tl;dr: Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft veröffentlichte am Montag auf öffentlichen Druck sechs Dateien zum heiß diskutierten Forschungsprojekt „Doping in Deutschland“. Parallel dazu zeigt sich am Landgericht Stuttgart beim Verfahren gegen den Radprofi Stefan Schumacher eine düstere Konstante des real existierenden deutschen Hochleistungssports: Für heute, Dienstag, ist der Sportmediziner Ernst Jakob als Zeuge geladen, einst Teamarzt bei Gerolsteiner. Ein Zögling von Joseph Keul. Jakob war an mehreren staatlich finanzierten Dopingstudien beteiligt, darunter an einer, deren Ergebnis gemäß Bericht der Humboldt-Uni verfälscht worden sein soll. Zwischenergebnis der Recherche für diesen Beitrag in der Berliner Zeitung: Der DOSB lässt die Zusammenarbeit mit dem langjährigen Olympia-Arzt Jakob vorerst ruhen.
Vielleicht hat der laufende Betrugsprozess gegen den Radprofi Stefan Schumacher seine Pleite schon erlebt. Anfang Juli, am 11. Verhandlungstag, gab sich jedenfalls ein weiterer Bedenkenträger zu erkennen: „Die Zweifel, die man letztendlich hat, sprechen am Ende vielleicht schon für Schumacher“, sagte der bis dahin unnachgiebige Staatsanwalt Peter Holzwarth. „Ich muss ihn nicht um jeden Preis verurteilen.“
Der Radler soll ja, so steht es in Holzwarths Anklage, seinen Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer um rund 150.000 Euro betrogen haben, weil er Doping verschwieg. Dass Holczer so ahnungslos war, wie er behauptete, nahmen ihm nur wenige ab – und der Prozessverlauf brachte auch den guten Glauben des Anklägers ins Wanken.
Damit ins Landgericht Stuttgart. Dort ist heute Ernst Jakob geladen, derzeit ärztlicher Direktor der Sportklinik Hellersen (Sauerland), einst verantwortlicher Arzt bei Gerolsteiner. Mit ihm im Zeugenstand: die düstere Konstante des deutschen Spitzensports. Jakob kommt aus der Freiburger Ärzteschule, er ist einer der Zöglinge des Doyens der westdeutschen Sportmedizin Joseph Keul. An der staatlich finanzierten Dopingforschung, die am Wochenende neuen Wirbel auslöste, wirkte er maßgeblich mit.
Ob Jakob aussagt oder sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, dürfte auch für Holzwarth spannend werden. Denn an jenem 11. Verhandlungstag erschütterte ihn ein Attest aus dem Jahr 2007 mit der Unterschrift des Arztes, dem Teamchef Holczer vertraute. „Ein glücklicher Umstand, dass es noch da war“, sagt Schumacher-Verteidiger Dieter Rössner. Jakob hatte das Papier nach Spanien gefaxt, wo Schumacher die Vuelta abbrach, um sich auf die Heim-WM in Stuttgart vorzubereiten. Dafür verpassten ihm die Mediziner vor Ort schnell noch eine Kortisonspritze. Jakobs Ferndiagnose aus Deutschland: Achillessehne. Schumacher sagte aus: „Das Attest diente abgesprochen nur dazu, es bei Kontrollen in Deutschland zur Täuschung vorzuweisen.“
Ähnliche Vorgänge – Kortison von Jakob zur reinen Leistungssteigerung – gab auch David Kopp dem Gericht zu Protokoll. Und Schumachers Kollege berichtete von weiteren Diensten des Arztes: „Unterhalten habe ich mich über alle Präparate.“ Mehrfach im Jahr sei er bei Jakob in der Klinik Hellersen gewesen, um sich beraten zu lassen über den optimalen Einsatz dessen, was sich die Gerolsteiner-Profis selbst beschafften – Epo, Wachstumshormon, Testosteron.
Spätestens damit drängt sich die Frage auf, was eigentlich geblieben ist von all den angeblich frommen Forschungen der westdeutschen Sportmedizin mit den Dopingknallern. Die aktuelle Berliner Historiker-Studie kam zu dem Schluss, dass sie der Vorbereitung von Doping dienten.
Eine dieser Arbeiten, 1988 in der Zeitschrift Sportmedizin publiziert: „Testosteronapplikation und Leistungsfähigkeit bei Skilangläufern“.
