ALPENSIA. Der Fall Pengilly wirft viele Fragen auf. Adam Pengilly, IOC-Mitglied in Großbritannien, musste Südkorea heute verlassen. Er soll am Donnerstagmorgen gegen 9.30 Uhr Ortszeit hier in Alpensia einen Sicherheitsmann beleidigt haben und handgreiflich geworden sein. Es existiert angeblich eine Videoaufzeichnung. Demnach sehe es so aus, als habe Pengilly zugelangt. Pâquerette Girard Zappelli, Chief Ethics and Compliance Officer, soll das auf den Bildern so interpretiert haben. Das Video hat Pengilly offenbar nicht gesehen.
Pengilly sagt, er könne sich nicht erinnern, was er dem Sicherheitsmann zugerufen habe, koreanische Medien behaupten „fuck Korea“. Pengilly sagt, er habe nicht attackiert. Er räumte gleichzeitig seine Fehler ein und entschuldigte sich in einem kurzen Schreiben.
I am sorry for rushing past you when you asked me to stop. I did not know that you fell over trying to chase me and I hope that you are fine. I am also sorry for swearing and I hope that you did not misunderstand what I was saying.
Die wichtigsten Quotes von gestern im englischen Original hier in der Meldung von Nick Butler, der mir gerade gegenüber sitzt im MPC, auf Insidethegames, dessen aktueller Artikel gerade erschien:
Halten wir fest, Pengilly hat einen Fehler gemacht und die Beherrschung verloren. Dafür hat er sich entschuldigt. Das beschämt ihn.
Auf Widersprüche in der IOC-Darstellung gehe ich gleich ein.
Halten wir ebenso fest:
- Adam Pengilly, 2010 in Vancouver gewählter Athletenvertreter, dessen Mandat mit Ende dieser Spiele ausläuft, war das einzige IOC-Mitglied, dass den Russland-Entscheidungen des Exekutivkomitees auf der Session 2016 in Barra da Tijuca die Gefolgschaft verweigerte.
- Adam Pengilly enthielt sich, wie Richard Pound, der Stimme, als Bach vergangene Woche auf der Session in PyeongChang erneut Unterstützung für die Entscheidungen des Exekutivkomitees zum russischen Staatsdoping abfragte.
- Pound wurde bereits attackiert auf der Session („Der Fall Pound: wer kritisiert, wird attackiert“) und wurde vom IOC-Kommunikationsdirektor Mark Adams als nicht ganz glaubwürdig dargestellt. Er wehrt sich aber und wird bis Ende 2022, wenn sein IOC-Mandat abläuft, immer wieder mahnend seine Stimme erheben.
- Pengilly wurde aus PyeongChang verjagt.
Das fällt auf.
Adam Pengilly was the pretty much the only IOC member who spoke out against its shameful handling of the Russian doping scandal before the Rio Games. Now he has apparently been sent home from S Korea in disgrace. Coincidence? https://t.co/ePFqF1fktd
— Owen Gibson (@owen_g) February 15, 2018
So schnell hat das IOC noch nie gehandelt, möchte ich ad hoc anmerken, ohne dazu auf die Schnelle eine wissenschaftliche Studie betrieben zu haben. Ich sage das einfach mal mit meiner Erfahrung der Berichterstattung von 26 IOC-Sessionen und zwölf Olympischen Spielen, wobei es dutzende Male um ziemlich schwere Korruptionsfälle ging.
Vor zwei Stunden gab das Präsidium des Bob- und Skeleton-Weltverbandes IBSF, wo der ehemalige Skeletonfahrer Pengilly als Vizepräsident amtiert, eine Erklärung ab. Die liest sich so, als würde Pengilly dort demnächst sein Amt verlieren. IBSF-Präsident Ivo Ferriani aus Italien zählt zur übermächtigen Bach-Fraktion im IOC und ist dem deutschen Präsidenten sehr dankbar, ins IOC aufgenommen worden zu sein.
