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Das Olympische Bildungsmagazin

Und noch eine Volksbefragung: Olympische Spiele 2028 in Wien?

Wiens Bürgermeister Michael Häupl bei der Verabschiedung von Olympiateilnehmern im Juli 2012 im Rathaus – Foto: Alex Halada / Pressebilder Stadt Wien

„Wien will’s wissen!“ Von heute bis Samstag (9. März) findet in Wien eine Volksbefragung statt. Die Einwohner der Bundeshauptstadt dürfen ihre Meinung kund tun zum alltäglichen Kleinkram und einem Luxusprojekt: Zu Wasserversorgung, Parkraumregelungen, erneuerbaren Energieprojekten, Müllabfuhr – und zu den Olympischen Sommerspielen 2028.

Olympia in Wien?

Tatsächlich.

Und das ist nun schon die zweite Olympia-Abstimmung binnen einer Woche. Erst Graubünden (allerdings mit einem Konzept), nun Wien.

Ein Gastbeitrag von Wilhelm Lilge

Crosspost von Team2012.at

Die meisten dachten wohl zuerst an einen Scherz, der nach ein paar Gspritzten im Wiener Rathaus geboren wurde, als die Idee einer Bewerbung Wiens für die Olympischen Spiele durch die Medien geisterte. Aber aus Spaß wurde bald Ernst. Also mal der Reihe nach:

Für alle sportbegeisterten Wiener wäre es eine Riesensache, wenn Wien tatsächlich in naher Zukunft Austragungsort der wichtigsten Sportveranstaltung der Welt wäre. Für die meisten Spitzensportler mit ambitionierten Zielen gilt: einmal zu Olympischen Spielen kommen – und wenn diese dann noch im eigenen Land stattfinden – das wäre wohl das Größte! Warum dann eigentlich nicht und welche Chancen hätte Wien auf einen Zuschlag im Falle einer Bewerbung?

Da gibt’s gleich mehrere Teilaspekte, die man beleuchten kann:

1) Finanzierung

Olympische Sommerspiele sind teuer, sogar sehr teuer! Selbst wenn Stronach, Mateschitz & Wlaschek alle ihre Ersparnisse zusammenlegen würden und Sportstätten als bleibende Denkmäler für sich selbst finanzieren würden, es fehlt einfach zu viel Geld, das die Steuerzahler (nicht die Politiker!) noch beisteuern müssten.

Um die finanziellen Dimensionen zu verdeutlichen: die Olympischen Spiele von London hatten ein mehr als 130-faches (!) Budget der vielgepriesenen Fußball EM 2008 (ca. 20 Milliarden unter Einrechnung aller direkten und indirekten Kosten gegenüber ca. 150 Millionen Euro), die sich noch dazu Österreich mit der Schweiz teilte. Der Aufwand wäre fast 5% des österreichischen BIP eines Jahres, das hat noch kein Land geschafft. Zu bedenken ist, dass davon nur ein Teil als Investitionen (Sportstätten mit Nachnutzung, Olympisches Dorf mit späterer Umwandlung in Wohnungen, …) gelten kann, viele Ausgaben (z.B. für Sicherheit, kurzfristige Verkehrsmaßnahmen, gesamter Personaleinsatz, …) sind Einmalausgaben, die einfach weg sind, von denen später niemand etwas hat. Zur Erinnerung: im Rahmen der Euro 2008 fanden in Wien gerade einmal 7 Fußballspiele mit je ca. 50.000 Besuchern (+ Besucher diverser Fanmeilen) statt…

[JW sagt: Ich glaube, hier laufen die Budgetzahlen etwas durcheinander, weil bei der Euro offenbar nur das Ausrichtungsbudget und bei London sämtliche Budget (und ein bisschen mehr :) in den Vergleich fließen. Das können wir nachtragen.]

Olympische Sommerspiele sind de facto Weltmeisterschaften von 28 Sportarten mit mehr als 40 Disziplinen zur gleichen Zeit in einer Stadt. Dazu kommt noch ein Rahmen mit u.a. Eröffnungs- und Schlussfeier, die z.B. in der Dimension von London schon für sich Show-Events in einer Dimension darstellten, die es in der Geschichte Österreichs nicht einmal annähernd irgendwann gegeben hat.

