Wer die Diskussion um die Olympischen Sommerspiele 2032 und einen Kandidaten Nordrhein-Westfalen verstehen will, muss umdenken und sollte die Chronik der Olympiavergaben seit 1991 studieren. Wir sind es gewöhnt, Olympiabewerbungen in jenen Kategorien und unter jenen Regeln zu betrachten, die das IOC Anfang der 1990er Jahre festgezurrt hatte. Viele dieser Grundsätze gelten aber nicht mehr.
Insofern ist NRW im Grunde schon ein Olympia-Kandidat, schlicht und einfach, weil sich dort ein Ministerpräsident (Armin Laschet/CDU), ein vorzüglich vernetzter Sportvermarkter (Michael Mronz/FDP) und 14 OberbürgermeisterInnen committed haben, wie es auf Neudeutsch heißt. Anfang des Jahres machten Laschet, Mronz und Veronika Rücker, die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), dem IOC-Präsidenten Thomas Bach (FDP) in Lausanne ihre Aufwartung. Seitdem ist #NRW2032 quasi im Rennen, obwohl es noch keinen Grundsatzbeschluss des DOSB gegeben hat, der gemäß IOC-Grundgesetz (Olympische Charta) allein über eine Bewerbung entscheidet. Obwohl es einen solchen Beschluss wohl frühestens 2021 geben wird.
Dann allerdings, danach sieht derzeit vieles aus, könnten die Sommerspiele 2032 schon vergeben sein.
Zu kompliziert?
Ich sage doch, was man bisher über Olympiabewerbungen kannte und zu wissen glaubte, kann man beinahe vergessen. Heute ist (fast) alles anders und das will ich in einem länglichen Beitrag ansatzweise erklären.
Wir alle müssen dabei umdenken und alte Kategorien streichen.
Wie sehr nicht nur Beobachter, sondern auch Sportpolitiker im alten Regelwerk verfangen sind, lässt sich hervorragend an den Reaktionen aus Berlin auf die PR-Offensive von #NRW2032 ablesen. Der Berliner LSB-Präsident Thomas Härtel (SPD), zuvor einige Jahre Sport-Staatssekretär und mit der Offerte für 2024 gescheitert, hat es noch nicht begriffen. Man darf ihm das allerdings nicht übel nehmen. Auch im IOC, glauben Sie mir, verstehen sehr viele Mitglieder noch nicht, was die jüngsten Beschlüsse zu Olympiabewerbungen bedeuten.
Im Grunde ist alles möglich.
Vor allem aber entscheidet der IOC-Präsident mit seinen engsten Vertrauten, mit wem er Gespräche über eine Olympiabewerbung aufnimmt.
Am Beispiel NRW vs Berlin heißt das:
NRW ist ein Kandidat, ohne vom DOSB gekürt worden zu sein.
Berlin ist nichts, ohne vom DOSB dazu gekürt worden zu sein.
Berlin kommt zu spät für 2032. Über 2036 und die Hundertjahrfeier der Nazi Olympics von 1936 sollten wir besser nicht reden. In dieses Fettnäpfchen sind die Berliner ja schon getrampelt.
Also, zunächst ein kleiner Exkurs (dazu finden sich im Blog hunderte Texte, meist Live-Berichte von den jeweiligen IOC-Sessionen und Olympischen Spielen):
Die neunziger Jahre – das neue System
Seit 1991 wurden Olympische Spiele in ungeraden Jahren vergeben, beginnend 1991 auf der IOC-Session in Birmingham mit den Winterspielen 1998 (an Nagano). Seit 1991 berichte ich auch intensiv über Olympiabewerbungen, über alle seither, inklusive der Vergabe der Spiele auf IOC-Vollversammlungen.
Bis 1992 (Albertville, Barcelona) fanden Winter- und Sommerspiele noch im selben Jahr statt – und waren zuletzt sechs Jahre im Voraus vergeben worden. Nun wurde der Rhythmus geändert, damit das Geschäft besser verteilt werden konnte: Winter- und Sommerspiele im zweijährigen Wechsel – jeweils dazwischen als exakt geplanter Höhepunkt die Vergabe der Spiele, sieben Jahre vor dem Event.
