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Das Olympische Bildungsmagazin

Die obskure Welt des Gewichtheber-Bosses Tamás Aján (I): Geschäfte mit der Dopingkultur

IWF-Supremo Tamás Aján (c) IWF

Tamás Aján (c) IWF

Dies ist der Auftakt zu einem Mehrteiler, der das Innenleben in einem der olympischen Weltverbände nachzeichnet, die weniger im Fokus stehen als FIFA oder UCI: in der International Weightlifting Federation (IWF) unter Tamás Aján, 74. Der Ungar wirkt seit Anfang der 70er Jahre in der IWF-Spitze, zunächst als Vizepräsident, seit 1976 als Generalsekretär, seit 2000 ist er Präsident. Im selben Jahr rückte er ins IOC ein, noch auf Vorschlag des greisen Juan Antonio Samaranch.

Nicht nur biografisch ist Aján ein Sportkarrierist; er gehört auch mental zu dem Typus, den man gern in irgendeinem entfernten Reich der autokratischen Fossile verorten würde – wüsste man nicht, dass die so genannte olympische Familie noch immer dieses Reich ist. Kritikern hält Aján beispielsweise entgegen, es brauche schon „ein Buch“, um all die „revolutionären Verbesserungen“, die er fürs Gewichtheben erreicht habe, auch nur „aufzulisten“.

Das Zitat stammt aus einem internen Rundbrief – Teil eines Stapels von Dokumenten, die ich seit Dezember zur IWF recherchiert habe, ursprünglich, weil ich über ein Dopingthema schreiben wollte. Das führte dann weiter, dazu in den nächsten Tagen mehr.

IWF-Serie

Die obskure Welt des Tamás Aján, ein ganz normaler olympischer Weltverband:

Korruption in der IWF? Wo sind die IOC-Millionen?

Aktueller Anlass dieses Mehrteilers: Am Pfingstmontag (20. Mai 2013), beim Wahlkongress der IWF im Radisson Royal in Moskau, dem legendären ehemaligen Ukraina, erlebt die Heberszene ein historisches Ereignis. Erstmals in beinahe vier Jahrzehnten bekommt Aján, der natürlich wieder Präsident werden will, Gegenkandidaten.

Dass der Dauerherrscher die IWF wie ein Familienunternehmen betreibt, inklusive obskurer Geldgeschäfte, hat eine bemerkenswerte Opposition hervorgebracht, mit Ideen, die für die Internationalen Sportföderationen neu sind. Die gute Rolle, die dabei der Bundesverband Deutscher Gewichtheber (BVDG) spielt, wird in diesem ersten Teil thematisiert – und auch, wie die deutschen IOC-Granden Thomas Bach und Walther Tröger auf Querdenker in den eigenen Reihen reagieren.

Aján übrigens hat auf eine Anfrage, auch zum Umgang seines Weltverbandes mit der Dopingfrage, nicht geantwortet.

* * *

Ordensverleihungen dürfen bei Kongressen in der Welt des Sports, wo es oft zugeht wie auf kommunistischen Parteitagen, nicht fehlen. Auch Tamás Aján sieht das ganz sicher so: In der vergangenen Woche jedenfalls hat er auf den Zeremonienpart beim Wahlkonvent in Moskau eingestimmt: Per Mail schlug er sieben Funktionäre („distinguished persons“) als künftige Träger des IWF-Ordens in Gold und Silber vor. Die Reaktionen kennzeichnen die aktuelle Stimmungslage unter den Gewichtheber-Funktionären recht gut: Ein Mitglied des Executive Boards protestierte gegen Ajáns Alleingang und fragte nach, warum über diese Personalien nicht in der letzten Sitzung des Gremiums debattiert worden sei. Einer der Ordensträger in spe lehnte ab, er habe schon genug Auszeichnungen. Ein dritter Offizieller quittierte einen der Aján-Vorschläge mit Spott – seine grafische Fingerübung mailte er an die IWF-Mitglieder, die Nationalverbände:

