Zum Inhalt springen

Das Olympische Bildungsmagazin

Gianni Infantilo #FIFA #IOC, Sportkonzerne über dem Recht: warum es eine WACA braucht

Im Tweet oben habe ich behauptet, mehr müsse man nicht wissen, als dieses kurze Video über den FIFA-Kongress in Kigali erzählt, auf dem Gianni Infantilo gerade per Akklamation im Amt bestätigt wurde. Viel mehr muss man echt nicht wissen. Außer dass Infantilo dem Kongress mindestens 11 Milliarden „und noch einige mehr“ im laufenden WM-Zyklus bis 2026 versprochen hat. Und dass sein Diktatoren-Freund Paul Kagame, Präsident Ruandas, zur Trennung von Sport und Politik aufgerufen hat. Infantilo und Kagame sind beide Marionetten anderer Despoten, aber dazu später wieder mehr. Vielleicht sollte man aber das noch wissen und bedenken … warum der Weltsport eine Welt-Anti-Korruptions-Agentur braucht (WACA), versuche ich seit beinahe zwei Jahrzehnten zu erklären. Nun denn, mal wieder ein aktualisierter Psalm dazu, wer Belege braucht, findet in diesem Theater über die Suchfunktion tausende.

Apropos WACA. Stammgäste werden sich natürlich erinnern an meine Umfrage unter IOC-Mitgliedern und Weltverbandspräsidenten 2009 beim Olympischen Kongress in Kopenhagen. Infantilos Vorgänger und Landsmann war natürlich auch dabei:


Die Frage, ob sich milliardenschwere Sportverbände und ihre höchsten Vertreter in rechtsfreien Räumen bewegen, wird unter Korruptionsbekämpfern seit Ewigkeiten debattiert. Daran haben die spektakulären und anhaltenden Strafverfahren der US-Justiz im FIFA-Komplex nichts grundlegend geändert – es war und ist eine rühmliche Ausnahme. Die Hauptverantwortlichen für das kriminelle Geschäft mit dem Sport lassen sich nach wie vor schwer zur Verantwortung ziehen. An den Schnittstellen zwischen Politik, Show-Biz und Big Business haben sich so dubiose Figuren wie FIFA-Präsidenten sehr kommod eingerichtet. Das war beim nachweislich korrupten Brasilianer Jean-Marie Faustin Goedefroid de Havelange (†) schon so, bei Havelanges Nachfolgern, die beide aus demselben kleinen Schweizer Bergtal stammen, sogar aus unmittelbarer Nachbarschaft, ist das nicht anders.

Der FIFA-Präsident Joseph Blatter, aufgewachsen in Visp im Wallis, hat in seiner Amtszeit von 1998 bis 2015 (und danach) alle Anzeigen, Strafermittlungen und Affären glimpflich ausgesessen, auch deshalb, weil die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) großen Aufwand betrieb, um Politiker und die Justiz zu beeinflussen. Schweizer Richtern und Staatsanwälten wurden beispielsweise Lustreisen zu Fußball-Weltmeisterschaften organisiert, immer wieder. Beste Tickets, beste Flüge, beste Hotels. Das volle Programm. Eine Hand wäscht die andere. Anfüttern nennt man das unter Korruptionsexperten.

Blatters Nachfolger Gianni Infantilo (52), aufgewachsen in Brig im Wallis, ist noch nicht nachgewiesen worden, Dutzende Millionen Dollar Bestechungsgeld kassiert zu haben (wie einst Havelange), doch die Liste seiner Affären und juristischen Verwicklungen ist länger als die aller FIFA-Präsidenten zuvor. Infantilo wurde im Februar 2016 in Zürich Präsident, im Juni 2019 ließ er sich in Paris im Amt bestätigen – und an diesem Donnerstag wird er in Ruandas Hauptstadt Kigali per Akklamation einen Freibrief für die nächsten vier Jahre erhalten. Die Amtszeit des FIFA-Präsidenten Infantilo, seit 2020 auch Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), ist der reinste Krimi. Und wird es bleiben.