Ab 1993 hatte das IOC also jenen Vermarktungs-Rhythmus, den es wollte. Das gefiel auch den Sponsoren aus der Wirtschaft (inklusive den Fernsehsendern):
- 1993 Vergabe der übernächsten Sommerspiele an Sydney (2000)
- 1994 Winterspiele in Lillehammer
- 1995 Vergabe der übernächsten Winterspiele an Salt Lake City (2002)
- 1996 Sommerspiele in Atlanta
- 1997 Vergabe der übernächsten Sommerspiele an Athen (2004)
- 1998 Winterspiele in Nagano
- 1999 Vergabe der übernächsten Winterspiele an Turin (2006)
- 2000 Sommerspiele in Sydney
- 2001 Vergabe der übernächsten Sommerspiele an Peking (2008)
- 2002 Winterspiele in Salt Lake City
- 2003 Vergabe der übernächsten Winterspiele an Vancouver (2010)
- 2004 Sommerspiele in Athen
- 2005 Vergabe der übernächsten Sommerspiele an London (2012)
- 2006 Winterspiele in Turin
- 2007 Vergabe der übernächsten Winterspiele an Sotschi (2014)
- 2008 Sommerspiele in Peking
- 2009 Vergabe der übernächsten Sommerspiele an Rio de Janeiro (2016)
- 2010 Winterspiele in Vancouver
- 2011 Vergabe der übernächsten Winterspiele an PyeongChang (2018)
- 2012 Sommerspiele in London
- 2013 Vergabe der übernächsten Sommerspiele an Tokio (2020)
- 2014 Winterspiele in Sotschi
- 2015 Vergabe der übernächsten Winterspiele an Peking (2022)
- 2016 Sommerspiele in Rio de Janeiro
Das sollte optimale Aufmerksamkeit und Vermarktung der Spiele garantieren – nichts anderes ist Hauptaufgabe des IOC. Der Bieter-Wettstreit um die Spiele wurde zum weltumspannenden Städte-Wettbewerb in ungeraden Jahren hochgejazzt. So ging das 23 Jahre, wenn ich richtig gezählt habe.
Der Widerstand
Bis die Steuerzahler in aufgeklärten Nationen nicht mehr mitmachten. Die Kosten explodierten, Lügen und leere Versprechen der Bieter nahmen Überhand. Mediale Enthüllungen und die korrekten Beschreibungen über die kriminellen Usancen im olympischen Business hatten über lange Jahre das Feld bereitet und das Vertrauen in das IOC und seine olympische Familie gegen Null sinken lassen. Die Menschen wurden aufgeklärt und setzen immer öfter ein Stoppzeichen. Von 2013 bis 2018 wurden fünfzehn Olympiabewerbungen zurückgezogen (die Statistik gibt es hier), meist nach verlorenen Referenden, ein paar Mal kamen Politiker dem erwarteten Wählerwillen zuvor.
Ein Desaster.
Thomas Bach hat als IOC-Präsident also schon empfindliche Schlappen mit Olympiabewerbern einstecken müssen. Oslo (2022) war eine brutale Ohrfeige, er hatte sich im ersten Jahr seiner Amtszeit in Norwegen extrem engagiert. Das Nein für Hamburg 2024 zählte dazu.
Auch deshalb verabschiedete der öffentlich enorm unter Druck geratene Monopolist IOC im Dezember 2014 ein Reformpaket, Agenda 2020 genannt. Geholfen hat es zunächst nicht.
Für die Winterspiele 2022, die 2015 in Kuala Lumpur vergeben wurden, blieben nur die Spezialdemokratien China und Kasachstan übrig, wo keine aufgeklärten Bürger den Willen der Despoten zunichte machen können.
Die Spiele gingen unter dubiosen Umständen, über die künftig noch zu reden sein wird, nach Peking.
Danach gingen in der Schweiz, wo das IOC seit 1915 residiert, zwei Referenden für die Winterspiele 2026 verloren. Das tat weh. Auch hier hatte sich Bach sehr engagiert.