Statement by the IBSF Executive Committee on the matter of its Vice President, Mr. Adam Pengilly
With regret we have taken notice of the incident caused by the IOC Member and the IBSF Vice President, Mr. Adam Pengilly at the Olympic Winter Games PyeongChang 2018.
The IBSF Executive Committee will follow-up within its own Code of Ethics and Code of Conduct in this matter.
The IBSF wants to state that the work of the volunteers and the security staff at the XXIII Olympic Winter Games in PyeongChang is essential and very much appreciated by all athletes, officials and staff.
The IBSF President took the opportunity this morning to officially apologize to the Organizing Committee.
In Dutzenden anderen Fällen, wenn es um schwerste Korruption, aktuell um Vorwürfe der Vergewaltigung (Alex Gilady), um gefälschte Doktorarbeiten, um die Bildung krimineller Vereinigungen u.v.a.m. geht und ging, hat das IOC im Grunde immer auf Zeit gespielt. Stets wurde die Unschuldsvermutung angeführt. Neuerdings wird oft behauptet, die Ethikkommission und/oder die Ethikbeauftragte (lange Zeit war das im Grunde dasselbe, das unterschied sich kaum) Girard Zappelli sei mit diversen Angelegenheiten befasst. Was genau geschieht, ob überhaupt etwas geschieht, bleibt unklar. Denn das IOC liefert dazu keine Belege.
Solange der Beitrag noch in der ZDF-Mediathek verfügbar ist, empfehle ich die Zoom-Reportage von Markus Harm und mir aus der vergangenen Woche, dauert nur knapp 29 Minuten, und es geht genau um diese Fragen: „Das System Olympia – Geld, Gier und Macht“.
Genauso unklar blieb und bleibt, wann warum wie gegen wen Verfahren eingeleitet werden; wann Ethiksprüche bekannt werden, veröffentlicht werden und wann eben nicht. Da gab und gibt es seit gut 20 Jahren keinerlei Transparenz – und keine Konsistenz im Vorgehen.
Der Vorfall mit Pengilly kursierte zunächst in südkoreanischen Medien:
IOC Athletes‘ Commission member Adam Pengilly (from GB) violently assaulted a Korean security guard
and insulted Korea using foul language „f*** y** Korea“ in PyeongChang.😡
We strongly urge IOC to dismiss Pengilly from the IOC Athletes‘ Commission!@Olympics pic.twitter.com/F1Y8Huoelw— 나달🌱#이다야언니 (@kihsCharlotte) February 15, 2018
Kurz darauf bot IOC-Kommunikationsdirektor Mark Adams einigen ausgewählten Journalisten die Geschichte an. Sogar öffentlich, auf Twitter:
give me a ring uk story for you
Der Umstand, dass Adams dies auf Twitter nicht in einer Direktnachricht an Sean Ingle vom Guardian tat (hier der Guardian-Bericht), wirft Fragen auf, ob Adams diese Social-Media-Tools begreift und beherrscht. Es zeigt auch, wie sehr das IOC daran interessiert war, die Geschichte selbst unters Volk zu bringen und manchen Journalisten einen Informationsvorsprung zu gewähren. Gewiss in der Hoffnung, diese Journalisten würden sich in kritischen Situationen revanchieren und mal ein Auge zudrücken. Anders ergibt das keinen Sinn.
Sean Ingle meldete sich offenbar nicht rechtzeitig, weil er beim Skeleton zu tun hatte, also informierte Adams Nick Butler von Insidethegames, der sich der Geschichte annahm, mit Pengilly sprach und ausführlich darüber berichtete.
Das IOC verschickte kurz darauf ein Statement, ungewöhnlich deutlich. Sehr ungewöhnlich.
The IOC wishes to apologise for the behaviour of one of its members, and feels extremely sorry for the incident caused by Mr Adam Pengilly.
Following an interview with the IOC Ethics and Compliance officer he will leave the Olympic Games and South Korea with immediate effect.
We would like to once again thank all the authorities and the police who are doing an excellent job and deserve all our thanks.
Mr Pengilly has expressed his apologies to the security man involved. His mandate as an IOC member will expire on the 25th February.
