Ergänzend zu meinen gestrigen Anmerkungen hier der Zwischenbericht zum viel diskutierten (und hyperventilierend diskutierten) Dopingforschungsprojekt. Der Zwischenbericht vom September 2011, der damals in Berlin vorgestellt wurde, wobei der Projektleiter Giselher Spitzer erstmals vom „systemischen“ Doping in der Bundesrepublik sprach.
Angeblich will das Bundesinnenministerium die gesamte Studie heute noch online veröffentlichen.
Hoppala, gerade werde ich in den Kommentaren darauf aufmerksam gemacht, dass das BISp einige Basis-Infos zum Dopingprojekt veröffentlicht hat. Erstmals in dieser Ausführlichkeit, meine ich, gestern zum Beispiel hatte ich die BISp-Webseite erneut abgegrast und kaum etwas gefunden außer einigen „Klarstellungen“ zu Diskussionen über die Jahre, wie etwa dieser. Also:
- Bundesinstitut für Sportwissenschaft: Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation
Zurück zur Präsentation des Zwischenberichtes 2011: Einiges, was jetzt medial als angeblich neu verhandelt wird, tauchte damals schon auf und wurde öffentlich besprochen.
Das gilt für beide Präsentationen von Zwischenergebnissen: 2010 in Leipzig und 2011 in Berlin. Zahlreiche Links zu Presseartikeln über diese Zwischenberichte finden sich u.a. in der Kommentarspalte dieses Beitrages.
Damit mal alles auf einer Seite steht, hier noch einmal die Unterlagen zur wirren „Präsentation der Ergebnisse“ des Projekts im November 2012 in Berlin. Wobei das Papier ohne die Live-Berichterstattung nicht richtig zu lesen/zu verstehen ist:
- Die Bankrotterklärung (I): „Doping in Deutschland“
- Die Bankrotterklärung (II): „Doping in Deutschland“
Ich verzichte für den Moment auf grundsätzliche Anmerkungen, habe gestern ein kleines Plädoyer gehalten und u.a. dargelegt, dass der schwarze Peter in diesem Projekt nicht so leicht zu verteilen ist.
Ich sehe auf der Seite der Historiker der Humboldt-Uni und der Uni Münster viele offene Fragen zu den Abläufen, die einfach nicht transparent und überzeugend beantwortet werden. Warum das so ist, weiß ich nicht.
Das BISp-Projekt
Über den Ablauf des 2008 ausgeschriebenen Doping-Projekts gibt es hier im Blog u.a. diese Beiträge, gespickt mit interessanten Diskussionen und hunderten Links:
Eine kleine Presseschau, trotz #LSR:
- gestern Nacht schon verlinkt: Interview von Christian Aichner mit Giselher Spitzer auf web.de: „Wie weit reichte das Doping-System?“
- Anno Hecker in der FAZ im Gespräch mit Hansjörg Kofink: „Das konnte man alles wissen“
Gestern habe ich als Vorreiter der Doping-Aufklärung die Buchautoren Brigitte Berendonk, Werner Franke, Andreas Singler und Gerhard Treutlein erwähnt – Hansjörg Kofink gehört als einer der Whistleblower aus dem Sport ebenfalls in diese Riege. Er sagt in der FAZ u.a. zu den aktuellen Äußerungen von „Sportpolitikern“:
Das ist doch übelste Heuchelei. Ich glaube nicht, dass Politiker mit Interesse am Sport das alles nicht gelesen haben wollen. Sie haben sich immer herausgehalten, die Souveränität des Sports vorgeschoben und das Geld vom Bundesinnenministerium, das für Spitzensport zuständig ist, überweisen lassen.
Das war doch der Hinweis an den Sport: Wir sind einverstanden mit dem, was ihr macht, solange Medaillen rausspringen. Die Bundespolitik hat in den siebziger Jahren das Signal an die Medizin gesendet: Macht ein bisschen was, wenn wir dann mithalten können. Die Vergabe von Anabolika ist ja heftig diskutiert worden, auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Auch auf die Gefahren wurde immer wieder hingewiesen. Konsequenzen gab es keine.
- Jens Hungermann in der Welt: Wie wahrhaftig ist die Sportgeschichte West?
- Grit Hartmann in der Berliner Zeitung: Ein zu frühes Urteil
Spätestens seit anderthalb Jahren gilt als historisch verbrieft, warum Sportmediziner in Freiburg oder Köln sich intensiv für Dopingsubstanzen interessierten und weshalb das dem Bundesinnenministerium (BMI) beigeordnete Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) ihre Forschungen eifrig finanzierte: „Das Ziel des BISp bestand ganz offensichtlich darin, die Anwendung der Anabolika im Leistungssport wissenschaftlich begründen zu lassen.“
So steht es im Zwischenbericht einer Forschergruppe der Berliner Humboldt-Universität. Vorgelegt wurde er im Herbst 2011 als Teil der Studie „Doping in Deutschland 1950 bis heute“, an der auch die Uni Münster mitarbeitete. (…)
Auf diesem Hintergrund entwickelte das Thema am Wochenende eine neue Dynamik: Der Süddeutschen Zeitung lag der vollständige Bericht auf 800 Seiten vor, und was das Blatt ausbreitete, entfachte einen Sturm der Entrüstung übers „Staatsdoping West“. Die Historiker hätten, heißt es da, „akribisch zusammengetragen, wie systematisch auch in der Bundesrepublik gedopt wurde“. Die „westdeutsche Gewissheit“, dass die „richtig Bösen“ im Osten saßen, sei „jetzt erschüttert“. Die Geschichte müsse umgeschrieben werden.
Nahe gelegt wird, dass es sich im Westen keineswegs um „Staatsdoping light“ handelte. Sondern, dass die Sportsfreunde dasselbe praktizierten wie ihre feindlichen Brüder im Osten: systematisches Staatsdoping, einschließlich verbreiteter Anabolika-Verabreichung an Minderjährige. Das mag Balsam auf manche geplagte Ostseele sein – aber war das so? Die Behauptung wäre zumindest verwegen, durch die aktuelle Veröffentlichung ist sie kaum gedeckt. Die belegt erneut, wie der Bund unter Vorwänden, wie sie Tröger oder Richthofen bis heute vortragen, Dopingforschung förderte – schlimm genug. Belege für staatlich organisiertes Dopen der Marke DDR liefert sie nicht.
- Johannes Aumüller und Thomas Kistner in der SZ: Zweckentfremdung, Irreführung, Betrug
- Erik Eggers, Co-Autor der Studie, diesmal als Autor im Tagesspiegel: Dopingskandal ist ein Fall für den Bundestag
(Mir unverständlich, warum man von der Bundessportpolitik in irgendeiner Weise Aufklärung erwartet. Das halbe Blog dreht sich darum, dass das eben nicht zu erwarten ist.)
Im Kölner Stadt-Anzeiger steht auch ein Interview mit Erik Eggers. Online finde ich das (noch) nicht.
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