- 2017: Für die Sommerspiele 2024 blieben mit Paris und Los Angeles aus einem anfangs vielversprechenden Feld nur zwei Kandidaten übrig. Bach machte das, was er am besten kann: derlei Chancen zu nutzen. Er leitete eine historische Doppelvergabe ein, eine IOC-Sondersession segnete das Vorhaben natürlich ab – im September 2017 machte die reguläre IOC-Vollversammlung Paris zur Olympiastadt 2024 und Los Angeles zum Gastgeber 2028.
Die Not ließ nicht nach.
Anfang 2018 wurden die Olympiabewerbungen weiter geöffnet, nun sprach man von der sogenannten New Norm.
Thomas Bach hatte da schon jenes Planungsbüro verpflichtet, dass er gut von der Münchener Offerte für 2018 kannte, von der ersten deutschen Bewerbung, die er – wenn man vielen Eingeweihten glauben darf -, wirklich mit Herzblut unterstützt hat. Proprojekt, eine Tochterfirma von AS & P beriet das IOC also, die Liaison wurde lange nicht öffentlich gemacht.
- 2019: Für die Winterspiele 2026 schaffte man es mit allerlei Tricks, zwei Kandidaten über zahlreiche Hürden zu schleifen, Referenden zu vermeiden und an die Ziellinie zu bringen: Mailand gewann gegen Stockholm. Auch über die Hintergründe dieser Wahl wird noch zu debattieren sein, da bin ich recht optimistisch. Und über die explodierenden Kosten in Mailand und Partnerkommunen sowieso, dafür werden die italienischen Sportkameraden sorgen, keine Bange.
Diese Wahl im Juni 2019 in Lausanne könnte auf lange Zeit die letzte Olympiakür der alten Art gewesen sein.
Denn parallel dazu wurden die Regeln weiter angepasst.
Das IOC sucht sich geeignete Kandidaten nun selbst aus. Vorher wurde bereits von einer Einladungsphase gesprochen, diese Tendenz wurde verschärft.
Früher gab es noch den feinen Unterschied zwischen Bewerbungsstadt (erste Phase) und offizieller Kandidatenstadt (zweite und finale Phase). Mit den Olympischen Ringen durfte nur arbeiten, wer in einem Vorausscheid (mit allerdings reichlich schrägen Regeln und vor allem: fast immer ohne nachprüfbare Rangliste, damit politische Erwägungen dominieren konnten) zur Candidate City ernannt wurde.
Heutzutage spricht Bach mit Staatschefs, Demokraten und Diktatoren, und flugs wird ein Land (eine Stadt, eine Region) als Olympiakandidat bezeichnet. Jakarta beispielsweise, im Schlamm versinkender Moloch, Metropole des Riesenreiches Indonesien, wo schon Pläne für eine neue Hauptstadt gemacht werden, wird seit den Asienspielen 2018 als ‚Kandidat‘ für 2032 gehandelt.
Über Olympia im vereinten Korea, oder oben im Norden und im Süden, wurde seit 2018 debattiert – inklusive der IOC-Bemühungen um den Friedensnobelpreis. Bach hat viel in die Korea-Frage investiert.
Natürlich ermuntert Bach auch seine Landsleute.
Das ist sein Job, denn er muss dem Milliardenkonzern IOC die Umsätze und Olympiagastgeber sichern. 2021 wird Bach auf der IOC-Session in Athen für Weitere vier Jahre im Amt bestätigt. 2025 tritt er dann turnusgemäß ab.
Mehr als zwölf Jahre sind selbst für ihn nicht drin.
Bachs Job ist es aber nicht, Deutschland die Olympischen Spiele zu sichern.
Soweit die Vorbemerkungen, nun zum aktuellen PR-Gedöns um #NRW2032.
