Zum Inhalt springen

Das Olympische Bildungsmagazin

IOC: „an embarrassment to the international world of sport“

Die bemerkenswerte Resolution des Europäischen Parlaments ist das eine. Das Papier von drei Dutzend Sportministern ist ein weiteres Dokument, in dem das IOC mit seinen scheußlichen russischen Olympiaplänen unter Druck gesetzt und gewissermaßen auch enttarnt wird. Zehn Tage haben Sportminister aus aller Welt um einen Konsens zur Frage gerungen, wie man dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) am besten mitteilen könne, dass die Teilnahme von russischen und belarussischen Sportlern an den Sommerspielen 2024 in Paris eine schlechte Idee sei. Am Montagabend wurde die mit Spannung erwartete Stellungnahme veröffentlicht, unterschrieben von Ministern und Staatssekretären aus 34 Nationen von vier Kontinenten

Statement-on-Russias-war-on-Ukraine-and-international-sport-GOV.UK_

„Starke Bedenken“ äußern die Minister zu den unausgegorenen Plänen des IOC, Russen und Belarussen als sogenannte neutrale Sportler in die olympischen Wettbewerbe einzugliedern, was derzeit im Rahmen des Olympic Council of Asia (OCA) bereits geschieht. (Lustigerweise war ich gerade in Katar, und wer lief mir auf dem Airport als erster über den Weg: der für die Eingliederung der Russen und für die Asian Games verantwortliche OCA-Direktor aus Kuwait, einer der langjährigen treuen Diener von Scheich Ahmad.)

„Solange grundlegende Fragen und der erhebliche Mangel an Klarheit und konkreten Details zu einem praktikablen Neutralitäts-Modell nicht geklärt sind, sind wir nicht damit einverstanden, dass russische und belarussische Athleten wieder zu Wettkämpfen zugelassen werden sollten“, schreiben die Minister.

Im EU-Parlament hieß es:

„Reiterates its condemnation of the recent decision of the International Olympic Committee (IOC) to allow Russian and Belarusian athletes to compete in qualifications for the Paris 2024 Olympic Games under a neutral flag, which runs counter to those countries‘ multifaceted isolation and will be used by both regimes for propaganda purposes; calls on the Member States and the international community to exert pressure on the IOC to reverse this decision, which is an embarrassment to the international world of sport and to adopt a similar position on any other spart, cultural or scientific events;“

Das Parlament „verurteilt erneut die jüngste Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russischen und belarussischen Athleten zu gestatten, an den Qualifikationen für die Olympischen Spiele 2024 in Paris unter neutraler Flagge antreten zu lassen, was der vielfältigen Isolation dieser Länder zuwiderläuft und von beiden Regimen zu Propagandazwecken genutzt werden wird fordert die Mitgliedstaaten und die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf das IOC auszuüben, damit es diese für die internationale Sportwelt peinliche Entscheidung rückgängig macht und bei anderen sportlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Veranstaltungen eine ähnliche Haltung einnimmt;“

Im Vergleich zur kürzeren, aber wortgewaltigeren Resolution des Europäischen Parlaments vom vergangenen Donnerstag ist das ministeriale Papier von Diplomatie geprägt. Das liegt in der Natur der Sache. Die Parlamentarier bezeichneten die IOC-Pläne als „Peinlichkeit für den internationalen Sport“ und forderten, auf allen Ebenen Druck auf das IOC auszuüben, um die Pläne rückgängig zu machen. Den Initiatoren des Sportministertreffens ging es zunächst darum, möglichst viele der Teilnehmer der Videokonferenz vom 10. Februar mitzunehmen und sich nicht von IOC-Lobbyisten in der Politik spalten zu lassen, die seit Wochen nichts unversucht lassen, die Allianz der drei Dutzend Nationen zu brechen. Das ist gelungen – und darin liegt eine Stärke des Dokuments.

Die Unterschrift von Frankreich zum Beispiel, im kommenden Jahr in Paris Gastgeber der Sommerspiele, war nur mit einem inhaltlich abgeschwächten Papier zu bekommen. Dass jetzt Ministerin Amélie Oudéa-Castéra unterzeichnete, hat mehr als Symbolcharakter. Die offizielle Amtsbezeichnung von Madame Oedá-Castéra lautet: Ministerin für Sport und die Olympischen und Paralympischen Spiele. Das IOC hat also in Frankreichs Regierung keinen hundertprozentigen Rückhalt mehr. In Paris ohnehin nicht: Bürgermeisterin Anne Hidalgo, Geschäftspartner des IOC im olympischen Joint Venture, sprach sich längst gegen eine Teilnahme der Russen aus.


Sie wollen Recherche-Journalismus und olympische Bildung finanzieren?
Do you want to support investigative journalism and Olympic education?

SPORT & POLITICS Shop.
Subscribe to my Olympic newsletter: via Steady. The regular newsletter is free. Bur you are also free to choose from three different payment plans and book all product at once!


Den konsequenten Olympia-Ausschluss der beiden Kriegstreiber-Nationen hat in den ministerialen Konsultationen nach meinen Informationen eine Minderheit der 36 Nationen befürwortet. Dazu zählten neben Polen und den baltischen Staaten auch Großbritannien, die Niederlande, Kanada, skandinavische Länder und Deutschland.

Zwei Dutzend Nationen haben sich mit schriftlichen Stellungnahmen am Diskussionsprozess der vergangenen Tage beteiligt. Zu jenen Ländern, die eine Olympia-Teilnahme von Sportlern aus Russland und Belarus unter strikten Bedingungen befürworten, zählten offenbar Frankreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Slowenien, Zypern, Italien, Japan, die USA und Australien. Das Papier lässt diese Option offen. Man reicht dem IOC einerseits noch die Hand, bekannt sich zur sogenannten Autonomie des Sports, erklärt aber unmissverständlich, dass die IOC-Führung um Präsident Thomas Bach ihre Hausaufgaben nicht gemacht habe.

