ALPENSIA. Wie hat Angela Ruggiero gerade gesagt? Die Idee vom Friedensnobelpreis sei ihr einfach so gekommen. Da stecke kein Plan dahinter.
Das war ich, Angela, Eishockeyspielerin.
Aber sie habe sehr viel Zustimmung erhalten von anderen IOC-Mitgliedern.
Mark Adams, Kommunikationsdirektor des IOC, der mir auf Twitter mal die Produktion von Fake News vorgeworfen hat (wäre es so, würden sie mich täglich verklagen, sie haben schließlich alles Geld der Welt für bissige Drohanwälte aus Berlin und anderswo), sprang der Amerikanerin eben auf der Pressekonferenz geschwind und resolut beiseite. Ist ja sein Job. Seitens des IOC gebe es keinerlei Überlegungen in Sachen Friedensnobelpreis, erklärte er. „Ich bitte darum, das zu akzeptieren.“ Mitglieder dürften ihre Meinung äußern (wenn sie nicht gerade Dick Pound heißen), man sei schließlich eine demokratische Institution – oder so ähnlich.
Hach, zur Feier des Tages und um diese überzeugenden Ausführungen zu unterlegen, ergänze und und verfeinere ich meine kleine Friedensnobelpreisgeschichte, die auf SPON veröffentlicht wurde – in guter Blog-Tradition.
Gestern gab es einige Diskussionen auf Twitter, an denen sich lustiger Weise die Spindoktoren Mike Lee (Katar 2022, Doha 2020, PyeongChang 2018, London 2012, Rio 2016 u.v.a.m.), Job Tibbs (Sotschi 2014, Peking 2008, München 2018, FINA, ANOC, Ashgabat 2017, Baku 2015 u.v.a.m.) beteiligten. Auch der langjährige IOC-Marketingdirektor und Bach-Freund Michael Payne diskutierte mit. Payne ist Berater von Bernie Ecclestone und anderen und war für etliche Olympiabewerbungen tätig. Sie alle sind teuer, bekommen pro Tag, was 90 Prozent aller Menschen nicht im Monat erhalten. Dafür werkelt man dann eben auch im Auftrage diverser Alleinherrscher, Despoten, Prinzen, Emire, Monarchen, Diktatoren auf allen Kontinenten. Vielleicht lässt sich demnächst einer von denen in Nordkorea anheuern, who knows.
Diese Leute, die im Grunde immer im Auftrag von irgendjemandem agieren, meinen allen Ernstes (oder müssen das schreiben, weil sie dafür bezahlt werden), dass Journalisten, die versuchen, beim Korea-Friedensnobelpreis-Thema nicht nur hundertprozentig die IOC-Propaganda zu verbreiten, „zynisch“ agieren.
Dazu stelle ich fest: Habe selten größere Zyniker erlebt als diese Herrschaften. Kann mich sehr gut an ein Gespräch mit einem der Drei im Olympic Family Hotel in der vergangenen Woche erinnern, der die Nase rümpfte über Thomas Bach und die Friedensnobelpreisambitionen, die aus jeder Pore des IOC-Präsidentenkörpers dringen, der mir zudem zuraunte, er könne Dinge erzählen … wie es sich wirklich verhielt in der IOC-Korea-Frage.
Aber ich bin nicht gemein und verzichte darauf, das auszuplaudern.
Denn sind wir nicht alle ein bisschen Frieden? Und ein bisschen Friedenstaube?
Tue Gutes und rede darüber. Jeden Tag. Immer wieder. Wie PR gemacht wird aus der Sicht des sonst so verschwiegenen Internationalen Olympischen Komitees (IOC), war am Sonntag in der Lobby des Intercontinental-Resorts von Alpensia gut zu beobachten.
Zunächst saß da Angela Ruggiero, IOC-Athletensprecherin aus dem USA, in einem braunen Sofa links vom Kamin und erzählte einem Reuters-Journalisten, sie fände es toll, wenn das gemeinsame koreanische Eishockeyteam für den Friedensnobelpreis nominiert würde. Ruggiero, die sich in Mehrfachfunktionen gewiss schon mit der Frage eines Interessenkonflikts befasst hat oder auch nicht (Athletensprecherin, Olympiabewerberin mit LA28, gleichzeitig bezahlte Beraterin etc), sprang dem deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach so manches Mal zur Seite: Etwa im August 2017, als sie die WADA-Aktivensprecherin Beckie Scott (Kanada), eine Kritikerin der windelweichen IOC-Politik in Sachen russisches Staatsdoping, öffentlich als Abweichlerin brandmarkte.