Hassan Akkus

Die rekordverdächtigen zwei Dutzend Dopingfälle unter dem Verbandspräsidenten Hasan Akkus zeigen systematisches Doping beim türkischen Hebernachwuchs an: Der Großteil wurde im letzten Dezember, bei und nach den U23-Europameisterschaften detektiert, Stanozolol-Fälle allesamt. Zu den Hintergründen ist bis heute nichts bekannt. Der altgediente Funktionär Akkus ließ auch gar keine Aufklärungsabsichten erkennen, er trat lieber eilig mitsamt seinem Präsidium zurück. Kuriose Begründung: „Wo Doping ist, da sind wir nicht.“ Akkus, muss man hinzufügen, steht auch der Medizinischen Kommission der IWF vor. 2011 spielte er in Istanbul den Gastgeber für die so genannte „IWF-Welt-Antidoping-Konferenz“ – eine Veranstaltung, für die Aján 250.000 Dollar verausgabte, nach Auffassung seiner Gegner (die vergeblich protestierten) aber bloß eine Beruhigungspille fürs Publikum, weil der Präsident öffentlich unter Druck geraten war in der Dopingfrage.

Die Heber liegen in der Drogenstatistik des Weltsports weit vorn, mit fast 450 Fällen auf internationalem Niveau in den letzten zehn Jahren, allein 55 im Olympiajahr 2012 (noch ohne die türkischen Fälle). An der IWF lässt sich eine Behauptung von Dick Pound nachvollziehen, der gerade einen einigermaßen vernichtenden Report für die WADA unter dem Titel Lack of Effectiveness of Testing Programs vorgelegt hat:

The elephant in the room is the human factor, not the science, not the system.

Der menschliche Faktor innerhalb der IWF heißt Ajàn. Sein langjähriges, fast möchte man sagen: inniges Verhältnis zur weitverbreiteten Anabolika-Kultur bei den Kraftmeiern auf der Heberbühne zeigt sich nicht nur in Stücken fürs Kuriositätenkabinett wie in der Ordensverleihung an Akkus. Für diesen Potentaten des Weltsports war Doping schon immer auch machtpolitisches Instrument. Trotzdem sollen auch seine Fassadenreden Erwähnung finden, die seit Jahren so klingen wie unlängst, Anfang April, beim IWF-Kongress in Taschkent:

The IWF, a relentless fighter for clean sport is proud to have made enormous progress in the efficiency in it’s testing program. The past four years proved, that the firmness, transparency and discipline of the IWF Anti-Doping-Program are the best way to achieve our goals. … Thanks to my continued membership in the WADA Foundation Board, I have an overview of the other International Federations’ and Olympic Committees’ anti-doping activities and so we can say the IWF has deserved the recognition of the IOC and of WADA as a leading organisation and, in some respects, a pioneer in the fight on doping.

Dass der Mann einen Sitz im WADA-Foundation Board hält und sich gern des Lobes aus IOC und WADA rühmt (wofür es allerdings keinerlei schriftliche Zeugnisse gibt), kann auf den ersten Blick verwundern. Muss es aber nicht: de facto unterliegen die Weltverbände keiner Kontrolle durch die WADA, verlangt wird nur das Minimum – dass sie ihre Athleten testen. Bevor es um die aktuelle IWF-Praxis und ans Faktische geht, vier kleine Episoden, deren erste ins Zeitalter des Kalten Krieges zurück führt. Dort wurzeln Prägung und Mentalität des (einst stramm kommunistischen) Antidoping-Pioniers Aján:

