16.31 Uhr: JW stellt mal die traurige, aber leider erwartbare News des Tages nachträglich voran:
Dr. Tamas Ajan (HUN) has been re-elected as President of the IWF today at the IWF Electoral Congress held in Moscow iwf.net/2013/05/20/dr-…
— IWF weightlifting (@iwfnet) May 20, 2013
Und weiter geht es mit Teil 3 der Recherche von Grit Hartmann:
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Es kommt tatsächlich vor, dass der scheidende IOC-Präsident Jacques Rogge auch nach zwölfjähriger Amtszeit noch als „Visionär“ oder „Erneuerer“ gepriesen wird. Hierzulande geschieht das derzeit sogar häufig. Sportpolitische Berichterstatter, denen der Oberolympier einmal im Jahr ein Interview gewährt, integrieren solche Bewertungen in eine Erzähltaktik, die besagen soll: Hier Rogge, der Reformer des Ringezirkels nach Samaranch, dort Thomas Bach, der Kronprinz und Samaranch-Zögling.
IWF-Serie
Die obskure Welt des Tamás Aján, ein ganz normaler olympischer Weltverband:
- Teil I: Geschäfte mit der Dopingkultur
- Teil II: Das Rätsel um die verschwundenen Millionen
- Teil III: Im langen Schatten der fünf Ringe
Eigentlich dürfte, dass man mit dem deutschen IOC-Vize nicht auf Reformen spekulieren sollte, auch ohne solche Manöver klar sein, die der schrägen Vorstellung frönen, auf dem IOC-Thron wirke derzeit ein Erneuerer. Dafür müsste man schon Rogges Baby, die Olympischen Jugendspiele (2014 veranstaltet das IOC die Sause in Allianz mit den chinesischen Machthabern in Nanjing, das Versagen beim Pekinger Härtetest 2008 lässt grüßen), für einen genialen Coup halten und die Aufnahme von ein paar neuen Sportarten ins bzw. den vorläufigen Rausschmiss der Ringer aus dem olympischen Programm für originär bei der notwendigen Modernisierung der Spiele.
Längst hat Rogge, der einstige Olympia-Segler, sein Schiff in den Wind gedreht, der schon unter Samaranch wehte. Das erschließt sich spätestens, sobald ungelöste Dauerfragen aus der olympischen Unterhaltungsindustrie, etwa zu bezahlbaren Spielen oder zur WADA-Finanzierung, an Rogges Start gemessen werden. Das Programm nach seiner Wahl im Sommer 2001: „Für die Glaubwürdigkeit des Sports. Gegen Doping. Gegen Korruption. Gegen Gewalt.“ Damals meinte Rogge auch, der Sport habe nur dann eine Zukunft, wenn er „seine ethischen Werte wiederentdeckt“.
Wie hält es also die olympische Familie, wenn einer der Ihren in den Ethik-Fokus rückt?
Die detaillierte Beschwerde der Gewichtheber-Offiziellen zu den unter ihrem Präsidenten, dem IOC-Ehrenmitglied Tamás Aján mysteriös verschwundenen olympischen Millionen böte im Wirtschaftsleben reichlich Indizien, um den Staatsanwalt auf den Plan zu rufen.
Im IOC, das sich seinen Rechtsrahmen selber geben darf, dreht sich die Waschanlage drei Monate. Dann antwortet nicht Rogge. Seine Rechtsabteilung teilt mit, warum der Präsident gegen Ermittlungen der Ethik-Kommission entschieden hat:
Für das formale Daumen-runter-Zeichen und die Feststellung, der Fall sei auf „Anwendung der IWF-Statuten“ bezogen, brauchte es wohl kaum die behauptete „seriöse Analyse“ diverser Unterlagen. Die tiefgekühlten sieben Zeilen sind eher ein Paradebeispiel dafür, was man im IOC unter Transparenz versteht: Sie lassen die Beschwerdeführer rätseln, welche Entlastungsbeweise die IWF vorgelegt haben könnte und warum Aján die dem eigenen Verband vorenthielt.
