qatar’s bid, said he believed that the Gulf state could be deprived of the right to host the tournament. The „last word hasn’t been heard yet,“ Mr. Lowy said.
The soccer officials’ statements gained currency this week when the head of FIFA’s newly created Independent Governance Committee, Mark Pieth, told Associated Press that he will focus on FIFA;s past as well as its future. Mr. Pieth said he has „absolutely no objection to an investigation“ and would soon interview investigative journalists who are „experts on FIFA’s past.“
Und schließlich der Bericht des Daily Telegraph, in der die von den Enthüllungen Andrew Jennings‘ im Sommer ausgelösten FBI-Ermittlungen konkretisiert werden. Nur nebenbei: Dass FIFA-Exekutivmitglied Chuck Blazer zehn Millionen Dollar (die tatsächliche Summe ist viel höher, das hat er in kleinem Kreise bereits eingeräumt) kassiert, ist für die FIFA kein Grund, einzuschreiten!
- Claire Newell und Paul Kelso im Daily Telegraph: FBI launches investigation into World Cup ‚dirty tricks’ campaign
Investigators claim to have „really great intelligence“ of malpractice and came to London last month to interview people present in Zurich at the time of the World Cup vote.
It is understood that the FBI has „substantial evidence“ of outside organisations attempting to hack the email accounts of the United States bid for the 2022 tournament, and believe the English bid may have also been affected.
The FBI is understood to have asked England 2018 officials, who are not under suspicion, if they were aware of dirty tricks or corruption in the World Cup bidding campaign.
The FBI is also understood to have asked questions relating to potential offences arising from the alleged bribery of Caribbean football officials by Mohammed Bin Hammam, who stood against Sepp Blatter for the Fifa presidency.
Liebe Freunde, es gibt bald viel mehr darüber zu berichten, keine Sorge. Was fehlt, sind allein gerichtsfeste Beweise für die Korruption von Russland 2018 und Katar 2022. Kommt Zeit, kommt Rat.
Was IOC-Präsident Jacques Rogge heute Abend in Lausanne zu den ISL-Korruptionsfällen Diack, Hayatou und Havelange verkünden wird, dürfte eher traurig sein. Denn Rogge wird die Ermittlungsergebnisse der IOC-Ethikkommission nicht veröffentlichen. Aber auch mit dieser Blockadehaltung ist die Wahrheit nicht aufzuhalten.
[Wie vollkommen ahnungslos, recherchefrei und allein auf Zurufe von ausgewählten IOC-Mitgliedern basierend, einige IOC-Dauerberichterstatter noch immer berichten, ist unfassbar peinlich. Dumm nur, dass diese Leute damit auch eine gewisse Öffentlichkeit prägen – mit Propaganda-Botschaften von FIFA und IOC.]
Ich habe gestern in Zürich und Lausanne eine Kleinigkeit für die NZZ gedichtet: Blatter weibelt in Bundesbern. Die Kollegen haben sehr gut redigiert und den Text richtig umgestellt. Hier das etwas längere Original, das ich eigentlich für das Blog ausbauen und verlinken wollte, doch dafür fehlt mir momentan die Zeit. Heute Nachmittag geht es weiter in diesem Theater.
„Team Spirit“ heißt das Event, das in parlamentarischen Kreisen alljährlich großen Zuspruch genießt. Wenn die Sport-Lotto-Gesellschaft und die Parlamentarische Grupp Sport unter dem Patronat des Sportministers Ueli Maurer (SVP) einladen zu Speis und Trank, garniert mit kleinen Geschenken, ist der Aufmarsch groß. 70 bis 80 Abgeordnete versammelten sich auch am Dienstagabend im Hotel Bellevue Palace zu Bern. Allesamt „Keyplayer“, wie es hieß. Einer jener Keyplayer wirkt gern im Hintergrund: Es ist Aloys Hirzel, PR-Guru der Schweiz, der derzeit in der FIFA-Zentrale ein und aus geht. Denn Hirzel (Agentur „Konsulenten“) ist wie einige andere PR-Leute und Lobbyisten damit beschäftigt, das schwer angeschlagene Image des FIFA-Präsidenten Joseph Blatter aufzufrischen. Ob er vom Fußball-Weltverband unter Vertrag genommen wurde, mag Hirzel zwar nicht sagen. Kundenbeziehungen publiziere er nicht, teilt er nur mit. Doch ranghohe FIFA-Mitarbeiter erklären, Hirzel sei auf politischem Parkett tätig und habe zum Beispiel den Lobby-Termin Blatters am Dienstag in Bern mit vorbereitet.
Am Abend, als Blatter sein Versprechen gebrochen hatte und mitteilen musste, dass die so genannte Einstellungsverfügung aus dem ISL-Korruptionsprozess nun doch nicht im Dezember veröffentlicht wird, wurden Blatter in parlamentarischen Kreisen keine kritischen Fragen gestellt. Einige der Anwesenden hatten kürzlich erfolgreich daran mitgewirkt, dass der Bericht des Bundesamtes für Sport zu Korruption und Schattenwirtschaft in Sportkonzernen wie IOK und FIFA, der Ende 2011 vorliegen sollte, um ein Jahr verschoben wurde. Und die Organisatoren von „Team Spirit“ präsentierten Blatter im knapp 45-minütigen Kaminfeuer-Gespräch mit SF-Moderatorion Steffi Buchli, die es vermied, Fragen von Belang zu formulieren.
