Das Internationale Olympische Komitee (IOC) taumelt durch die Coronakrise. Die Außendarstellung des Sportkonzerns ist katastrophal, obwohl die Kommunikationsabteilung personell üppig besetzt ist. Nach SPIEGEL-Informationen soll das IOC kürzlich einen Großauftrag für internationale Kommunikation und Markenbildung ausgeschrieben haben. Für Aufträge dieser Größenordnung kommen eigentlich nur die Giganten der Branche in Frage: H+K Strategies und BCW, die beide zum WPP-Konzern gehören, oder auch Teneo, Weber Shandwick und Edelman. Alle haben sie Erfahrungen im Olympia-Business.
Angeblich sollen einige der Firmen in Lausanne angefragt haben, ob es nicht eine gute Idee wäre, Krisenkommunikation in das Paket aufzunehmen.
Das IOC teilte auf meine Fragen lediglich mit, man kommentiere keine „potenziellen, bestehenden oder nicht existierenden Geschäftsbeziehungen“. Derlei Ausschreibungen unterlägen den gestrengen Richtlinien des IOC. Ein Vertreter von BCW Sports verwies ebenfalls auf das Geschäftsgeheimnis. Andere Firmen äußerten sich nicht.
Die Reputation des IOC muss dringend aufgehübscht werden. An einem Dutzend verlorener Olympia-Referenden der letzten Jahre (darunter München 2022 und Hamburg 2024) lässt sich das belegen. Dennoch ist die derzeitige Krise nicht existenziell, anders als die Bestechungskrise der Jahre 1998/99. Die aktuelle Krise birgt vor allem finanzielle Gefahren für das olympische System – mit den Fachverbänden und Nationalen Olympiakomitees. Dem IOC drohen für Tokio weniger Einnahmen und höhere Kosten, wobei wieder zurückhaltend budgetiert wurde und die angestrebten 6 Milliarden Dollar Erlöse im laufenden Olympiazyklus dennoch übertroffen werden sollten. Drei Milliarden aus der Vermarktung waren bereits Ende 2018 eingenommen, die Sommerspiele sorgen gewöhnlich für mehr als 60 Prozent aller Einnahmen. Wenn diese Spiele stattfinden – der Termin 2021 ist längst nicht garantiert.
PR-Weißwäscher als Retter
Dass professionelle Öffentlichkeitsarbeit überlebenswichtig sein kann, hat die Bestechungskrise vor zwei Jahrzehnten gezeigt. Der damalige Präsident Juan Antonio Samaranch († 2010) war schwer angeschlagen und wie paralysiert. Da übernahmen andere das Kommando: Richard Pound (heute noch IOC-Mitglied), François Carrard (damals Generaldirektor, heute Berater des IOC) und Michael Payne (damals Marketingchef, heute Lobbyist und Berater von IOC-Sponsoren). Dem Trio gelang ein mitentscheidender Schachzug: Anfang 1999 verpflichteten sie für eine gewaltige Summe die PR-Weißwäscher von Hill & Knowlton.
Die Firma fürs Grobe, die heute H+K Strategies heißt, genießt einen zweifelhaften Ruf. Hill & Knowlton ging ans Werk und beeinflusste Medien und Journalisten weltweit. Nach einer Krisensession, bei der im März 1999 sechs IOC-Mitglieder exmatrikuliert und zehn weitere verwarnt wurden, sowie einer sogenannten Reform-Session, auf der sich das IOC im Dezember 1999 einige neue Regeln gab, gelang es mit gewaltigem Aufwand den Eindruck zu erwecken, das IOC habe sich grundlegend gewandelt und Vergehen aufgeklärt. Parallel dazu hatte es 1999 unter ähnlich skandalösen Vorzeichen die erste Welt-Anti-Doping-Konferenz gegeben, die den Gründungsprozess der WADA einleitete.
