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Das Olympische Bildungsmagazin

Russland bei Olympia: Usmanows FIE beglückt das IOC mit Hilfe des Deutschen Fechter-Bundes

Russland bei Olympia-Qualifikationen und bei den Sommerspielen in Paris. Russische Funktionäre demnächst wieder auf internationalem Parkett erlaubt, so wie es der Fecht-Weltverband gerade beschlossen hat, sehr im Interesse des Fechters Thomas Bach. Gleich mehr dazu. Schauen wir uns aber vorher mal an, viel wichtiger vielleicht, über wen wir da reden, wie sie also ticken und denken und handeln in den russischen Staats- und Armeesportler-Bataillonen. Ein Brief des russischen Kanuverbandes von Ende 2022. Unbedingt lesen:

Screenshot Brief des russischen Verbandes

„We address to the entire sports community, and especially to its young representatives, who find it difficult to understand in the enormous flow of information what is happening to our country right now, where the truth is and where the lies are… Do not believe the false statements that Russia launched a war, that it seeks to conquer Ukraine, that the Russian army is bombing residential quarters and destroying innocent civilians. In reality, it is exactly the opposite.“

So sind sie.

Hier das komplette Machwerk:

20220304_Address-of-the-RCF-to-the-sports-community-komprimiert

(Ergänzung, 13.03.23: Ich war irrtümlich davon ausgegangen, der Brief sei vom November 2022, so wurde es mir auch auf Nachfrage gesagt. Der Brief ist aber wohl vom Frühjahr vergangenen Jahres. Vielleicht habe ich deshalb bei einem Gegencheck nichts dazu gefunden, weil ich nur im Zeitraum Ende 2022 intensiv gesucht hatte. Was ich aber gefunden habe, auch auf der Webseite des russischen Verbandes, sind zahlreiche Belege dafür, dass die in dem Brief ausgedrückte irrsinnige Haltung mit all den Verfälschungen, diese nahezu faschistische Ideologie dort noch immer herrscht. Insofern steht dieser Brief zurecht an dieser Stelle.)

Die International Canoe Federation (ICF) gehört Anfang April zu den nächsten Weltverbänden, die über die Zulassung dieser Russen entscheiden könnten, wenn mich nicht alles täuscht. Schaun mer mal, nun aber aktuell zu den Fechtern:

Erwartungsgemäß hat der unter totaler russischer Kontrolle stehende Fecht-Weltverband Fédération Internationale d’Escrime (FIE) am Freitag auf einem virtuellen Kongress die Zulassung von Sportler aus Russland und Belarus beschlossen. Ein brisantes Detail, das für die die weiteren Debatten in Deutschland sehr wichtig ist, vielleicht sogar für künftige Sportfördermittel: Der FIE-Beschluss ist nach meinen Informationen auch mit Stimmen und damit tatkräftiger Unterstützung des Deutschen Fechter-Bundes (DFB) gefasst worden. Ich habe das gestern im SPIEGEL skizziert. Inzwischen haben sich die Hinweise erhärtet.

Im Präsidium des Verbandes hatte es zuvor eine Meinungsbildung gegeben, Präsidentin Claudia Bokel wollte/sollte beim FIE-Kongress offenbar genau so abstimmen. Auf Anfrage bestätigte mir der Deutsche Fechter-Bund noch am Freitagabend indirekt, dass Frau Bokel die beiden Anträge des ukrainischen Verbandes, der die Zulassung Russlands verhindern wollte, nicht unterstützt haben könnte. Etwas verschwurbelt teilte der DFB mit:

„Die Fragen des ukrainischen Verbandes konnten nicht mehr im Präsidium behandelt werden, da diese zu kurzfristig eingereicht wurden.“

Bei deutschen Sportverbänden herrscht auf internationalem Parkett traditionell eine gewaltige Kluft zwischen Worten und Taten. Deutsche Verbände zählen sehr selten zu Aufklärern, in Fragen von Good Governance und Transparenz sind sie im europäischen Umfeld hinten einzuordnen, wie einige Studien belegen.

