MOSKAU. Endlich wieder im Kreise meiner zweiten Familie. Ich habe sie sehr vermisst in den vergangenen vier Wochen, die Olympic Family. Habe für vier Tage Stellung bezogen im legendären Hotel Ukraina, das jetzt Radisson Royal heißt, und beobachte das Treiben der IOC-Präsidentschaftskandidaten, habe die Olympiabewerbung 2020 und Putins Sportbataillone im Blick, so gut es eben geht.
Das Ukraina hat es mir übrigens angetan, wie die anderen sechs stalinschen Wolkenkratzer, die zu den Seven Sisters gehören. Sie üben eine merkwürdige Faszination auf mich aus. Das muss der russische Teil meiner Seele sein, oder der stalinsche? Jedenfalls, ich habe seit 2010 alle mal kurz besichtigt. Aber das ist eine andere Geschichte. Blöderweise ist das Ukraina so hoch und breit, dass ich es aus der Nähe einfach nicht aufs Bild kriege, habe es mit drei Kameras versucht, aber gerade keine Zeit, auf die andere Seite der Moskwa zu wandern und von dort aus abzudrücken. Deshalb, Fremdquelle (und aus dem Winter, war gerade nichts anderes greifbar), ein eigenes Foto wird nachgetragen (kleiner Scherz; Anm. d. R.):
Momentaufnahme drinnen: Aus dem Aufzug kam eben Jacques Rogge mit Anne – die Blaulichter draußen warten schon, es geht zum Dinner. An der Bar, fünf Meter hinter mir, sitzen Juan Antonio Samaranch Junior, Craig Reedie und Richard Carrión; Alex Gilady ist gerade gegangen. Daneben am Tischlein haben die Amerikaner um Jim Scherr und Doug Arnot (beide ehemals USOC) Platz genommen, die für Aserbaidschans Diktator Ilham Äliyev und EOC-Präsident Pat Hickey 2015 die ersten European Games organisieren. Sie haben auch gerade einige IAAF-Funktionäre bearbeitet, etwa den Schweizer Hansjörg Wirz, Präsident des europäischen Verbandes. Denn die Leichtathleten machen bisher nicht mit bei den Europaspielen, von denen niemand weiß, warum Europa die braucht. Außer natürlich Äliyev und Hickey, die wissen, dass sie sie brauchen.
Die Sportkameraden des Ringkampfes um den FILA-Präsidenten Nenad Lalovic aus Serbien sind hier natürlich zahlreich vertreten, mit Lobbyisten und vielen russischen Helfern, das wird schon, Ringen bleibt, da bin ich einen Monat vor der Entscheidung in Buenos Aires ganz sicher, doch im Olympiaprogramm für 2020.
Und da sind wir schon wieder mittendrin und mittenmang im olympischen Treiben.
Am Samstag und Sonntag sitze ich gewiss auch eine Weile im Luschniki-Stadion und finde, es sollte die feine Tradition eines Bolt-Watchings wiederbelebt werden:
Zu den 100-Meter-Läufen des Witzbolds bietet sich ein Live-Blog an. Hat jemand Interesse?
Die Jamaikaner scheinen voller Tatendrang und Testosteron: Jedenfalls wenn ich die Geräusche aus meinem Nebenzimmer richtig einschätze. Es war sehr laut bis tief in die Nacht. Und die Geräusche fallen auf keinen Fall unter Putins Homosexuellengesetz – für russische Verhältnisse war das politisch korrekter Karibik-Sex.
Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen. Aber es bleibt hier seriös, keine Bange, ich verrate weder das Hotel noch die Namen der Jamaikaner, die um mich herum einquartiert sind. Oder besser: Ein Zimmer war noch frei, und so bin ich auf der Etage der nachtaktiven jamaikanischen Heteros gelandet. Den Witzbolt aber habe ich noch nicht gesichtet.
Zurück zum Seriösen. Denn die Gesetzgebung ist ein Faktum. Russlands Sportminister Witali Mutko (FIFA-Exekutivmitglied) hat gestern deutlich zum Ausdruck gebracht, dass hier allein russische Gesetze gelten, was sonst (und das man sich einen Scheiß um den Aufschrei in weiten Teilen der Welt schert). IOC-Präsident Jacques Rogge sagte vorhin, auf der traditionellen Pressekonferenz, die der gemeinsamen Sitzung des IOC-Exekutivkomitees mit dem IAAF-Council vor allen Leichtathletik-Weltmeisterschaften folgt, das IOC habe von den Russen klare Auskünfte erbeten. Das Papier (ob mehr als der Gesetzestext, blieb offen), sei gestern eingetroffen. Man habe es übersetzt und heute Morgen festgestellt, dass einige Fragen bleiben. Mehr so Übersetzungsfragen, behauptete Rogge. Bevor das nicht geklärt (und besser übersetzt) sei, wolle er keine inhaltlichen Ausführungen machen und auch nicht sagen, ob sich das Gesetz mit der Olympischen Charta vertrage.