Eine angedachte Teilfinanzierung über private Sponsoren wäre wohl nur möglich, wenn die Sponsoren auch einen entsprechenden Werbewert bekämen. Auch da gilt allerdings: es dürfen nur die offiziellen IOC-Sponsoren im Rahmen der Spiele werben und die Werbeverträge sind alle langfristig abgeschlossen. Eine „Red Bull Arena“ könnte es nur dann spielen, wenn z.B. Hr. Mateschitz zum Hauptsponsor des IOC wird, denn nur IOC-Sponsoren dürfen während der Spiele werben!

Auf der Basis von London und der aktuellen Sponsoren könnte es also z.B. nur ein „McDonalds-Stadion“ oder eine „Samsung-Arena“ geben. Die genannten Firmen haben allerdings andere Prioritäten bei deren Werbemaßnahmen. Letztendlich bliebe somit die finanzielle Last doch wieder beim Steuerzahler liegen.

Eine „Aufteilung“ der Spiele auf mehrere Partnerstädte (hat überhaupt schon jemand in Bratislava – noch viel kleiner als Wien – nachgefragt?) wurde bei Sommerspielen vom IOC noch nie akzeptiert. Ganz im Gegenteil: es gibt aus logistischen und verkehrstechnischen Gründen immer Bestrebungen zu einem „Olympia der kurzen Wege“.

2) Infrastruktur, Sportstätten

Praktisch für kaum eine der 28 olympischen Sportarten gibt es derzeit in Wien Sportstätten, die olympischen Kriterien genügen würden. Es fängt an beim LA-Stadion, wo das derzeitige Happel Stadion bestenfalls als Aufwärmstadion dienen könnte. Ein Ausbau auf die notwendigen 60.000 bis 80.000 Sitzplätze ist aus statischen Gründen bei dem Stadion mit der Bausubstanz von 1929/1930 (die Grundsteinlegung erfolgte 1928, also wäre 2028 das 100-Jahr-Jubiläum!) ausgeschlossen, das würde auch die nachträglich dazu gebaute Dachkonstruktion verhindern.

Das Thema Schwimmen mit der notwendigen 50m-Bahn (und entsprechenden Tribünenplätzen) braucht man ja gar nicht mehr anzusprechen. Selbst das Ruderzentrum auf der Donauinsel müsste gewaltig ausgebaut werden. Wien hat sich beim Bau und Ausbau von Sportstätten in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, eher gab es zu jedem Bauvorhaben den passenden Bauskandal. Derzeit hat Wien als einzige Millionenstadt Europas nicht einmal ein Stadion, wo man eine österreichische Leichtathletik-Meisterschaft durchführen könnte! Die derzeitige Laufbahn im Happel Stadion (für Österreichische Meisterschaften braucht man eine Laufbahn mit 8 Bahnen) ist das Produkt eines weiteren (vertuschten!) Bauskandals, dort ist höchstens ein Training möglich!

Derzeit könnte einzig die Stadthalle mit relativ geringem Aufwand für eine Sportart wie Basketball, Handball oder Judo adaptiert werden, aber eben nicht für mehrere Sportarten zur gleichen Zeit, weil dafür die Zuschauerkapazitäten fehlen. Außerdem ist die Lage mitten in der Stadt (Verkehrsprobleme!) denkbar ungünstig.

Ein großes Problem ist auch der fehlende Meereszugang. Die Vorstellung von Olympischen Segelbewerben auf der trüben, grauen Brühe des Neusiedlersees kann schon einmal aufgrund der eher flauen Windverhältnisse im August ad acta gelegt werden. Die Salzkammergut-Seen sind zum Teil auch recht klein und weit weg und die letzten Jahrzehnte hat kein Land ohne Meereszugang den Zuschlag erhalten. Ein „Auslagern“ der Segel- und Surfbewerbe auf die Adria wäre wieder eine halbe Sachen und würde die Erfolgsaussichten einer Bewerbung gewaltig schmälern.

Rudern wäre ja auf der Neuen Donau in Wien grundsätzlich gut möglich, aber auch da wäre die Möglichkeit, dass die Neue Donau – gerade bei immer wieder auftretenden August-Hochwassersituationen – kurzfristig als Entlastungsgerinne dienen und geflutet werden muss, nicht gerade ein positiver Stimmungsmacher für das IOC.