So durfte Blatter ungestört darüber fabulieren, dass die „Leichtigkeit des Seins“ derzeit nicht gegeben sei, nicht in der FIFA und nicht im WM-Gastgeberland Brasilien, wo sich Staatspräsidentin Dilma Rousseff als energische Korruptionsbekämpferin profiliert. Er, Blatter, werde es allen zeigen und seine Reformen durchsetzen, flötete der 75-jährige aufgekratzt. Das hätten nur einige bösartige Journalisten in England und Deutschland noch nicht begriffen.
Nach dem Stelldichein mit SF-Frau Buchli nahm sich Blatter viel Zeit, um unter den Parlamentariern, unter National- und Bundesräten zu antichambrieren. Es wurde viel gelacht, Freundschaftsfotos geknipst, und Blatter soll sogar mit Nationalrat Roland Büchel (SVP) gesprochen haben, der vor einem Jahr eine Motion eingereicht und die Überprüfung der Korruption in den Sportverbänden gefordert hatte.
Mit derlei Maßnahmen und vielen harmlosen, bestellten Interviews, in denen dann über Probleme schwadroniert wird, die Blatter längst hätte lösen können (Torkameras, Frauen im FIFA-Exko etc), versuchen seine PR-Leute ihn neu zu positionieren. Zur Crew gehören neben Hirzel der neue FIFA-Kommunikationsdirektor Walter de Gregorio, einst Schweizer Journalist des Jahres, und der Österreicher Bernd Fisa, der ehemals bei Ferrari mit Michael Schumacher gearbeitet hat. Auch Blatters ehemaliger Berater Peter Hargitay soll wieder an Bord sein. [Er bestreitet, einen Vertrag zu haben. Das habe ich a) auch nicht behauptet und b) in vorherigen Beiträgen erwähnt.] Sie verrichten Schwerstarbeit, sie betreiben Propaganda – doch sie können die Entwicklungen nicht beherrschen.
Aktuelle Beispiele gefällig? Der Londoner „Daily Telegraph“ berichtet gerade über das Interesse der amerikanischen Bundespolizei FBI an der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar. Ermittelt wird nicht nur in den USA, auch in anderen Ländern – und von anderen Institutionen. Die FIFA aber verweigert sich konsequent Untersuchungskommissionen zur skandalbehafteten WM-Vergabe an Russland (2018) und Katar. Sie arbeitet nicht einmal das ISL-Bestechungssystem auf. Korrupte Funktionäre, die nachweislich ISL-Gelder erhalten haben, müssen nichts befürchten. Und einer dieser Spitzbuben, Brasiliens Verbandschef Ricardo Teixeira, WM-Organisationschef 2014, behauptete am Mittwoch in Brasilien gegenüber Journalisten, er sei es nicht gewesen, der die Veröffentlichung der ISL-Einstellungsverfügung mit juristischen Hebeln verhindert habe.
Wer war es dann? FIFA-Ehrenpräsident Joao Havelange, der ebenfalls ISL-Millionen kassierte und nun unter Druck aus dem IOK demissionierte? Oder hat Blatter am Dienstag nicht die Wahrheit gesagt und es gibt gar keine Hindernisse?
In Lausanne, wo derzeit das IOK-Exekutivkomitee tagt, hielt man sich am Mittwoch bedeckt zum Korruptionsfall ISL und der Verstrickung der IOK-Mitglieder Havelange (Brasilien), Issa Hayatou (Kamerun) und Lamine Diack (Senegal). IOK-Sprecher Mark Adams verwies auf die Pressekonferenz des Präsidenten Jacques Rogge am Donnerstag. Rogge könnte Aufklärung schaffen, wenn er die Ermittlungsergebnisse der IOK-Ethikkommission gegen Havelange veröffentlichen würde. Danach sieht es aber nicht aus. Rogge scheint mit Havelanges Rücktritt zufrieden.
Die Bewerbung von Katar ist sowieso ein großer Betrug. Statt 12 Stadien werden jetzt nur in 9 Stadien gespielt. Das mit den Klimatisierten Stadien ist jetzt auch nicht mehr umsetzbar. Jetzt testen die, ob man in beschattete Stadien im Sommer spielen kann. Für ein Stadion wurde so etwas aber auch noch nicht installiert. Irgendwann 201x wird die WM einfach in den Wintermonaten verschieben.
Wenn Katar in seiner Bewerbung das Machbare reingeschrieben hätte, hätten die niemals die WM bekommen. Das ist einfach dreister Betrug.
Hat der Hausherr auch eine Einladung von Mark Pieth bekommen?
no comment
Jürgen Kalwa in der FAS: FBI und Sport: Amerikanische Aufklärer
Klasse zusammengefasst :-)
Wie immer klasse Infoquelle Jens!
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