Auf Lobby-Tour in Berlin
It’s Showtime. Michael Mronz hat gerade einen veritablen Medien-Hype zur potenziellen Olympiabewerbung von Nordrhein-Westfalen für die Sommerspiele 2032 entfacht. Darauf sind sie im Projekt #NRW2032 mächtig stolz. Jemand erwähnte am Montagabend bei der sogenannten Dialogveranstaltung in der NRW-Landesvertretung in Berlin, dass sogar Sat.1 mit einem Kamerateam da gewesen sei. Das wunderte mich nicht, erinnerte ich mich doch an einen Text aus dem Jahr 2017, als ich u.a. die geschäftliche Verquickung einer Mronz-Firma mit der ProSiebenSat1 Group erwähnte. Mag sein, dass sich das inzwischen geändert hat – aber inzwischen ist Mronz auch Mitgesellschafter der Storymachine, u.a. neben Kai Diekmann.
Insofern wunderte es mich dieser Tage ebenso wenig, dass jenes Boulevardblatt, das Diekmann lange geführt hat, dauerhaft mit Jubel-Meldungen und Lobpreisungen zu #NRW2032 und Mronz aufwartet.
Am Montag machte der PR-Tross also in Berlin Station, begleitet von einer erstaunlichen Medienoffensive inklusive eines Schwerpunktes bei ARD/WDR. In der Landesvertretung waren Ministerpräsident Armin Laschet und fast alle OberbürgermeisterInnen der am Projekt #NRW2032 beteiligten Großstädte zugegen, es fehlte nur die Kölnerin Henriette Reker. Inhaltlich gab es auf dem Werbe-Termin zwar nichts Neues, ein belastbares Finanzkonzept soll laut Mronz in frühestens „sechs bis acht Monaten“ vorliegen, eine Diskussion über einen Bürgerentscheid vermied man – doch Lobbyarbeit im politischen Berlin kann nie schaden.
Denn das Geld für Infrastrukturprojekte muss aus Berlin kommen.
Über jene 90 Prozent der für Olympia benötigten Sportstätten, die in der Region bereits vorhanden seien, wurde viel geredet – aber auch über marode Brücken und Mega-Staus. Um Brücken und Autobahnen zu reparieren und auszubauen und andere nötige Infrastrukturmaßnahmen durchzuziehen, muss natürlich der Bund einspringen.
Mit oder ohne Olympiaprojekt. Das ist Teil dieses politischen Spiels.
„Wir haben Großes vor in NRW“, sagte Laschet, „da gibt es Konsens über Parteigrenzen hinweg.“
Es wurde viel über den guten alten Coubertin geredet. In zahlreichen Medien wird heute Laschet zitiert, der ein Fest des Friedens versprochen hat – oder so. Die übliche olympische Folklore. Allerdings hielten sich Mronz und Laschet verbal zurück mit den traditionellen olympischen Heilsversprechen, von denen vorherige deutsche Bewerbungen geprägt waren. Und davon habe ich zu viele erlebt – alle Bewerbungen seit 1991, es war oft nicht auszuhalten.
Themen und Töne haben sich (notgedrungen) geändert.
Mronz und Laschet argumentieren smart, der Zeit angemessen. Ob man derlei Mega-Projekte mag oder nicht, anzuerkennen ist, dass einige Eckpunkte von #NRW2032 in der deutschen Olympiabewerbungsgeschichte einzigartig sind. Ob nun tatsächlich bereits 90 Prozent aller Anlagen vorhanden und olympiatauglich sind, sei dahingestellt, einige Prozentpunkte weniger oder mehr machen nichts aus. Fakt ist, dass viele Stadien und Arenen stehen und vernünftig betrieben werden; überdies sind die Messehallenflächen für all die Indoor-Sportarten gewaltig und sogar Regattastrecken und andere Spezialanlagen (Reiten, Hockey) vorhanden. Dies alles macht das Projekt einzigartig – allerdings kann sich ja auch erstmals eine Region bewerben und auf derlei Ressourcen zurückgreifen.
Veränderte Rahmenbedingungen – theoretisch bessere Chancen
Als beispielsweise Berlin Anfang der 1990er Jahre ins internationale Rennen für die Spiele 2000 ging, zählte Dortmund zu jenen nationalen Interessenten, die knurrend zugunsten der Hauptstadt zurücktraten. Der Dortmunder Willi Daume, damals NOK-Präsident und IOC-Mitglied, machte es möglich. Die entsprechende Pressekonferenz 1990 in Berlin war, wenn ich mich nicht irre, meine erste Begegnung mit Daume, damals noch ein Großer, der bald darauf Platz machte im IOC für einen aufstrebenden ehemaligen Fechter: Thomas Bach.