Dieses Statement ging aber nicht an den kompletten IOC-Presseverteiler, sondern wieder nur an einen ausgewählten Kreis.
Angeblich soll es an den Kreis der überschaubaren Anzahl von IOC-Dauerberichterstattern gegangen sein, also jene Journalisten, die Zugang zum Olympic Family Hotel erhalten. Ich habe die Email allerdings nicht bekommen (wundert mich nicht, denn in derlei Fällen bekomme ich kaum einmal Mitteilungen, das ist schon oft passiert), andere ebenfalls nicht.
Das hat Methode im IOC und seiner Kommunikationsabteilung.
Darüber wurde heute morgen auf der täglichen Pressekonferenz von IOC und POCOG ausführlich debattiert.
Tariq Panja von der New York Times fragte, warum das IOC in schweren Fällen ewig brauche, hier aber so irre schnell handelte.
Adams erklärte, die Unschuldsvermutung könne nicht mehr gelten, weil Pengilly seinen Fehler eingeräumt habe. Während der Spiele werde eben schnell gehandelt, vor allem wenn es um Volunteers gehe.
Adams behauptete mehrfach, der von Pengilly angeblich attackierte Sicherheitsmann sei ein Freiwilliger gewesen. Immer wieder sagte er: Volunteer. Tags zuvor war vom Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma die Rede. Dies bestätigte das POCOG nach der Pressekonferenz von Adams.
Komisch.
Es macht schon einen Unterschied, ob jemand die Nerven verliert gegenüber einem Volunteer oder einem schwarz gekleideten Sicherheitsmann. Auch agieren Volunteers ein wenig anders als Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste. Ich will damit nichts entschuldigen, nur die Details abklopfen.
(Am späten Nachmittag, nachdem die ersten Berichte über allerlei Unstimmigkeiten veröffentlicht waren, twitterte Adams plötzlich, es sei ein Student gewesen, der bei einer Sicherheitsfirma jobbe.)
Über andere Fälle könne man lange diskutieren, sagte Adams und erwähnte Scheich Ahmad, der in DOJ-Dokumenten als Schmiergeldzahler geführt wird. Der Scheich, wichtiger Mann für Bach und in die Nordkorea-Verhandlungen involviert, sei nicht angeklagt, man warte auf Antworten aus den USA. Ausführlich habe ich darüber u.a. in diesen Beiträgen berichtet, das Thema taucht auf in der oben verlinkten ZDF-Reportage auf und wird in meinem Magazin breiten Raum einnehmen.
Journalismus gibt es nicht umsonst. Und ich muss davon leben.
Nebenan im Shop finden Sie einige Optionen – ob Olympiapass oder Jahresabo -, wie Sie die Winterspiele gemeinsam mit mir verbringen und Journalismus finanzieren können, der vom IOC und anderen Sportorganisationen unter Druck gesetzt wird..
Dieses Magazinprojekt, in das ich Monate investiert habe, wird in PyeongChang durchgezogen:
Ich wünsche Ihnen und Euch viel Vergnügen in diesem Theater in den nächsten Wochen (und darüber hinaus) und hoffentlich viele erhellende Momente.
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Stephen Wade von AP wollte ebenfalls wissen, was die Fälle Hickey und Nuzman (da geht es um die Bildung krimineller Vereinigungen) von Pengilly unterscheide. Erneut sagte Adams, es gelte die Unschuldsvermutung.
Nick Butler wollte wissen, warum Adams die Pengilly-Geschichte auf Twitter dem Guardian angeboten hat.
Er informiere immer mal vorab, erklärte Adams und wurde spitz und schnippisch. Wenn ich Dich künftig nicht mehr anrufen soll, sag Bescheid. „No more phone calls. I am happy to do that.“
So ging das in einem fort.
Sogar der Reuters-Korrespondent merkte an, beim Fall Hickey ging es ebenfalls um Olympische Spiele, Hickey sei schließlich vor den Augen der Weltöffentlichkeit aus dem IOC-Hotel ins Gefängnis überstellt worden.