Nun also die Fechter, der erste Verband, der in der Russlandfrage gefordert war.

Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Entlarvend. Inakzeptabel. Unentschuldbar. Eine Last für die Sportler.

Insgesamt wurde beim FIE-Kongress in der entscheidende Frage fünfmal abgestimmt – über die beiden Anträge der Ukraine sowie einzeln über die Zulassung russischer und belarussischer Fechter, Teams und Funktionäre. 

Ich habe den Kongress online nicht live verfolgen können. Gemäß Insidethegames ging es zunächst um diese beiden von der Ukraine forcierten Abstimmungen:

  • Two attempts from the Ukrainian Fencing Federation to block the move failed to pass.
  • Members decided by 84 to 46 against excluding a vote on Russia and Belarus‘ return from the agenda, and by the same margin against delaying the vote until a decision is reached on an ethics complaint filed against both countries.

Anschließend die Voten zu Russland/Belarus:

  • Einzelsportler wurden mit 89:46 Stimmen bei einer Enthaltung zugelassen.
  • Teams wurden mit 85:51 Stimmen bei drei Enthaltungen zugelassen.
  • Funktionäre wurden mit 88:48 Stimmen bei zwei Enthaltungen zugelassen

Detaillierte Fragen zum Wahlverhalten bei diesen fünf Abstimmungen wollten Claudia Bokel und der Fechter-Bund nicht beantworten.

„Die Präsidentin hat sich im Vorfeld des FIE-Kongresses vom Präsidium ein Meinungsbild eingeholt“, wurde mir mitgeteilt: „Dies ist zurzeit nicht öffentlich. Die Präsidentin setzt sich ein für faire Sportpolitik und bittet das Wahlgeheimnis in diesem Fall zu berücksichtigen.“

Tags darauf gab ich ihr eine weitere Möglichkeit zur Stellungnahme. Diesmal teilte das DFB-Präsidiumsmitglied Philipp Gorray mit:

„Bitte haben Sie Verständnis, dass Frau Bokel grundsätzlich keine Auskunft über geheime Abstimmungen, zum Beispiel beim FIE-Kongress erteilen wird. Eine Zustimmung zur Zulassung, genauso wie die Nichtzulassung von russischen Athleten und Funktionären hat eine entsprechende Auswirkung zur Folge für den Deutschen Fechter-Bund. Eine Interpretation des Ergebnisses und die Haltung von Frau Bokel dieses zurzeit nicht zu kommentieren, führt nicht konklusiv zu der Antwort, dass Frau Bokel für oder gegen die Zulassung gestimmt hat.“

Aus der ersten Antwort („Die Fragen des ukrainischen Verbandes konnten nicht mehr im Präsidium behandelt werden, da diese zu kurzfristig eingereicht wurden“) leite ich die Vermutung ab, dass Bokel/der DFB die beiden Anträge der Ukraine nicht unterstützt haben könnten, sich eventuell der Stimme enthalten haben (oder sogar dagegen stimmten).

Nach meinen Informationen haben Bokel/der DFB mindestens für die Zulassung russischer und belarussischer Einzelsportler gestimmt.

Noch einmal: Ich habe zu jeder Abstimmung konkret nachgefragt, mehrfach.

Wahlgeheimnis und so.

Nicht in dieser Frage. Absolut nicht, würde ich sagen. Zumal Claudia Bokel, die nicht offenlegen will, wie sie abgestimmt hat, als Präsidentin eines mit beträchtlichen öffentlichen Mitteln geförderten Verbandes, der seit Jahren Good-Governance-Probleme hat, gleichzeitig in einer absurd fehlerbehafteten in schlechtem Deutsch formulierten Pressemeldung Forderungen an die Politik stellt. 

dfb-pm-sw

Die FIE wird seit 2009 vom russisch-usbekischen Oligarchen Alisher Usmanow geführt, ein Stammgast in diesem Theater, der auf einigen Sanktionslisten steht. Usmanow ließ sein Amt als FIE-Präsident nach Kriegsbeginn vor einem Jahr temporär ruhen. Darf er jetzt eigentlich sofort wieder antreten? Usmanow hat mit sogenannten Spenden über mehr als ein Jahrzehnt den großen Teil des FIE-Haushaltes finanziert. Ohne Usmanow hätte die FIE vielleicht nicht überleben können. Usmanow hat 2020 auch dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) für rund neun Millionen Dollar ein Geschenk gemacht: Eine Handschrift des IOC-Gründers Pierre de Coubertin.

