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Das Olympische Bildungsmagazin

Tokio, was vom Tage übrig bleibt (26. Juli 21): Albträume von Ewig-Präsidenten

TDLR: Kann es sein, dass Thomas Bach als IOC-Präsident eine dritte Amtszeit dranhängt und für ihn die Olympische Charta geändert wird, weil seine Anhänger sich das ganz dolle wünschen? Ist es möglich, dass DOSB-Präsident Alfons Hörmann doch nicht abtritt in diesem Herbst und es also nicht zu Neuwahlen kommt, weil Hörmann & Co ja erst noch Deutschland retten müssen nach der Umwetterkatastrophe? Und sollten die selbstbewussten deutschen Athleten nicht konsequenter Weise Kandidaten für das Präsidentenamt stellen, um wirklich Veränderungen zu forcieren? Fragen über Fragen.

URAYASU/TOKYO. Der Taifun Nr. 8, Nepartak genannt, nähert sich der Olympiaregion. Der Regen trommelte heute Nacht gegen mein Fenster hier im Hotel direkt an der Tokyo Bay. Es wird ein bisschen ungemütlich. Alle weiteren Informationen entnehmen Sie bitte dieser Mitteilung der Japan Meteorological Agency (JMA), damit sollten Ihre Fragen vollumfänglich beantwortet sein.

Japan Meteorological Agency

Gegen Mitternacht schrieb das Organisationskomitee (TOCOG):

A Tropical Storm No.8 is expected to make landfall somewhere in the Kanto and/or Tohoku regions of Eastern Japan in the afternoon of Tuesday 27 July. The Tokyo 2020 Organising Committee is working with the IOC, International Federations and other relevant organisations to make sure that the processes and plans that are in place to respond to any inclement weather are activated, should the need arise.
Due to the approaching tropical storm, the schedules of the rowing and archery competitions were changed yesterday, and it was decided today to bring forward the surfing finals from the 28th to the 27th in consideration of the wave conditions.
At this time (as of 23:30 on 26 July), there are no plans to change the schedule for any of the other events due to be held on Tuesday 27 July. We will continue to monitor the latest weather information to ensure the safety of all those involved in the Games. We will advise you of any changes to the competition schedule as quickly as possible. In particular, we will make every effort to inform you promptly of any changes to events due to be held with spectators.

Wenn ich die Vorhersagen richtig verstehe, geht es weniger um gefährliche Windstärken, als vielmehr um tropische Regengüsse. Die Corona Games werden gewiss auch dem Unbill des Wetters trotzen.Das bringt mich zum eigentlichen Gedanken heute, denn der steht sinnbildlich über allem:

In schwierigen Zeiten muss die olympische Familie zusammenhalten. So war das doch immer, oder?

Anders formuliert: Wenn Gefahr dräut, scharen sich die Schäfchen um ihren Schäfer. Sie alle kennen diese Sprachbilder – suchen Sie sich eines aus. Sportfürsten mangelt es jedenfalls nie an schrill-schrägen Formulierungen. Wiederholung ist alles, immer und immer wieder. Bis es der Letzte im Saale verstanden hat. Mein alter Freundfeind Joseph Blatter hat viele Jahre dieses Bild bemüht: In unruhiger See braucht die Familie, hier die FIFA Family, einen Kapitän/Steuermann/Lotsen, der das Boot durch alle Untiefen in den sicheren Hafen führt. (Dazu gibt es in diesem Theater von FIFA-Kongressen und anderen Gelegenheiten womöglich ein Dutzend Texte.)

Darum geht es.

Hören wir mal an, was mir meine Vögelchen dieser Tage zwitschern. Ich meine nicht das Twitter-Gezwitscher. Ich halte es mit Lord Varys, dem Master of Whisperers, der seine Vögelchen überall hatte. Es ist immer wichtig, alles, was diese Vögelchen berichten, in einem Praxistest zu überprüfen.

Dieser Praxistest hat begonnen.

Ich möchte aus juristischen Gründen dennoch in den Konjunktiv gleiten und manche Sätze in Frageformen kleiden. Schließlich werde ich gerade vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und von dessen Präsident Alfons Hörmann (CSU) verklagt – das IOC und dessen Präsident Thomas Bach (FDP) scheuen sich auch nicht, dieselbe Anwaltskanzlei vom Kurfürstendamm in Anspruch zu nehmen. Überzeugend argumentieren diese Advokaten selten, aber es raubt Zeit und Nerven und Geld, das will doch niemand.