  • 1979: 1994 berichtet zuerst die FAZ aus dem Stasi-Aktenkonvolut des DDR-Doping-Chefarztes Manfred Höppner über ein Geschäft unter sozialistischen Freunden. Danach unterschlug Aján 1979, nach der WM in Saloniki, positive Dopingproben von zwei „sowjetischen Weltmeistern“, um seine Wiederwahl als Generalsekretär zu erreichen. In dem Bericht hieß es: „Bereits seit längerer Zeit ist die SU an der Besetzung der Funktion des Generalsekretärs interessiert, und Aján dürfte sich jetzt auch seine nächste Kandidatur gesichert haben und der Unterstützung durch die SU gewiss sein.“ Die Russen stellten 1980 tatsächlich keinen Gegenkandidaten auf. Aján bestritt, jemals einen solchen Deal gemacht zu haben.
  • 2004/2005: Bei den Olympischen Spielen in Athen werden auch einige ungarische Heber als Doper aus dem Verkehr gezogen. Im Folgejahr kosten die Auseinandersetzungen darum Aján das Amt als Generalsekretär im heimischen NOK. Auch weigert sich der eigene Verband, ihn erneut als IWF-Präsidenten zu nominieren. Mit der Mehrheit der Exekutive ändert Aján die Regeln: Seither dürfen auch andere als der eigene Nationalverband einen Funktionär für den IWF-Chefposten vorschlagen. Natürlich heißt dieser Passus der IWF-Verfassung bis heute: lex Aján.
  • 2008/2009: Im Vorfeld der Spiele in Peking fallen die Gewichtheber mal wieder mit einem zünftigen bulgarischen Skandal auf (wie schon in Sydney und Athen). Das gesamte Team nimmt nicht an Olympia teil, nachdem elf Heber positiv getestet wurden. Auch dieser Skandal fällt in die Ägide des Verbandpräsidenten Anton Kodzhabashev. Der bulgarische Sportminister reagiert mit Kürzung der Fördergelder. Die IWF verhängt die übliche Geldstrafe (dazu unten), die der Verband nicht zahlen kann. Aján schickt daraufhin der NOK-Präsidentin Stefka Kostadinova ein Fax, das bulgarische Medien veröffentlichen – eine Hymne auf Kodzhabashev. Der sei „nicht nur ein großer Sportsmann, sondern auch ein großer Sportführer“. Höchstpersönlich werde er den Bulgaren darin unterstützen, „der nächste Präsident des Europäischen Gewichtheber-Verbandes zu werden.“ – Diesen Posten hat seit 2008 der Italiener Antonio Urso inne, einer der stärksten Gegner auch der so genannten Antidoping-Politik Ajàns.
  • 2011: Liao Hui, Olympiasieger 2008 und Weltmeister 2009 im Leichtgewicht, wird positiv getestet. Für Aján ein optimaler Anlass, dem Chinesen eine Laudatio auf der IWF-Homepage zu widmen:

Mr. Liao Hui is an emblematic figure of the international weightlifting field. He is one my favorite athletes not only due to his sport performance, but also due to his personal character. He had an exemplary and respectful conduct on all events he participated in. His disciplined behavior, courtesy and outstanding personality leaded him to be a role model for all.

Doping als Geldmaschine

Zur Gegenwart: Die IWF pflegt eine Praxis, die mir aus keinem anderen Weltverband bekannt ist. Sie hat unter Aján aus der Pharmakultur in der Hebersparte ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt, indem sie Dopingstrafen von den Nationalverbänden kassiert.

Das ist legal in der Welt des olympischen Sports – allerdings bei den Hebern auch hoch dubios, weil zum Teil im Dunstkreis von Ajáns mäßig transparenten Geldgeschäften angesiedelt.

  • Im Zeitraum zwischen März 2009 und Ende 2012, so geht es aus der gerade den Nationalverbänden vorgelegten Vierjahres-Bilanz hervor, verdiente die IWF am Dopingbetrug offiziell 3,1 Millionen Dollar, mehr als sie für Tests, Analytik und so genannte Erziehungs-Programme ausgab.

Der erste Fall kostet einen Nationalverband 5.000 Dollar; ab drei und mehr Dopern pro Jahr wird es richtig teuer, ab 50.000 Dollar aufwärts. Können Verbände nicht zahlen, sehen ihre Athleten bei Wettbewerben im Folgejahr zu. Über die Höhe der Strafe entscheidet die Exekutive. Einige Verbände wurden schon zu 500.000 Dollar Buße verdonnert. Einem europäischen Verbandschef platzte ob der Abzocke mal der Kragen. Im Laufe von zehn Jahren, beschwerte er sich schriftlich, habe Aján persönlich 200.000 Dollar kassiert, und zwar in bar, worauf der bestanden habe. Der Präsident bestritt eine solche Anweisung. Das Protokoll eines Vorstandsmeetings (im Dezember 2009) hält dazu fest:

Innerhalb weniger Momente trug das IWF-Sekretariat die relevanten Dokumente zusammen und bewies, dass es genau andersherum war: Die IWF bat, wie immer bei Dopingstrafen, um Banküberweisung, aber der Verband bat die IWF um Erlaubnis, bar zahlen zu dürfen.