Ruggiero ist es auch, die daran werkelte, in Bach’scher Diktion, Olympiaathleten mit einer Stimme sprechen zu lassen – eine deutliche Reaktion auf die verzweifelten Versuche von Beckie Scott, Claudia Bokel oder Adam Pengilly und anderen, spätestens seit 2016 und der Rodschenkow-Beichte, Athletenkommission unabhängig von den jeweiligen Verbänden zu entwickeln (so wie es die Deutschen mit dem Verein Athleten Deutschland e.V. getan haben).
Das eine ist die neue Zeit. Das andere die Restauration.
So wie Ruggieros Attacke auf Beckie Scott kein Zufall gewesen dürfte, ist nicht zweifelsfrei anzunehmen, ihre Bemerkung über den Friedensnobelpreis habe sie nicht zuvor mit jemandem abgestimmt, bevor es sie dem IOC-Herold der Nachrichtenagentur Reuters erzählte. Viel mehr deutet darauf hin, dass dies Teil einer IOC-typischen Inszenierung ist. Der Plot erinnert an vieles, was Thomas Bach in seiner Laufbahn angeleiert hat.
Ich möchte es sicherheitshalber so formulieren: In dieser Parallelwelt gibt es wenige Zufälle.
Tags zuvor hatte Präsident Bach nach der 0:8-Niederlage gegen die Schweiz zu den enttäuschten Koreanerinnen aus Nord und Süd gesprochen. Alles wurde für die Nachwelt festgehalten. Im Beisein der Schwester des nordkoreanischen Diktators Kim-Jong-Un sagte der ranghöchste Sportfunktionär des Planeten, die Spielerinnen sollten den Kopf nicht hängen lassen. Ihr Auftritt in der Eishalle von Gangneung folge einer höheren Sache.
Hat je ein IOC-Präsident derart deutlich die Politik über den Sport gestellt?
Als der Olympiagastgeber Wladimir Putin vor vier Jahren in Sotschis gigantisch überteuerten Arenen nicht nur seinen siegenden Doping-Streitkräften zujubelte, sondern parallel die Annexion der Krim vorbereitete, war Bach verräterisch still geblieben. Statt mutige Worte zu wählen, feierte er gemeinsam mit Putin und lobte dessen verlogene Dopingspiele. Friedensstiftende Taten aus jenen Tagen sind nicht überliefert. In Korea aber verkauft sich Bach als Friedensengel. Das geht seit Monaten so. Routiniert hat Bach das Thema besetzt. Bach und das IOC leiden in demokratischen Nationen unter einem massiven Ansehensverlust. Dopingskandale und zahlreiche Kriminalfälle bestimmen seit Jahren weltweit die Schlagzeilen.
Zurück in die Lobby des Intercontinental: Angela Ruggiero und der Reuters-Reporter, der Stunden später seine „Exklusiv“-Story um die Welt schickte, waren kaum gegangen, da eilte beschwingten Schrittes ein dunkelhaariger Mann herbei, nahm Platz am Nebentisch, umarmte seine ein Vierteljahrhundert jüngere Partnerin – und ließ sich bereitwillig von deutschen Agenturreportern befragen und fotografieren. (Ein Foto findet sich in der kurzen Version dieses Beitrages, der auf SPIEGEL ONLINE veröffentlicht wurde: „Die Jagd nach dem Friedensnobelpreis“.)
Auftritt Gerhard Schröder (SPD) mit seiner koreanischen Liebe Kim So-Yeon.
Altkanzler Schröder, hochbezahlter Lobbyist eines russischen Gaskonzerns, trifft hier in PyeongChang auf Freunde und gute alte Bekannte: Thomas Bach und den Milliardär Alischer Usmanow, einen der reichsten Russen, der nebenbei als Präsident des Fecht-Weltverbandes FIE zu den verdienten Mitgliedern der olympischen Familie zählt. Usmanow zählt wie Schröder zu den Gazprom-Leuten, nah an Wladimir Putin.
