Die Posse um die deutsche Olympiabewerbung NRW 2032 nimmt kein Ende. Nachdem sich das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am 24. Februar auf den Olympia-Gastgeber Brisbane vorfestlegte, begann in Deutschland das große Blame Game. Schuld waren immer die anderen: NRW-2032-Initiator Michael Mronz (FDP) und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warfen am 26. Februar den DOSB-Verantwortlichen vor, nicht zu wissen, was im IOC passiere. DOSB-Präsident Alfons Hörmann (CSU) und die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker konterten am 1. März mit einer bizarren Video-Pressekonferenz, in dem sie ihrerseits Mronz und dem IOC Falschaussagen vorwarfen.
Im Zentrum der DOSB-Attacken stand nicht etwa der DOSB-Ehrenpräsident und IOC-Präsident Thomas Bach (FDP), sondern Kristin Kloster Aasen: Die Norwegerin, Neuling im IOC, leitet in Bachs Auftrag die Future Host Commission for the Games of the Olympiad, die mit Interessenten für Olympische Sommerspiele verhandelt, die noch im Januar mehrfach mit NRW und dem DOSB gesprochen hatte – und die sich im Februar auf den Kandidaten Brisbane festlegte.
Damit war die siebente deutsche Olympiabewerbung in Folge gescheitert, ohne jemals eine offizielle Bewerbung gewesen zu sein. Denn der jüngste Bewerbungsansatz des IOC, Fachterminus: The New Approach, machte es möglich, mit Olympia-Interessenten zu verhandeln, noch bevor das jeweilige Nationale Olympische Komitee (in Deutschland der DOSB) eine formelle Entscheidung getroffen hatte – wie ich das vor langer Zeit skizziert hatte.
Ab einem gewissen Punkt aber war eine entsprechende Erklärung des DOSB unumgänglich. In den Verhandlungen mit dem IOC hielten sich die DOSB-Vertreter an die vorherigen Postulate und an die Absprachen mit dem Sportministerium (BMI), mit dem man zeitgleich an einer Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen gebastelt hatte. Demnach waren dies die vier Voraussetzungen, um in die heiße Phase einer Olympiabewerbung und zielgerichtete Gespräche mit dem IOC einzutreten:
- Ein Bürgervotum in NRW,
- ein tragfähiges Finanzkonzept,
- der Beschluss einer DOSB-Mitgliederversammlung
- sowie die Vorlage der Nationalen Strategie.
Nichts davon war bis Februar gegeben.
Einerseits ist die DOSB-Führung formal auf der sicheren Seite. Andererseits markieren die gegenseitigen Schuldzuweisungen und die zahlreichen Unterstellungen von Falschaussagen einen absurden Tiefpunkt bei nunmehr sieben olympischen Nullnummern. Im Kern geht es um die Frage, warum die Deutschen von der Festlegung des IOC-Exekutivkomitees auf die Olympiastadt Brisbane 2032 überrascht wurden?
Haben die DOSB-Oberen keine Ahnung? Oder spielte das IOC in seinem intransparenten Procedere mit falschen Karten?
Kristin Kloster Aasen hat ihre Sicht in einem bemerkenswerten dreiseitigen Brief an Hörmann klargemacht. Im Schreiben vom 26. März, über das die ARD-Dopingredaktion zuerst berichtete, wirft sie dem DOSB-Präsidenten „verschiedene unrichtige Aussagen“ vor. Süffisant weist Kloster Aasen auf mehrere Termine hin, auch mit Thomas Bach, bei denen Hörmann die Abläufe erklärt worden seien.
2021-03-26-LE-K.-Kloster-DOSB-President-KopieDas Schreiben lässt die Lesart zu, Hörmann habe die Details nicht verstanden. Kloster Aasen fordert den DOSB-Boss auf, seine Behauptungen richtig zu stellen. Im Grunde spricht Kloster Aasen ein Ultimatum aus, wenngleich unbefristet: Nur wenn Hörmann aufhöre, „Fehlinformationen“ zu verbreiten, nur wenn die „unrichtigen Aussagen“ zum Procedere korrigiert werden, werde das IOC weiter mit NRW und dem DOSB über ein Olympiaprojekt verhandeln.
Sportpolitisch sucht diese Forderung ihresgleichen. Sie ist ein klares Misstrauensvotum gegen Alfons Hörmann.
Sagt der DOSB-Präsident die Unwahrheit? Lügt Hörmann? Oder ist er inhaltlich einfach nur überfordert?
Unvorstellbar ist der Gedanke, Kristin Kloster Aasen, die erst seit September 2017 IOC-Mitglied ist, habe diesen Brief nicht mit dem IOC-Präsidenten abgestimmt.