(Man muss vorsichtig sein, ich schreibe seit mehr als 20 Jahren über Usmanow und seine Sport-Connections, den Kreml und seine alten Kumpels aus Taschkent, die er teilweise nicht mehr kennen will. Usmanow bezahlt die teuersten Anwaltskanzleien von London, die schreiben gern mal Drohbriefe, nicht nur einmal erlebt.)

Der Multi-Milliardär Usmanow und seine mittlerweile geschiedene Frau Irina Viner-Usmanowa, langjährige Cheftrainerin und russische Verbandspräsidentin in der Rhythmischen Sportgymnastik, zählen zur High Society des Kreml, zu den wichtigsten Figuren in Russlands sportpolitischer Armada und wurden von Präsident Wladimir Putin oftmals geehrt. Viner-Usmanowa wurde von der Gymnastic Ethics Foundation (GEF) des Turn-Weltverband Fédération Internationale de Gymnastique (FIG) vor wenigen Tagen übrigens für zwei Jahre suspendiert.

Hier die Entscheidung der Disziplinar-Kommission dazu:

Viner-Sperre-FIG-Mar2023-Federation-Internationale-de-Gymnastique-Kopie

Inzwischen hat eine Sprecherin des russischen Außenministeriums die Sperre Viners selbstverständlich als Diskriminierung und boshafte Verschwörung gebrandmarkt. Der übliche Propaganda-Unsinn.

Der Fechtsport nimmt traditionell eine zentrale Rolle in der Funktionärswelt ein. IOC-Präsident Thomas Bach, der Irina Viner-Usmanova – na klar – mit dem olympischen Orden geehrt hat, wurde 1976 Team-Olympiasieger im Fechten. 1992 gewannen Russlands NOK-Präsident Stanislav Pozdnyakov und der ukrainische Sportminister und NOK-Präsident Vadym Gutzeit gemeinsam Olympia-Gold. Sofia Pozdnyakova, Tochter des NOK-Präsidenten, der den Krieg unterstützt und den Einsatz dafür als vaterländische Pflicht preist, wurde 2021 in Tokio Olympiasiegerin. Die deutsche Verbandspräsidentin Claudia Bokel hat selbst Medaillen gewonnen, gehörte von 2008 bis 2016 als Athletenvertreterin dem IOC an und opponierte in den letzten Monaten ihrer Mitgliedschaft gegen die softe Russland-Politik und die Zulassung von Athleten der Staatsdopingnation zu den Sommerspielen in Rio de Janeiro. Und eine andere Olympiasiegerin, China-Lobbyistin Britta Heidemann, vertritt am Montag als IOC-Mitglied in einer DOSB-Runde die Interessen des IOC – gegen die Interessen der deutschen Sportler.

Herr Usmanow, Herr Bach:

(Foto: IOC)

Frau Usmanowa, Frau Bach:

(Foto: Elena Anikina, via Facebook)

DFB-Präsidentin Bokel, die also nicht erläutern will, wie sie in der FIE abgestimmt hat, forderte gleichzeitig recht unverblümt politische Rückendeckung aus Berlin:

„Der Deutsche Fechter-Bund erwartet jetzt die Anfrage des Internationalen Fechtverbandes, ob eine Einreise von russischen und belarussischen nach Deutschland garantiert werden kann, da sonst wohl ein Entzug von internationalen Fechthighlights in Deutschland drohen würde.“

Das für den Leistungssport verantwortliche Bundesinnenministerium (BMI) hatte sich seit Kriegsbeginn eindeutig für einen Bann Russlands im Weltsport ausgesprochen und im Februar auch eine Resolution von 34 Sportministern aus vier Kontinenten dazu unterschrieben. Zudem hatte das BMI im Frühjahr 2022 angekündigt, Fördermittel zu streichen, wenn deutsche Sportler bei internationalen Wettbewerben auf Russen treffen.