Aaron Bauer von Aroundtherings fragte nach Double Standards im IOC – für Mitglieder und in der Öffentlichkeitsarbeit.
Ich fragte, warum Adams Journalisten auswähle und Informationen selektiere.
I did not inform selected journalists.
Behauptete Adams. Oder sollte es besser heißen: Log Adams?
Natürlich hat er ausgewählte Reporter informiert.
I am happy do that in a transparent matter.
Typen wie er scheuen sich nicht, in einem Satz zu lügen und im nächsten Satz von Transparenz zu halluzinieren.
Warum habe man so schnell gehandelt, fragte erneut jemand.
It involved a volunteer.
Stimmt nicht, gemäß POCOG. Ist nach der neuerlichen Korrektur des IOC eine Interpretationsfrage.
Was soll man glauben, was darf man glauben?
Am besten nichts.
Ich nenne Adams oft einen Propagandisten.
Er nennt mich auf Twitter einen Fake-News-Produzenten.
Die IOC-Propagandisten scheuen vor nichts zurück.
Würde ich tatsächlich Fake News produzieren, würden sie mir Drohanwälte auf den Hals hetzen.
Ein IOC-naher Wicht, der lange für das IOC, für das NOK von Katar gearbeitet hat und jetzt für Patrick Baumanns GAISF tätig ist, schrieb daraufhin, ich sei ein „kranker Manipulator“ und „Verschwörungstheoretiker“.
Full support to @Marq and the real facts and figures com of @Olympics No more room for sick manipulators and conspiracy theorist! #CelebrateHumanity and #Hope. Give Kids a real chance and Athletes shining atmophere for them to perform at the highest! #SupportOlympism 😊
— Michel Filliau (@michelfilliau) February 15, 2018
All that jazz.
Vergangene Woche wurde mir grundlos mit dem Entzug der Akkreditierung gedroht, einen Tag nachdem ich ein anderes Beispiel der Nähe der olympischen Familie zum internationalen organisierten Verbrechen beschrieben hatte. Ein Text, der im IOC debattiert wurde, wie mir meine Quellen zutrugen.
Als „kranker Manipulator“ und „verrückter Propagandist“ wurde ich einen Tag nach meinem in Englisch erschienenen Friedensnobelpreis-Text bezeichnet. In Deutsch.
Der Wind weht recht scharf hier oben.
Als Adams vom Podium stürmte, rief er den Reportern noch zu: „I would like to speak to you formally not informally (anymore). Only official emails from now on.
Und wer wirklich mal wissen möchte, was passiert, wenn man dem IOC ernsthafte Fragen stellt, lese bitte meinen Text, den ich im vergangenen Jahr die IOCV-Propaganda des bald wieder zum DOSB wechselnden Christian Klaue seziert habe:
Dazu dies:
Und natürlich dies:
- live aus PyeongChang (8): Kommunikationsherrschaft und andere Feuchtträume
- live aus PyeongChang (7): das IOC droht, mir die Akkreditierung zu entziehen
Und noch ein grundsätzlicher Text zu IOC/DOSB/Bach und zu den Medien:
Wird fortgesetzt.
In a rare act of swift justice IOC expels one of its member from the Olympics … He had been its toughest critic on Russian doping via @NYTimes https://t.co/l4pm3traQh
— tariq panja (@tariqpanja) February 16, 2018
Nachtrag am 19. Februar: Interessante zwei Stimmen aus dem IOC, Hayley Wickenheiser und Richard Peterkin:
Agree Richard, Adam is a stand up guy and a terrific advocate for clean athletes and athletes around the world. The good he brought to the IOCAC far far outweighs this unfortunate situation. https://t.co/CY7RSHo7KA
— Hayley Wickenheiser (@wick_22) February 19, 2018
Really sorry that Adam Pengilly's term on the IOC ended the way it did. I am sure it was not the way he would have wanted, and was certainly not deliberate nor typical of him. Appreciate his contribution to the Olympic Movement over the years, and his concern for athletes
— Richard Peterkin (@rncpeterkin) February 18, 2018
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