Erstautor Ernst Jakob fand offiziell nur heraus, dass Testosteron keine „Unterschiede in der Leistungsfähigkeit“ brachte. Was der Aufsatz verschwieg, hielten die Berliner Historiker fest: Die Versuche mit Kaderathleten zeitigten eine für Dopingzwecke nützliche „signifikante Erhöhung hämatologischer Parameter“.
Hier eine ausführlichere Passage aus dem gestern Nachmittag veröffentlichten Berliner Abschlussbericht (S: 53ff):
In den Publikationen zur Studie „Regeneration und Testosteron“ wurde grundsätzlich stets der Eindruck vermittelt, dass Testosterongaben im Ausdauersport keinerlei Nutzen besitzen. Dieses Ergebnis teilte Projektleiter Keul im Grunde schon mit, bevor die erste Testosteron-Spritze überhaupt gesetzt wurde. Auch vor dem Hintergrund der Erfolge Liesens im Ausdauersport wünschte Keul augenscheinlich Resultate, die regenerative Effekte durch Testosterongaben, wie Liesen sie berichtete, widerlegten.
Dieser Wunsch war offenbar so groß, dass er nicht einmal vor der Manipulation bzw. vor der Verdeckung von Forschungsergebnissen zurückschreckte.
Die historische Analyse der Studienergebnisse zeigt, dass der Doktorand Volker Fuchs (1988) bereits für die I. Teilstudie in Freiburg anders lautende Ergebnisse erbrachte. Sein Bericht von der signifikanten Erhöhung hämatologischer Parameter durch Testosterongaben unterschlug der Aufsatz von Jakob et al. (1988). Keul (1987) deutete diese Ergebnisse in seinem ersten offiziellen Bericht für das BISp dahingehend um, dass sie „nicht im Sinne einer positiven Leistungs- oder Regenerationsbeeinflussung interpretiert werden können“. Fuchs, den Keul als erster Gutachter betreut hatte, war indes zu diametral anderen Ergebnissen gekommen:
Ihm zufolge konnte man tatsächlich von regenerativen und also leistungssteigernden Effekten durch Testosterongaben sprechen. Einen Interpretationsspielraum lässt die Arbeit kaum; auch genoss Fuchs, der eine akademische Vorbildung als Physiker besaß, nach unseren Erkenntnissen in Freiburg einen Ruf als penibler und gewissenhafter Wissenschaftler. Erst mit dem internen (und nie veröffentlichten) Abschlussbericht von Dezember 1992 teilten Keul und Jakob dem BISp schriftlich mit, dass die Testosterongabe einen Einfluss auf die Blutbildung gehabt habe, der „rechnerisch“ einen positiven Effekt auf die maximale Sauerstoffaufnahme ergebe. Die Freiburger Arbeitsgruppe hielt dieses Ergebnis also gegenüber dem Auftraggeber vier Jahre zurück. Auch 1992 wurde das BISp über die präzisen Resultate von Fuchs nicht informiert. Die Öffentlichkeit wurde bis heute nicht über diese Ergebnisse der steuerfinanzierten Testosteronforschung aufgeklärt.
Bestätigen die aktuelleren Beratungsdienste, die Jakob für Radkunden erbracht haben soll, den Verdacht, dass damals vom Steuerzahler finanzierte Studienergebnisse verfälscht wurden? Werfen sie ein neues Licht auf einen Vorfall im Jahr 2006, aus der Geschichte des langjährigen Olympia- und Skiverbandsarztes Ernst Jakob? Als Evi Sachenbacher in Turin eine Schutzsperre wegen überhöhter Blutwerte kassierte, versuchte der Mediziner das mit natürlichen Schwankungen zu erklären. Der Weltsportgerichtshof CAS folgte ihm nicht.
Es herrscht also Klärungsbedarf – zuerst beim DOSB und seinem Präsidenten Thomas Bach. Der flötete am Wochenende der Öffentlichkeit zu, er „fordere“ die Veröffentlichung der Berliner Studie – „im Sinne einer größtmöglichen Transparenz“. Damit hat es der DOSB im Fall Jakob nicht so, nicht gegenüber deutschen Spitzenathleten. Denen nämlich empfahl er Ernst Jakob gern als Anlaufpunkt.