Der neue Korea-Experte Schröder gab also seine Sicht auf die Dinge zum Besten. Tags zuvor hatte ihn Bach beim ersten Auftritt des gemeinsamen Eishockeyteams mit auf die Tribüne genommen. Auf dem Foto oben ist er leider nicht zu sehen. Man schaue links auf die zweite Reihe von oben, da sitzt Eishockey-Weltpräsident und IOC-Mitglied René Fasel, links daneben (leider abgeschnitten) das nordkoreanische IOC-Mitglied Ung Chang, daneben Kim So-Yeon und Schröder.
Hach, bei Getty findet sich das. Und ich darf es sogar verwenden:
Auch beim Presidential’s Dinner am Vorabend der Eröffnungsfeier war Schröder zugegen.
So fügt sich in diesen Tagen auf wenig wundersame Weise eine Meldung zu anderen. Ein Interview jagt das nächste. Am Montagmorgen legte Reuters, unter Berufung auf eine angeblich „exklusive“ Quelle aus dem IOC nach: Thomas Bach werde nach den Winterspielen nach Pjöngjang reisen.
Bach, seit jeher FDP-Mitglied, sieht sich so am liebsten: immer auf großer Mission, als Bewahrer olympischer Ideale und des Weltfriedens.
Seine Paladine in der IOC-Administration müssen sogar die Zahl der Begegnungen mit Staats- und Regierungschefs notieren. In unregelmäßigen Abständen erstattet das IOC, sonst wenig transparent, der Öffentlichkeit Bericht. Weit über 100 Staatsoberhäupter und Ministerpräsidenten hat Bach bereits getroffen, viele mehrfach, viele hat er geschmückt mit Olympischen Orden.
Diese Eitelkeit, seine Begegnungen mit den Mächtigen zählen zu lassen, hat er wie anderes von seinem Vorbild Juan Antonio Samaranch (†) übernommen. Der ließ in den 1990ern von einem schwedischen Olympiafan und Historiker mal ein Booklet erstellen, in dem das alles aufgelistet wurde. Es ist eines meiner Lieblingsbücher.
Mit Spezialdemokraten wie Putin oder Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping versteht sich Bach besonders gut. Einige Führer der westlichen Welt aber, wie einst Barack Obama, oder Angela Merkel möchten mit dem IOC-Präsidenten eher weniger zu tun haben. Aus dem Bundeskanzleramt hört man, Merkel halte sich fern, es habe ihr schon gereicht, nach der Fußball-WM 2006 in einem Hinterzimmer dem damaligen FIFA-Präsidenten Joseph Blatter das Bundesverdienstkreuz verliehen zu haben. Da solle ihr niemand mit diesem ähnlich schlecht beleumundeten IOC kommen. Obama war im Herbst 2015, als sich die olympische Sportwelt zum ANOC-Treffen von Scheich Ahmad in Washington versammelte, nicht bereit, zur Gala herüber zu kommen, er schickte seinen Vizepräsidenten.
Derlei Missachtungen wurmen Bach gewaltig. In Korea aber, im Süden wie im Norden, kann er sich austoben als Friedensengel. Längst hat das IOC mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sogar eine Art Maskottchen.
Den Kontakt zu Ban Ki-Moon hat der damalige UN-Sportbeauftragte Willi Lemke gepflegt, der auch bei Bachs Wahl zum IOC-Präsidenten 2013 in Buenos Aires zum Tross gehörte, und der das IOC schon 2010 für würdig befand, den Friedensnobelpreis zu erhalten. Das IOC hat seit einigen Jahren Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen, wo Bach mehrfach aufgetreten ist. Im Herbst 2017 wurde die Tradition des Olympic Truce wiederbelebt erneuert.
Ban Ki-Moon wurde im September 2017 Chef der IOC-Ethikkommission. Was er als Ethikboss macht, ist im Detail nicht so bekannt, vielmehr bleiben drängende Fragen zu den vielen Kriminalfällen im IOC und in den Sport-Weltverbänden unbeantwortet. Als Ban Ki-Moon vergangene Woche in PyeongChang vor der IOC-Vollversammlung Bericht erstatten sollte, lobte er zunächst die Initiative des IOC zum gemeinsamen Einmarsch der Koreaner bei der Eröffnungsfeier.
