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Das Olympische Bildungsmagazin

Tokio, was vom Tage übrig bleibt (29. Juli 21): die rassistische Kehrtwende

URAYASU. Ich weiß nicht, ob es Kameltreiber auf Fidschi gibt. Mir ist egal, welchen rassistischen Spruch ein dummer deutscher Radsportfunktionär möglicherweise für die Rugby-Olympiasieger aus dem Pazifik parat hätte. Doch diese Banknote zu Ehren der Flying Fijians wollte ich Ihnen nicht vorenthalten, vielleicht wird der Schein nach dem zweiten Olympiasieg neu aufgelegt – oder die Reserve Bank of Fiji macht gleich eine Serie draus.

Reserve Bank of Fiji

Eine Sieben-Dollar-Münze wurde nach dem ersten Erfolg in Rio de Janeiro auch herausgegeben.

Und diese Nationalhymne erst!

Schweigen, lächeln, genießen.

Es wird kaum schöner werden bei diesen Olympischen Corona Spielen:

Das war der Sport.

Nun ins Tal der Tränen und Peinlichkeiten. Willkommen in der Parallelgesellschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Oh Herr, lass es endlich Hirn regnen!

Lass sie endlich ihre eigenen Regeln und Postulate befolgen!

Lass sie endlich einmal das tun, was sie stets von anderen verlangen!

Was soll man zu dieser DOSB-Führung noch sagen? Verantwortungslos, hilflos, konzeptlos, verloren, aber noch immer mit einer ziemlich gewaltigen Grund-Arroganz ausgestattet, die sich woraus speist? Weiß das jemand? Qualitäten, die in dieser Branche verlangt werden, sind es jedenfalls nicht.

Doch vergessen wir nicht, dass die in jeder Beziehung überforderte DOSB-Combo nach innen gleichzeitig ein Klima der Angst aufgebaut hat, wie Anfang Mai zahlreiche Mitarbeiter in einem Offenen Brief beschrieben haben. Sie sind nicht zimperlich! Sie verdienen deshalb kein Mitleid, sondern müssen schleunigst abtreten. Beim Ombudsmann gingen mehrere Dutzend Klagen ein, und der DOSB-Ethiker Thomas de Maizière (CDU) kam in seinem Kommissionsbericht schließlich nicht umhin, die katastrophalen Zustände im Reich des Alfons Hörmann (CSU) zu bestätigen und Neuwahlen zu empfehlen. Einiges dazu hat TdM gerade in einem Doppelinterview mit der Süddeutschen Zeitung kund getan, wo er gemeinsam mit dem Theologen Nikolaus Schneider befragt wurde, der wiederum Erfahrungen aus der Ethikkommission des DFB vorweisen kann: “Neuanfang beinhaltet, neue Köpfe zu finden”.

Im Newsletter 10 habe ich gestern die Wortwahl Hörmanns nach dem rassistischen Ausbruch des BDR-Sportdirektors Patrick Moster seziert, den Hörmann eben nicht als das bezeichnete, was es war: 

Rassismus.

Bei der Wortwahl beginnt es.

Am Donnerstag, eine Nacht später, benutzt Hörmann das R-Wort plötzlich doch. In einer dünnen Erklärung, die der DOSB um 8.18 Uhr MESZ über Twitter verbreitete, heißt es:

“Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass seine öffentliche Entschuldigung für die gestern von ihm getätigte rassistische Äußerung aufrichtig ist.”

Wieder ist die DOSB-Teamleitung (Alfons Hörmann, Leistungssportdirektor Dirk Schimmelpfennig als Chef de Mission, die Vizepräsidentin Leistungssport Uschi Schmitz und die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker) von etwas überzeugt.

Von Aufrichtigkeit.

Gestern betonte die Truppe ein “gutes und sicheres Gefühl”. Nach katastrophalen Schlagzeilen in aller Welt, nach klaren Äußerungen von Sportlern und nach einer Anfrage des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) war das “gute und sichere Gefühl” plötzlich gewichen.

