TOKYO. Ich bleibe in meiner Herberge an der Tokyo Bay in Urayasu, obwohl ich erstmals ins MPC könnte. Denn die IOC-Herrschaften tagen in Tokio im Okura Hotel. Dort darf kein Journalist rein, nicht einmal in die Nähe, verbotene Zone. Das heißt, vielleicht lassen sie einige rein, die ihnen genehm sind, who knows. Mit bedeutungsschwerer Stimme hat Jochen Färber als Zeremonienmeister die Session eingeleitet. Japans Premier Yoshihide Suga und TGIOCLOAT Thomas Bach (FDP) kamen selbstverständlich gemeinsam – und das gesamte IOC erhob sich.
So mag es der Thomas.
Wer es noch nicht mitbekommen haben sollte:
- TGIOCLOAT steht für The Greatest IOC Leader Of All Time.
Es kann nur einen geben.
Auf geht’s, viel Spaß heute in diesem Theater!
Und noch das: Es ist die 138. IOC-Session. Davon habe ich 31 vor Ort erlebt – und zehn weitere vom Schreibtisch aus betreut. 41 von 138. Ich bin ein Fossil.
Jochen Färber. Viele Leute in der IOC-Administration wundern sich – von 2013 an bis heute -, warum Färber dort ist und welche Qualifikation er hat.
Jochen Färber als Zeremonienmeister leitet diese IOC-Session ein. Seine Qualifikation: Er war lange in Tauberbischofsheim tätig und hat Medienarbeit für den Fecht-Weltverband gemacht, u.a. für Alisher Usmanow. Also hat ihn der Tauberbischofsheimer Fechter Bach zum IOC geholt.
— SPORT & POLITICS (@JensWeinreich) July 20, 2021
Ach ja, außerdem hat er Bachs Geburtstagsfeiern moderiert in Tauberbischofsheim. Aus juristischen Gründen sage ich lieber: mindestens eine große Geburtstagsfeier, die 60. (doch mir war so, als wären es mehrere gewesen). Ich erinnere mich nicht mehr so recht, ob es auch Bach gewesen war, der Färber einst als Pressesprecher der Münchner Olympiabewerbung empfohlen hatte. Anyway, so richtig gut war er da auch nicht, der Mann, der seinen Coubertin-Schnurrbart pflegt.
Jedenfalls, Färber wurde in Lausanne Head of the Executive office of the President, nachdem er sich im Wahlkampf zuvor um dies und das gekümmert hatte. Kleinigkeiten. Zwei Jahre später ging es nicht mehr, und Bach holte sich einen Bürokraten, Marcus Hausen, der zuvor in diversen Landesministerien in NRW und Berlin tätig gewesen war. Ich hatte Hausen garantiert mal erwähnt, hier und in Texten anderswo. Hausen zählt natürlich zu jenen Kontaktpersonen, die manche in NRW und Berlin kennen und deshalb dachten, sie hätten glänzende Beziehungen ins Olympic House, wenn es um Olympiabewerbungen geht.
Guter Witz, oder?
Lasst mich jetzt nicht die vielen Geschichten des Frühjahrs zum Olympiabewerbungchaos verlinken. Doch, meine Expertise für den Sportausschuss des Bundestages. Gern geschehen.
Für Färber fand Bach die Verwendung als Head of Olympic Channel Services Switzerland. Da kann er nicht soviel falsch machen, erzählt man sich in Lausanne. Bei manchen Produktionen des Olympic Channel spielt er den Zeremonienmeister und setzt seine Idole ins Bild: Bach. Bach. Bach. Vor allem. Und wenn Färber selbst, ganz stolz, etwa bei ANOC-Galas an Tischen mit anderen wichtigen Personen sitzen darf, dann wird er erstaunlich oft eingeblendet. Es ist ein running gag unter Mitarbeitern und Funktionären aus aller Welt, die Zahl der Großeinblendungen zu zählen.
So ist er halt. Fotografieren kann er auch, sehr nützlich wenn Bachs Leibfotograf mal nicht zur Hand sein sollte:
Oder das:
Bei den ersten IOC-Sessionen unter Bach, sah man Färber stets im Hintergrund sitzen, meist neben Monika Scherer, der langjährigen Sekretärin und Bürochefin des TGIOCOAT in der fränkischen Heimat. Natürlich stammt Frau Scherer ebenfalls aus Tauberbischofsheim und lebt da auch noch. Sie ist die wichtigste Kraft und Vertraute Bachs. Heute ist sie selbstverständlich wieder im Hintergrund dabei. Sie kam vergangene Woche mit Bach und Hausen in Tokio an. Ohne seine Monika geht nichts für Bach.