Führende Sportfürsten buhlen seit Jahrzehnten um den Friedensnobelpreis. Der korrupte, inzwischen verstorbene FIFA-Präsident João Havelange wollte ihn, sein Nachfolger Joseph Blatter sowieso. Bachs IOC-Ziehvater, der langjährige Präsident Juan Antonio Samaranch, hatte sogar eine Werbeagentur (Grey) damit beauftragt, das Nobelpreiskomitee zu beeinflussen und den Preis zu akquirieren. Nachdem der norwegische Journalist Frank Brandsås, mein wunderbarer Freund, diese Geschichte enthüllte, kurz vor den Winterspielen 1994 in Lillehammer, wurden Samaranch und das IOC zur Lachnummer.
The WSJ editorial board is not pleased by Western coverage of N. Korea’s Olympics presence: „The prison state in Pyongyang is getting a public-relations makeover worthy of the 1936 summer games in Berlin.“https://t.co/W1wASoOfy1
— Jonathan Cheng (@JChengWSJ) February 12, 2018
Hier im Blog ist Blatters Streben oft genug beschrieben, debattiert und belächelt wurden. er hat es mir schon 2009 auf dem Olympischen Kongress in Kopenhagen zu Protokoll gegeben: Wenn sich das Nobelpreiskomitee für die FIFA oder ihn entscheiden würde, könne er den Preis nicht ablehnen. Das gehöre sich nicht.
Als 1988 erstmals Olympische Spiele in Südkorea stattfanden (Sommerspiele in Seoul) boykottierte der Norden und fand in Kuba, Nicaragua, Albanien, Äthiopien, Madagaskar und den Seychellen Unterstützung. „Die Verhandlungen, die das IOC damals führen musste, waren viel komplizierter als heute“, sagt einer, der dabei war: Richard Pound, IOC-Mitglied aus Kanada, damals mächtiger Marketingchef des IOC. Dagegen sei es für Bach einfach.
Natürlich habe ich meinen Pound gelesen. Sein Buch „Five Rings over Korea“ aus dem Jahr 1994, in dem er die Phase bis zu den Sommerspielen in Seoul beschreibt, kennt gewiss kaum jemand, der heute über Olympia und die Korea-Frage diskutiert oder einfach nur die IOC-Propaganda verbreitet. Für mich sind Pounds Bücher Grundwissen, das ABC der olympischen Sportpolitik und der Olympia-Geschichte. Seine Hausaufgaben sollte man schon machen.
Präsident Samaranch, dessen gleichnamiger Sohn heute als Bach-treuer IOC-Vize amtiert, musste in den 1980er Jahren, mitten im Kalten Krieg, ein diplomatisches Meisterstück abliefern: Zunächst ging es darum, einen weiteren Groß-Boykott zu verhindern, nachdem 1980 in Moskau viele Länder des Westens und 1984 in Los Angeles fast der komplette Ostblock boykottiert hatten. Samaranch schaffte das. Die Forderungen aus Nordkorea, die Hälfte der olympischen Wettbewerbe und parallel zu den Eröffnungs- und Schlussfeiern in Seoul auch in Pjöngjang derlei Zeremonien auszutragen, erfüllte Samaranch jedoch nicht.
Damals machte das IOC mit den südkoreanischen Diktatoren und Massenmördern Chun Doo-Hwan und Roh Tae-Woo Geschäfte und schmückte beide mit Olympischen Orden. Im Norden hatte der Große Vorsitzende und Ewige Präsident Kim Il-Sung, Großvater des heutigen Obersten Führers Kim Jong-Un, zahlreiche Sportstätten errichten lassen. Das größte Stadion der Welt in der Hauptstadt Pjöngjang wurde dann 1989 für die Weltfestspiele der Jugend und Studenten genutzt.
Ich hatte das im Oktober eigentlich mal mit Kim Un Yong diskutieren wollen, der viele Jahre der wichtigste koreanische IOC-Fürst war und wegen Korruption gehen musste. Ein Gespräch war organisiert. Doch wenige Tage vor meiner Reise verstarb der ehemalige KCIA-Agent Kim.