Lord Varys – der Eunuch mit seinen Vögelchen, Spionen und vielfältigen Quellen – stammt aus der freien Stadt Lys und er ist, falls Ihnen das nicht so geläufig sein sollte, eine fiktive Figur aus dem Fantasy-Epos Game of Thrones von George R. R. Martin.

Nun also dieses Märchen:

Nach den Olympischen Spielen ist vor den Olympischen Spielen. Und so trifft sich ein Teil der olympische Familie schon in einem halben Jahr wieder, um in Peking die Olympischen Winterspiele zu feiern. Diesem Event im Reich von Xi Jinping, Träger des Olympischen Ordens, ist die 139. IOC-Session vorgeschaltet. Und nun stellen Sie sich vor, dies würde passieren, wir sind ja im Märchen, einer wunderbaren, völlig fiktiven olympischen Fantasy-Geschichte:

Ein IOC-Mitglied erhebt seine Stimme, skizziert die unruhige See der vergangenen Jahre, all den Corona-Unbill und von mir aus auch den des Wetters. Beginnt dann, die Leistungen des IOC-Steuermanns zu preisen, schließlich blieb das Schiff auf Kurs, mehr als 2,3 Milliarden Dollar lagern bereits auf den Konten der IOC Group, bis Peking werden es vielleicht drei Milliarden sein. Doch ist es nicht so, könnte diese Person argumentieren, dass unserem Steuermann, unserem großen und weisen Führer, viel Zeit geraubt wurde, seine eigentlichen Visionen umzusetzen? Hat unser Großer Vorsitzender nicht gerade seine bahnbrechende Agenda2020+5 vorgelegt? 

Sollten wir unserem Führer nicht Zeit geben, uns weiter durch unruhige See zu lotsen? 

Warum sollten wir die Amtszeit für einen IOC-Präsidenten auf 8+4 Jahre begrenzen, wenn wir doch den Wiedergänger Pierre de Coubertins an der Spitze haben?

Dieses IOC-Mitglied könnte formulieren: 

“Ich schlage deshalb vor, liebe Freunde, dass wir die Satzung ändern und unserem lieben Präsidenten Dr. Thomas Bach eine dritte Amtszeit gewähren.”

Noch während dieses IOC-Mitglied spricht, erheben sich die Kollegen von ihren Plätzen und applaudieren. Ein lang anhaltender, warmer, ja begeisternder Applaus, der von ehrlich-echten olympischen Herzen kommt.

Könnte dieses Märchen dann nicht so enden?

IOC

Die Vögelchen zwitschern gerade auch komische Sachen aus dem Bereich des DOSB. Dieses zweite Märchen könnte viele Personen im deutschen Sport enorm verunsichern, die Briefeschreiber aus dem DOSB beispielsweise, die im Mai 2021 in einem Offenen Brief eine Kultur der Angst unter Präsident Alfons Hörmann (CSU) und der Vorstandsvorsitzenden Veronika Rücker gegeißelt hatten. Die Ethikkommission des DOSB unter Vorsitz von Thomas de Maizière (CDU) hatte die Vorwürfe im Kern bestätigt und einschneidende Maßnahmen empfohlen.

Dieses zweite olympische Märchen, oder sollte ich besser sagen nightmare, dieser Albtraum, geht so:

  • Könnte es sein, dass Alfons Hörmann seinen Posten als DOSB-Präsident doch nicht räumen will zum Ende des Jahres?
  • Könnte es sein, dass auf der DOSB-Mitgliederversammlung im Dezember in Weimar gar keine Neuwahlen stattfinden?
  • Könnte es sein, dass Hörmann, das DOSB-Präsidium und der DOSB-Vorstand mit ihren letzten verbliebenen Getreuen versuchen, den Notstand der Unwetterfolgen zu nutzen, um Neuwahlen (und damit jegliche Konsequenzen aus der katastrophalen Lage des DOSB) zu verzögern?
  • In unruhiger See braucht die Familie, hier die DOSB-Familie, einen Kapitän/Steuermann/Lotsen, der das Boot durch alle Untiefen in den sicheren Hafen führt?
  • Könnte es sein, dass erst im Herbst 2022, nach Ablauf der dann vierjährigen Wahlperiode, wirklich etwas passieren soll im DOSB – Abtritte, Neuwahlen?

Klingt überhaupt nicht gut, dieses Märchen.

Die Satzung des DOSB lässt auch da einige Fragen offen.