Erst gestern setzte der Dachverband, nach mehreren Anfragen der Berliner Zeitung zum Schumacher-Prozess, den Vertrag mit der Klinik Hellersen aus. Sie ist eines der vom DOSB lizensierten „sportmedizinischen Untersuchungszentren“, und noch vor drei Wochen lautete die Auskunft, dass daran nichts zu ändern sei. Zwar habe man Jakob, formulierte Bach-Sprecher Christian Klaue, „schon im April proaktiv“ aufgefordert, sich zur „Klärung des Sachverhalts“ an die DOSB-Doping-Kommission zur Überprüfung von Offiziellen zu wenden. Doch „Konsequenzen“ seien „letztendlich von staatlicher Rechtsprechung“ abhängig. Bis dahin gelte, natürlich, „die Unschuldsvermutung“.
Also keine Warnung an Athleten – auch nicht, als die Staatsanwaltschaft Freiburg im Mai ein Ermittlungsverfahren gegen Jakob eröffnete, nach Anzeige von Werner Franke, knapp vor Ende der Verjährungsfrist. Vor zwei Wochen dann räumte der DOSB ein, die Lizenz für Hellersen könne auch aufgehoben werden, wenn Verstöße gegen den Code der Nationalen Antidoping-Agentur festgestellt würden. Ein solcher Verstoß wäre nach Paragraf 2 schon gegeben, wenn Jakob den Gerolsteiner-Radlern tatsächlich Doping-Know How vermittelte. Nur hat die NADA – anders als etwa die USADA, die Armstrongs Helfer gleich mit sperrte – noch nie gegen Betreuer ermittelt. Im Fall Jakob prüft sie nun immerhin, ob sie sich an dieses Novum wagt.
Das alles kann dauern, das weiß auch der DOSB. Der wollte sich wohl nicht vorwerfen lassen, den Mediziner mit der fragwürdigen Spezialexpertise weiterhin uneingeschränkt anzupreisen. Gestern jedenfalls kam diese Mitteilung:
Der DOSB lässt die Zusammenarbeit ruhen, bis unsere Kommission im Fall Jakob eine Empfehlung abgegeben hat.“
Das ist auch besser so. Sonst könnte die Botschaft des Dachverbands an deutsche Athleten am Ende gar missverstanden werden: Noch einer, der Insider-Tipps gebrauchen kann?
Erstveröffentlichung in der Berliner Zeitung. Erweiterte Version.
{berliner-zeitung.de}
Das wird so sein. Auch im Erwachsenenalter wird nach dem infantilen Muster verfahren: Wenn ich auf meinen Spielgefährten Dreck werfe, sieht der schön dreckig aus und ich könnte, wenn ich rechtzeitig in Deckung gehe, sauber bleiben. ;)
Hat nicht geklappt, aber man sollte nicht den Apparat unterschätzen. Wenn schon das BMI schredert, dann können das andere auch. Aber vllt. gibt es ja beim Verfassungsschutz etwas zu holen. … Ach so, ja. Demokratische Geheimdienste kümmen sich um so etwas ja nicht.
Es sei denn, …
Eigentlich müsste man brüllen, für wie dämlich hier die Öffentlichkeit seit langem gehalten wird. Da fiel es scheinbar auch leicht, Leute mit anderer Meinung kalt zu stellen, sie als Nichtinsider zu „entlarven“, wenn sie die Gleichbehandlung des ostdeutschen und westdeutschen Sports fordern und die Einseitigkeit und Unangemessenheit der Aufklärung des deutschen Dopings zu Lasten der DDR scharf kritisierten. Damit Frau Hartmann, die das ja sicher lesen wird, nicht gleich wieder losheult: Ich bin weder Insider, noch habe ich je etwas mit Doping zu tun gehabt. Ich habe lediglich Menschenverstand und Gerechtigkeitsempfinden und vertrete meine Meinung als Individium. Die gern benutzte Formulierung, um sich nicht mit meinen Argumenten auseinandersetzen zu müssen, war “Ihre Verschwörungstheorien”. Wie man sieht, kann es doch nur eine Verschwörung gewesen sein. Heute würden meinen Bemerkungen als die eines SPD- oder Grünenpolitikers ganz gut abgehen. :D
Die offensichtliche Einseitigkeit in der anklagenden Parteinahme — auch schnell einmal unbegründend vorauseilend — der Dopingberichterstattung und den einschlägigen Buchveröffentlichungen hat mich einfach angek****. Das hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, dass man aus der DDR kommt und irgendwo etwas diesbezüglich schreibt. Es war mir einfach zu penetrant. Heute melden sich ähnlich viele andere — selbst CDU- und FDP-Politiker wie Bergner und Günther. Aber jetzt ist es ja auch leichter, da solch eine Art der Empörung nicht mehr sanktioniert wird.
