Ein Freund meinte: „Mensch, stell doch mal was anderes rein in Dein Blog, damit der Kommentar von Jürgen Roth nach unten rutscht.“
Okay, wird sonst vielleicht monothematisch. Andererseits, mir ist nicht nach Schreiben. Doch er ist ein Freund. Was tun? Zum Glück gibt es mein Archiv. Ich habe im Sommer eine Geschichte über einen neunzehnjährigen Anhaltiner geschrieben, der in der zweiten Mannschaft von Real Madrid spielt. Vergangene Woche gab es nun etliche (deutsche) Agenturmeldungen, wonach Reals Trainer Bernd Schuster, der nun doch nicht entlassen wurde, angeblich plant, diesen Christopher Schorch demnächst in der ersten Mannschaft einzusetzen. Ein anderer Freund allerdings, der in Madrid lebt und schon ein Buch über die Primera División geschrieben hat, klärte mich auf: „Schorch ist hier kein Thema, Schuster ist noch nicht einmal beim B-Team aufgetaucht, auch das werfen sie ihm vor.“
Okay, sagen wir es so, mit einem Spruch aus der Praxis: Wenn es deutsche Nachrichtenagenturen melden, wird es schon ein Thema sein. Schließlich haben viele deutsche Medien die Meldungen übernommen. Hier also das Geschichtlein über Christopher Schorch. Nur eins noch, blöderweise: Auch zwischen ihm und dem DFB bzw. den DFB-Trainern gab es die eine oder andere Reiberei. Er gehört in jene Truppe, die im Sommer die Europameisterschaft gewann, fehlte aber bei dem Turnier. Er sagt: Ordnungsgemäß abgemeldet beim DFB und beim Coach Hrubesch wegen Krankheit. Ich habe auch anderes gehört, das aber nicht bis ins letzte Detail überprüft, es schien mir nicht entscheidend für diesen Beitrag zu sein. Seine Auseinandersetzung mit Hertha BSC habe ich allerdings so gut es ging überprüft, zumindest kommen alle Beteiligten zu Wort.
Okay, hier also, … etwas anderes. Und vielleicht habe ich irgendwann mal Muße, Links zu setzen:
Christopher Schorch macht es einem leicht. Niemand ist nur auf Worte, Blicke, Gesten angewiesen, um seine Botschaften zu entschlüsseln. Jeder kann auf ihm lesen. Wenn sich Schorch zurücklehnt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, sieht man den fulminant großen Schriftzug auf seinem rechten Oberarm: „Träume nicht dein Leben. Lebe deinen Traum.“
Es ist ein ganz frisches Tattoo. Es ist ein Rat seines Vaters.
Christopher Schorch, geboren im Januar 1989, aufgewachsen in Dieskau bei Halle, ist Profifußballer. Seine ersten Stationen hießen: Nietlebener SV Askania 09, Hallescher FC, Hertha BSC, wo er in der Amateurmannschaft und zwei Mal im Bundesligateam spielte. Die u-19-Europameisterschaft, bei der die deutschen Junioren das Finale gegen Italien gewannen, musste er wegen einer Mittelohrentzündung absagen. Das alles wäre aber kaum der Erwähnung wert, denn Profikicker gibt es tausende in diesem Lande. Was Schorch aus der Masse heraushebt, ist vor allem sein Arbeitgeber. Schorch ist Angestellter von Real Madrid, des ruhmreichsten Vereins des Planeten.
Nörgler erinnern zwar daran, dass Schorch seit seinem Wechsel nach Madrid vor einem Jahr noch nicht in der ersten Mannschaft gespielt habe. Natürlich, Schorch wurde zunächst für das B-Team von Real eingekauft. Er kickt mit Real Madrid Castilla, so heißt die Truppe, derzeit in der Segunda División B, der dritten Liga, und hat den Aufstieg in die zweite spanische Liga gerade knapp verpasst. Castilla ist das Reservoir für den Rekord-Europapokalsieger. Einige der größten Real-Spieler aller Zeiten haben im B-Team begonnen: Emilio Butragueno, Michel, Martín Vázquez, Iker Casillas, Guti – auch der Argentinier Esteban Cambiasso und der Kameruner Samuel Eto’o.