3) sonstige Infrastruktur

Neben den Sportstätten selbst sind riesige Gebäudekomplexe für ein Medienzentrum, die Sicherheit und technische Belange notwendig, wo auch eine Nachnutzung angestrebt werden müsste oder eben temporäre Bauten notwendig sind. Alleine diese Zusatzbauten hatten in London die Dimension einer Kleinstadt. Ein weiterer Knackpunkt ist das Olympische Dorf zur Unterbringung von Sportlern und Betreuern über ca. 3 Wochen. Dazu sind Wohneinheiten für 20.000 bis 25.000 Bewohner notwendig, inkl. Infrastruktur wie Speisesäle, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitmöglichkeiten, Wäschereien, etc. für diese Personenanzahl, dazu Trainingsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe usw.

Dieser Bereich muss aus Sicherheitsgründen hermetisch von der „Außenwelt“ abgeriegelt werden, die Vorgaben des IOC sind in dieser Hinsicht – leider notwendigerweise – sehr weitreichend. Üblicherweise ist das Olympische Dorf immer eine Neubausiedlung, wo nach den Spielen die Wohneinheiten nach entsprechenden Adaptierungen als Wohnungen für die einheimische Bevölkerung verkauft werden. Die Dimension des Olympischen Dorfs erreicht also die Größenordnung einer Stadt wie Tulln.

Weiters müssen bei Olympischen Sommerspielen ca. 500.000 Besucher (!) – fast ein Drittel der Wiener Einwohnerzahl – untergebracht und verpflegt werden können. Wien ist auch als Touristenstadt mit vielen Hotels dafür nicht annähernd gerüstet. Wien ist einfach zu klein, eine derart kleine Stadt hat die letzten Jahrzehnte nie den Zuschlag erhalten. Auch die liebe, aber leider naive Vorstellung, dass Wien Spiele unter dem Motto: „small, but beautiful“ veranstalten könnte, ist eine Rechnung , die ohne den Wirt – in diesem Fall das IOC – gemacht wird. Das IOC wird niemals eine Beschneidung oder ein „downsizing“ der Spiele akzeptieren, letztendlich geht’s um Geld und zwar um sehr viel Geld!

Nicht zu vergessen sind die vielen freiwilligen Helfer. In London waren 70.000 (!) volunteers aus der ganzen Welt im Einsatz, die aus 400.000 Bewerbern ausgewählt wurden. Diese leisteten ca. 8 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden und stellten nach Ansicht vieler Experten den Schlüssel zum großartigen Erfolg der OS 2012 dar. Rund die Hälfte dieser stets freundlichen und überraschend kompetenten und begeisterten Helfer kam aus dem Ausland und musste irgendwo untergebracht werden – verpflegt mussten sowieso alle werden. Die Arbeit vieler Helfer begann dabei schon deutlich vor dem Beginn der Spiele oder reichte zum Teil deutlich darüber hinaus.

Auch im Bereich der Sicherheit reichten die „normalen“ Sicherheitskräfte der Polizei natürlich bei weitem nicht aus. Nicht nur das britische Heer erfüllte wichtige Aufgaben inkl. ständige Luftraumüberwachung und Positionierung von Luftabwehrraketen rund um die Sportstätten und ums Olympische Dorf, sondern es mussten auch tausende securities von privaten Firmen angeheuert werden.

4) Verkehr

Der notwendige Olympiaverkehr konnte auch in London u.a. nur mit eigens geschaffenen „Olympic Lanes“ (Fahrstreifen) zur Exklusivnutzung bewältigt werden. Wenn man daran denkt, dass selbst der vergleichsweise winzige VCM mit Verkehrsbeeinträchtigungen für ein paar Stunden auf ein paar wenigen Routen regelmäßig dazu führt, dass sich Leute von „den Marathonterroristen“ ( © ein Leserbriefschreiber in einer Tageszeitung) in ihrem Autoverkehr massiv behindert fühlen und sich entsprechend beschweren, dann kann man sich vorstellen, wie viel Verständnis bei der Wiener Bevölkerung für wochenlange massive Einschränkungen vorhanden wäre.

500.000 Besucher und auch die Athleten/Betreuer müssen schnell und umweltschonend zu den Sportstätten gebracht werden können. Das öffentliche Verkehrssystem (v.a. U-Bahn) müsste auch dafür ausgebaut werden. So viele Besucher stellen natürlich auch ein extremes Sicherheitsrisiko dar. Wirklich beeindruckend war in London, wie tausende Mitarbeiter (Profis und volunteers) in der ganzen Stadt mit ihrem „crowd management“ für die Sicherheit sorgten und trotzdem immer eine unglaubliche Freundlichkeit und Begeisterung ausstrahlten.