Dass er das Geld annahm, bestritt Ajàn allerdings nicht. Bezweifelt werden muss auch, dass die Budapester IWF-Zentrale tatsächlich „immer“ auf Überweisungen Wert legt. Denn unter den Hebern kursieren nicht nur Gerüchte über Geldköfferchen, die den Besitzer wechselten; es gibt auch weitere Belege für Bargeldzahlungen – und für den bisweilen unklaren Verbleib dieser Gelder. Der argentinische Vorständler kommentierte beispielsweise die von Aján vorgelegte Auflistung der Dopingstrafen in der oben zitierten Sitzung mit der Forderung:

… dass Argentinien in die Statistik aufgenommen wird, weil seit 2006 zusammengenommen 50.000 Dollar gezahlt wurden, 10.000 Dollar in Santo Domingo und 40.000 per Überweisung.

„Man muss ja nicht mit Ajáns Buchführung vertraut sein“, meinte süffisant einer der Heberfunktionäre, mit denen ich darüber gesprochen habe, „um zu wissen, wozu solche Praktiken gut sein können.“ Der Kommentar zielt selbstverständlich auf Zwecke, denen unklare Bargeldgeschäfte auch in anderen Gesellschaftszirkeln dienen: Geld zu waschen, es für eigene Zwecke einzusetzen etc. pp. Unabhängig davon: Innerhalb der IWF stößt die Praxis der Strafgebühren zunehmend auf Kritik – denn sie hat keineswegs dazu beigetragen, die Dopingfälle zu reduzieren.

Der Italiener Antonio Urso spricht offen davon, dass Doping für die IWF unter Aján nichts anderes sei als eine „money making machine“. Im April 2010 formulierte die von ihm geleitete EWF, der europäische Kontinentalverband, das in einem Offenen Brief an die IWF-Mitglieder so:

To make things worse, not one single dollar was spent on an awareness campaign to combat this phenomenon. Furthermore, the fine is the same for all nations, not taking into account the economic indicators that determine the value of money in the various countries. This creates disparity among federations, as rich nations have no problem in paying the fines and it does not affect their federation’s survival, whereas in other cases the heavy fines may lead to the ruin of the entire federation.

Inzwischen schmückt sich Aján sogar mit einer Antidoping-Kampagne namens „Lift Clean and Jerk“ – sie ist aber eher die laute Begleitmusik, die erhebliche Dissonanzen in der IWF-Antidoping-Politik übertönen soll.

Der Vorstoß des BVDG und wie er gebremst wurde

Zur Aufklärung über die konkrete IWF-Praxis, die stark mit den Selbstdarstellungen des Präsidenten kollidiert, hat zuletzt vor allem der deutsche Verband beigetragen. Über die Vorstöße des BVDG ist in den letzten zwei Jahren gelegentlich berichtet worden – allerdings nicht darüber, wie die Reformvorschläge aus Leimen vorläufig ausgebremst worden sind. Wird hier nachgeholt, unter besonderer Würdigung der Rolle der beiden deutschen IOC-Mitglieder Walther Tröger und Thomas Bach. Beteiligte auf Seiten der Gewichtheber vor allem: Christian Baumgartner, Anti-Dopingbeauftragter und nun Präsident des BVDG, sein Vorgänger im Spitzenamt Claus Umbach.

Zum Einstieg ein Offener Brief aus dem Juli 2011, nicht der erste Anlauf des BVDG:

Die zentralen Forderungen der Deutschen – eine von der IWF unabhängige Antidoping-Kommission, ein Testsystem unter Aufsicht der WADA, transparente Verfahren, über die den Nationalverbänden regelmäßig berichtet wird – stießen im Europäischen Kontinentalverband auf einmütige Zustimmung; die EWF brachte sie als Antrag ins Executive Board der IWF ein – wo darüber allerdings nie abgestimmt wurde. Zunächst gab es nur ein sichtbares Resultat: Die 2009 etablierte verbandseigene Antidoping-Kommission löste sich auf – aufgrund von „Interessenkonflikten“, wie ihr Vorsitzender, der Rumäne Nicu Vlad, einsichtig kundtat. Viel zu sagen hatte sie ohnehin nicht, glaubt man Christian Baumgartner, der den Grundkonflikt in einen prägnanten Satz fassen kann:

Wer in unserer Sportart Medaillen gewinnen darf, bestimmt der Präsident.