Patrick Moster muss abreisen, ist womöglich bereits auf dem Rückflug.

Symbolbild für Selbstbewusstsein und gute Laune bei DOSB-Führungskräften – Veronika Rücker, Alfons Hörmann (CSU). Foto: IMAGO/Jan Hübner.

Ich könnte – wie am Mittwoch – erneut jeden Satz der DOSB-Verlautbarung/en auseinander nehmen und würde nur Widersprüche herausarbeiten. Es stimmt halt alles hinten und vorn nicht im DOSB, rechts und links nicht, oben und unten nicht, im Osten und im Westen nicht, im Süden und im Norden nicht. Und es zeigt sich, dass es ein gewaltiger Fehler war, diesem Präsidenten die Verantwortung für die olympische Dienstreise zu übertragen. Wie schlecht kann man sein, wie peinlich.

Der Image-Schaden ist gewaltig.

Meine Anmerkungen aus gestrigen Newsletter habe ich im Blog ergänzt, erweitert und schließlich mit der DOSB-Umkehr aktualisiert. Weitere Hintergründe habe ich für den SPIEGEL skizziert: “Der Schaden ist jetzt noch viel größer”.

Einige Notizen noch dazu, gewiss vergesse ich Wichtiges, bestimmt haben Sie anderes gehört oder gelesen, was eine Erwähnung wert wäre.

Erstens: Der DOSB spricht von einer “öffentlichen Entschuldigung” Mosters. Tags zuvor hatte es sich mindestens bei Moster so angehört, als habe er sich bei jenen Sportlern entschuldigt, die er als Kameltreiber bezeichnet hatte. Der Algerier Azzedine Lagab ist einer dieser Kameltreiber, und er wies auf Twitter lässig darauf hin, dass in Tokio doch gar keine Kamelrennen stattgefunden haben. 

“There is no camel race in #Olympics that’s why I came to cycling.” 

Jan Göbel hat Lagab auf der Rückreise in Istanbul erreicht und im SPIEGEL ein kurzes Gespräch mit ihm veröffentlicht. Die wichtigste Aussage Lagabs:

“Eine persönliche Nachricht und Entschuldigung habe ich bisher weder von Moster noch vom deutschen Team erhalten.”

Darauf kommt es aber an. Was erzählt also der DOSB, was erzählt der BDR, wovon redet dieser Patrick Moster? Erbärmlich.

Zweitens: Dem IOC ist es offenbar wichtig, den Eindruck zu erwecken, der DOSB habe zeitnah nach Intervention des IOC gehandelt. Christian Klaue (einst DOSB-Sprecher unter Präsident Thomas Bach, dann beim IOC unter Präsident Bach, dann beim DOSB Sprecher unter Präsident Hörmann, nun wieder in Lausanne als Corporate Communications and Public Affairs Director of the IOC) schickte mir nach dem DOSB-Beschluss dieses Statement, das so oder so ähnlich in zahlreichen Medien verbreitet wurde:

“The IOC contacted the German Olympic Sports Confederation (DOSB) this morning and inquired about the issue around the Sports Director of the German Cycling Federation. We welcome the swift reaction of DOSB not to let him continue in his role and asking him to leave Tokyo to return back to Germany. Comments such as these have no place at the Olympic Games.”

In der Tat habe ich hier und da gelesen, verbreitet – wie immer – vor allem von Nachrichtenagenturen, da sei dieser Druck des IOC gewesen. Die Überschrift in der FAZ zum Bericht von Anno Hecker lautet: “IOC macht im Rad-Skandal Druck”. Der Sprecher, der da genannt wird, ist Klaue. Von ihm stammt offenbar auch der Hinweis, es sei erwogen worden, die IOC-Disziplinarkommission einzuschalten. Mag so sein. In der gesamten Gemengelage halte ich das für ein Detail, kein entscheidendes, vor allem aber für den Spin der IOC-Propagandaabteilung, um besser dazustehen.