Und hatten die Kläger nicht angeboten, dem IOC-Präsidenten zur Verfügung zu stehen bei weiterem Klärungsbedarf?
Die IOC-Spitze ist gar nicht interessiert an dem, was die Heber vorzutragen haben. Dem erlauchten Kreis geht es nicht um Aufklärung, das ist das eine Problem. Zum anderen Problem sagt einer der Kläger:
Diese Absage war für uns ein echter Schock.
Zuerst deshalb, weil man sich auf einen Passus in der IOC-Anstandsfibel, im Ethik-Code berufen hat. „Die Olympischen Mittel der Olympischen Parteien“, heißt es scheinbar eindeutig in Abschnitt C, „sollen nur für Olympische Zwecke genutzt werden.“ Die Verwendung der Gelder sei außerdem „klar in der Buchführung“ auszuweisen. Auch tun sich gewisse Abgründe auf zwischen dem abschlägigen IOC-Bescheid und jener „Lebensart“ namens Olympismus, die ja, so lautet das erste der „fundamentalen Prinzipien“ der Olympischen Charta, „auf dem erzieherischen Wert des guten Beispiels“ aufbaut.
Antonio Urso, der Präsident des Europäischen Gewichtheber-Verbandes, und Marino Casadei, einer der IWF-Prüfer, wollen sich so einfach nicht abwimmeln lassen. Sie finden, Rogges Absage stehe im Widerspruch zu „den ethischen Werten des Olympismus“. So steht es in der Klage, die sie als Privatleute dem Internationalen Sportgerichtshof CAS vorlegen. Beklagter: das IOC und sein Präsident.
Das Urteil aus dem letzten Juni hätte durchaus knapp ausfallen können, denn die Richter entscheiden – so hatte es das IOC beantragt – nur über Fragen der Rechtshoheit und über die Zulässigkeit der Klage. Sie stellen auch tatsächlich fest, dass die Klage nicht zulässig war und dieser Fall außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt. Der CAS widmet ihm dennoch 195 Sätze – eine spezielle Beweisaufnahme dazu, was man so alles nicht einklagen kann im Rahmen der effizienten Selbstreinigung, der sich die olympische Familie mit ihrem Sportrecht angeblich unterwirft, präzedenzwürdig diskutiert am Umgang mit dem, was man durchaus für das Herz des Olympismus halten kann, mit den Marketing-Milliarden des IOC:
Das Urteil enthält viele erhellende Aspekte, manche mehr, manche weniger geläufig. Ich hebe nur einige hervor.
- So sind Entscheidungen der IOC-Granden „final“. Diskutiert werden darf höchstens noch über ihre „Anwendung“ oder „Interpretation“. Beides erübrigt sich eingedenk der klaren Abfertigung der IWF-Beschwerde durch Rogge.
- Sicher vor richterlicher Kontrollgewalt ist auch die Geschäftsmoral der Verbandsherrscher: Nur Streitigkeiten in direkter Verbindung mit den Olympischen Spielen können vorgetragen werden, das meint das zweiwöchige Spektakel (inklusive der Qualifikation dafür). Der Milliarden-Profit aus der Party fällt nicht darunter, ebenso wenig „Fragen bezüglich der Misswirtschaft“ in den Weltverbänden.
- Ausführlich erörtert der CAS ein generelles Phänomen: dass den Verbänden via Charta nur Minimalstpflichten auferlegt sind. Und da die Kläger auf ein halbes Dutzend „Empfehlungen“ für finanzielle Transparenz hingewiesen hatten, die einst unter Samaranch von der Kommission „IOC 2000“ erwogen wurden, es jedoch nie in die Charta geschafft haben, gerät das Urteil auch zum wenig schmeichelhaften Arbeitszeugnis für den Präsidenten Rogge.
Passiert ist nicht viel, seit das IOC nach dem Bestechungsskandal von Salt Lake City mit einigen Reförmchen die öffentliche Entrüstung eindämmte. Das gilt, obgleich der CAS feststellt, dass selbst diese „Empfehlungen“ die Weltverbände nicht ausreichend gebunden hätten.