Als dann im April 2003 Leipzig den innerdeutschen Wettbewerb gewann, hieß einer der Rivalen Düsseldorf-Rhein-Ruhr (Sportminister in NRW und Olympiabewerber: Michael Vesper (B90/Grüne), heute IOC-Berater von Bachs Gnaden).
Zu vergleichen sind die damaligen Projekte mit dem heutigen nicht – zu ungleich die Rahmenbedingungen. Unter größtem öffentlichen Druck hat das IOC nach und nach die Bewerber-Richtlinien lockern müssen. Regionen sind jetzt erlaubt, notfalls auch mehrere Länder (im Winter lieber als im Sommer), starre Vorgaben für die Zuschauerkapazitäten der benötigten Arenen wurden gekappt – um nur einige Punkte zu nennen. Ich habe im Laufe der Jahre die meisten Änderungen ausführlich hier im Blog dokumentiert und Dokumente bereit gestellt, beispielsweise in den Berichten von zahlreichen IOC-Sessionen.
Formal sind Armin Laschet und Michael Mronz, die Frontmänner von #NRW2032, allerdings Möchtegern-Bewerber. Denn nur eine Institution entscheidet national über die Bewerbung: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB).
So war es bisher. Wie eingangs skizziert schafft das IOC mit seinem neuen Regelwerk und den bilateralen Gesprächen mit Olympia-Interessenten aber im Grunde eine neue Faktenlage.
Was ebenfalls wichtig ist: So groß die Schwachpunkte des alten Systems (Applicant Phase, Candidate Phase etc) auch waren – die Öffentlichkeit konnte sich an den über rund anderthalb Jahre verteilten Abläufen orientieren und die Bewerber durchaus auf Herz und Nieren prüfen.
Das alles gibt es nicht mehr.
Termine werden kaum noch genannt. Es wird mehr denn je alles in die Meetingräume verlagert, vor allem in Bachs Büros in Lausanne und auf Reisen.
Kontrolle war nie so schwer.
Der DOSB wartet ab, Hörmann taucht ab
Die hauptamtliche DOSB-Führung, die Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker und Leistungssportchef Dirk Schimmelpfennig, hörten sich am Montag erneut an, was die NRW-Lobbyisten zu sagen hatten. Indes haben Rücker und Schimmelpfennig derzeit drängendere Probleme: Die seit Jahren stockende Leistungssportreform, die Olympiavorbereitung auf die Sommerspiele 2020 in Tokio unter extremen klimatischen Bedingungen – und schließlich geht es in diesen Tagen wieder ums Geld. In Berlin wird der Bundeshaushalt verhandelt, das DOSB-Duo hatte am Dienstagmorgen einen Termin im Bundesinnenministerium (BMI). Von einer Mehrforderung des DOSB in Höhe von 12 Millionen Euro war zu hören.
Im vergangenen Jahr hatte Sportminister Horst Seehofer (CSU) gemeinsam mit dem DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann (CSU) und dem parlamentarischen Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) quasi auf Landesgruppen-Ebene eine höchst umstrittene, gewaltige Etat-Aufstockung bei den reinen Sportfördermitteln in Höhe von 71 Millionen Euro durchgepeitscht. Das war alles andere als transparent, aber das hat Tradition hierzulande.
Derzeit, so verlautet aus dem BMI und aus dem Sportausschuss des Bundestages, sei Seehofer nicht gut auf Hörmann zu sprechen, weil dieser sich mehr auf seinen Wahlkampf als Landrat im Oberallgäu als auf die Probleme des DOSB konzentriere. Von Hörmann hat man sportpolitisch lange nichts gehört. Vergangene Woche war er nicht auf dem ANOC-Gipfeltreffen aller Nationalen Olympischen Komitees in Doha. Ich weiß ad hoc gar nicht, ob er je eine ANOC-Vollversammlung besucht hat. In der Regel erledigten das die jeweiligen Vorstandsvorsitzenden, einst Michael Vesper, der momentan als Rentner ein Zubrot als IOC-Berater verdient, jetzt Veronika Rücker.
