KOPENHAGEN. In der Nacht wurden in Rio die Paralympics eröffnet, ohne den deutschen IOC-Präsidenten, was man durchaus als skandalös bezeichnen kann, wie Thomas Bach seit einem Monat dem IPC und damit auch den Paralympischen Spielen die kalte Schulter zeigt. Dazu dieser Tage mehr. Heute aber melde ich mich aus dem Hilton Hotel am Flughafen Kastrup in Kopenhagen: Dort präsentieren sich die verbliebenen beiden Kandidaten für die Präsidentschaft in der Europäischen Fußball-Union UEFA den nordischen Fußballverbänden und einigen Journalisten:
Der Holländer Michael van Praag und der Slowene Aleksander Čeferin.
Der dubiose Interims-Präsident und FIFA-Vize Ángel María Villar Llona ist vorgestern Abend von der Kandidatur zurückgetreten. Warum? Wer steht hinter van Praag, wer hinter Čeferin? Was haben die Kandidaten zu sagen? Welche Machtspielchen und Deals laufen im Hintergrund? Was haben die Kandidaten zu bieten?
Dazu heute mein Live-Blog von einem außergewöhnlichen kleinen aber feinen Event in Kopenhagen – aus erster Hand.
Das Manifesto von Michael van Praag: „Building Bridges“
Das Manifesto von Aleksander Čeferin: „Creating the Perfect Balance“
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10.39 Uhr: Auf geht’s. Die Lobby des Hilton füllt sich. Michael van Praag sitzt seit einer Stunde im Meeting mit den nordischen Verbänden Finnland, Schweden, Island, Dänemark, Faröer und Norwegen. Er ist seit gestern Mittag in Kopenhagen. Čeferin fliegt erst ein und ist später dran.
Gerade kommt diese lustige Meldung der gestrengen FIFA-Ethikkommission:
World Cup 2006 scandal: FIFA „ethics“ proceedings against former DFB GS Helmut Sandrock – sanction of social work :) pic.twitter.com/zpD133L2vZ
— Jens Weinreich (@JensWeinreich) September 8, 2016
10.52 Uhr: Was man zum UEFA-Wahlkampf unbedingt gelesen haben muss und was in den Diskussionen hier eine Hauptrolle spielt:
- Willem Feenstra und Mark Misérus in „de Volkskrant“: FIFA president Infantino violated code of ethics with voting advice
- Andreas Selliaas, Pål Ødegård und Håvard Melnæs in „Josimar“: The President’s man
In beiden Texten geht es u.a. um die dubiose Rolle des ehemaligen norwegischen Generalsekretärs Kjetil Siem, jetzt Berater des FIFA-Chefs Gianni Infantino, der schon seit einiger Zeit für Čeferin werkelt und früger auch für Joseph Blatter das Feld bereitet hat – auf dem Weg zum Friedensnobelpreis.
11.41 Uhr: Erste Notizen von Michael van Praag aus dem laufenden Medientermin:
Haben über Fußballentwicklung gesprochen, natürlich auch über Transparenzfragen und Compliance, das volle Programm.
Ich verlasse das Meeting mit einem guten Gefühl.
Ich empfehle allen, auf meiner Webseite das Programm anzuschauen.
UEFA war zuletzt zu sehr auf Klubfußball konzentriert. Das ist einerseits klar, denn da wird das Geld generiert, das auch den Verbänden zugute kommt.
Einige Dinge müssen aber geändert werden:
- UEFA muss viel mehr für die Nationalverbände tun, mit den Präsidenten kommunizieren, mit ihnen arbeiten und auf ihren Rat hören.
- das muss sich schnell ändern!
- Viele Präsidenten fühlen sich allein gelassen.
- Die Administration der UEFA muss sich einem Sparprogramm unterwerfen.
Jetzt kommt er mit seinen drei Prozent, die automatisch eine Million für jeden Nationalverband bedeuten würden.