IOC orders U.S. women’s hockey goalies to remove Statue of Liberty from masks as it violates policy against political symbols. https://t.co/U9kHSJF6Vs
— Kevin Allen (@ByKevinAllen) February 13, 2018
Die erste gemeinsame koreanische Mannschaft hatte es übrigens (gemäß Wikipedia, ich habe das nicht alles im Detail überprüft) 1991 bei der Fußball-Junioren-Weltmeisterschaft in Portugal gegeben. Korea trat mit zehn Spielern aus Südkorea und acht aus Nordkorea an und schied in der Vorrunde aus. In jenem Jahr gewannen zwei Süd- und zwei Nordkoreanerinnen bei der Tischtennis-WM in Japan sogar sensationell die Goldmedaille, im Finale gegen die hochfavorisierten Chinesinnen. Bei den Eröffnungsfeiern von drei Olympischen Spielen (Sydney 2000, Athen 2004 und Turin 2006) und mehreren Asienspielen marschierten die Koreaner gemeinsam ein.
Nie zuvor waren derlei Ereignisse politisch so überfrachtet wie heute.
Und das folgt einer olympischen Agenda.
Agenda, war da nicht mal was?
Unity in diversity.
Das Thema wird uns weiter beschäftigen.
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Dieses Magazinprojekt, in das ich Monate investiert habe, wird in PyeongChang durchgezogen:
Ich wünsche Ihnen und Euch viel Vergnügen in diesem Theater in den nächsten Wochen (und darüber hinaus) und hoffentlich viele erhellende Momente.
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Samaranch jagt den Friedensnobelpreis
Wer jeden Tag was Gutes tut, wer die Menschheit mit Idealen der Fairneß, Gleichheit und Demokratie überhäuft und das Hohelied auf sich selbst sogar vor der UN-Vollversammlung anstimmen darf, sollte sich zum Ausgleich etwas Besonderes gönnen. Am besten was Angemessenes aus der höheren Preislage.
Sind es nicht humanitäre Vordenker wie Exzellenz Marquis de Samaranch oder Doktor Kim, die ihren Landsleuten jahrzehntelang das olympische Ideal der Toleranz vorlebten? Waren es nicht sozialökonomische Pioniere wie Nebiolo, Rana oder Havelange, die den Reichtum der Sportvölker mehrten, indem sie Fernsehreklame und Werbelogos erfanden? Stehen nicht die Spiele für ein wahrhaft völkerverschwägerndes Ereignis, bei dem ein jeder die Siege der anderen bejubelt, besonders, wenn die unter fremder Flagge starten? Steht nicht das IOC für eine Welt kerngesunder Athleten, an denen sich die von Drogen bedrohte, schlappe Restjugend was abschneiden kann? Reines Familienglück, eine Bewegung voller Vorbilder. Eine, die ihren Preis kennt: nobel muß er sein, von Friedenstauben umgurrt.
Der Countdown läuft seit Jahren, 1996 soll es endlich klappen. Wenn das IOC den Friedensnobelpreis nicht zum hundertsten Geburtstag der Spiele erhält, dürfte der Traum vorerst abgeschrieben werden. Getan hat man jedenfalls alles dafür. Zumindest hinter den Kulissen.
In Norwegen obliegt es der “Storting” genannten Volksvertretung, ein eigenes Komitee zur Verleihung des Friedensnobelpreises zu berufen. Über sämtliche Nobelpreise für die Verdienste ums Menschengeschlecht befinden die Königlich-Schwedischen Akademien in Stockholm, einzig der Frieden wird in Oslo proklamiert. Mag ja Zufall gewesen sein, daß die Winterspiele im Jahr des 100. IOC-Geburtstages ausgerechnet im norwegischen Lillehammer stattfanden, obwohl nicht einmal die norwegischen Öko-Außenseiter selbst bei der Kür 1988 in Seoul damit gerechnet hatten, daß die Wahl auf sie fallen könnte. Mag ja kein cool kalkulierter Werbefeldzug gewesen sein, der Samaranch zu Spielebeginn kurz in die zerstörte Olympiastadt von 1984, Sarajewo, führte, um dort vor kopfschüttelnden Passanten und den Kameras der Welt um Frieden für die Dauer der Sportsause in Lillehammer zu bitten.