Ich kann mich nur Prokop anschließen, der im Interesse der ungedopten Sportler und ihrer Leistungen fordert, Roß und Reiter auch in Westdeutschland zu benennen. Neue Ergebnislisten, neue Geschichtsschreibung? Das wäre ein Erdrutsch vom Feinsten, den ich jedoch gern dem Sport ersparen möchte. International gab es ja nie von den Verbänden und dem IOC die geleistete Bewegung in solch eine Richtung. Da muss der deutsche Sport wohl jetzt alleine durch, genauso wie der deutsche Rechtsstaat die westdeutschen Täter so bestrafen müsste, wie er es mit den ostdeutschen tat.
{mz-web.de}
Daran zweilfe ich allerdings, weil ich nachwievor der Auffassung bin, dass hier vor allem politische Gründe das Mass aller Dinge waren. Vorraussetzung wäre dafür allerdings erst einmal die Nennung von Namen, von Reitern. Und da kann passieren, dass die Öffentlichkeit ewig warten muss. Der deutsche Rechtsstaat wird sich schon etwas einfallen lassen. ;) Allerdings wäre der bundesdeutsche Sport gut beraten, hier für alle Seiten eine akzeptable Lösung zu finden. Denn schon lange wächst hier nichts mehr zusammen, sondern man geht sich immer mehr aus dem Weg.
Als gestern abend der Sprinter Ommer im ZDF berichtete, wurde wieder einmal klar, wie noch lebende Zeitzeugen des westdeutschen Dopings heucheln, lügen und vertuschen (wollen). Dass sich darunter der Kandidat Nr. One für das höchste IOC-Amt befinden muss, verschlägt einem die Sprache. Hier wird jedoch wieder einmal auf Zeit gespielt, wie schon immer. Diesmal vllt. nicht 20 Jahre, die Wahlen sind ja September. Aber eigentlich müsste Deutschland seinen Kandidaten Thomas Bach unter diesen Bedingungen nur einfach zurückziehen.
Aber Größe war auch in der deutschen Sportpoltik noch nie opportun. Kleingeist, Herumgewerkle, Neid, Missgunst, Erfolgs- und Postensucht bestimmen das Behaviour. Um die Athleten geht es da eher nicht, die haben zu spuren oder sie sind draußen. Ein Grund findet sich immer. Doch irgendwann frißt sich so ein System mal selber auf.
{zdf.de}
Das ganze Rätsel wird doch niemals aufgelöst bzw. dann noch öffentlich preisgegeben. Im Bereich des Profi-Sports kann man sicherlich vielen Doping unterstellen. Das Problem ist doch, dass keiner mehr weiß, was in welchen Mitteln enthalten ist. Jetzt stehen dann vielleicht wieder mal welche im Pranger, leider aber nur in Deutschland. Dass die restlichen Nationen auch ihre Sportler beim DOping unterstützt haben, ist zweitrangig. In Deutschland wird es offengelegt und diskutiert. Politische Ziele sind eh der Auslöser. Alleind eshalb wird es keine dauerhafte öffentliche Diskussion geben… Skandale, die in den Machtbereich der Politik gehen, werden doch immer nur angerissen und bald unterm Teppich gewischt. Siehe Beispiel Hoeneß… Im Idealfall vergessen es alle Fußball-Fans wieder und dann kann er still und heimlich wieder Politiker beraten…
Grit Hartmann in der Berliner Zeitung: Denn sie widerrufen nicht
Sebastian Krause für den BR (2:25 min): Ex-Sportarzt: Habe Anabolika verabreicht
Ralf Meutgens (2007): Doping im Radsport
S. 46-50:
Anno Hecker und Ralf Meutgens in der FAZ: Rezepte vom Guru