Das BMI muss sich zur neuen Lage verhalten. Es wird erwartet, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Regierungsbefragung am kommenden Mittwoch im Bundestag Stellung bezieht. Der Parlamentarische Staatssekretär Mahmut Özdemir hatte die Haltung des BMI in den vergangenen Tagen in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Spitzenverbände und Landessportbünde unterstrichen. 

Zugleich konsultiert der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) derzeit seine insgesamt 99 Mitgliedsorganisationen und will eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten. Mit diesem Prozess hatte ich mich in den vergangenen Tagen intensiv beschäftigt, habe dazu mit mehr als 20 Personen sehr ausführliche Telefonate und Mail-Wechsel geführt, werde das in den nächsten Wochen ausführlicher beschreiben als an dieser Stelle, wo ich nur einige Inhalte und Entwicklungen skizzieren kann.

Dem Beispiel des Fecht-Weltverbandes werden in den kommenden Wochen weitere olympische Weltverbände folgen – nach einem leicht zu entschlüsselnden Muster:

Das IOC hat die Frage der Eingliederung der Kriegstreiber-Nationen in die Hände der Verbände gelegt; diese beschließen die Zulassung wie die FIE und geben die Verantwortung an das IOC zurück, denn dort müssen Details zur sogenannten Neutralität der Sportler aus Russland geklärt werden. Sportminister aus drei Dutzend Nationen, die Mehrheit des Europäischen Parlaments, Sportlervereinigungen und zahlreiche nationale Verbände haben deutlich gemacht, dass es eine derartige Neutralität nicht geben könne und Russland die Teilnahme seiner Sportler, die zu großen Teilen in Armeesportklubs organisiert sind, definitiv für Propagandazwecke ausschlachten werde.

Das IOC wiederum behauptet, es ginge zunächst nur um die Frage von Olympia-Qualifikationen – dabei ist klar, wie man in einigen Monaten argumentieren wird: Dann wird es heißen, es verstieße gegen fundamentale Menschenrechte und das Recht der freien Berufsausübung, würde man Russen und Belarussen ihre Startplätze für die Sommerspiele 2024 in Paris verwehren, die sie im internationalen Wettbewerb errungen haben.


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Die Beachvolleyballerin Karla Borger, Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland und zugleich Chefin der DOSB-Athletenkommission, hat die Problematik vorhergesagt. „Die Verantwortung sich klar zu positionieren, wird wieder bei uns Athletinnen und Athleten liegen“, schrieb sie mir unmittelbar vor der FIE-Entscheidung. „Wir werden individuelle Entscheidungen fällen müssen und das sportliche und persönliche Risiko tragen.“ 

Karla Borgers Stellungnahme komplett:

„Ich bin nach wie vor strikt gegen eine Wiederzulassung Russlands zum Weltsport solange der Angriffskrieg tobt. Ich weiß, dass viele Sportler*innen genauso denken. Dass das IOC die Wiederzulassung plant, macht mich fassungslos. Ich finde die Vorstellung unerträglich, dass sich Russinnen und Russen und Ukrainerinnen und Ukrainer auf dem Court begegnen, während die Ukrainerinnen und Ukrainer bei der Verteidigung ihres Landes sterben.
Der Sport ist in Russland eng mit der Politik verwoben und die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Start unter neutraler Flagge keine Wirkung gezeigt hat. Die Athletinnen und Athleten wurden dennoch für Propagandazwecke instrumentalisiert. Im Fall eine Wiederzulassung sind noch viele Fragen ungeklärt: Wie soll echte Neutralität der Russinnen und Russen gewährleistet werden und ihre neutrale Haltung nachgewiesen werden? Was ist mit den Sportlerinnen und Sportlern, die beim Militär tätig sind? Wie wird man damit umgehen, wenn sich Russinnen und Russen und Ukrainerinnen und Ukrainer beim Sport gegenüberstehen? Wie wird mit Boykotten und Protestaktionen umgegangen? Und dann drängt sich natürlich auch noch die Frage auf, wie nachgewiesen werden kann, dass das russische Anti-Dopingsystem funktioniert. Die RUSADA hat nach wie vor keine Wiederzulassung. 
Ich würde mir wünschen, dass das IOC jetzt Haltung beweist, und sich endlich die Zeit nimmt die lange überfällige Debatte zu roten Linien zu führen, die der Sport so dringend braucht. Der Sport kann sich nicht eine friedensstiftende Funktion auf die Fahne schreiben und dann einen Angriffskrieg tolerieren. Das IOC muss sich mit der Frage auseinandersetzten, wo hier die Grenzen verlaufen. Sonst wird es auch dieses Mal wieder so kommen, dass die Debatte auf den Schultern der Sportlerinnen und Sportlern ausgetragen wird. Die Verantwortung sich klar zu positionieren, wird wieder bei uns Athletinnen und Athleten liegen. Wir werden individuelle Entscheidungen fällen müssen und das sportliche und persönliche Risiko tragen.“

Auf der Konsultation des DOSB mit den Athletenvertretern am kommenden Montag wird statt Borger, die sich auf Wettkampfreise in Mexiko befindet, die Säbelfechterin Léa Krüger sprechen. „Die FIE ist abhängig von den Russen, da gibt es keine unabhängigen Sponsoren“, sagte mir Léa Krüger.

„Ich habe Sorge, das in den internationalen Sportverbänden nun der Domino-Effekt eintritt. Bei den Fecht-Wettbewerben wird es am Mitte April viele unschöne Szenen geben. Es wird definitiv viele Sportler geben, die nicht gegen Russen oder Belarussen antreten. Wir werden über Boykotte reden.“

Léa Krüger studiert Völker- und Europarecht, ihr sind zahlreiche Aspekte, die zur Zulassung russischer Sportler debattiert werden, sehr vertraut. Zudem verfügt sie über sehr praktische Erfahrungen, ist mit vielen Sportlern befreundet – und trainiert derzeit daheim in Dormagen mit dem Nationalteam von Aserbaidschan: Zwei gebürtige Russinnen, eine gebürtige Ukrainerin – und ein ukrainischer Trainer. Am Montag wird Léa Krüger in der DOSB-Runde Stellung beziehen und sich dabei mit einer anderen Fechterin auseinandersetzen müssen, die als IOC-Mitglied im Grunde eine gegenteilige Position vertritt: Olympiasiegerin Britta Heidemann, die zu keiner Zeit ernsthaft und nachhaltig mit Athleten Deutschland kooperierte.

Die DOSB-Führung versucht durchaus, den Verein Athleten Deutschland zu marginalisieren. Aus DOSB-Dokumenten wurde der Name zuletzt immer mal gestrichen und mit „DOSB-Athlet*innenkommission“ ersetzt. So steht es in der Tagesordnung für das Meeting am Montag. Die Athletensprecher lassen sich durch derlei Taktiken kaum beeindrucken.

Der DOSB hat bislang – anders als Athleten Deutschland und einige Verbände und Landessportbünde – keine belastbare Stellungnahme zur Wiederzulassung der Russen vorgelegt. So ein Papier soll in einigen Wochen vorliegen. Die Frage ist, wie IOC-kompatibel der Inhalt ausfällt. Nicht vergessen: Der DOSB fährt unter neuer Führung seit Ende 2021 einen Schmusekurs zum IOC und Thomas Bach. Ständig sind irgendwelche deutschen Abordnungen in Lausanne zu Gast und machen Selfies mit der IOC-Gottheit. Der DOSB bastelt an einer Olympiabewerbung, was ohne die Unterstützung Bachs aussichtslos ist.