Die Balance stimmt nicht, sagt er.
Kosten reduzieren. In der ersten Woche meiner Amtszeit würde ich zwei Scans machen: financial und organisational. Und dann handeln!
Ich habe in den vergangenen Wochen Länder besucht, die brauchen unbedingt Hilfe: nicht nur Geld, die komplette Infrastruktur und Hilfe beim Aufbau von vernünftigen Strukturen.
Ich denke, es ist die Verpflichtung der großen Klubs in Europa, mir dabei zu helfen.
Wofür steht die UEFA?
Der Verband braucht Transparenz. Auf die Webseite der UEFA gehören die Protokolle unserer Vorstandssitzungen und umfangreichere Finanzberichte als bisher.
Während wir uns hier unterhalten, stellt sich Aleksander vor.
Ein Schwede fragt nach der Haltung des schwedischen Verbandes, der im FIFA-Wettstreit van Praag unterstützt hatte, nun aber für Čeferin arbeitet und stimmen wird.
Ich weiß das nicht, sagt van Praag. Mit haben sie es nicht gesagt.
Jan Jensen aus Dänemark (Ekstrabladet) fragt, wer ihn ermuntert hat für die Kandidatur und wer ihn unterstützt.
Ich bin zwar im UEFA-Exekutivkomitee, aber wer nicht Präsident ist, dem sind die Hände gebunden, sagt van Praag.
Ich habe in den Zeitungen viel über Russland gelesen, dass Russland jemanden anderen unterstützt. Es ist eine freie Welt, jeder hat das Recht dazu. Obwohl es natürlich komisch ist, wenn man seine Unterstützung schon vier Wochen vor dem Termin bekannt gibt, an dem sich die Person überhaupt erst zu einer Kandidatur erklärt.
Er hat versucht, mit den Russen zu reden. Die sind ihm über viele Wochen ausgewichen.
Der Unterschied zwischen dem FIFA- und UEFA-Wahlkampf sei: Im FIFA-Wahlkampf habe kaum jemand sein Manifest gelesen – im UEFA-Wahlkampf hat es offenbar jeder gelesen, mit dem er gesprochen hat.
Nochmal: Wer unterstützt ihn?
Das Problem ist, nicht alle sagen, wen sie unterstützen, antwortet van Praag.
Wenn meine Unterstützer nicht möchten, dass ich sie nenne (außer England, Belgien u.a.), dann mache ich das auch nicht. Für manche kann das kontraproduktiv sein. Es war doch in der Vergangenheit oft so, dass die Leute ihren Job los geworden sind, weil sie sich vorher für den falschen Kandidaten ausgesprochen haben.
Ein Kollege hat vor ein paar Jahren am Morgen eines Wahltages mit 30 Stimmen gerechnet. Er bekam 23. So ist das.
Robert Kempe fragt nach der Haltung des DFB.
Wir haben Demokratie. Jeder kann tun, was er möchte. Trotzdem war ich etwas enttäuscht von der Entscheidung des DFB. Ich war zuversichtlich, ich habe nicht damit gerechnet.
Jemand fragt, ob der Fußball bereit sei für so komische Sachen wie „Transparenz“.
Sie sprechen mit einem Holländer: Compliance, Good Governance und Transparenz sind bei uns Top-Themen. Ich habe mich immer dafür eingesetzt. Ich habe die FIFA kritisiert, ich habe die Themen auch immer wieder in die UEFA eingebracht.
Ich frage nach dem Zusammenhang zwischen den Bewerbungen für die EM 2024/2028 und dieser UEFA-Wahl.
Ich weiß es nicht. Es gibt noch keine offizielle Erklärung der Nordic Countries dazu, nur frühe Überlegungen. Das wurde in unserem Meeting heute nicht erwähnt. Ich habe es auch nicht angesprochen. Das sollte meiner Meinung nach nichts mit dieser Wahl zu tun haben. Für mich zählt das nicht.