Noch unter Blatter begann die FIFA gewaltige Summen in Anwaltskanzleien und Lobbyisten zu investieren, um im Rahmen der US-Strafermittlungen nicht zu einer kriminellen Organisation gemäß RICO-Act erklärt zu werden, sondern den Opferstatus zu erlangen. Monatlich flossen dafür zweistellige Millionenbeträge, auch noch unter Infantilo. Für die FIFA ging es um alles, also darum, nicht zerschlagen zu werden. Die Operation war erfolgreich, und so wurden der FIFA inzwischen sogar mehr als 200 Millionen Dollar aus den Strafzahlungen zugesprochen, die von geständigen und verurteilten Fußball-Ganoven geleistet wurden, teilweise von ehemaligen FIFA-Funktionären.

In der Schweiz haben die Umstände, wie Infantino 2015/16 vom UEFA-Generalsekretär aus Nyon an die Spitze der FIFA wechseln konnte, längst den Rang einer Staatsaffäre erlangt. Den langjährigen Bundesanwalt Michael Lauber hat das den Job gekostet. Alles deutet daraufhin, dass Infantino mit Hilfe seines Jugendfreundes Rinaldo Arnold, derzeit noch Oberstaatsanwalt im Wallis, von der Bundesanwaltschaft über die Strafermittlungen im FIFA-Komplex informiert wurde, die von der amerikanischen Justiz angestrengt wurden und die spätestens ab dem Mai 2015 weltweit Schlagzeilen machten. Möglicherweise hat Infantino im Herbst 2015 in New York auch einen Deal mit der US-Justiz geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wurde gegen den damaligen UEFA-Präsidenten Michel Platini bereits ermittelt (im vergangenen Jahr wurde Platini freigesprochen), was Platini aus guten Gründen als Teil einer Verschwörung von Infantino und Schweizer Justiz betrachtet, seinen Aufstieg auf den FIFA-Thron zu verhindern.

Statt Platini wurde Platinis Verwaltungschef Infantino FIFA-Präsident. Und dessen Geheimtreffen mit dem höchsten Schweizer Justizbeamten Lauber begannen nun erst, obgleich gegen Infantino wegen alter UEFA-Geschäfte selbst ermittelt wurde. Meetings, an deren Inhalt sich die Herren partout nicht erinnern können, zu denen sogar in der Bundesanwaltschaft Unterlagen vernichtet worden, zu denen Lauber bei seinen Vernehmungen gelogen hat – und die sich ab 2016 auch um die Weltmeisterschaft in Katar drehten.

Erst vor wenigen Tagen wurde ein eher nachrangiges Verfahren gegen Infantino eingestellt, obgleich auch der FIFA-Präsident die Unwahrheit gesagt hatte. Ob die viel wichtigere Ermittlung wegen Anstiftung zu Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung tatsächlich noch ernsthaft betrieben wird, muss bezweifelt werden. Die Schweizer Justiz schützt Sportfunktionäre traditionell mehr als dass sie ermittelt. Im Justizskandal um Lauber und Infantilo wurde bereits ein Sonderermittler abberufen, weil der sich zu sehr für die Fakten interessierte. An seiner Stelle wurden zwei Ruheständler reaktiviert, die gewaltige Routine in Verfahrenseinstellungen haben.

Möglicherweise kann die jüngste Enthüllung daran etwas ändern. Gemäß Akten eines ehemaligen CIA-Agenten, der mit einer eigenen Firma ab 2011/2012 für Katar gearbeitet hat und dort mehrere hundert Millionen Dollar kassiert haben soll, wurden Infantilo und Lauber bei ihren Geheimtreffen abgehört. Das verwundert kaum, wenn man weiß, wo sich die Herrschaften zum Gespräch trafen, dessen Inhalte sie leider total vergessen haben: Im Schweizerhof in Bern, einem Gebäude, das Katar gehört und in dem auch die katarische Botschaft untergebracht ist. 