Und so weiter und so fort.
Vorerst bleibt es dabei: Putin macht, was er will.
Olympiaminister Dmitri Kozak, einer aus Putins alten St. Petersburger Zeiten, hat auch heute hier in der Lobby-Bar etliche IAAF- und IOC-Funktionäre gesprochen. Vorhin beispielsweise lange mit dem Präsidentschaftskandidaten Denis Oswald aus der Schweiz.
Ich saß am Nebentisch und habe gemeinsam mit einem Stammgast in diesem Blog, Name der Redaktion und Stammlesern bekannt, nett geplaudert und einen Salat gegessen: Greek Salad für mich. Der Opernfan und alte Fahrensmann im Olympiabusiness wählte Cesar’s Salad. Es war angenehm, sag ich doch: im Kreise der olympischen Familie.
Eine olympische Wasserstandsmeldung gefällig, rein auf Gerüchten basierend und Eindrücken und Lobbyistenaussagen und überhaupt völlig unverbindlich und ohne Gewähr?
- Olympia 2020: ein Momentum entwickelt sich für … Tokio. Angeblich.
- IOC-Präsidentschaft: der Favorit Thomas Bach lässt nach und hat an vielen Fronten zu kämpfen und verliert aus vierlei Gründen (angeblich) Punkte (ein Grund ist die überzogene Dopingdiskussion in Deutschland). Das Momentum entwickelt sich für … Ser Miang Ng aus Singapur, den alle gut leiden können. Angeblich.
Einiges, was man so hört, klingt nach Panikattacken des (gewesenen?) IOC-Präsidentschaftsfavoriten. Auch was man gerade so aus der Heimat hört – darüber wird noch zu reden sein. Später. Souverän, liebes UDIOCM, geht anders.
Themenwechsel, Unverfängliches, für Bachs Anwälte wohl kaum zu beanstanden: Dass ich, obwohl vom Ischias am ganzen Körper geplagt und jetzt fast zwei Wochen außer Gefecht gewesen, dennoch mein Diplom der Leichtathletik-WM erhalten habe, erzählte ich gestern schon auf Twitter …
mein WM-Diplom hab ich, obwohl mich der Ischias quält. #IAAF #Moscow2013 Gute Tradition, leider nicht mehr im IOC: pic.twitter.com/dP4uYzeaFg
— Jens Weinreich (@jensweinreich) August 8, 2013
23.42 Uhr: Soll niemand sagen, ich würde nicht alles geben. Kurz vor Mitternacht, gerade zurückgekehrt vom Arbeitsdinner, und die nächste Schicht beginnt. Ein Taxi-Foto ist noch nachzutragen. Nicht schön, aber selten:
23.53 Uhr: Moskau und Russland sind faszinierend, das sage ich schon immer. Immer noch eine Art Wildwest, Kapitalismus pur, brutal, aufregend und unanständig teuer. Noch aufregender, wenn sich die Sportfamilie hier trifft. Und da gibt es in den kommenden Jahren ja etliche Termine, bei denen sich vertiefende Recherche anbietet.
Ganz was Harmloses: Ich war gestern zum ersten Mal im Luschniki-Komplex, dem Olympiazentrum von 1980. Das Stadion sieht von der Hochstraße klasse aus. Dagegen verfallen die anderen Olympiabauten zusehends. In der Druschba-Halle (wenn mich nicht alles täuscht, gibt es zwei, eine kleine und eine große, aber ich lasse mich gern korrigieren, vielleicht hieß die große Olympiahalle auch anders) war das Akkreditierungszentrum eingerichtet. Das hatte alles den Charme der 1980er Boykottspiele. (Auch die Toiletten, by the way.) Da zerfällt vieles.
Aber: Ringsherum scheint mir der Park ganz gut in Schuss, vor allem: Ich habe tausende Normalsterbliche gesehen (ich spreche nicht von Kadersportlern), die den Olympiapark nutzen, Skater vor allem, Jogger, Fußballer etc pp. Der optische Eindruck: Um die olympische Nachnutzung scheint es nicht so schlecht bestellt zu sein, vielleicht muss man Moskau mal mit erwähnen, wenn München (1972) stets anführt, in Sachen Nachnutzung sei man weltweit konkurrenzlos.