Londons Bürgermeister empfahl nach den Spielen aufgrund seiner Erfahrung, dass andere potentielle Olympiakandidaten das Unterfangen nur in Angriff nehmen sollten, wenn damit gleich slums einer Großstadt revitalisiert werden sollten. In Londons Fall war dies „stinky Stratford“, wo ein riesiger Stadtteil ein komplett neues Gesicht bekam. Die Zug/U-Bahnstation am Rand des Olympiageländes wurde auch gleich mit dem in der Vorwoche der Spiele eröffneten größten Einkaufszentrum Europas gekoppelt.

5) Sonstiges

Eine Ausrichterstadt muss sich auch bewusst sein, dass während der 16 Tage dauernden Spiele die Stadthoheit praktisch an das IOC abgegeben wird.

Das IOC gibt praktisch alle Bedingungen vor, in diesem Zusammenhang sei auf das Werbemonopol während der Spiele verwiesen. So musste schon vor London jeder Teilnehmer (auch jeder Betreuer) einen mehrseitigen (Knebelungs-) Vertrag unterschreiben, wo genau festgelegt wurde, welche Werbung oder Berichterstattung außerhalb der IOC-Hoheit zulässig ist – praktisch gar keine. So können z.B. Athleten, die während der Spiele nur in einem harmlosen Internet-blog oder auf sozialen Medien von den Wettkämpfen oder dem Leben im Olympischen Dorf berichten, von ihren Wettkämpfen ausgeschlossen werden.

Sicher könnte man theoretisch mit viel (Steuer-) Geld die nötige Infrastruktur natürlich irgendwie bereitstellen (abgesehen vom Meereszugang). Was man aber mit Geld nicht kaufen kann, ist die echte Sportbegeisterung der Bevölkerung, die schon in Barcelona und in Sydney, aber ganz besonders in London, bei allen Gelegenheiten zu spüren war und für den Erfolg der Spiele maßgeblich war. Olympia 2012 war ein dreiwöchiges frohes Fest, an dem praktisch die gesamte Stadt teilnahm. Das gabs in Athen 2004 leider nicht und diese Spiele – die nicht unbeträchtlich zur Pleite Griechenlands beigetragen haben – sind keinem Teilnehmer in besonders guter Erinnerung geblieben. Kann sich jemand ernsthaft in Wien eine derartige einhellige Begeisterung vorstellen?

Eines steht allerdings auch fest: im Vergleich zu der Idee, in Wien Olympische Sommerspiele auszurichten, ist die von Peter Schröcksnadel geborene und von einem Grinzinger Heurigenwirt (!) unterstützte Alternative, sich doch eher um Olympische Winterspiele in Wien zu bewerben, ja vergleichsweise harmlos. Schisprungschanzen am Leopoldsberg („zahlen muss das eben ein privater Sponsor“), eine Bobbahn in Kaltenleutgeben – na ja, dass da die Nachnutzung vielleicht nur bedingt gegeben scheint, das musste sogar der ÖSV-Präsident eingestehen. Und wo sollten in Wien eigentlich die alpinen Schibewerbe durchgeführt werden? Auch da hat Schröcksnadel eine Lösung parat: in Lackenhof am Ötscher, also praktisch gleich daneben. Die Liftgesellschaft dort gehört übrigens zufällig – erraten – Peter Schröcksnadel und in ganz Lackenhof gibt’s heute übrigens nicht einmal einen Supermarkt…

Sehen wir es wie es ist: Die Rathausverantwortlichen, die mit der Volksbefragung einen auf direkte Demokratie machen wollen, um der politischen Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben irgendein Thema gesucht, dass ein bisserl spannender klingt als NoNa-Fragen zu Solarenergie-Kraftwerken, um damit die Wahlbeteiligung zu heben. Positiv sehen kann man: Sport weckt Emotionen, Sport polarisiert und marketingstrategisch ist es natürlich ein genialer Schachzug, diese Frage in die Volksbefragung mit aufzunehmen.

6) Das Argument: Sportstätten brauchen wir sowieso!

Wien braucht in erster Linie funktionelle Trainings-Sportstätten, nicht überdimensionierte und sauteure Wettkampfanlagen, die dann wie traurige Denkmäler im Stil von Kärntner Fußballstadien weitgehend ungenutzt herumstehen und verrotten und das Gegenteil der vielzitierten „Nachhaltigkeit“ gewährleisten. Ein großes Stadion oder eine große Sporthalle für internationale Meisterschaften besteht zu rund 90% aus Zuschauertribünen und ist nicht nur beim Bauen, sondern auch in der Erhaltung (Betriebskosten) vielfach teurer als Trainingssportstätten, die wir so dringend benötigen.