„In Russland und Weißrussland sind Sport und Politik eng miteinander verwoben“, schreiben die Minister: „Wir haben große Bedenken, ob es für russische und belarussische Olympioniken möglich ist, als Neutrale zu starten – unter den Bedingungen des IOC, dass sie sich nicht mit ihrem Land identifizieren dürfen -, wenn sie direkt von ihren Staaten finanziert und unterstützt werden.“ Das Beispiel Tennis, wo Profis aus Russland und Belarus an Turnieren teilnehmen, dürfe nicht verallgemeinert werden.

Genau das aber ist der zentrale Punkt in den IOC-Planungen. Das IOC verbreitete am Dienstag eine Stellungnahme zur Erklärung der Sportminister. Darin heißt es, Russen und Belarussen würden als „neutrale Sportler teilnehmen und in keiner Weise ihren Staat oder eine andere Organisation ihres Landes vertreten, wie dies bereits in den Profiligen, insbesondere in Europa, den Vereinigten Staaten und Kanada, sowie in einigen einzelnen Profisportarten“ geschehe.

Die Sportminister sagen aber gerade das Gegenteil: Sie argumentieren, die Praxis in Teamsportarten und Tennis lasse sich eben nicht auf alle Sportarten im olympischen Programm für Paris übertragen. Denn die Mehrzahl der Athleten und Medaillengewinner ist dem Militär verbunden – da gebe es per se keine Neutralität. „Die engen Verbindungen zwischen russischen Sportlern und dem russischen Militär geben Anlass zur Sorge“, formulieren die Minister. „Unser kollektiver Ansatz war daher nie eine Diskriminierung allein aufgrund der Nationalität, aber diese starken Bedenken müssen vom IOC aufgegriffen werden.“

Vertreter aus 36 Nationen haben am 10. Februar an der Videokonferenz teilgenommen. Die Ukraine zählt als Kriegspartei nicht zu den Unterzeichnern des Dokuments. Von den anderen 35 Teilnehmern der Videokonferenz hatten zunächst Australien, Ungarn und die Schweiz das Papier nicht unterschrieben. Hinzu kommen aber Unterschriften von Rumänien und Liechtenstein, so dass bis Dienstagmittag insgesamt 34 Länder hinter der Erklärung standen. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben.

Australien, einer der drei Abweichler, ist 2032 in Brisbane Olympia-Gastgeber. Dort lobbyiert der langjährige IOC-Vizepräsident John Coates, einer der wenigen engen Vertrauten von Thomas Bach und sein wichtigster Helfer. Am Dienstag vollzog Australien allerdings eine überraschende Kehrtwende. Nach Aussagen eines Sprechers des Sportministeriums habe es sich um einen administrativen Fehler gehandelt, dass die Unterschrift von Sportministerin Anika Wells zunächst fehlte. Tatsächlich ist Australien mittlerweile in der Liste ergänzt worden – eine weitere kleine Niederlage für den Olympiakonzern in Lausanne.

Die Schweiz, deren Unterschrift ebenfalls fehlt, tut sich als Heimat des IOC und mehr als einem halben Hundert internationaler Sportverbände traditionell schwer damit, den Sportkonzernen Daumenschrauben anzulegen. Der Einfluss des IOC in der Hauptstadt Bern ist erheblich. Erst kürzlich wurde mit dem ehemaligen Schweizer Bundesrat und Sportminister Ueli Maurer einer der wichtigsten Sport-Lobbyisten in die sogenannte IOC-Ethikkommission berufen. Auf diese Weise erneuert IOC-Präsident Bach gern alte Allianzen und Abhängigkeiten.

Die Sportminister erinnern in ihrer Resolution auch an die Erklärung des IOC vom 28 Februar 2022, kurz nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine, in der den internationalen Sportverbänden der Ausschluss von russischen und belarussischen Teams empfohlen wurde. „Wir haben festgestellt, dass sich die Lage vor Ort in der Ukraine seit dieser Erklärung nur verschlechtert hat“, konstatieren die Minister.

„Wir sind der festen Überzeugung, dass es angesichts der unveränderten Situation in Bezug auf die russische Aggression in der Ukraine und aus Gründen der Fairness und Solidarität gegenüber den ukrainischen Athleten, deren Einrichtungen zerstört wurden und die ihr Land verlassen mussten (oder bleiben mussten, um für die Verteidigung der Ukraine zu kämpfen, bei der sehr viele ihr Leben verloren haben), keinen praktischen Grund gibt, von der Ausschlussregelung für russische und belarussische Athleten abzuweichen.“

Die Sportminister fordern das IOC auf, auf die Argumente der 34 Nationen einzugehen und die Olympia-Planungen zu überdenken. „Wir stellen außerdem fest, dass Russland und Weißrussland es selbst in der Hand haben, den Weg für die vollständige Rückkehr ihrer Athleten in die internationale Sportgemeinschaft zu ebnen, indem sie den von ihnen begonnenen Krieg beenden.“


Wenn Sie künftig mit Analysen, Hintergründen, Links und Dokumenten aus der olympischen Sportpolitik versorgt werden möchten: Hier können Sie den Newsletter SPORT & POLITICS abonnieren. Kostet nichts, ist ein Service des olympischen Bildungsmagazins, das Sie im Shop erwerben können.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

What they say
"I give a shit on you!
I shit on German media!"
Husain Al-Musallam
President World Aquatics
and Co-Conspirator #3
coming soon
fund journalism
FIFA Watch
best of