Wer an dieser Eliteschule ausgebildet wurde, ist automatisch eine Nummer im internationalen Fußball. Gerade jetzt, da die Nachwuchsarbeit des Europameisters Spanien allseits gepriesen wird. Für Spieler von Castilla bezahlen englische Vereine schon mal sieben Millionen Euro. Schorchs Transfersumme hat Real Madrid auf 20 Millionen festgelegt. 20 Millionen Euro. Für einen neunzehnjährigen Innenverteidiger mit sechzehn Minuten Bundesliga-Erfahrung.
„Das schmeichelt einem, aber das kann auch belasten“, sagt Schorch. „Ich versuche, nicht daran zu denken. Ich muss es ausblenden. Ich mache meinen Job, alles andere wird sich geben.“
Christopher Schorch trainiert jeden zweiten Tag mit den Weltstars von Real. Mit Cannavaro, Robinho, Raúl, Guti, van Nistelrooy, Diarra, Casillas, Heinze, Pepe, Robben, Sneijder, Saviola. Trainer Bernd Schuster hat ihn im November 2007 erstmals in den Kader genommen. Und wenn Schorch nicht mit Schusters Star-Ensemble arbeitet, beobachtet er die Kollegen aus kürzester Entfernung – vom Nebenplatz, wo Castilla trainiert. Diese Ciudad Real Madrid, eine Kleinstadt des Fußballs in der Nähe des Flughafens Barajas, bezeichnen manche als das modernste Fußballzentrum der Welt. „Die haben alles da, sogar ein eigenes Krankenhaus“, sagt Schorch. „Es ist ein Wahnsinn. Bessere Bedingungen kann man nicht haben.“
Aber wie um Gottes Willen ist Real auf Schorch aufmerksam geworden?
Das ist eine banale Geschichte. Denn Nachwuchs-Turniere sind traditionell ein Tummelplatz für die Scouts großer Vereine. Hier wird gesichtet, gefeilscht, gehandelt, hier werden Karrieren vorbestimmt. Schorch spielte im Mai 2006 mit der u-17-Auswahl des DFB eine gute EM in Luxemburg. Er gefiel auch Reals Spähern, die ihn danach zehn Mal bei den Hertha-Amateuren beobachteten. Bis sich Reals Sportdirektor, der Serbe Predrag Mijatovic, für einen Transfer entschied.
Rund um diesen Wechsel ranken sich einige Gerüchte. Viele Aussagen, die Hertha-Manager Dieter Hoeneß gemacht hat, sind wenig schmeichelhaft. Liest man die Artikel im Archiv nach, erscheint Schorch als Prototyp einer verwöhnten Generation, als gieriger Absahner. Man habe Schorch den Kopf verdreht, behauptete Hoeneß und sprach von „Gehirnwäsche in ganz großem Stil“. Real habe sich ganz und gar nicht königlich benommen. Schorch habe absurde Gehaltsforderungen an Hertha gestellt und sei zu einem Gespräch mit dem Stiefvater seiner damaligen Freundin erschienen, einem Frisör ohne Lizenz als Spielervermittler. Berichtet wurde von Handgreiflichkeiten. Hoeneß habe Schorchs Begleiter aus der Geschäftsstelle geworfen.
Schorch will nicht über diese Zeit reden. „Ich bin nicht so, wie ich damals dargestellt wurde“, sagt er. „Es hat weh getan, das zu lesen.“ Diese Geschichten haben Spuren hinterlassen. Schorch ist vorsichtiger geworden. Inzwischen wird er von der Agentur Pro Profil des ehemaligen Bundesligaprofis Thomas Kroth betreut. Auch Kroth mag das Thema Hertha nicht. „Ich bin erst eingestiegen, als vieles in den Brunnen gefallen war“, sagt er. „Da ist einiges unglücklich gelaufen.“
Unter Trainer Falko Götz ist Schorch Anfang 2007 Bundesligaspieler geworden. Er galt als Musterbeispiel für die Berliner Schule, auf Jungs aus der Hauptstadt und dem Umfeld zu setzen und nicht nur auf teure Einkäufe. Doch nach der Entlassung von Götz habe ihm Interimstrainer Karsten Heine bald gesagt: „Nimm’s mir nicht übel. Aber du wirst hier sicher kein Spiel mehr machen.“ So erinnert sich Schorch. „Wenn man als junger Spieler so vor den Kopf gestoßen wird, denkt man sich seinen Teil.“
Karsten Heine hat eine ganz andere Erinnerung. „So kategorisch und endgültig würde ich nie mit einem jungen Spieler reden“, sagt Heine. Er habe in seiner langen Trainerlaufbahn selten einen jungen Burschen erlebt, der „so klar fokussiert, so klar ausgerichtet war wie Christopher“. Er ist voll des Lobes über den Verteidiger. „Es gab allerdings im vergangenen Jahr eine Phase, wo ich den Eindruck hatte, das er nicht mehr so fokussiert war.“ Heine macht Schorch keine Vorwürfe. Er formuliert zurückhaltend, fair, will niemanden verletzen.