Noch kurz zu Färbers Aufgaben bei den ersten Sessionen unter seinem TBB-Boss. Er machte Strichlisten und zählte die Diskussionsbeiträge. Manchmal sah man ihn einen Zettel nach vorn bringen und seinem Chef aufs Tischchen legen. Bei mindestens einer Session, Sotschi oder Monaco, vielleicht auch bei mehreren, wurde dann ausdrücklich erwähnt, dass sich so viele IOC-Mitglieder wie nie zuvor an der Diskussion beteiligt hätten. Ich habe das nie geglaubt, kann es aber nicht beweisen, da ich keinen Zugang zum IOC-Archiv habe. Es gab schon einige Sessionen, in denen gewaltig diskutiert wurde – Guatemala 2007 fällt mir da ein, als die Olympischen Jugendspiele eingeführt wurden. (Es gibt hier einige Texte von mir aus Guatemala, wen das interessieren sollte – bitte Suchfunktion benutzen.)
Premier Suga hat übrigens gerade präzisiert, dass nur 4,9 Milliarden Menschen die Corona Games am TV verfolgen werden – so hat es die Simultandolmetscherin übersetzt. Hatte Bach nicht von 5 oder gar 50 Trilliarden gesprochen? Ein Konflikt? Ein Skandal? Weinreich, recherchieren sie das!
9.51 Uhr Ortszeit (2.51 Uhr MESZ). Endlich hat er es gesagt:
„We can now finally see the light at the end of the dark tunnel!“
10.21 Uhr: Na also. „Mehr als 5 Milliarden TV-Zuschauer wahrscheinlich“, sagt Generaldirektor Christophe de Kepper. Was erzählt der Suga da?
Bachs Rede kurz zusammengefasst: Es war schwer. Wir hatten Zweifel und schlaflose Nächte. Die Entscheidung war richtig. Wir hatten keine Ahnung, wie schwer es werden würde. Sogar ich hatte Zweifel (er, TGIOCLOAT!!!). Wir haben geliefert. Wir haben Solidarität bewiesen. Wir sind Helden.
Wer es lesen möchte, gern:
2021-07-20-Tokyo-2020-IOC-Session-President-Bach-Opening-Speech11.40 Uhr (Ortszeit): Nach der Kaffeepause geht es mit dem Refugee Team weiter. Aber ohne Tegla Loroupe, die als Chefin de Mission wegen Corona ausfällt.
Katars Emir Tamim, IOC-Mitglied seit 2002, macht und tut alles für den Weltsport und den Frieden und überhaupt. Er finanziert sogar einen Anti-Korruptions-Preis, Anti-Korruptions-Forschung, Anti-Corruptions-Bildung – und die IOC Refugee Foundation.
— SPORT & POLITICS (@JensWeinreich) July 20, 2021
Und wer dankt es ihm? pic.twitter.com/cCoCvqhJre
11.58 Uhr: Anti-Doping. Witold Bańka für die WADA. Valérie Fourneyron für die ITA (International Testing Agency), die den meisten Menschen unbekannt ist, auch jenen Menschen, die sportpolitisches Interesse haben. Ich werde mich die Tage gewiss mehrfach zum Doping äußern. Muss deshalb jetzt aufmerksam zuhören, kann ja sein, dass doch etwas Wichtiges gesagt wird. So oder so ist es für mich ein kleines Bildungsprogramm, um wieder reinzukommen. Insofern kann ich kaum Notizen machen. Diese Passagen in den nächsten Tagen und Wochen während der Spiele nochmal anzuhören, dazu wird mir die Zeit fehlen – also jetzt große Ohren machen.
Doch den letzten Absatz hätte ich mir sparen können. Ich hätte es besser wissen müssen. Natürlich redeten Fourneyron und Bańka ums eigentliche Thema herum, das heißt: Zusammenbruch des Testsystems in der Pandemie. Trotzdem lobte Bach die „exzellenten Berichte“.
Prinz Albert – habe seine Frage nicht verstanden. Ist bei ihm meistens auch egal.
James Tomkins, auf seiner letzten Session als einer der Athletensprecher – seine acht Jahre sind um. Er hat keine Frage. Er lobt WADA und ITA. Und dabei darf man Tomkins zu einem der, nun ja, kritischen und sehr wachen IOC-Mitgliedern zählen. Zusammen mit der Finnin Emma Terho hat sich der Neuseeländer Tomkins vor knapp zwei Jahren sogar nach Colorado Springs getraut, sozusagen ins Feindesland der Play the Game Konferenz (für die ich seit vielen Jahren ehrenamtlich im Programmkomitee mitarbeite).
Damit ist das Dopingthema schon beendet – und ich habe gar nichts gelernt, sondern muss meine Hausaufgaben gesondert machen.
12.42 Uhr: Mittagspause für 80 Minuten. Und ich werde vielleicht noch ein Schläfchen machen. Ist besser so. Zwei Stunden waren zu wenig. Bin nicht mehr 28.