„Wir haben damals noch die Zeitungsberichte ausgeschnitten, kopiert und nach Lausanne gefaxt“, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter von Hill & Knowlton. Einerseits wurde die Krise nur so groß, weil das Internet schon damals Recherchen erleichterte und neue Enthüllungen rasant verbreitet werden konnten. Andererseits arbeitete man noch mit Faxgeräten.
Reformen, Reformen! Das war der Spin, der Rettung verhieß. Dieses Narrativ zu verkaufen, war der Job von Hill & Knowlton, die in den USA zudem politische Lobbyarbeit betrieben. Es ging auch darum, strafrechtliche Ermittlungen zu verhindern, die sich in vielen Ländern andeuteten, und die Geldgeber in Fernseh- und Sponsorenwirtschaft bei der Stange zu halten. Damals war die Abhängigkeit von US-Sponsoren und den TV-Verträgen des Olympia-Networks NBC viel größer als heute. Und welches Erdbeben derlei Ermittlungen auf Grundlage des RICO-Acts zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität auslösen können, hat man viele Jahre später am Beispiel der FIFA-Ermittlungen gesehen.
Als Präsident Samaranch Ende 1999 schließlich vor dem US-Senat Stellung nehmen musste, saß einer der Einflüsterer von Hill & Knowlton, Michael Kontos, direkt hinter ihm. Die Skandalberichterstattung ließ bald nach, nur wenige Journalisten recherchierten weiter im Sumpf olympischer Korruption. Und das IOC sezierte die existenzielle Bestechungs-Krise abschließend in einem 183-seitigem Hintergrundpapier vor allem als Medienkrise. Als die Schlagzeilen nachließen, verminderten sich der öffentlicher und politischer Druck. Das IOC war gerettet.
Lobbyisten, Berater, Geschäftemacher
Typen wie damals Pound, Payne und Carrard in ihren besten Jahren hat das IOC heute nicht mehr. Die drei Altkader wirken zwar noch mit, aber eben nicht an vorderster Front, ohne operative Entscheidungsbefugnis. Pound gibt als Doyen, dienstältestes Mitglied, noch regelmäßig Kommentare ab, auch darf er wieder in zwei wichtigen Kommissionen werkeln, mehr nicht. Payne, der zuletzt den gewaltigen Deal des IOC mit dem chinesischen Sponsor Alibaba einfädelte, ergreift nimmermüde in sozialen Netzwerken für Bach Partei – und verteidigt die IOC-Linie in etlichen Kommentaren, die er in japanischen und angelsächsischen Medien lanciert. Natürlich lässt er keine Gelegenheit verstreichen, das plumpe Narrativ zu promoten, die olympische Fackel leuchte der Menschheit den Weg durch den dunklen Corona-Tunnel. Payne ist noch relativ nah an Bach, insofern ist sein Wirken ein guter Indikator und nicht zu unterschätzen.
Die Kommunikationsarbeit wird im IOC traditionell vernachlässigt. Bis in die 1990er Jahre, also fast ein Jahrhundert lang, hatte das IOC keine eigene Kommunikationsabteilung. Lange erledigten das die jeweiligen GeneralsekretärInnen (mit Monique Berlioux führte bis 1985 eine Frau das Zepter) so nebenher. Seither ist die Fluktuation auf dem Posten beträchtlich. Und weil die Direktoren fachlich schwach waren, übernahmen in schwierigen Situationen oft altgediente Olympier die Führung.
Bei den Sommerspielen 2004 zum Beispiel, als die griechischen Nationalhelden Thanou und Kenteris noch vor der Eröffnungsfeier auf spektakuläre Art vor Dopingkontrolleuren geflüchtet waren, wurde die Kommunikationschefin Giselle Davies quasi entmachtet – auf dem Podium vor der Weltpresse dirigierte das IOC-Faktotum François Carrard. Der polyglotte Anwalt, inzwischen im neunten Lebensjahrzehnt, war von 1989 bis 2003 im Nebenjob IOC-Generaldirektor. Er ist eine Institution weit über den Kanton Vaud hinaus. Eine graue Eminenz.
