Die Meldung geht seit zwei Tagen um die Welt (verursacht von AP), hat aber deutsche Medien, soweit ich sehe, noch nicht wirklich erreicht. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF will seine chronisch kriselnde Serie Golden League, die mal mit vier Meetings begonnen hat, ab kommenden Jahr auf 12 Stationen ausweiten. Neben Berlin (wer es noch nicht wissen sollte: Berlin ist im August 2009 WM-Gastgeber), Brüssel, Oslo, Paris, Rom und Zürich könnten Eugene, Doha, London, Stockholm, Lausanne und Peking hinzukommen. Die schwer angeschlagene Liga, die nie wirklich eine war, wäre mit einem Mal auf vier Kontinente ausgedehnt. Mal davon abgesehen, dass sich der Witzbolt über Mehreinnahmen freuen wird, bleibt doch die Frage: Wer soll das bezahlen? Und vielleicht wird Berlin, wenn man dem Meetingorganisator Gerhard Janetzky glauben darf, der seit Jahren vor dem Aus des Internationalen Stadionfestes (Istaf) warnt, gar nicht dabei sein in der Zwölferliga?
Wird schon mit Berlin, irgendwie. Schließlich tagt das IAAF-Council am dritten März-Wochenende in der WM-Stadt, wenn die Golden-League-Reform abgesegnet werden soll. Heimvorteil.
IAAF-Präsident Lamine Diack (Senegal) glaubt ja, seine Helden müssten nur mehr Weltrekorde produzieren, dann würde das klappen mit der Leichtathletik und dem Zuschauerinteresse und der Jugend und den Fernseheinnahmen. Ich finde, Diack und seine Politik, wenn man das so nennen kann, sind gefährlich und einfältig zugleich. Vielleicht besteht da auch ein Zusammenhang, ich weiß es nicht. Ich bin gerade jetzt auf ein noch relativ frisches Web-Projekt aufmerksam geworden, mit dem Diack seine Propaganda untermauert: Auf spikesmag.com, Untertitel: The New Heroes of Athletics, kann man sie laufen sehen, den Witzbolt und Flo Jo und all die anderen Weltrekordler, The New and The Old Heroes. Zum Launch von Spikes im Juli 2008 teilte die IAAF übrigens mit:
IAAF & UK Athletics Launch New Global Athletics Marketing Initiative
London, UK – The International Association of Athletics Federations (IAAF), in partnership with UK Athletics (UKA), today launched a major new drive to promote athletics globally with a cutting edge magazine and interactive global website – SPIKES. The UK, as host to the 2012 Olympic and Paralympic Games, is seen by the IAAF as the ideal partner and will become the first country to see SPIKES rolled out.
IAAF President Lamine Diack said: „The IAAF will use SPIKES as part of our ambitious strategy to make the sport of athletics as relevant as possible in the 21st century. Although starting in the UK with the support of our friends at UKA, our ambition for the future is to capture the imagination of those who follow the sport and to reach new groups of fans and participants in other countries as well.“
Speaking at the SPIKES launch at the O2 arena in London, Sebastian Coe, IAAF Vice-President, said „There’s a lot of good happening in our sport, both here in the UK and globally, but we need to be much more creative and dynamic about how we reach out and promote the sport. SPIKES will help us meet this challenge by fusing traditional and online media to celebrate our heroes, create new ones and inspire a new breed of track and field fans. Spikesmag.com will be the heart of the new marketing drive containing a wealth of footage – including World records and inspiring clips of athlete heroes in action and at rest. I certainly would have loved to have had this type of material available when I started out. It’s a great way for young people to connect with our sport and access it in a way that makes sense to them.“
In Sachen Marketing-Gewäsch erinnert mich Spikes etwas an die IOC-Kampagne „The best of us“, auf die ich gelegentlich schon hingewiesen habe:
Tja, ob Diack oder Rogge, es geht ihnen um dieselbe Zielgruppe: die Jugend. Und ich muss sagen, die Leichtathleten machen das mit spikesmag.com gar nicht so schlecht. Ob nun die Menüpunkte Blogs, Get Involved oder Interactive (the agony and ecstacy of athletics), es ist raffiniert konzipiert. Das interessanteste Internetprojekt eines olympischen Weltverbandes, das ich kenne. Und dennoch glaube ich nicht, dass sich die Zeit zurückdrehen lässt. Die Leichtathletik ist in ihrer jetzigen Form nicht zu retten.