15.19 Uhr: Ethics erledigt. Ban Ki-Moon ist das routiniert und wurde als IOC-Maskottchen, also als Chef der IOC-Ethikkommission, auch wiedergewählt. Um die Finanzen ist es weiter großartig bestellt – zum Beispiel werden im Quadrennium 2021-2024 nicht nur zwei, sondern erstmals drei Milliarden Dollar von den TOP-Firmen (The Olympic Partner Programme) erlöst. Nicht überraschend, sehr gut. Werde ich im Magazin und auch hier in Kürze ordentlich grafisch aufbereiten, die neuen Zahlen.
Davon abgesehen hat es mich nach nur zwei Stunden Schlaf gerade am Schreibtisch doch etwas dahingerafft. Kurz kalt duschen, dann weiter.
Meanwhile, so ergeht es anderen Journalisten. Vielleicht sollte ich doch nie mein Zimmer verlassen:
Seems incredibly excessive that @pbarkersport has to spend 14 days in self-isolation having been identified for being in close contact with someone who has COVID-19 when there is a mechanism for other members of the Olympic Family to avoid this situation #Tokyo2020 #Olympics https://t.co/jMoCKe7kyA
— Duncan Mackay (@Duncan_ITG) July 20, 2021
Bach ist zufrieden: „An afternoon of unity!“
Denn alles läuft blendend, wie nicht anders zu erwarten. Und das olympische Motto hat der Neu-Coubertin nun auch erweitern lassen, das war im März auf die Tagesordnung gekommen. Es heißt jetzt:
Faster, higher, stronger – together!
Schneller, höher, stärker – zusammen gemeinsam!
Nachtrag, Einschub: Oben hatte ich zunächst unkorrekt zusammen geschrieben – in Deutsch heißt es im neuen olympischen Motto aber gemeinsam. Darauf weist mich gerade per Twitter-DM Christian Klaue hin, Corporate Communications and Public Affairs Director of the IOC. Wir sehen also, was IOC-Direktoren während so wichtiger Sessionen machen – die Berichterstattung checken. Mal schauen, ob ich Ansätze geliefert habe, wieder mal einen Anwalt in die Spur zu schicken. Anyway, gut so, Christian, Du weißt, dass Du hier manchmal noch etwas lernen kannst!
Der IOC-Direktor bietet gleich noch diesen Übersetzungsservice:
- Schneller, Höher, Stärker – Gemeinsam
- Faster, Higher, Stronger – Together
- Citius, Altius, Fortius – Communiter
- Plus vite, Plus haut, Plus fort – Ensemble
Was Ihnen in diesem Theater alles geboten wird, unbezahlbar, da reicht kein Tokio-Pass.
16.29 Uhr: Jetzt der Bericht von TOCOG. Sie zeigen erstmal einen Jubelfilm über den Fackellauf, der mal eingefroren war, oft ausgesetzt wurde usw usf. Taucht alles nicht auf. Läuft.
Olympic values contribute to public change in the world – so hat das Seiko Hashimoto gerade gesagt. Der übliche Singsang.
Der Ton fällt alle paar Sekunden aus. Heute morgen habe ich das so gelöst: Ipad und MacBook etwas zeitversetzt laufen lassen – das hat wirklich fast reibungslos funktioniert, dieses reibungslose Aussetzen. Dadurch hatte ich doch fast durchgängig einen Ton.
17.00 Uhr: Diese Kirsty Coventry ist wirklich eine Idiotin. Nicht nur eine getreue Erfüllungsgehilfin der IOC-Führung. Jetzt quatscht sie infantil darüber, welche Spiele die Sportler auf den neuen, vom Sponsor Samsung bereitgestellten Smartphones spielen können. Und wie viele GB im Datentarif enthalten sind.
Bin mal gespannt, habe mich nicht drum gekümmert. Mein Tipp wäre ja eigentlich, dass Coventry für treue Arschkriecherdienste (ja, das klingt unjournalistisch, ist aber korrekt) eine persönliche IOC-Mitgliedschaft erhält, wenn am letzten Tag der Tokio-Spiele ihre achtjährige Amtszeit abgelaufen ist. Warten wir mal ab.
„You’ve said this is your last report? I don’t know …“ scherzt Ihr Meister, der TGIOCLOAT, „there are Games in between.“ Hach, nun lacht die Kirstin auch.
17.35 Uhr: Der erste Tag der 138. IOC-Session endet. Die Herrschaften speisen jetzt. Ich arbeite das, was interessant und wichtig ist, später nachrichtlich im Newsletter auf und im Wort zur Nacht.
Ich berichte bis 10. August 24/7 von den Corona Games aus Tokio. Im Shop oder direkt via PayPal können Sie olympische Hintergrundberichterstattung buchen und meine Arbeit unter erschwerten Bedingungen unterstützen – analog zu Rio und PyeongChang gibt/gab es den Tokio-Pass, aber mit viel mehr Content und einigen Extras wie einen täglichen Newsletter. Für absolute Gourmets und Supporter gibt es sogar ein IOC-konformes Tokio-Superpaket „Es werde Licht am Ende des Tunnels“!
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