Hinsichtlich des aktuellen Zustandes und der Nutzbarkeit von Sportanlagen belegt Wien jedenfalls eine traurige Schlussposition in Europa und jedenfalls einen Rang, der einem reichen Land wie Österreich nicht würdig ist. Wien hätte in manchen Bereichen sogar recht brauchbare Sportstätten, aber die praktische Nutzung scheitert oft am fehlenden politischen Willen oder am Sportverständnis der Verantwortlichen, die noch nicht erkannt haben, dass olympiareife Leistungen im Spitzensport nicht mit Training von Montag bis Freitag jeweils am Nachmittag möglich sind.

Alle jene, die in London dabei waren und auch etwas hinter die Kulissen geblickt haben (die meisten Sportler waren auf die eigenen Bewerbe konzentriert) wissen spätestens seit damals: Olympische Sommerspiele sind eine tolle Sache, aber für Wien einfach mehrere Nummern zu groß. Da müsste sich in Wien einmal generell das Sportverständnis gravierend ändern und letztlich sind Olympische Spiele mit der derzeitigen Politikergeneration einfach nicht machbar. Wien ist eine wunderbare Kulturstadt und in dieser Hinsicht sicherlich unter den Weltführern, von einer olympiatauglichen Sportstadt ist Wien aber noch Lichtjahre entfernt.

Träume und Visionen sind im Sport wichtig und notwendig. Aber auch da müssen einmal die Voraussetzungen stimmen. Wien müsste erst einmal dafür Sorge tragen, dass die Wiener Sportler in dieser Stadt zeitgemäß trainieren können und dass sich auch die Politik vermehrt um den Sport kümmert, der eine immer wichtigere gesellschaftliche Bedeutung einnimmt. Wien muss zuerst auch ein klares Bekenntnis zum Spitzensport ablegen und nicht länger die Verantwortung auf den Bund abschieben. Die „Sportstadt Wien“ fördert z.B. mit keinem einzigen Cent Trainer in Wien, wo die größte Nachhaltigkeit (Multiplikatoreffekt) bei der Sportförderung gegeben wäre und will auf der anderen Seite Millionen und Milliarden für ein 3-wöchiges Großereignis ausgeben. Ok, dort könnten natürlich einige Politiker und Funktionäre im Rampenlicht stehen. In Wien gibt es z.B. im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine Landestrainer, die aus Mitteln des Landes gefördert werden. Die Landessportförderung sieht sich explizit nicht für den Spitzensport zuständig. Der 2010 ins Leben gerufene „Sportpool Wien“ wird zwar gern von der Politik vereinnahmt, wird aber ausschließlich aus privaten Mitteln gespeist, die dann nach Genehmigung von Anträgen verteilt werden.

Erst wenn Wien ein klares Bekenntnis zum Spitzensport ablegt und wenn das mehr als medienwirksame Lippenbekenntnisse sind, dann kann man im nächsten Schritt auch über Großereignisse wie Olympische Spiele nachdenken. Wenn man Sportstätten bauen will, dann braucht man sich dazu nicht selbst den Druck von Olympischen Spielen auferlegen, sondern dann kann man das auch ohne Olympia tun. Das sollten dann aber v.a. funktionelle Trainingsanlagen sein und nicht teure, protzige Wettkampfarenen für zigtausende Zuschauer ohne jeden nachhaltigen Nutzen über Großveranstaltungen hinaus. Wer somit gegen Olympia in Wien ist, muss noch lange kein mieselsüchtiger Kleingeist sein, sondern erkennt wahrscheinlich eher die Bedürfnisse des Wiener Sports.

Praktisch alle Insider, auch alle Sportjournalisten (außer der Dichand-Familie) und auch alle Sportfunktionäre finden die Vorstellung einer Olympiastadt Wien höchst amüsant oder peinlich, was natürlich nicht die paar üblichen Verdächtigen daran hindert, entgegen besserem Wissen und auch gegen die eigene Überzeugung in den Rathaus-Jubelchor einzustimmen. Wenn so viel Geld, Macht und Profilierung im Spiel sind, könnte ja vielleicht für ein paar Einzelne im Fall des Falles etwas abfallen.