Auf spikesmag.com wird ja sogar mal Doping erwähnt – beim 400m-Weltrekord von Marita Koch (http://www.spikesmag.com/records/running/400m.aspx#Womens):
Wieso Doping? Es wird doch gar nicht erwähnt, oder habe ich das Wort überlesen? Es geht doch nur um unkonventionelle Methoden. Das ist kein Doping. Doping ist konventionell.
Habe mir die Seite mal angesehen und auf der 4×100 WR-Seite findet man dann doch einen Hinweis.
http://www.spikesmag.com/records/running/4x100mrelay.aspx
Im Grunde ist der Ansatz gar nicht so falsch: Die Leichtathletik bräuchte eine weltcupartige Wettkampfserie, um ihren Ursprüngen besser gerecht zu werden. Ich denke, dass (Fernseh-)Publikum zurückgewonnen werden könnte, wenn man sich von den Rekordfestivals verabschiedete und Sportler und ihre Ergebnisse über eine Saison verfolgen könnte.
Warum funktionieren denn Radsport und Wintersport im Fernsehen trotz hohem Dopingverdacht so gut? Weil man Wettkämpfe sieht, bei denen Zeiten und Weiten nur einen relativen, wettkampfbezogenen Wert haben.
Für andere Quotenbringer wie Ballsportarten oder Motorsport gilt das auch.
Gegen der Erfolg der Serie spricht allerdings:
– der hohe Attraktivitätsunterschied zwischen einzelnen Disziplinen
– der Sommer als generell fernsehunfreundliche Jahreszeit
– die Höhepunktfixierung der Athleten in Verbindung mit zu häufig ausgetragenen Weltmeisterschaften
Es gehört sicher zu den grundsätzlichen voyeuristischen Freuden des Publikums, zuzuschauen, welcher Sportler elementarste Wettkämpfe am besten absolviert – insofern hat Leichtathletik, wenn sie klug präsentiert wird, eigentlich immer eine Chance.
Jens, es heißt dort „unconventional methods have since been revealed: state-sponsored doping, apparently done without athletes’ knowledge or consent.“. Die Wortkomposition legt nahe, daß das Unkonventionelle daran das Sportler-seitige fehlende Einverständnis mit dem und Wissen über das Doping gewesen ist und also konventionelles Doping das Dopen mit dem Einverständnis der Athleten ist.
Ich kann das aber auch falsch verstanden haben…
@ Jochen Keutel, CW: Oh Gott, ich muss schlecht geschlafen haben. Ich nehme alles zurück. Nach dreimaligem Überlesen sehe ich es – endlich. Ja, da steht das Unwort.
@ Arnesen: Die Analyse kann ich teilen. Wobei Diack das bestimmt anders sieht. Er kommt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da manch Meetingdirektor umzudenken beginnt, mit seinem Weltrekord-Unsinn.
Zwei Links flink nachgetragen, die hier hingehören:
Noch einmal der Beitrag von Thomas Hahn kürzlich in der SZ: Ein Schimmer von Traurigkeit.
Und (von Ralf natürlich längst entdeckt) der Beitrag von Michael Gernandt aus der heutigen SZ (gestern Nacht war der Text noch nicht online):
Yams und Chicken Nuggets
zu diesem internetprojekt: sehr, sehr interessante bilder. ich habe die gute miss campbell-brown hier:
http://www.spikesmag.com/features/veronicacampbellbrowntakesourpopquiz.aspx
noch nie so .. hmm … burschikos? … gesehen
Pingback: Programmhinweis (IV) : jens weinreich
Istaf-Geschäftsführer Janetzky im TV-Gespräch,
Teil 1 + Teil 2
Er berichtet von der Situation der IAAF und die Zukunft des Istaf. Außerdem Neuigkeiten vom Witz-Bolt, der in Berlin die 400m laufen wird. Wild, wie er die Anti-Doping-Politik der IAAF in Jamaica lobhudelt. Mich deucht, da will sich jemand gute Karten bei IAAF-Präsident Diack verschaffen.