Es ist nicht wirklich entscheidend zu wissen, wer vor einem Jahr was gesagt und sich wie benommen hat. Dieter Hoeneß ist als impulsiver Typ bekannt. Manche nennen ihn „Gott“, in Anspielung auf seine Allmacht-Attitüde. Und der blutjunge Schorch war schwer verunsichert in jenen Tagen: Da war das Angebot von Real Madrid, das vermeintliche Desinteresse von Hertha, vielleicht auch Einflüsterer im Freundeskreis. Da war die totale Konfusion bei Hertha, eine katastrophale Stimmung, das vergiftete Klima. Plötzlich wurden die Jungs von der Straße, die Ghetto-Kids, wie man sie nannte, auf die man so stolz gewesen war, einer nach dem anderen verkauft: Kevin-Prince Boateng nach London zu den Tottenham Hotspurs, Jerome Boateng zum Hamburger SV und Ashkan Dejagah zum VfL Wolfsburg. Die Personalie Schorch war damals eher nachrangig, wenngleich sein Wechsel am meisten überraschte.
Letztlich empfiehlt sich die nüchterne Betrachtungsweise. Es ist ein knallhartes Geschäft, kein feines Geschäft, und jeder hat auf seine Weise Profit aus der Transaktion geschlagen. Hertha erhielt eine Million Euro. Christopher Schorch hat viel mehr von diesem Wechsel, was sich auf lange Sicht nicht nur an einem prächtig gefüllten Konto, sondern anderen Parametern ablesen lässt. Er lebt in einem neuen Land, er lernt in jeder Beziehung, sportlich, menschlich, sprachlich. Zwei Stunden täglich paukt er Spanisch. „Geld allein ist nicht alles“, sagt Schorch brav. Er hat seine Lektion gelernt. Und schiebt grinsend nach: „Aber es ist natürlich schön, wenn man abgesichert ist.“
Kürzlich hat er seinem Vater zum 44. Geburtstag ein Geschenk gemacht. „Mein Dad hatte immer ein Traumauto. Da kam dann halt diese Mercedes S-Klasse mit einer Schleife angefahren.“
Listenpreis: ab 70.864,50 Euro, ohne Extras.
Schorch hat in einem Jahr bei Real soviel gelernt, wie andere nicht in fünf Jahren. „Technik, Schnelligkeit, Tacklings, Spieleröffnung, einfach alles. Das Auge haben, immer auf der Linie stehen, und dann: schneller Pass in die Spitze. Scharf, flach, präzise muss er sein.“ Schließlich, die Viererkette: „Das wird geübt bis zur Perfektion. Nach jedem Training gibt es eine Videoauswertung. Sie sagen und zeigen dir am nächsten Morgen, was du falsch gemacht hast. Das ist unglaublich.“ Und abends sitzt er regelmäßig mit Christoph Metzelder zusammen oder mit Guti, seinem Idol, dem besten Spieler der diesjährigen Meistermannschaft.
Sportdirektor Mijatovic hat Schorch ein gutes Zeugnis ausgestellt. Eineinhalb Stunden dauerte die Unterredung zum Abschluss der Saison. „Sie wollen mich oben sehen“, sagt Schorch. „Ich soll helfen, Castilla in die zweite Liga zu bringen, und ich soll mich in der ersten Mannschaft von Real etablieren.“ Bernd Schuster habe ihm gesagt: „Junge, bleib so, wie Du bist, mach Dein Ding.“ Etwas anderes hat Schorch auch nicht vor. Zwar hat der Weltverein seinen Ehrgeiz angestachelt. Doch Schorch scheint gut geerdet. Er holt sich Kraft bei seiner Familie. Sechs Wochen, seinen gesamten Urlaub, verbrachte er in Dieskau, das EM-Finale hat er auf der Fanmeile in Halle verfolgt. Vergangene Woche ist er wieder nach Madrid geflogen.