7) Hätte Wien bei der Vergabe überhaupt eine Chance?

„Wenn wir antreten, möchten wir auch gewinnen, da spricht noch der Fußballer mit einem starken Zug zum Tor in mir“ – sprach Bürgermeister Häupl, allerdings bevor er sich noch irgendwie mit den Fakten auseinandergesetzt hatte. Es ist der Erfahrung nach übrigens äußerst ungewöhnlich, dass das IOC die Spiele an eine Stadt gleich bei der ersten Bewerbung vergibt. Wien hatte sich auch zwar (wenn auch etwas halbherzig) für die Spiele 1964 beworben, das ist aber bis 2028 schon mehr als verjährt.

Die Kostenschätzungen nur für die Bewerbung reichen von 10 bis 100 Millionen Euro. Schon diese Bandbreite zeigt, auf welcher unsicheren Basis hier spekuliert wird und dass auch die Voraussetzungen für eine Volksabstimmung nicht gegeben sind. Mit 100 Millionen könnte man im Österreichischen Sport übrigens gewaltig etwas bewegen!

Also zusammenfassend: Olympische Spiele in Wien wären eine tolle Sache. Bis Wien aber olympiareif ist, müsste sich noch sehr viel ändern. Manches davon – Sportstätten – ließe sich mit (viel) Geld regeln, eine echte Sportbegeisterung kann man aber nicht kaufen und auch nicht einen Zugang zum Meer. Selbst im Fall einer durchdachten Bewerbung erscheint aus heutiger Sicht ein Zuschlag bei der Vergabe aus objektiven Kriterien höchst unwahrscheinlich. Olympische Sommerspiele haben eine derart gigantische Dimension angenommen, dass Wien dafür einfach zu klein ist. Das Geld, das in eine Bewerbung fließen würde, könnte man im Sport viel sinnvoller einsetzen. Winterspiele in Wien sind allerdings noch viel absurder.

Dieser Beitrag darf nicht als endgültig und besonders ausgereift angesehen werden, sondern als eher unstrukturierte und spontane Diskussionsgrundlage und eine Sammlung von Überlegungen zu „Olympia 2028“. Das Thema wird ausführlich und detailliert recherchiert in einem Buch über den österreichischen Sport enthalten sein, das im Herbst 2013 erscheinen wird. Die Ausführungen stellen die rein persönliche Sichtweise des Autors dar und nicht irgendeiner Institution/Verband!

29 Gedanken zu „Und noch eine Volksbefragung: Olympische Spiele 2028 in Wien?“

  1. Toller Beitrag! Von live vor Ort kann ich bestätigen wie großartig die Unmengen an freiwilligen Helfern waren und was für eine unfassbar gute Stimmung überall geherrscht hat. Habe mich bisher nicht sehr ausführlich mit genauen Kosten-/Infrastrukturanforderungen auseinander gesetzt. Wenn man es mit London vergleicht, wurden durch Excel, O2-Arena (bzw. während Olympia North Greenwich Arena), Earls Court, Wembley Park, den Fußballstadien einige Sportarten abgedeckt. Außerdem viel auf temporäre Anlagen gesetzt – soweit ich weiß, kann man die Basketball Arena kaufen, um sie woanders wieder aufzubauen. Andere Tribünen sind wieder ganz verschwunden. Hätte Wien einen solchen Bezirk, wo mit temporären Tribünen / Arenen gearbeitet werden kann, der anschließend zu einem Naherholungsgebiet/Sportpark umfunktioniert werden könnte?

  2. Der Beitrag liest sich wie ein PR-Beitrag für Olympia-Gegner. Die typischen Elemente wie polemische Übertreibungen (Anspielung auf „Marathonterroristen“), einseitige Darstellung (Gesamtbudget vs. Teilbudget) und aus dem Hut ziehen selbst lächerlichster Argumente (Kein Seehafen, als ob das das bspw. in München, Montreal, Moskau, Atlanta oder Peking eine Rolle gespielt hätte) sind jedenfalls vorhanden. Ich finde es schade, wenn die Olympia-Gegner die schlechten Angewohnheiten anderer selbst aufnehmen. Die Glaubwürdigkeit wird dann leiden und Gegnern eine Steilvorlage bieten.

  3. Ich finde es schade, wenn die Olympia-Gegner die schlechten Angewohnheiten anderer selbst aufnehmen.

    Wilhelm Lilge ist wohl kaum ein Olympiagegner!??