Entscheidend nämlich ist: Die internationalen Föderationen sind gar keine „olympischen Parteien“. Deshalb ist für sie der Ethik-Code „nicht anwendbar“.
Zur Peinlichkeit rundet sich das Ganze, weil die Richter das IOC zur Übernahme von einem Drittel der Kosten verdonnern, verbunden mit der Feststellung, die Kläger hätten „vernünftiger und berechtigter Weise“ von der Zuständigkeit des CAS ausgehen können. Deutlicher kann die Missfallenskundgebung zu den wolkigen Vorschriften im IOC-Knigge kaum ausfallen, und bizarr wird es, vergleicht man mit dem, was die Ringe-Herren gelegentlich in Seminaren propagieren. Hier beispielsweise stehen „klare Regelungen“ ziemlich weit vorn:
All regulations of each organisation and governing body, including but not limited to, statutes/constitutions and other procedural regulations, should be clear, transparent, disclosed, publicised and made readily available. Clear regulations allow understanding, predictability and facilitate good governance.
Die Ernüchterung der Heber-Offiziellen reicht indes weiter:
Wir waren wohl naiv mit der Annahme“, sagt einer, „man würde uns im IOC gegen ein IOC-Mitglied unterstützen.“
Weltfremd ist der Verdacht nicht, dass der Ringezirkel unter Rogge die Seinen lieber schützt, als harten Indizien für anrüchige Praktiken nachzugehen. Um Angehörige des Olymp dürfen sich die Ethiker nämlich kümmern. Vergleichsgröße für Aján wäre der Fall des korrupten ehemaligen Volleyball-Präsidenten Rubén Acosta, von Mario Goijman zur Anzeige gebracht. Damals, 2003, hielt die IOC-Putzkolonne in einer Decision of notification to the parties sogar fest:
Das Axiom „Geld aus dem Sport muss in den Sport gehen“ stellt ein ethisches Prinzip dar, das jeden in der olympischen Bewegung bindet, besonders Sportführer; abgesehen von der Kompensation legitimer Ausgaben oder Verdienstausfällen muss dieses Prinzip angewandt werden.
Ein Axiom, das der CAS nun, mit dem IWF-Entscheid, korrigiert hat. Ein Heberfunktionär formuliert seine Erkenntnis so: „Die Weltverbände sind autonom, autonom auch zur Korruption.“ Tatsächlich erinnert das CAS-Urteil an eine andere Parallelwelt, in der ehrenwerte Patrone mit viel Geld jonglieren, ohne Regeln für den Umgang damit. Und wäre das IOC die ethische Institution, als die es sich ausgibt, hätte die eingedenk ausgeprägter Korruptionskultur drängende Frage, ob die Verbände sich selbst Anstandsregeln verordnen oder nicht, wohl eine andere Priorität auf der to-do-Liste.
Die mäßige Bereitschaft dazu ist gerade neu ausgeleuchtet worden, von der Action for Good Governance in International Sports Organisations (AGGIS), einer Unternehmung von Play the Game bzw. dem Dänischen Institut für Sportstudien in Kooperation mit sechs Universitäten und dem Europäischen Journalismus-Zentrum. Der 240 Seiten starke Report enthält auch empirisches Material zum Reformeifer der olympischen Familie:
- Nicht einmal jeder zweite Weltsportverband, 17 von 35, verfügt über einen Ethik-Code. Gerade einmal zwölf unterwerfen sich im Fall von Verstößen dem Urteil eines Ethik-Komitees. Dürfen die Tugendwächter auch unabhängig, also ohne Einfluss der Exekutive, operieren, ist also „zu erwarten, dass sie angemessen über das Verhalten des Vorstands urteilen“? Ergebnis: In gerade einmal zwei Föderationen, beim Radsport-Weltverband UCI und neuerdings bei der FIFA, darf das Ethik-Komitee selbst Verfahren einleiten. In der Regel verfährt man mittelalterlich-hierarchisch, ganz, wie Rogges IOC es vormacht: Die Fürsten bestimmen, welchem Fall die Ethiker nachgehen dürfen. Das, resümieren die Wissenschaftler die gängige „Good Governance“-Praxis, „unterminiert Prüfung schwer“.