Gewiß sind es beste Absichten im Dienste der Menschheit, die das IOC beständig antreiben, endlich Sitz und Stimme in den Vereinten Nationen zu ergattern. Und doch. Es gibt da eine Kleinigkeit, die nicht so recht ins Bild edler Selbstlosigkeit paßt.
1991 schloß das IOC in Birmingham ein Vertrag mit der weltweit operierenden Werbeagentur Grey Advertising und deren PR-Ableger GCI ab. Selbst der traditionelle IOC-Vermarkter ISL zeigte sich damals überrumpelt. Grey indes machte die neue Liaison stolz publik:
Grey/GCI wird auch für die internationale Vision des IOC und dessen Verpflichtung werben, über die Sportarena hinaus einen positiven Einfluß auszuüben… Zusätzlich wird Grey spezielle Kommunikationsprogramme durchführen für ausgewählte IOC-Projekte, die bestimmt sind, ein besseres internationales Verständnis und menschliche Harmonie zu fördern.
Von ferne klingt durchs Weltverbesserungsgeschwafel, was vornehmliche Aufgabe des marktbeherrschenden Werbetycoons mit 260 Büros in aller Welt ist: die Förderung der Nobelpreiskandidatur des IOC. Aber peinlich wurde der Vorgang erst, als er in dieser Deutlichkeit publik wurde. Zwei Jahre später posaunte IOC-Pressechefin Michele Verdier das freudige Ereignis voll argloser Indiskretion in die Welt: Bon, ganz richtig, der Vertrag sei mit diesem Ziel geschlossen worden. Danach kam es zu verwirrenden Dingen, die sich in summa so umschreiben lassen: Die Bewegung lief schamrot an. Das IOC streitet seither die Nobelpreisambitionen ab oder vermeidet konkrete Statements zum Thema.
Es war das Verdienst des norwegischen Journalisten Frank Brandsås vom “Arbeiderbladet”, für umfassende Aufklärung gesorgt zu haben. Brandsås hatte bereits erste Gerüchte über die Nobelpreisbemühungen aufgeschnappt, als im Juli 1992 ein Artikel im “Atlanta Journal & Constitution” erschien. Darin packte der wegen olympischer Geschäftsverfilzungen ausgestiegene IOC-Vizepräsident Robert Helmick über die ehrenwerte Gesellschaft aus. Er meinte:
Als er (gemeint ist Samaranch/d.A.) die PR-Firma Grey Advertising anheuerte, sagte er, deren Erfolg wird sich daran messen, ob wir den Nobelpreis gewinnen oder nicht. Er will ihn für das IOC, aber das ist er selbst. In diesem Punkt betrachtet er sich selbst als das IOC.
Anfang 1993 suchte der Journalist aus Norwegen das IOC in Lausanne auf. Madame Verdier bestätigte ihm und seinem Kollegen Einar Odden das Zitat, ohne Helmicks Namen selbst zu erwähnen. Mehr noch, so bezeugen es die Journalisten:
Sie machte die Sache größer, indem sie sagte, daß die PR-Aktionen für den Nobelpreis die eigentliche Hauptaufgabe für Grey Advertising sei.
Bevor Brandsås die Geschichte publizierte, versicherte er sich bei Helmick persönlich. Der Anwalt aus Iowa bestätigte die Aussage nicht nur, er wiederholte sie.
Mit Blick auf die Allmachtpolitik des IOC, das im Ernstfall sowohl Helmick als auch Verdier mundtot machen würde, fahndete Brandsås nach weiteren Informationsquellen. Er wurde fündig bei einer in Oslo ansässigen Firma namens Jensen Grey A/S. Firmenchef Ingar Andresen erwiderte seine Frage (“Was haben Sie bisher unternommen, um Grey und das IOC bei der Kampagne für den Nobelpreis zu unterstützen?”) ausweichend: Man habe noch nicht begonnen, zudem sei diese Arbeit nicht offiziell. Am selben Abend druckte “Arbeiderbladet” die Nobelpreisgeschichte über die gesamte Titelseite.