Deutschland will die Euro 2024, das hat mir der Präsident gesagt.
Klar ist, ein UEFA-Präsident kann über die Austragung einer Europameisterschaft nicht entscheiden, aber er kann sehr wohl Leute beeinflussen
War die neue Struktur der Champions League heute ein Thema?
Ja, ich habe es ausführlich erklärt, wie es dazu gekommen ist. Mir gefiel das Procedere nicht, wie es dazu kam. Ich denke, da braucht es noch einiges Fine-Tuning.
Ich sage ihnen: Die UEFA wird die mittelgroßen und kleinen Klubs nie im Stich lassen.
Das Problem ist doch aber nicht nur die UEFA. Das Problem ist auch, wie die Entscheidungen in der Kluborganisation ECA vorbereitet werden. Das hat mir Edwin van der Saar ausführlich erklärt. Dort haben die großen Klubs viel mehr Stimmenanteile, da ist es nicht wie in der UEFA mit ihrem System one country, one vote.
Wir haben die Dinge zu weit kommen lassen. Wir müssen nacharbeiten. Wir müssen neu justieren.
Am Freitag das nächste Meeting – diesmal in Florenz. Da ist er auch eingeladen, als Präsident des holländischen Verbandes.
Sie wollen das Meeting dafür nutzen, um Čeferin zu promoten. Ich schaue mir das an. Inzwischen heißt es, das sei ein closed meeting. Vielleicht darf ich da gar nicht mehr rein. Ich weiß es nicht. Ich lasse mich überraschen.
14.01 Uhr: Michael van Praag ist schon wieder eingecheckt und fliegt in wenigen Minuten weiter. Im Raum Thor des Hilton Hotels tritt gleich Aleksander Čeferin auf, der sich zuvor im Raum Vidar den Funktionären der sechs nordischen Verbände gestellt hat, die aber ja ohnehin für ihn stimmen.
14.44 Uhr: Sehr strange, das Ganze. Sehr komischer Auftritt. Merkwürdiges Gefühl. Keine Einzelinterviews wie van Praag. Sehr reserviert. Nur knapp eine Viertelstunde Antworten im Presseraum, dann Abmarsch zum Flugzeug. Keine Ausnahme. Habe versucht, ihn zu einem Aufsager zu gewinnen, wie bei van Praag. Keine Chance.
Das Protokoll:
Question of his eligibility in Slovenia?
Hat es nie gegeben. Der ehemalige Präsident des slowenischen Verbandes hat mal eine Menge Unsinn erzählt. Er wusste es nicht besser. Das ist längst korrigiert.
Unterstützung der nordischen Nationen – wie versprochen?
Warten wir mal ab, was bei der Wahl passiert. Ich denke, dass die Kollegen für mich stimmen.
Euro 2024 mit dieser Wahl verbunden?
Ich habe noch keine Bewerbungen gesehen.
Wer steht hinter ihm?
Platinis puppet? Einen Tag bin ich Platinis puppet, am nächsten Tag Infantinos puppet, am dritten Tag Mutkos puppet, dann vielleicht eine italienische Puppe.
Es ist schwer für Journalisten anzuerkennen, dass ein Vertreter einer kleinen Nation unabhängig sein kann. Aber ich sage Ihnen, ich bin absolut unabhängig.
Er wird ausgerechnet von der Skandalnation Russland unterstützt. Korruption, Staatsdoping etc …
Doping? Das weiß ich nur aus den Medien. Im Prinzip bin ich gegen Kollektivstrafen.
Haben Sie, wie Josimar schreibt, Schwedens Verbandschef Karl-Erik Nilsson einen Sitz im Exekutivkomitee versprochen?