Vereinfacht gesagt ist es so: Wenn das Präsidium nicht geschlossen zurücktritt, gibt es keine Neuwahlen. Maximal Nachwahlen.

  • Paragraph 17 (2) sagt dazu:

Die Präsidiumsmitglieder – ausgenommen die Mitglieder nach Absatz 1 g bis i – werden von der Mitgliederversammlung für die Dauer von vier Jahren gewählt, bleiben aber auch darüber hinaus bis zu einer erfolgten Neuwahl im Amt. Scheidet ein Präsidiumsmitglied während der laufenden Amtsperiode aus, kann das Präsidium für den Zeitraum bis zur nächsten Mitgliederversammlung ein kommissarisches Präsidiumsmitglied berufen. 

  • In § 27 (9) heißt es:

Nachwahlen und Nachberufungen gelten für alle Organe und Gremien jeweils für die laufende Wahlperiode. 

Einige Lobbyisten im DOSB-Umfeld sind bereits darauf gekommen. Etwa Oliver Stegemann (SPD), Sprecher der Interessengemeinschaft der nichtolympischen Verbände (IG NOV) im DOSB und Präsident des Deutschen Sportakrobatikbundes (DSAB).

Wenn nun schon ein Nichtolympischer darüber redet.

Wie es weitergeht, ob es überhaupt weitergeht, ob Wahlen stattfinden im Dezember, ob man Änderungen will oder lieber die Restauration, ob echte Neuwahlen angestrebt und jene DOSB-Präsidiumsmitglieder davon überzeugt werden können, dass sie sich als ungeeignet erwiesen haben und bitte ihre Positionen räumen und nicht davon träumen, wieder anzutreten – all das liegt in den Händen einer sogenannten Findungskommission.

Diese Dreiertruppe besteht aus:

  • Ingo Weiss, dem Sprecher der 66 Spitzenverbände (40 olympische, 26 nichtolympische), zugleich Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) sowie Schatzmeister des Weltverbandes FIBA – und bislang sehr treuer Hörmann-Parteigänger
  • Jörg Ammon, dem neuen Sprecher der 16 Landessportbünde (LSB), zugleich Präsident des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV) – der seinen bayerischen Landsmann Hörmann bislang stets ganz dufte fand
  • Barbara Oettinger, die Sprecherin der 18 Verbände mit besonderen Aufgaben (VmbA).

Ich hatte vor Wochen vorhergesagt: Wir werden nach den Tokio-Spielen vielleicht nur ein Konzept von Stakeholdern zur Zukunft des deutschen Verbandssports und zur Lösung der vielen fundamentalen Probleme vorgelegt bekommen – dieses Konzept wird garantiert von Athleten Deutschland stammen, die in den wenigen Jahren ihrer Existenz schon einige wichtige Papiere vorgelegt haben und damit den intellektuellen Output der DOSB-Führung weit in den Schatten stellen.Im Grunde lässt sich das eine mit dem anderen nicht vergleichen. Das sind unterschiedliche Welten.

Was sich andeutet: Wenn Athleten Deutschland nicht die Initiative übernimmt und drängt, wird sich in diesem Jahr gar nichts ändern. Dann wird restauriert und an Posten festgehalten, wo es nur geht.

Es ist eine entscheidende Phase.

Es kann nur eine sinnvolle Konsequenz aus dem Desaster der vergangenen Jahre geben, die außer mehr Bundesmitteln gar nichts gebracht haben:

Die Athleten müssen eine Kandidatin oder einen Kandidaten für die DOSB-Präsidentschaft benennen. 

Am besten gleich ein Team …

… sonst wird das Establishment siegen. Und natürlich wird der DOSB weiter frech Erfolge der mündigen Athleten für sich vereinnahmen, wie in Tokio zu bestaunen. Christoph Becker hat das in der FAZ skizziert.

Ich hatte den Newsletter nachts verschickt. Morgens erreichten mich zahlreiche Rückmeldungen aus dem IOC- und aus dem DOSB-Völkchen. Die Vögelchen äußern sich schnell und gern zu den beiden Märchen.

Tendenz:

  • Große Sorge im IOC-Umfeld, dass das Märchen wahr werden könnte.
  • Entspannende Botschaften von DOSB-Vögelchen, die nicht glauben, dass sich der Albtraum fortsetzen könnte.

ich wollte es nur mal gesagt haben.

Stay tuned! Es bleibt spannend. Sayōnara!


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Ein Gedanke zu „Tokio, was vom Tage übrig bleibt (26. Juli 21): Albträume von Ewig-Präsidenten“

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