Mit gefällt das alles auch optisch ganz gut, von der Moskwa im Süden begrenzt, dahinter die Leninberge, die seit 1999 (wieder) Sperlingsberge heißen, dort im Grünen die Lomonossow-Universität, eine andere der Sieben Schwestern.
Wunderbare Atmosphäre an einem traumhaften Sommerabend. Restaurantschiffe auf der Moskwa. Musik. Reiche Russen zeigen prollig, was sie haben, blonde Mädels, Ferarris, Porsche und andere Luxusschlitten, die ich nicht kenne. Ich saß zwei Stunden da und habe einfach nur beobachtet.
Ach. Sorry, kleiner Exkurs. Vielleicht ertönt da auch nur wieder meine russische Seele.
00.38 Uhr (Ortszeit natürlich): Noch voll Betrieb in der Lobby-Bar. Pat Hickey erklärt die olympische Welt. Craig Reedie ist auch ein Steher, er hat allen Grund, ein Glas mehr zu trinken, denn er wurde heute vom IOC-Exko als neuer WADA-Chef bestätigt. Sir Craig, ehemals Badmintonspieler und passionierter Golfer, wird also im November in Johannesburg WADA-Präsident. Gründungspräsident, 1999 nominiert vom Sport, war Richard Pound. 2007 nominierte die Politik den ehemaligen australischen Minister John Fahey. Turnusgemäß hat wieder der olympische Sport das Wort und entschied sich erwartungsgemäß für Reedie, einen der IOC-Vizepräsidenten.
00.53 Uhr: Für Blog-Insider: Ich habe erst jetzt gesehen, dass mein Freund und stiller Helfer cf, der Zugang zum Maschinenraum hat, dort oben hinter mein Versprechen, ein Foto nachzutragen, frecherweise im Stile der taz-Säzzer dies vermerkte:
(kleiner Scherz; Anm. d. R.)
Er spielt damit auf gewisse Gerüchte an, ich hätte in den vergangenen Jahren zahlreiche Blog-Versprechen nicht gehalten. Diesmal habe ich ihm das Gegenteil bewiesen. (Womit nach menschlichem Ermessen aber wirklich nicht zu rechnen war! Anm. d. R.)
02.50 Uhr: Feierabend für heute. Der Rest des Abends war off the records.
Nebenan in den Jamaika-Zimmern herrscht Ruhe.
So wird das bestimmt was mit der Goldmedaille.
02.57 Uhr: Doch nicht Schluss. Denn andere arbeiten auch noch. Zum Beispiel FILA-Cheflobbyist Andrew Craig (mal im ISL-Reich tätig, zuletzt mit Vancouver 2010, London 2012 und Sotschi 2016 erfolgreich) twittert noch:
#IOC approves #FILA’s proposal to change weight classes to provide more opportunity for female wrestlers. http://t.co/9tiRjmwkX3
— Andrew Craig (@TheCraigCompany) August 9, 2013
Jetzt aber: Feierabend.
Live blogging ist immer lesenswert, vor allem, wenn der ÖR-Rundfunk mal wieder irgendwelche „wichtigen“ Konserven zeigt…
sind denn für den witzbolt überhaupt noch ein paar halbwegs augenhohe kontrahenten übrig? wird er barfuß laufen? rückwärts? oder zumindest mit einer echten schapka? oder ist die spannendste frage, ob er zuerst mit dem rechten oder dem linken fuß ins ziel kommt (oder ist das etwa immer derselbe?)?
@jens
und, auch schon herrn snowden getroffen? oder klappt das mit dem interview doch erst übermorgen? ;-)
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Apropos Seriös…
– Vergess bitte nicht das Maskottchen-Foto ;-)
– Mir gefällt der Begriff „Lobby-Bar“. Eindeutig – Zweideutig
@ Berni: Da ich schon wieder zu Hause bin und nicht wirklich zur Leichtathletik-WM dort war, sondern wegen anderer Themen, zählt die Maskottchen-Pflicht nicht.
Erst wieder in Sotschi.
Die Bar hieß wirklich „Lobby Bar“.
pah!
und ich war schon drauf und dran eine hieb- und stichfeste verschwörungstheorie zu stricken, wieso du mit einer deutschen IP abstimmen konntest…
Wirst Du wohl schweigen und den Leuten nicht verraten, dass das Plugin die IP-Adressen sammelt?! Habe ich vorhin beim Einrichten der Umfrage zum ersten Mal gesehen.
dann darf ich auch nicht verraten, dass der DOSB geschlossen hinter dem UDIOCM steht?
Pssst! Klaue und Vesper lesen mit! (Und noch einige.)
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