Mit seiner Kanzlei (Kellerhals & Carrard) ist der schweigsame Maître für viele olympische Verbände und Institutionen tätig. Er berät bis heute die IOC-Führung. Mal verteidigt Carrard mutmaßliche Sportganoven wie den soeben entmachteten Gewichtheber-Supremo Tamás Aján, mal erstellen Carrard und seine Anwaltstruppe sogenannte Reformpapiere und verpassen Skandalverbänden modernere Statuten. Zugleich sind sie am angeblich unabhängigen Welt-Sportgerichtshof CAS aktiv, der wiederum von Bachs wichtigstem IOC-Vertrauten John Coates präsidiert wird. Kurzum: François Carrard ist ein lebender Interessenkonflikt, er ist ein Strippenzieher zwischen Sport, Wirtschaft, Politik und auch Medien. Und er zählt zu den wenigen, mit denen sich Thomas Bach quasi auf Augenhöhe berät.
Von professioneller Öffentlichkeitsarbeit aber hat er genauso wenig Ahnung wie Bach. Beide stehen sie für das alte System. Sie geben die Richtung vor.
Drohungen und Lügen
Das Direktorat für Kommunikation ist mittlerweile zwar mit mehreren Dutzend Mitarbeitern prall besetzt, doch denen sind inhaltlich Daumenschrauben angelegt. Als Direktor fungiert der Deutsche Christian Klaue, ehemals sportpolitischer Reporter beim bis dahin nachweislich IOC-affinen Sportinformationsdienst (SID). Zwei langjährige sportpolitische Kommentatoren des SID sind olympische Ordensträger, ein dritter nahm 2008 in Peking am olympischen Fackellauf teil, verteidigte gleichzeitig auf absurde Weise das IOC in der Tibet-Frage – und wurde deshalb vom SID-Geschäftsführer nach Hause geschickt.
Ein Jahr später holte Bach Klaue zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), 2014 dann nach Lausanne. Nach einem Intermezzo beim DOSB kehrte Klaue bald zum IOCzurück, wo gleichzeitig der langjährige Kommunikationsdirektor Mark Adams agiert. Adams ist mehr als nur Bachs Sprachrohr. Seit Ende 2019 fungiert zudem der Amerikaner Christopher Carroll als Direktor für „Digital Engagement“. Er ist ähnlich unbekannt wie Rebecca Lowell Edwards, die es nur ein Jahr als „Strategic Communications Director“ aushielt und Ende 2018 schnell wieder verschwand.
Daran, dass die Stimmung in der IOC-Administration am Boden ist, haben als Sprachrohre des Präsidenten auch Adams und Klaue gewaltigen Anteil. Nach außen haben sie zudem eine Kultur der Intransparenz und der Drohungen gegen Journalisten verfeinert, wofür einige Jahre auch ein umstrittener Berliner Anwalt eingespannt wurde, der auf sachliche journalistische Anfragen gern mal mit absurden strafrechtlichen Konsequenzen drohte.
Adams und Klaue benutzen in öffentlichen Diskussionen schon mal – ohne jeden Beweis – Begriffe wie Fake News oder Lückenjournalismus, sie nehmen es mit Fakten nicht so genau; sie lügen. Und sie haben das bescheidene Mittel lancierter Interviews verfeinert. Der eine arrangierte im März gerade ein Gespräch mit Bach in der New York Times, der andere vergangene Woche ein PR-Gefälligkeitsinterview in der Welt am Sonntag. Letzteres erschien auch auf Englisch. Der Klassiker: Damit konnte die internationale Klientel bedient werden.
Gute und hartgesottene PR-Leute schütteln nur die Köpfe über die IOC-Dilettanten. Und in den Verhandlungen mit potenziellen Partnern für neue Kampagnen sind die beiden Chef-Kommunikatoren des IOC ein Teil des Problems – aber nicht Teil der Lösung.
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