Drittens: Vielmehr kann ich die Erklärung von Thomas Weikert und anderen Gesprächspartnern nachvollziehen. Für Weikert, Präsident des Tischtennis-Weltverbandes ITTF und potenzieller Nachfolger Hörmanns als DOSB-Präsident, war der öffentliche Druck entscheidend für die Kehrtwende: “Ich glaube, das war nur die Öffentlichkeit.” Inklusive der klaren Statements von Athleten (Nikias ArndtRick Zabel) und von Sportler-Organisationen (Athleten DeutschlandFIFPRO).

Weikert hatte sich zum Fall Moster deutlich geäußert:

“Abreisen, er hat hier nichts mehr zu suchen – oder wie soll ich erklären, dass Sport die Völker verbindet?”

Ebenso klar war Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanuverbandes (DKV) und bald auch Präsident des Weltverbandes ICF:

“Ich hätte ihn sofort nach Hause geschickt. Konsequenzen danach sind Sache des BDR. Wir müssen ehrlich für unsere Werte stehen.”

Viertens: Es sollen einige deutsche Spitzenverbände beim DOSB interveniert haben, beispielsweise der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB), der in einem Brief/Email an die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker die sofortige Abreise von Moster gefordert haben soll.

Der Schaden ist da. Dieses neuerliche Komplettversagen sollte den Abgang der DOSB-Führungsriege (Präsidium, Vorstand) beschleunigen.

Es ist ermüdend, unterkomplex, nahezu entwürdigend, ein solches Niveau der Verbandsführung beschreiben zu müssen. Deshalb erspare ich Ihnen an dieser Stelle weitere Anmerkungen zu Äußerungen des ewigen BDR-Präsidenten Rudolf Scharping (SPD).

Corona-Zahlen des Tages

Rekorde: 10.966 Neuinfektionen in Japan am Donnerstag, 3.865 in Tokio (doppelt so viele wie vor einer Woche), 6.469 in der Metropolitan Area. Es wird ernster. “Wir haben noch nie eine Ausbreitung der Infektionen in diesem Ausmaß erlebt”, sagte Japans Kabinettschef Katsunobu Kato. Nach Angaben der Olympia-Organisatoren wurden vom 1.-28. Juli 198 für die Spiele akkreditierte Personen positiv getestet. Es gab ziemlich viele Breaking News heute, nachdem der US-amerikanische Stabhochspringer Sam Kendricks positiv getestet wurde und daraufhin das australische Leichtathletikteam einige Stunden in Quarantäne verbrachte.


Ich berichte bis Mitte August 24/7 von den Corona Games aus Tokio. Im Shop oder direkt via PayPal können Sie olympische Hintergrundberichterstattung buchen und meine Arbeit unter erschwerten Bedingungen unterstützen – analog zu Rio und PyeongChang gibt es jetzt den Tokio-Pass, aber mit mehr Content und einigen Extras wie einen täglichen Newsletter. Für absolute Gourmets und Supporter gibt es sogar ein IOC-konformes Tokio-Superpaket „Es werde Licht am Ende des Tunnels“!

3 Gedanken zu „Tokio, was vom Tage übrig bleibt (29. Juli 21): die rassistische Kehrtwende“

  1. Vielen Dank für die Berichte, Hintergründe, … Der Geldschein ist ein Highlight! Der Olympiapass hat sich selbstverständlich schon gelohnt. Ich freue mich auf die Berichte zur Leichtathletik, die vermutlich (?) kommen werden.
    Wäre es möglich, die Inhalte der Spiegel+-Artikel auch hier für die Passinhaber zu veröffentlichen?

  2. @Andreas: Eine Kooperation mit dem Ozeandampfer SPIEGEL ist so nicht möglich. Es gibt aber gerade einen Newsletter mit einer erweiterten Fassung eines meiner Beiträge für SPIEGEL+. So wird das auch weiterhin sein. Wer hier liest und abonniert, bekommt immer mehr – wenngleich nicht immer zuerst. Ich finde, das ist okay. Anders geht es nicht.

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