Brandsås erhielt eine Einladung, die Story im nationalen Fernsehsender NRK zu debattieren. NRK teilte dazu mit, daß Ingar Andresen alles bestritten habe. Brandsås rief Andresen an. Der stritt ab, was er zuvor angeblich NRK gesagt hatte. Brandsås hakte nach, erkundigte sich, wie er, Andresen, wohl reagieren würde, wenn er in einem der bekanntesten TV-Programme per Tonband der Lüge überführt werde? Der PR-Mann lud ihn daraufhin in sein Büro ein, um einige Papiere vorzulegen. Brandsås ging hin und erfuhr von Andresen, daß ihn Grey/IOC angewiesen hätten, nichts mehr zu dem Thema zu sagen.
Derweil hatte NRK ein Team nach Lausanne geschickt. Aus der Verabredung mit Madame Verdier wurde nichts, der Reporter hatte es statt dessen mit IOC-Generaldirektor Francois Carrard zu tun. Überhaupt ist von Madame Verdier seither nicht mehr viel zu sehen. Sie nennt sich zwar noch Informationsdirektorin des IOC, bei Pressekonferenzen aber führt zumeist Carrard das Wort. Frau Verdier teilt die Fragesteller ein, ansonsten sieht man sie vorwiegend mit Stößen kopierten Pressematerials im Arm durch die Arbeitssäle huschen.
Doch selbst des gewiegten Carrards Ausflüchte retteten damals nichts mehr. Inzwischen erinnerte sich auch der Sportdirektor des norwegischen NOK, Bjorge Stensbol, gegenüber “Arbeiderbladet”, daß Samaranch schon drei, vier Jahre zuvor eine von Stensbol begleitete norwegische Besucherdelegation in Lausanne gefragt habe, ob einer der Gäste vielleicht Mitglieder im Nobelpreiskomitee kenne. Wofür braucht man die Bekanntschaft von Nobelpreisjuroren? Einen zum Kegeln, zwei zum Skat? Mit einer Melange aus Heiterkeit und grimmiger Empörung wurde in Norwegen reagiert, auch Komiteemitglieder kommentierten böse die olympische PR-Offensive.
Besonders schmerzlich für das IOC dürfte eine Darstellung des Vorgangs durch die “Neuen Zürcher Zeitung” gewesen sein, die quasi vor der eigenen Haustür erscheint und bis ins Hinterstübchen rumpelte. Das Blatt schrieb im Februar 1993:
Schon die Tatsache, daß sich zwei Komiteemitglieder öffentlich äußerten, kann als Ende aller IOK-Ambitionen gewertet werden. Die drei Männer und zwei Frauen des Komitees pflegen sich für gewöhnlich in absolutes Schweigen über alle vorgeschlagenen Kandidaten zu hüllen, so daß die Empörung über das dreiste IOK-Gebaren in Oslo sehr groß gewesen sein muß.
Aber auch ohne den jetzt entstandenen schalen Geschmack wäre wohl nichts aus dem Vorhaben geworden. Aud-Inger Aure, norwegisches Parlamentsmitglied der Christdemokraten, hält Samaranch selber für ein Hindernis. Seiner Meinung nach wäre es ein Hohn, den Friedenspreis an das IOK, eine ‘Organisation selbsternannter Bonzen’ mit zum Teil schlimmer politischer Vergangenheit, zu vergeben.
In der Tat würde Samaranch mit der hauptsächlich von ihm betriebenen Kommerzialisierung der Spiele schwer etwa zur letzten Friedenspreis-Trägerin Rigoberta Menchu passen, einer Indianerin aus Guatemala, die gegen das dortige Militärregime gekämpft hat, das ihre Eltern und einen Bruder ermorden ließ.
Der Vorgang bereichert die Nobelpreisgeschichte um ein Novum, denn Marketingstrategien waren zur Kür von Persönlichkeiten wie Mutter Teresa oder Erzbischof Desmond Tutu bislang nicht erforderlich. Doch darf nicht verwundern, wenn das von Großindustriellen, Bankern und Advokaten dirigierte Weltsportimperium auch solche Ziele mehr nach den Gesetzen von Druckerpresse und Big Business verfolgt.