First of all, das ist eine komplette Lüge. Das habe ich den Journalisten auch gesagt. Ich wurde nicht nach solchen Versprechen gefragt. Ich habe nichts versprochen. Ich sollte eher die Journalisten fragen, wie sie sich fühlen, Lügen zu verbreiten. Ich habe keine Exko-Sitze versprochen, ich kann die nicht versprechen.
Warten wir doch mal ab, ob die skandinavischen Länder sich überhaupt für eine Euro bewerben.
Robert Kempe fragt nach dem DFB und nach seinen Beratern.
Ich habe Präsident Grindel und den Generalsekretär in Paris getroffen. Wir haben über die Zukunft des Fußballs gesprochen, da hatte ich noch kein Programm. Zum zweiten Mal habe ich ihn in München gesprochen. Ich habe keine Berater. Ich bezahle meine Kampagne selbst. Ich kann mir keine Berater leisten.
Auch hier die Frage nach der Reform der Champions League.
Ich will nicht zu populistisch sein und versprechen, dass ich alles ändern werde. Aber ich denke, es geht nicht, wenn kein Verein und kein kleinerer Verband davon wussten. Nicht einmal alle Exkomitglieder wussten davon, nur die Arbeitsgruppe. Die Kommunikation und der Prozess waren falsch.
Die Verbände haben zunächst eine Person unterstützt, weil sie Vertrauen haben. Danach haben sie mein Programm studiert und finden das auch gut.
Van Praag hat ihn in Slowenien besucht.
Das war ein privates Treffen, darüber werde ich nicht sprechen. Wenn er darüber gesprochen haben sollte, ist das seine Sache.
Mir ist wichtig, dass die Unterstützung nicht nur aus einem Teil Europas kommt. Das macht es negativen Menschen schwer, die gern Verschwörungstheorien stricken.
Fragen nach Menschenrechten und Katar.
Wenn das tatsächlich so sein sollte, wie in den Medien berichtet wird, dann muss das geändert werden.
Frage nach seinem Kumpel, dem neuen FIFA-Aufseher Tomaž Vesel.
Ich bin der bessere Fußballer. Ich weiß nicht, wie FIFA auf ihn gekommen ist. Jemand aus der FIFA hat mich angerufen und nach ihm gefragt. Ich habe gesagt, er kann das.
Frage, ob er jemals von ehemaligen Fußballern gefragt wurde nach juristischer Unterstützung als Anwalt?
Niemals.
Er spricht über Ehre.
Frage nach einer EM in Nordic Countries.
Es hängt von der Bewerbung und der Infrastruktur ab. Ich will einer Antwort nicht ausweichen, aber ich kann es wirklich nicht sagen. Unmöglich, momentan zu sagen, ob die Skandinavier, ob Deutschland oder ob Italien die richtigen Bewerber sind.
Haben sie Bedenken, ob Russland der richtige WM-Gastgeber 2018 ist?
Ich betrachte das optimistisch, andere sehen nur das Negative. Ich denke, das wird alles geklärt.
Waren sie überrascht, dass sich die nordischen Verbände für sie ausgesprochen haben, noch bevor sie ein Manifest vorgelegt hatten?
Die kannten mich, ich war geehrt, nicht wirklich überrascht. Sie trauten mir, ich fühlte mich geehrt. Auch Infantino hatte Unterstützung lange bevor er sein Programm vorgelegt hatte.
Es ist mir schon klar, dass es viele Menschen irritiert, wenn ein Typ aus Slowenien, das viele mit der Slowakei verwechseln, ohne große Erfahrung im Fußballgeschäft plötzlich aus dem Nichts auftaucht …
… und UEFA-Präsident wird.
Abgang.
Keine weiteren Fragen.
Keine zusätzlichen TV-Interviews.
15.14 Uhr: Merkwürdige Veranstaltung, sagte ich das schon? Werde das Gefühlt nicht los, dass die UEFA-Wahl gelaufen ist.
Europas Fußball bekommt den Präsidenten, den Europas Fußball verdient.
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