Christopher Schorch lebt seinen Traum. Kann ein Neunzehnjähriger mehr vom Leben erwarten?
interessant. denn hier ging ja wirklich durch alle fußballzeitungen die meldung, daß schorch einen profivertrag erhalten solle. also nur eine ente? caceres (ich nehme an, er war gemeint) wird da wahrscheinlich bessere informationen haben.
Ich glaube ihm (fast) alles.
äh, „alle fußballzeitungen“? nach dem essen bin ich immer so träge. „durch viele medien mit sportinteresse“ wäre wohl zumindest etwas präziser. ich las es jedenfalls im ard-videotext, glaube ich.
Ging der Spruch mit den Nachrichtenagenturen nicht: Lieber mit ADN falsch als alleine richtig (Agentur natuerlich austauschbar)?
Danke, sehr interessant.
Pawel
PS. Ein Tippfehler: Mijatovic heißt Predrag, nicht Pedrag.
Danke. Schon erledigt.
Na dann hoffen wir mal für ihn, dass sich alles andere nicht geben wird, sondern ERgeben.
Ein sehr interessanter Text, liest sich in einem Guss
Schorch machte mir damals bei Hertha auch einen sehr professionellen Eindruck, obwohl man bei egal wie jungen Spielern natürlich nie weiß, wie und von wem sie gelenkt werden. Aber eigentlich ist es ja auch egal, was da bei Hertha vorgefallen ist: Ein junger Spieler, der ein Angebot von Real Madrid bekommt, muss eigentlich schon allein wegen der Entwicklungsmöglichkeiten gehen. Dass Real den Jungs noch dazu eine Menge Geld zahlt ist ein schöner Nebeneffekt für sie. Zumal dann der Druck weg ist, sich finanziell irgendwie über Wasser zu halten, der bei Hertha mit Sicherheit eher gedroht hätte…
@ nona: Kann ich mich da irgendwie rausreden?
@ Daniel: Der Eindruck, den ich nach dem Gespräch hatte, korrespondiert nicht mit all den Geschichten, die im Umlauf sind. Ich weiß es nicht, habe nur so ein Gefühl, eine Ahnung. Und versuche zu bedenken, dass er immer noch erst neunzehn ist.
@ nocheinjurist: Um den Spruch zu kennen, bin ich nun wieder zu jung. Aber der Herdentrieb ist, wie ich finde, ein enormes Problem, nicht nur für die Agenturen. Ich meine, in der Studie von Lutz Mükke, die ich kürzlich vorgestellt habe, steht dazu auch eine Menge. Für Journalisten würde ich sagen: Pflichtlektüre, also noch mal, auch wenn es ein ganz anderes (dafür aber viel wichtigeres) Thema ist, Lesebefehl:
Die Krise des Auslandsjournalismus
@Jens:
Ja. :)
(jeder macht mal Fehler; war ja nur zitiert; zuviel Ablenkung in letzter Zeit; nicht genug Kaffee; der Rasen war nass, die Linien zu weiss, der Ball nicht rund genug; …)
Gilt alles nicht. Der Ball muss immer rein.
Dieser Streit, von dem ich erst durchs Fernsehen erfuhr, ist sehr interessant. Bei dem Nachlesen hat mich allerdings sehr verblüfft, dass der „Große“ erst durch den Duden erfuhr, was ein „Kleiner“, dem ich besonders für die Zukunft Standvermögen wünsche, meinte…..
Mir ist jetzt u.a. auch klar, warum der Präsident vom FC Rot-Weiß Erfurt gute Karten für einen Stadion-Neubau hat. Er wohnt in Koblenz….,und ich hatte mich – allerdings fast vier Jahre – auch als „Kleiner“ gerichtlich mit ihm auseinanderzusetzen!
Andreas Bock auf SpOn: Wie ein Berliner Junge bei Real Madrid seinen Traum lebt
Nur: Warum heißt die Überschrift „Berliner Junge“? Der Text gibt das eigentlich nicht her.
Weil SPON wieder mal übergeigt?
Bei den 11 Freunden lautete die Überschrift noch Königsträume. So poetisch wie nichtssagend…
Der Untertitel „Zu Besuch bei Christopher Schorch“ ist etwas profaner.