Aus dem Aktenkonvolut der Firma Global Risk Advisors des ehemaligen CIA-Agenten Kevin Chalker, die vor einigen Jahren erstmals in einem Gerichtsprozess in den USA eingebracht wurden, haben inzwischen verschiedene Medien brisante Details veröffentlicht. Nun war es die Neue Zürcher Zeitung, die neue Dokumente vorlegt, wonach der Schweizer Bundesanwalt abgehört und vielleicht sogar erpresst worden sein könnte. Aus Katar kommen dazu die üblichen Dementis, wie immer bei allen Enthüllungen seit mehr als einem Jahrzehnt: Es seien alles Falschbehauptungen. Auf diese Weise sind bereits einige Strafermittlungen und Verfahren mit Beteiligung wichtiger katarischer Funktionäre beerdigt worden.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Veröffentlichung könnten sich sowohl die absurd schlechten Ermittlungen von Laubers Behörde als auch die Katar-Politik von Infantilo erklären. Erpressung? Opfer sind die beiden aber gewiss nicht. Eine geheimdienstliche Aktion auf Schweizer Boden gegen den höchsten Strafverfolger der Schweiz wäre strafbar. Es wäre ein Angriff auf die Souveränität jenes Landes, dass mehr als 60 internationalen Sportverbänden, darunter schwerreichen Konzernen wie FIFA, IOC und UEFA, seit teilweise hundert Jahren einen sicheren Hafen bietet. Wird sich die Schweiz das von Katar bieten lassen? Wird ausnahmsweise wirklich ermittelt?

Allein diese Fragen entscheiden über die Präsidentschaft von Gianni Infantilo. Wenn die Justiz weiter daher kumpelt und nichts unternimmt, wird Infantilo auch 2027 für noch einmal vier Jahre im Amt bestätigt. Mindestens. Mit Unterstützung von Katar, Saudi-Arabien und deren Vasallen in Asien, Afrika und Amerika (auch in weiten Teilen Europas) beherrscht er die Szene souveräner als einst Joseph Blatter. Afrikas Fußball hat sich Infantilo längst strukturell unterworfen, hier regiert eine Außenstelle der FIFA, lange Zeit von der FIFA-Generalsekretärin Fatma Samoura geleitet, die Millionen kassiert, aber inhaltlich überfordert bleibt.

Vorerst macht Infantilo unverdrossen weiter, er fälscht und lügt, irritiert mit tölpelhaften Auftritten, erzählt grundsätzlich Unsinn, ändert WM-Zeitpläne (2022) und ganze Turnier-Reglements (2026) nach Belieben, erfindet neue absurde Turniere und fühlt sich ganz großartig im Kreise der Despoten, die den Weltfußball beherrschen. Die jüngste kleine Enthüllung kam am Mittwoch von skandinavischen Journalisten, Jan Jensen und Andreas Selliaas, die aufzeigen, dass Infantino, der angeblich von Doha ins Steuerparadies Zug umgezogen sein soll, vielleicht gar nicht in Zug lebe. Sollte das stimmen, wäre es ein strafbares Delikt. Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Auch hier wäre die Justiz gefordert. 

Im Grunde ist die gesamte Ära Infantino der Beweis, dass dieser verkommenen Branche der internationalen Sportverbände nur mit einer global operierenden Agentur beizukommen ist. Über die alte Idee einer Welt-Anti-Korruptions-Agentur (WACA), die ich seit 2006 immer wieder thematisiert habe, in vielen Texten, Beiträgen und Präsentationen, oft gemeinsam mit Jens Sejer Andersen bei Play the Game, wird seit 2022 ernsthaft in politischen Zirkeln debattiert. Seit Grit Hartmann im vergangenen Jahr für die grüne Europa-Abgeordnete Viola von Cramon ein Dossier dazu verfasst hat. Die Idee erhält immer mehr einflussreiche Fürsprecher. Wie eine WACA aussehen könnte, dazu gibt es demnächst weitere interessante Ausarbeitungen.

Die aktuellen Vorgänge in der FIFA und im Machtbereich des IOC beweisen, dass die Zeit reif dafür ist, strukturell rechtsfreie Räume endlich zu beschränken.

VvC-WACA-Full-study


Sie wollen Recherche-Journalismus und olympische Bildung finanzieren?
Do you want to support investigative journalism and Olympic education?

SPORT & POLITICS Shop.
Subscribe to my Olympic newsletter: via Steady. The regular newsletter is free. Bur you are also free to choose from three different payment plans and book all product at once!


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

What they say
"I give a shit on you!
I shit on German media!"
Husain Al-Musallam
President World Aquatics
and Co-Conspirator #3
coming soon
fund journalism
FIFA Watch
best of