Die IWF testet im internationalen Vergleich nicht wenig, im letzten Jahr führte sie mehr als 2000 Kontrollen durch, ein reichliches Drittel im Training. Solche Zahlen trägt Aján stolz vor sich her, und um sie als Mummenschanz zu entlarven, muss man noch nicht einmal darüber debattieren, dass fast nur Urinfläschchen gefüllt werden, also im Wesentlichen nach Anabolika gesucht wird, nicht nach gängigen Substanzen wie Wachstumshormon, die auch den Hebern Vorteile bescheren können.

Baumgartner hält die Zahlenspiele aus anderem Grund für unglaubwürdig. Der promovierte Tierarzt arbeitet im Hauptberuf als Geschäftsführer beim Milchprüfring Bayern e.V. Sein Verein kontrolliert jährlich neun Millionen Proben von Kühen. „Von daher ist mir das Thema Manipulation ja nicht ganz fremd.“ Und in der IWF, sagt er, „können wir ein fachlich intelligentes Testsystem nicht erkennen.“

Darüber, wann die Fahnder – sie kommen allesamt von der ungarischen Agentur HUNADO – wo anrücken, entscheidet bei den Hebern allein Aján.

Baumgartner: „Unsere Anfragen zum System dahinter sind bis heute unbeantwortet.“

Beim zweiten Blick in die Statistik erschließt sich ein möglicher Grund dafür – sie trägt Züge der machtpolitischen Interessen des Präsidenten. Russland beispielsweise, dorthin pflegt Aján traditionell gute Beziehungen, ist terra incognita für die IWF-Kontrolleure. Nach gerade einmal einem Trainingstest bei den russischen Hebern im vorolympischen Jahr 2011 – ein Umstand, der auch vom BVDG kritisiert wurde – gab es im Olympiajahr dort gar keine Trainingskontrolle mehr, dafür aber sechs Medaillen in London.

Delikat ist das auch deshalb, weil gerade erst, vor drei Wochen, die russische Antidoping-Agentur acht dopingverdächtige Heber sperrte. Es wäre also etwas zu entdecken gewesen. Vermutlich mehr als in Ländern, aus denen die Kritiker des undurchsichtigen IWF-Testsystems kommen – und in die Ajàn seine Fahnder häufig entsendet.

Seit langem bietet die Statistik Anhaltspunkte dafür, dass sich nicht nur die deutschen Funktionäre berechtigt ums Fairplay sorgen.

Im Herbst 2011, nach dem Offenen Brief des BVDG, dämmte Aján die nicht mehr zu überhörende Kritik trickreich ein. Baumgartner wurde zu einer Sitzung der IWF-Exekutive nach Paris eingeladen, wo er die BVDG-Ideen präsentieren durfte. Er war nicht der einzige Gast aus Deutschland: Der andere war Walther Tröger; er wurde von Aján als Erneuerer vorgestellt. Was den langjährigen NOK-Präsidenten, der eher nicht als Antidopingaktivist aufgefallen ist, für den Job qualifizierte, blieb offen.

Tröger und Aján indes verbinden viele gemeinsame Jahre im IOC, beide sind inzwischen Ehrenmitglieder im Ringezirkel. Lange Zeit war auch nicht ganz klar, welche Rolle Tröger übernehmen würde. Intern ließ Aján verbreiten, der Deutsche würde einer neuen Antidoping-Kommission vorstehen. „Für uns war damit im wichtigen Jahr vor Olympia“, sagt Baumgartner, „natürlich erst mal Sendepause mit Kritik.“ Im Januar 2012 vermeldete dann die IWF-Webseite ein Treffen (das erste und einzige) einer so genannten Antidoping-Policy-Working-Group. Von der hatte der BVDG noch nie gehört, und, wie Umbach und Baumgartner alsbald erfuhren, auch Tröger nicht. Gleichwohl lässt der Brief des deutschen Altfunktionärs an Aján, in dem er seine Rolle als „Berater“ klarstellt, keine größere Irritation erkennen – die Sache verwirrte nur die IWF-Mitgliedsverbände:

Trögers Beratung erschöpfte sich demnach weitgehend im Vortrag der BVDG-Ideen. Und: Der IOC-Kollege Thomas Bach, so steht es da, hatte dem IOC-Kollegen Tröger das Treffen mit den Heber-Funktionären bezüglich der Antidoping-Politik des IOC-Kollegen Aján empfohlen.