Friedensorganisationen und Menschenrechtskommissionen haben den Eindruck, daß Toleranz und Humanität vorwiegend unter merkantilem Aspekt Berücksichtigung finden im Tagwerk des superreichen IOC. Kaum eine von ihnen hat es geschafft, das IOC zu selbstloser Unterstützung ihrer Arbeit zu gewinnen. Gutes im stillen tun, zahlt sich nicht aus.
Für Insider wie Richard Dicker von der Menschenrechtsorganisation “Human Rights Watch” in New York, der die subtile Machtpolitik des IOC aus nächster Nähe studieren konnte, verkörpert die olympische Riege schlicht ein diktatorisches Gebilde, “zum Glück ohne direkten Zugriff auf ein Volk und auf die politische Macht”. Der weitgereiste Tibet-Experte Dicker hatte über Jahre verfolgt, wie das IOC die Kandidatur Pekings für die Sommerspiele 2000 begünstigte und wie die Nobelpreisjäger die massiven Proteste der von China unterdrückten Tibeter zu ignorieren versuchten.
Eine Ausgrenzung von Randgruppen paßt offenbar eher ins Bild, das für die Praktiken des IOC steht. Aus Sorge ums werbeträchtige Image gingen die Ringemakler in den vergangenen Jahren gar auf Distanz zu den Behindertenspielen, den Paralympics. Bei deren Fest gleich nach den Lillehammer-Spielen 1994 wurden zur Eröffnungsfeier erstmals zwei Fahnen gehißt: Eine mit fünf und eine mit drei Tränen. In Nagano, dem Austragungsort der Winterspiele 1998, wird es nur noch die Flagge mit drei Tränen sein – die mit den fünf Zähren ist dann für immer verschwunden. (…)
Zurück nach Oslo. Die Nobelpreisjury lacht über die guten Menschen vom IOC, und die Oberolympier fühlen sich wieder gründlich mißverstanden. Hatten nicht sie, die Hundertschaft der olympischen Gralshüter, Sinnstiftendes am Menschengeschlecht vollbracht? War es ihnen nicht gelungen, spätestens in Barcelona alle mal wieder zusammenzutrommeln? Haben sie Südafrika nicht zeitig wieder die Hand geboten? Hatten sie 1992 nicht die Athleten des kriegsführenden Serbiens mit einer IOC-Sondermaschine einfliegen lassen (gegen den Willen der UN, und während sich andere Teilnehmer aus dem von Serbien terrorisierten Rest-Jugoslawien irgendwie per Bus oder Autostopp nach Barcelona durchschlagen mußten)?
IOC-Generaldirektor Carrard hatte am Vorabend der Eröffnungsfeier in Barcelona vor der versammelten Presse mit einer denkwürdigen Adresse an die widerspenstige UN triumphiert: “Das IOC hat eine Schlacht gewonnen!” Die Metaphorik deutet an, daß im olympischen Buhlen um den gewissen “human touch” wenig heilig ist. Die Ziffern zählen. Teilnehmerkontingente, Fernseh-Milliarden, Sponsorzahlungen. Und Rekorde.
„Diejenigen (…), die der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben“, sollen geehrt werden. So hatte es der Großindustrielle Alfred Nobel 1895 verfügt. Leider interpretierte das Komitee in Oslo das doch so eindeutig formulierte Auswahlkriterium für den Friedenspreis nicht erst einmal fehl. Insofern stehen nach der mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung die Chancen fürs IOC nicht schlecht. Wem schert da schon das eigentliche Anliegen des Stifters ?
Kann mir jemand das mit den drei oder fünf Tränen erklären?
Roland: Guckst du hier.
https://de.wikipedia.org/wiki/Paralympische_Spiele#Logos
Kurze Stilfrage: Wenn ein 73jähriger, vermögender Mann aus dem reklame-politschen Komplex bei einem offensichtlichen PR-Termin mit seiner 37jährigen Schauspieler-Verlobten auftaucht – darf man sich dann öffentlich darüber lustig machen, oder immer noch nicht?
Sie ist 47.
Das ändert alles.
Danke, sternburg! Diesem Verein ist auch nichts zu peinlich..
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