Heute Abend nimmt Hörmann an einem vom Berliner Verband der Sportjournalisten organisierten Streitgespräch mit Hajo Seppelt teil. Man wird also spätestens morgen in allerlei Medien wieder von ihm hören. Es gab eine Zeit, da nannte Hörmann dieses Land konsequent Sportdeutschland. In dieser Zeit erlebte der DOSB einige olympische Desaster: In München und Hamburg beerdigten die Steuerzahler in Volksentscheiden die Olympiabewerbungen 2022 (Winter) und 2024 (Sommer).
Zuvor hatten München (für 2018) und Leipzig (für 2004) empfindliche Niederlagen einstecken müssen – ähnlich brutal wie die Abreibung für Berlin im September 1993 auf der IOC-Vollversammlung in Monte Carlo: Nur 9 IOC-Stimmen holte die deutsche Hauptstadt, als Sydney zum Olympiagastgeber 2000 gekürt wurde. Danach tagte ein Untersuchungsausschuss, und der Landesrechnungshof rügte eine „Unkultur im Umgang mit öffentlichen Mitteln“, die größtenteils skandalöse Verschwendung von Steuermitteln in Höhe von mehr als 25 Millionen Euro – zu großen Teilen ohne Ausschreibungen und ohne jedes Controlling verpulvert.
Ähnlich lief das später in Leipzig. Dazu habe ich gemeinsam mit Grit Hartmann u.a. sogar ein Buch geschrieben: „Operation 2012“.
Hier ein absolutes Kleinod, auch das finden Sie sonst nirgends: Der Bericht des Berliner Landesrechnungshofes zum Olympia-Abenteuer 2000.
Warum ist es gerade jetzt wichtig, an diese gescheiterten Bewerbungen, diesen typisch deutschen Weg zu erinnern?
- Zum einen, weil der organisierte Sport diese Skandale nie aufgearbeitet hat.
- Zum anderen, weil das BMI nach einer langen Zeit des leeren Versprechens endlich handelt und damit beginnt, ein nationales Konzept für Großveranstaltungen zu erstellen. Das ist Bestandteil des Koalitionsvertrages.
Andere führende demokratische Sportnationen haben ein solches Strategiepapier schon lange, das überragende Beispiel – zudem einzigartig transparent – ist das kanadische Papier, entstanden aus der bitteren Last der milliardenschweren Schulden, die die Sommerspiele 1976 in Montreal hinterlassen hatten. Ich habe dieses Konzept u.a. im Ende 2014 erschienenen IOC-Ebook „Macht, Moneten, Marionetten“ ausführlich behandelt – im Rahmen einer umfangreichen Datenanalyse (Olympic Power Index), für die ich gut 2.000 Großveranstaltungen der Jahre 1980 bis 2022 in den olympischen Sportarten ausgewertet und mit einem Punktesystem versehen habe.
Im Bundeshaushalt für 2019 war für dieses Konzept ein Etatposten von einer Million Euro eingestellt worden. Nachdem die Sportabteilung des BMI, gezeichnet von Personal-Fluktuation und Verlust an Fachkompetenz, eine Ausschreibung im Sommer 2019 versprochen hatte, ist jetzt alles etwas anders.
Das BMI beauftragte die Wirtschaftsberatunggestellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), zunächst ohne Ausschreibung, im Rahmen bestehender Mandate, mit der Erstellung eines Grobkonzepts für das eigentliche Konzept. Derlei Beratungsmandate stehen seit einiger Zeit in der Diskussion. Die ersten Mitglieder des Sportausschusses im Bundestag sowie führende Verbandsfunktionäre haben Einladungen für Interviews mit PwC erhalten. Auf Grundlage derartiger Interviews soll PwC, das im Olympiabewerbungsbusiness eher keine Top-Kompetenz aufweist, dem BMI bis Ende des Jahres ein Vorkonzept liefern. Am 5. November findet dazu im BMI ein von PwC organisierter Workshop statt.