Bei so viel Laissez-Faire in der Selbstkontrolle darf schon mal gefragt werden, warum eigentlich die IOC-Granden es mit ihrem Ethik-Code gegenüber Funktionären so anders halten als gegenüber den Athleten, für die der Welt-Anti-Doping-Code flächendeckende Bindungskraft hat. Die Verbände-Macht kann’s nicht wirklich sein, denn die Mehrheit der Internationalen Föderationen hängt am Geldtropf des IOC. Worauf die Milde in eigener Sache weist, liegt auf der Hand: Noch immer benutzt die Familie den Sport und die Athleten als Feigenblatt, um Werte zu predigen, zu denen ihr Moralgefüge wenig passt.
Der IWF steht die Gründung einer Ethik-Kommission erst noch bevor. Ihr wird in der seit Jahresbeginn gültigen neuen Verfassung präventiv das Attribut „unabhängig“ verpasst. Ermitteln darf die Truppe jedoch nicht von selbst, sondern nur, wenn Präsident, Exekutive, (nicht existente) Disziplinarkommission oder die Kongressmehrheit Beschwerde einreichen. Auch soll der IWF-Präsident allein entscheiden dürfen, wer bei den Hebern den Chefethiker und seinen Vize geben soll. – Antonio Urso, der italienische EWF-Präsident, resümiert die bisherigen Reformversuche unter dem Dauerherrscher Aján so:
Wir haben einiges geschafft, aber noch lange nicht genug.
Aján weiß, dass heute, beim Wahlkonvent in Moskau, über mehr als eine Personalie entschieden wird. Seine jüngsten Unternehmungen sind ganz darauf ausgerichtet: So will er die IOC-Millionen, die er fast zwei Jahrzehnte lang in der Schweiz hortete, großzügig ausgeben. In den aktuellen Haushalt ließ er bei gerade einmal 1,3 Millionen Dollar Einnahmen exorbitante Ausgaben von 5,2 Millionen Dollar schreiben, davon 1,7 Millionen für so genannte Entwicklungsprogramme – das Doppelte gegenüber Vorjahr, wo der Posten auch schon verdoppelt worden war.
An der Motivationslage für den neuen Altruismus des Patriarchen haben seine Kritiker keine Zweifel. Mindestens drei der fünf Aján-Konkurrenten würden die Transaktionen auf den Schweizer Konten untersuchen lassen: Urso, der Chinese Ma Wenguang und ein neuer Player, ein bisher in der Heberwelt eher unbekannter Geschäftsmann, der in Bulgarien NOK-Mitglied ist.
Ein ungemütliches Szenario. Nicht nur für Aján. Die IOC-Führung jedenfalls stellte gerade erneut unter Beweis, dass sie fest ans Gute im Olympier glaubt: Ehrenmitglied Aján wurde erneut in zwei Kommissionen berufen.
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Ich trage mal noch nach, was die IWF nicht mitgeteilt hat: Es waren 80 Nationalverbände für Aján, 55 für Urso.
Der Chinese Ma Wenguang ist Generalsekretär/Schatzmeister geblieben.
Aus deutscher Sicht: BVDG-Präsident Christian Baumgartner (siehe Teil II, einer der furchtlosesten Kritiker von Ajáns so sogennanter Anti-Dopingpolitik) ist in die Exekutive eingezogen.
Ansonsten gab’s in Moskau reichlich Schützenhilfe vom IOC für den Präsidenten: Wu Ching-kuo, Thronanwärter auf die Rogge-Nachfolge, hat als erster Gastredner ein Loblied auf Aján gesungen. Auch Kip Keino, einstiges Laufwunder aus Kenia, ebenfalls IOC-Mitglied. Zugabe: Patrick Schamasch, langjähriger IOC-Chefmediziner. Aján hat dann allen den IWF-Order of Merit übereignet.
Baumgartner:
Amen.
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