Wenn ich von einer „belastbaren Stellungnahme“ spreche, dann meine ich die Zeit nach den Erklärungen des IOC (Olympic Summit im Dezember 2022 und EB-Beschluss im Januar 2023), über die seither die ganze olympische Welt debattiert, dann meine ich Ausführungen wie von Athleten Deutschland (auch diesmal das beste Papier, wie so oft) oder vom Deutschen Kanu-Verband (DKV). Zitatschnipsel oder inszenierte Interviews wie mit dem Vorstandsvorsitzenden Torsten Burmester (SPD), die nur PR sind, interessieren mich da nicht.

„Der Krieg tobt barbarischer denn je“, sagt Friedhelm Julius Beucher (SPD), Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS): „Ich habe in unseren Sitzungen wahrgenommen, dass eine überwältigende Mehrheit des deutschen Sports sich eine Rückkehr der Russen und Belarussen zu den Olympischen und Paralympischen Spielen nicht vorstellen kann.“ 

Beucher, ehemals Chef des Sportausschusses im Bundestag, zählte im International Paralympic Commitee (IPC) maßgeblich zu jenen Widerständlern, die einen Komplettausschluss von Russland und den Entzug der Mitgliedsrechte erkämpft haben.

Jens Perlwitz, der als Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV) Mitte Februar eine bemerkenswerte Stellungnahme vorgelegt hat, sagt: „Ich habe den Eindruck, dass die Spitzenverbände sich relativ einig sind. Im Moment gibt es keinen Grund für eine Zulassung von Russen und Belarussen.“ 

Abweichende Meinungen gab es zuletzt öffentlich fast nur vom Deutschen Handball-Bund (DHB), dessen Präsident Andreas Michelmann auch als Sprecher der Spitzenverbände agiert. 

Im Bereich der Landessportbünde scheinen die Fronten ebenfalls geschlossen – gegen eine Zulassung. „Solange der Krieg tobt, kann ich mir das nicht vorstellen“, erklärte mir Thomas Härtel, der Präsident des Landessportbundes Berlin. Gleichzeitig verwahrt sich Härtel, langjähriger Sport-Staatssekretär auf SPD-Ticket, im Gespräch geradezu vehement gegen eine Einmischung der Politik – das empfand ich als ziemlich irritierend.

Ob Resolution des Europäischen Parlaments, das Papier von 34 Sportministern oder die strikte Haltung des BMI in der Russland-Frage, „wir lassen uns nicht treiben von politischen Entscheidungsprozessen“, sagt Härtel. „Ich lege Wert darauf, dass der organisierte Sport autonom eine Entscheidung herbeiführt.“

Erinnert durchaus an das arrogante Geheule des IOC-Präsidenten vor einigen Wochen. Erinnern wir uns:

„Es steht den Regierungen nicht zu, zu entscheiden, wer an welchen Sportwettbewerben teilnehmen darf, denn das wäre das Ende der internationalen Sportwettbewerbe, der Weltmeisterschaften und der Olympischen Spiele, wie wir sie kennen“, sagte der 69-Jährige am Sonntag am Rande der alpinen Ski-WM im französischen Courchevel. „Die Geschichte“ werde „zeigen, wer mehr für den Frieden tut“, betonte er weiter. „Diejenigen, die versuchen, Grenzen offen zu halten und zu kommunizieren. Oder diejenigen, die isolieren und spalten wollen.“

In welche Richtung das im Reiche des IOC-Allmächtigen geht, zeigt der Beschluss des FIE-Kongresses überdeutlich.

Die Debatte wird sich verschärfen. Sportler stellen sich ab sofort die Frage individueller Boykotte. Die Verantwortung wird auf Sportlerinnen und Sportler abgewälzt. Sie stehen extrem unter Druck und müssen sich demnächst mit Russen messen, die den Krieg unterstützen – mit Sportsoldaten (aber auch Funktionären) und einer kriegsverherrlichenden Ideologie (s.o.).

Die Kluft zwischen Sportorganisationen, die Geld wollen und auf Autonomie pochen, und den demokratischen Allianzen der Politik wächst gewaltig.

Zwei Nachträge zum ohnehin schon langen Beitrag, der durchaus Folgen hat:

15. März 2023:

Eben gerade, vor wenigen Minuten, 16. März 2023:


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