Vorerst geht es offenbar um eine niedrige sechsstellige Summe. Im kommenden Jahr könnte dann erneut eine Million für die Erstellung des eigentlichen Konzepts in den Haushalt eingestellt werden. Dann soll es eine Ausschreibung für das nationale Konzept geben.
Im BMI gibt es seit wenigen Wochen ein Referat Sportgroßveranstaltungen, geleitet von Annegret Korff, die zuvor in der Presseabteilung des Ministeriums tätig war. Die Mini-Abteilung wird personell aufgestockt werden. Durch dieses Referat werden nun auch bereits akquirierte Großveranstaltungen wie die Nordische Ski-WM 2021 und die Fußball-EM 2024 betreut. Bevor dieses nationale Konzept nicht vorliegt, wird es keinen formalen Beschluss für eine erneute Olympiabewerbung geben. Womöglich ist dann längst alles entschieden.
Denn für 2032 kristallisierte sich längst ein Favorit heraus.
Nein, es sind nicht Nord- und Südkorea.
Es ist Australien mit Brisbane und dem Bundesstaat Queensland.
Dominierende Männerfreundschaft
An der Goldcoast südlich von Brisbane fand Anfang Mai der olympische Gipfel Sportaccord statt. Die Australier bekräftigten ihre Olympia-Absichten, Bach reiste nach Brisbane. Das war schon ein dominierendes Thema bei der diesjährigen Sportaccord. Die Aussies waren kürzlich zum Gegenbesuch in Lausanne …
… und der australische NOK-Präsident John Coates ist der wichtigste IOC-Mann an Bachs Seite. Ein Multifunktionär alter Schule, auch Präsident des angeblich unabhängigen Welt-Sportgerichtshofes CAS und derzeit Boss der IOC-Kommission für die Sommerspiele 2020. Coates zählt zu den wenigen, die als echte Freunde Bachs bezeichnet werden dürfen. Olympia 2032 in Queensland wäre eine Art Abschiedsgeschenk für Coates.
In olympischen Zirkeln gilt die Sache quasi als abgemacht. Vergangene Woche, am Rande der Vollversammlung aller Nationalen Olympiakomitees in Doha, war es auf den Kongressfluren wieder so zu hören: Die Sommerspiele 2032 finden wohl in Australien statt. Zwischenzeitlich hielt sich gar das Gerücht, das IOC könne schon 2020 darüber entscheiden – und nicht erst 2025, ginge es nach alten Regeln.
Allerdings ist Flexibilität eine der herausragenden Eigenschaften dieses IOC-Präsidenten. Insofern wundert es nicht, dass Scheich Saoud Bin Abdulrahman Al-Thani, einer der wichtigsten Sportfunktionäre Katars, Gesprächspartnern erzählt, Bach ermuntere Katar immer wieder, sich erneut für Sommerspiele zu bewerben. Zweimal war Katar bislang angetreten (für 2016 und 2020), zweimal mit Bachs Unterstützung – zweimal aber sortierte die IOC-Führung Doha in der Vorrunde aus.
Bach hält sich alle Optionen offen, sonst wäre er nicht Bach.
Und Scheich Saoud ist ein absoluter Insider: Er zog als NOK-Generalsekretär lange Jahre die Fäden, damals war der heutige Emir Tamim NOK-Präsident, und sicherte ein Großereignis nach dem anderen für Katar. Scheich Saoud war auch der entscheidende Mann bei der Vergabe der Leichtathletik-WM 2019 an Doha. Bis zum Spätsommer war er zweieinhalb Jahre Botschafter in Deutschland. Im April 2019 organisierte er eine kuriose, inhaltsleere sogenannte Sportkonferenz in Berlin, ein winziger Teil von Katars Propaganda-Offensive – mit dem Stargast Thomas Bach.