  4. #2 #3

    Natürlich ist Wilhelm Lilge als Nationaltrainer kein „Olympiagegner“. Was ist das überhaupt, „Olympiagegner“? Eine wenig sinnvoller Begriff. Wer Kritik äußert, ist „Olympiagegner“?

    Albern. Ärgerlich.

    Ich bin übrigens auch kein „Olympiagegner“.

    Im Übrigen hat Lilge im Kern eine Menge außerordentlich kräftiger Argumente vorgebracht. Er hat den Beitrag in der Nacht nach der Leichtathletik-EM in Göteborg geschrieben und ja selbst bemerkt:

    Dieser Beitrag darf nicht als endgültig und besonders ausgereift angesehen werden, sondern als eher unstrukturierte und spontane Diskussionsgrundlage und eine Sammlung von Überlegungen zu “Olympia 2028″.

    Ich kann sehr gut damit leben, weil hier ein Fachmann schreibt. Und ich habe ihn auf diesen fehlerhaften Vergleich der Budgets hingewiesen (und habe das im Text kurz notiert). Das finde ich so okay.

    Stichwort #PR

    Das ist, sorry, ein nervendes blödes Argument. Ich stelle hier Beiträge zur Diskussion. Manchmal auch die von Sportfunktionären, Wissenschaftlern oder eben einer Olympia-Opposition. Das machen andere Medien auch – ob nun als so genannte Gastbeiträge oder (meist) sogar unkenntlich gemacht, weil aus einseitigen Agenturberichten übernommen. Zum Beispiel.

    Mitunter stelle ich sogar Pressemitteilungen von Verbänden komplett ein (gerade etwa di der FILA zum Treffen des neuen Ringer-Weltpräsidenten mit Jacques Rogge), wenn es mir sinnvoll erscheint und es beispielsweise ein Thema ergänzt.

    Wer hier mitliest und diskutiert, weiß damit umzugehen. Außerdem werden stets jede Menge Links und Dokumente angeboten.

  5. Der Text richtet sich gegen eine Bewerbung Wiens für die Olympische Spiele 2028, dies im konkreten Fall als Olympia-Gegner zu verkürzen halte ich für legitim und notwendig. Das sie, Herr Weinreich, plötzlich das Wort Olympia-Gegner für einen wenig sinnvollen Begriff halten, sogar für albern und ärgerlich, ist bemerkenswert. Den Begriff haben Sie ja nun selbst häufig genug selber gebraucht, bspw. in http://www.jensweinreich.de/2010/08/25/munchen-2018-morddrohung-gegen-olympiagegner/

    Von Beiträgen erwarte ich, ob hier oder woanders, ob von Gastautoren oder wem auch sonst, informiert und nicht manipuliert zu werden. Sehe ich dies nicht so, auch nur in Teilen des Beitrags, halte ich das für kritikwürdig und ordne das nicht still ein.

  6. Ich kann die scharfe Kritik an dem Beitrag nicht nachvollziehen, da er doch gute Argumente hervorbringt, vor allem hinsichtlich Charakter als Sportstadt und hinsichtlich der Anforderungen an Sportinfrastruktur. Natürlich ist der fehlende Meereszugang dabei sicherlich nicht das Hauptargument. Auch London hatte ja einen externen Segelstandort.

  7. Für mich ist Wilhelm Lilge schlicht und ergreifend Realist. Wenn es möglich wäre, hätte er wohl liebend gerne Olympische Spiele in der Heimat. Nach derzeitigem Stand erscheint es ihm aber nicht möglich.

  8. Ein sehr aufschlussreicher Beitrag über die Defizite von Wiens Sportinfrastruktur und -politik.

    Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass eine Stadt vergleichbarer Größe und mit vergleichbarer Verkehrs- und Sportinfrastruktur (15 Jahre vorher) durchaus Chancen beim IOC hätte. Auch die Verbundidee mit Bratislava hätte durchaus ihren Reiz – immerhin liegen die beiden Stadtzentren nicht weiter voneinander entfernt als der Flughafen Heathrow und der Olympic Park in London.

    Österreich fehlen wohl zuvorderst eine geopolitische „Narrative“ (wie sie etwa eine afrikanische Stadt böte) und große Unternehmen im Hintergrund (OMV als größtes ist immer noch einige Nummern zu klein). Wenigstens eines von beiden scheint mir heutzutage (leider) Voraussetzung zu sein.