Wichtig sind diese Details: Das Schreiben ging an das komplette DOSB-Präsidium, an Mronz und an Bach. Der dreiseitige Brief ist als unclassified gekennzeichnet, also ausdrücklich nicht als vertraulich oder gar geheim. Mit anderen Worten: Das IOC hatte kein Desinteresse daran, dass dieses Papier öffentlich wurde. Zudem glühen seit vielen Wochen die Telefondrähte zwischen der IOC-Zentrale in Lausanne und Deutschland – Personen aus Bachs Umfeld erklären demnach deutschen Top-Funktionären, der IOC-Präsident sei extrem unzufrieden mit der Performance des DOSB-Präsidenten.
Der DOSB bezeichnet den Brief von Kristin Kloster Aasen allerdings als „vertraulich“. Auf die Fragen, ob Hörmann die geforderten Richtigstellungen abgeben werde und wie der DOSB die Vorwürfe des IOC kommentiere, antwortet Christian Sachs, Leiter des DOSB-Hauptstadtbüros:
„Zu vertraulicher Kommunikation mit Dritten äußern wir uns grundsätzlich nicht. Alle wesentlichen Fakten und Bewertungen aus Sicht des DOSB haben wir im Rahmen der Pressekonferenz am 1. März dargestellt. Daraufhin hat das IOC öffentlich klargestellt, dass es kein Treffen mit dem DOSB und RRC 2032 im Februar gab.“
Mit „RRC 2032“ ist Rhein Ruhr City, also das NRW-2032-Projekt gemeint. Die Erwähnung der IOC-Korrektur hilft aber nicht bei der Klärung der grundsätzlichen Fragen. Offenbar hatte sich Kloster Aasen auf der IOC-Pressekonferenz am 24. Februar nur versprochen, als sie ein Meeting mit dem IOC im Februar erwähnte, das aber im Januar stattgefunden hatte.
Um die Verwirrung komplett zu machen: Die Olympiapläne in NRW werden weiter betrieben. Für 2032, gern auch 2036, zum 100-jährigen Jubiläum der Nazi Olympics, wie der CDU-Vorsitzende Laschet erklärte. Oder eben 2040. Eine entsprechende Erklärung hat Andrea Milz (CDU), Sport-Staatssekretärin in NRW, Mitte März vorgelegt: Das angeblich „visionäre Projekt“ Olympia in NRW wird weiter verfolgt. Plötzlich war von Kritik an DOSB und IOC nicht mehr die Rede.
Hinter verschlossenen Türen wird mit dem Bundesinnenministerium darüber verhandelt, aus welchen Töpfen Steuermittel für eine Olympia-Offerte in NRW und begleitende Infrastrukturmaßnahmen abgezweigt werden könnten. Juristen des BMI verweigern momentan Akteneinsicht zum Vorgang 2032 – ich habe das in meiner Expertise für die Anhörung im Sportausschuss des Bundestages erwähnt.
Eine Olympiabewerbung, die formal nicht existierte und für die es nach dem IOC-Vorentscheid für Brisbane keine Grundlage mehr gibt, ist gemäß BMI jetzt plötzlich ein „laufendes Verfahren, in das aktuell neben der privaten Initiative RR 2032 auch Gebietskörperschaften, Land und Kommunen in NRW sowie der DOSB eingebunden sind“.
Natürlich lässt sich auch der DOSB nicht in die Akten schauen, obgleich der olympische Dachverband behauptet, sein Archiv stehe Journalisten offen. Auf einen Antrag auf Akteneinsicht antwortete ein vom DOSB beauftragter Medienanwalt: „Unsere Mandantschaft gewährt grundsätzlich Dritten keine Akteneinsicht in vertrauliche Unterlagen.“ Wohlgemerkt: Es geht um höchst öffentliche Vorgänge wie Olympiabewerbungen, um Großprojekte, die gewaltige Summen an Steuermitteln verschlingen.
Am 21. März hatte Hörmann erklärt, der DOSB habe bei seiner Analyse zur Causa 2032 keine Fehler ausgemacht. Über die deutsche Deutsche Presse-Agentur verkündete der CSU-Lokalpolitiker: „Wir haben im Präsidium den ganzen Werdegang und den Status quo diskutiert und selbstkritisch reflektiert, wie die Dinge gelaufen sind. Dabei sind wir nach wie vor zu dem Schluss gekommen, dass wir den Weg wieder so wählen würden.“
Derlei Postulate von selbstkritischer Reflektion in den immer gleichen Zirkeln, ohne öffentliche und unabhängige Kontrolle, sind ein weiteres elementares Merkmal von sieben gescheiterten deutschen Bewerbungen in Serie.
Fünf Tage nach dieser selbstkritischen Reflektion verschickte Kristin Kloster Aasen ihr Ultimatum.
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