Nun arbeitet Scheich Saoud wieder direkt in Doha für Emir Tamim, der selbst dem IOC angehört. In Doha hat übrigens auch der aus IOC und ANOC „selbst-suspendierte“, mutmaßlich kriminelle IOC-Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah eine Art zweite Heimat gefunden. Natürlich hielt er im Sheraton-Kongresszentrum Hof. Seine vielen Mitarbeiter ließen die Vasallen aufmarschieren:
Well, this is Colonel Hamad Kalkaba Malboum (CMR), known for corruption @ACNOA_ANOCA, meeting co-conspirator #2, ‘self-suspended’ Sheikh Ahmad (IOC, ANOC, OCA), with a bag … after having signed a MoU with dubious @qatar_olympic … before postponing new ethics rules at ANOCA… pic.twitter.com/0Wllx13zgm
— SPORT & POLITICS (@JensWeinreich) October 18, 2019
Ahmad, Tamim, Saoud – im Grunde eine Truppe.
Vergangene Woche erhielt Scheich Saoud in Doha auf der ANOC-Generalversammlung einen der weltweit höchsten Olympiaorden – quasi auch aus den Händen von Bach. Der IOC-Präsident und ehemalige Präsident der dubiosen Ghorfa war seinen katarischen Freunden wieder sehr nah:
Katar war kurzfristig als Gastgeber der ersten World Beach Games und des ANOC-Meetings eingesprungen (für San Diego) und sicherte damit seine außerordentliche Vormachtstellung im olympischen Sport.
Mit derlei Rivalen kann sich #NRW2032 nicht messen.
Diese Machtspiele werden auf einer anderen Ebene entschieden.
* * *
- Ein kleiner Teil dieser Analyse wurde heute Nachmittag im SPIEGEL veröffentlicht: „Viel Tamtam, wenig Aussichten“
- Die Silbentrennung lässt mich verzweifeln – und Sie/Euch vielleicht auch. Sorry! Bin zu blöd, das zu fixen. Habe im vorigen Beitrag schon an cf appelliert, endlich wieder hier im Maschinenraum tätig zu werden. Er lässt uns bislang im Stich.
Warum werden sowohl bei Bach als auch bei Mronz ihre Parteizugehörigkeit genannt, obwohl beide nie ein politisches Amt bekleidet haben? Warum wird bei Härtel und Vesper ihre jeweilige Parteizugehörigkeit verschwiegen, obwohl diese durch ihre Parteien in hohe politische Ämter gehoben wurden?
@ Dieter: Korrekter Hinweis. Einerseits. Die Parteien von Härtel und Vesper habe ich nachgetragen.
Andererseits: Die Art, wie Sie es formulieren.
Sollten Sie sich hier nicht auskennen und neu sein: Bitte lesen Sie sich ein, gerade zur Bundes-Sportpolitik (Tags Sportauschuss etc). Da werden Sie sehen, dass sich Verschwörungstheorien hier nicht lohnen. Ich alleine entscheide (oder vergesse), wann ich wessen Parteizugehörigkeit nenne und warum ich das für sehr richtig und wichtig halte.
Bei Thomas Bach ist es aus vielerlei Gründen immer wichtig. Die FDP-Mitgliedschaft war bedeutsam für seine Karriere. Wenn ich mich recht erinnere, war er auch eine zeitlang im Bundesvorstand. Er hat sich über die Nähe zu FDP-Bundesministern (zu Beginn: Praktika, dann sogar gemeinsame Firma/en) auf seine Weise qualifiziert und wurde entsprechend hofiert und geschützt – auf der parteipolitischen Schiene.
Wie gesagt: Dazu können Sie hier sehr sehr viel nachlesen. Mehr als anderswo.
Sie haben recht, ich bin neu hier. Mein Kommentar sollte keinesfalls verschwörungstheoretischen Charakter haben, Entschuldigung falls es so herübergekommen ist. Es fiel mir beim Lesen einfach so auf, und in der heutigen Zeit ist man ja immer vorsichtig in Sachen Internet. Das Wort „verschwiegen“ war sicherlich unpassend.
Sie haben mich nun neugierig gemacht, mich in die sportpolitischen Berichte von Ihnen einzulesen und dort etwas zu lernen. Nochmals die Bitte um Entschuldigung, vielen Dank für Ihre Berichte hier und einen schönen Tag,
Gruß Dieter
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