Bachs Name fällt nicht von ungefähr; Ende 2011 waren BDVG-Vertreter nämlich auch in der Frankfurter Sportbund-Zentrale vorstellig geworden.

Sie hofften, der DOSB-Präsident und IOC-Vize würde ihre Anliegen unterstützen.

Es kam anders.

Die Spiele in London waren kaum beendet, da flatterte den Deutschen dieser Brief von Aján ins Haus, eine kaum verhohlene Aufforderung an Umbach, seinen Vize Baumgartner rauszuwerfen:

Zunächst reagierte Umbach scharf, mit einem Offenen Brief, der im BVDG-Vorstand abgestimmt worden war.

Die akribische Auflistung unabweisbarer Fakten zum, wie es heißt, „kranken und janusköpfigen“ IWF-System kann man nebenbei auch als Einordnung des Kurzzeit-Engagements von Walther Tröger lesen. Sie mündete in eine Rücktrittsforderung an Aján:

Die Courage hielt gerade einmal acht Wochen. Dann vermeldete die IWF-Webseite, überraschend für die Kollegen im BVDG-Vorstand, einen Besuch des deutschen Verbandspräsidenten in Budapest:

Mit Bezug auf den Offenen Brief sagte der Unterzeichner Herr Umbach, er bedauere das und entschuldigte sich persönlich für die darin aufgestellten Behauptungen.

Umbachs öffentliche Begründung für den Canossa-Gang beim Heber-Verbandstag im Dezember in Leipzig verblüffte auch die Hartgesottensten: „sportweltpolitische Verwicklungen“. Thomas Bach habe an ihn appelliert, eine solche Attacke auf Ajàn schade international.

Auf Nachfrage ist Umbach, der stellvertretende Sprecher der Spitzenverbände im DOSB, bemüht, den Ablauf anders darzustellen. „Die Entschuldigung war meine Idee“, behauptet er am Telefon. „Im Prinzip habe ich Bach angerufen, um mich rückzuversichern.“ Zwar weiß auch Umbach nicht zu sagen, welche der langjährigen Forderungen der Europäer Aján denn nun umgesetzt haben könnte. „Mit der Rücktrittsforderung“, so findet er aber inzwischen, „haben wir uns ein bisschen aus dem Bereich der Fairness bewegt.“ Da habe er seine „weiße Weste“ wieder herstellen wollen. Schließlich sei er „eine bekannte Persönlichkeit im Gewichtheben“.

Eine originelle Sichtweise, für die sich auch eine andere Lesart anbietet: Mit einer Antidoping-Politik, die jeden Fairplay-Gedanken karikiert, hat die Führungsriege des deutschen Sports unter Bach eher kein Problem, schon gar nicht, wenn sie von einem im IOC bestens vernetzten Funktionär wie Aján betrieben wird.

Ärger kriegt bloß, wer sich damit nicht arrangiert.

Die Botschaft kam an bei den deutschen Hebern.

Mehrheitlich war ihnen die Glaubwürdigkeit ihres Verbandes in Dopingfragen wichtiger als, so darf spekuliert werden, strategische Erwägungen eines künftigen deutschen IOC-Chefs: Auf dem Verbandstag wählten sie Baumgartner zum neuen Präsidenten. Der sagt im Rückblick auf die bislang gescheiterten Reformversuche:

Da sind wir wohl ein bisschen hängen geblieben im IOC.

Demnächst will Aján übrigens eine unabhängige Anti-Doping-Kommission einrichten, einen Vorsitzenden hat er auch schon im Blick. Es handelt sich um einen alten Bekannten aus dem IOC: Patrick Schamasch, schon unter Samaranch und bis zum letzten Sommer Medizinchef im Olymp, wenig bekannt für rigide Unternehmungen.

Damit bliebe die Sache gewissermaßen in der Familie. Baumgartner und mit ihm andere Reformer haben andere Ideen fürs Personal. Noch halten sie sich damit zurück – was sich am Montag, nach der Wahl in Moskau, ändern wird. Dort bewirbt sich auch der Deutsche um einen der Vizepräsidenten-Posten im Weltverband.

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