  9. Sehe ich ähnlich. Das Besondere fehlt. Wo ist die Geschichte, die Story? Eine Kombine mit Bratislava hätte durchaus Reiz – hätte es viel mehr in den 1990ern gehabt. Es mag Städte vergleichbarer Größe geben, die eine bessere Infrastruktur für ein solches Projekt aufzuweisen haben, ich würde Städte von rund (plusminus) zwei Millionen Einwohner nicht gänzlich abschreiben für Sommerspiele. Aber eins sollten wir hier nicht vergessen: es gibt gar keinen Plan für Olympia in Wien. Nur die Frage: habt ihr Lust, Ja oder Nein? Das ist ein bissel arg dünn.

    Von der oben verlinkten Quelle „Wien will’s wissen!“

    Beantworten die WienerInnen mehrheitlich die Frage “Soll sich die Stadt um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2028 bemühen?” mit “Ja”, wird der oben beschriebene Ablauf in Gang gebracht und die Stadt würde an das ÖOC herantreten. Machbarkeitsstudien werden erstellt, und Wien erfährt im Frühjahr 2020, ob es als Candidate City nominiert wurde. Die Vergabe selbst erfolgt erst im Sommer/Herbst 2021 durch das IOC.

    Wenn die WienerInnen kein Olympia 2028 in Wien austragen wollen, wären alle Machbarkeitsstudien hinfällig und das Österreichische Olympische Comité reicht keine Bewerbung ein. Es entstehen keine Kosten.

    Eine Idee würde ich schon gern sehen, wenn man das Volk befragt. Aber, okay, bin ja weder Österreicher noch Wiener.

  10. @“externer Segelstandort“: London, Peking usw. hatten externe Standort im selben Staat. Das wäre mit Wien, auch in Kombination mit Bratislava, nicht machbar.
    Was käme da also in Frage? Die eine der ehemals jugoslawischen Teilrepubliken? Italien? Schwer vorstellbar.

  11. Wiener Zeitung: Wiener Charme

    Nicht nur die Stadtregierung muss sich also fragen lassen, ob genug getan wurde, um die Wiener auf eine Olympia-Bewerbung einzustimmen. Auch die Sportverbände und das Olympische Comité waren dabei nicht gerade deutlich zu erkennen.

  12. Pingback: Liegengebliebene Lesehinweise | sportinsider

  13. Das währe ein einmaliges Ereignis ohne Österreichische Beteiligung gewesen. Denn die Wiener Sport ist am Boden -ohne Geld und Sportstätten ! Und im Rathaus feiert man Feste-Traurig aber wahr !

  14. tageszeitung.it: So viel kostet Olympia

    Tirols Sportlandesrat Josef Geisler wäre dabei an einer Austragung in der gesamten Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino interessiert, wie er am Donnerstag bei einem Treffen in Bozen bekräftigte.

    TT (27.10.): Olympia 2026 in Innsbruck? Ein politischer Blick durch die Ringe

    Ein klares Nein zu einer neuen Bewerbung und zu neuen Olympischen Winterspielen 2026 in Innsbruck kommt bereits im Vorfeld von der Interessengemeinschaft Bürgerinitiativen Innsbruck (IGBI). Selbige ist ein Zusammenschluss von aktuell 15 Bürgergruppierungen in der Landeshauptstadt.

    Sprecherin Anita Stangl und mit ihr die IGBI warnen die Stadtpolitiker auf Anfrage der TT davor, neue Spiele ernsthaft ins Auge zu fassen: „Die Innsbrucker Bevölkerung hat bereits zwei Mal ablehnend abgestimmt. Wie oft möchte man noch abstimmen lassen?“

  15. Pingback: Der Überlebenskampf der Olympischen Winterspiele • Sport and Politics

  16. Claudio Catuogno in der SZ: Die Richterin im Missbrauchsprozess muss brüllen

    Vor Empörung schickte die Frau ein Foto von Kahr an Moser-Pröll, dazu die Nachricht: „Dein Entjungferer Charly. Du warst noch keine 16 Jahre alt.“ Ihr Mann schrieb: „Schämen Sie sich, einen CK in Schutz zu nehmen, der zusammen mit TS viele Mädchen missbraucht und gebrochen hat.“

    CK hieß Charly Kahr, TS steht für Toni Sailer. Beide durften das schreiben, befand Richterin Flatz am Donnerstag – es ist das erste Urteil in der Sache.

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