VANCOUVER. Achtung, Phrasen: Es läuft noch nicht rund. Ich muss meinen Rhythmus finden. Insofern kommt mir die neuerliche inhaltliche Nullnummer des Willi ‚Wichtig‘ Lemke ganz gelegen. Darauf bin ich gestern schon kurz eingegangen. Zum Sachverhalt:
Andreas Schirmer von der Deutschen Presseagentur (dpa) sagt dem UN-Sonderbeauftragten für Sport in einem Interview:
Das IOC war immer mal wieder im Gespräch für den Friedensnobelpreis? Hätte es diese Auszeichnung verdient?
Lemke nimmt die Verbalvorlage auf:
Ich würde das nachdrücklich unterstützen. Der Sport trägt zur Entwicklung von Frieden bei, deshalb wäre ich für eine Nominierung des IOC. Es wäre auch ein positives Signal im Kampf gegen die Auswüchse des Sports.
Nun, ich möchte momentan gar nicht versuchen, auf diese „Argumente“ einzugehen, will Willi – auch wenn das folgenlos bleibt, denn er findet ja, dass die dämlichen Journalisten viel zu bösartig-kritisch mit dem IOC und China umgegangen sind (im Sportausschuss hat er vor einiger Zeit sogar die Süddeutsche erwähnt als böses Beispiel) – nur an Tibet und Peking und das Team Darfur erinnern. Das soll reichen.
Zum Thema Friedensnobelpreis habe ich jüngst etliche Zeilen gedichtet. Ganz liebevoll hier im Blog, live von der Gefängnisinsel Robben Island – und kurz darauf auch für SpiegelOnline („Nobelpreis out of Africa“), wo der Text gerade erschien. Joseph ‚Macchiavelli‘ Blatter selbst hat ja mit mir relativ munter über den Friedensnobelpreis geplaudert. Ich weiß von etlichen Eingeweihten, wie sehr er ihn sich wünscht, und seine PR-Jungs sind lange schon aktiv.
Demnächst starte ich mal eine kleine Recherche und liste die verschiedenen Nobelpreisinitiativen von und für Sportverbände auf. Ach, was sage ich, das machen wir gemeinsam – und stellen dann auch die schlagenden Argumente dagegen ein. Etwa IOC-Doyen, Junta-Fan und gelegentlicher Waffenhändler Joao Havelange, formerly known as FIFA-Präsident, vom nigerianischen Massenmörder Sani Abacha einst als Häuptling Ekwueme geadelt … usw. usf.
Generalmajor Francis Nyangweso, einst Verteidigungsminister und Buddy des Menschenschlächters Idi Amin, ist ja auch noch IOC-Mitglied. Auf Leute wie Nyangweso setzt die deutsche Sportpolitik und damit die Münchner Olympiabewerbung. In Afrika engagieren sich nicht nur Lemke, sondern auch das UDIOCM und der Bund ganz stark, um Stimmen zu generieren.
Aber dazu später, ich will keinen Rundumschlag starten, ich meine, es ist hier schon 4.43 Uhr und ich sollte verdammt nochmal endlich schlafen — für all jene, die nicht schlafen müssen, kopiere ich einfach mal ein Kapitelchen rein, das Thomas Kistner und ich 1996 für das Buch „Muskelspiele“ verfasst haben.
Unredigiert, unverlinkt, unaktualisiert. Einfach so, es kann dennoch nicht schaden.
Mit Dank an meinen guten alten Freund Frank Brandsås.
* * *
Samaranch jagt den Friedensnobelpreis
Wer jeden Tag was Gutes tut, wer die Menschheit mit Idealen der Fairneß, Gleichheit und Demokratie überhäuft und das Hohelied auf sich selbst sogar vor der UN-Vollversammlung anstimmen darf, sollte sich zum Ausgleich etwas Besonderes gönnen. Am besten was Angemessenes aus der höheren Preislage.
Sind es nicht humanitäre Vordenker wie Exzellenz Marquis de Samaranch oder Doktor Kim, die ihren Landsleuten jahrzehntelang das olympische Ideal der Toleranz vorlebten? Waren es nicht sozialökonomische Pioniere wie Nebiolo, Rana oder Havelange, die den Reichtum der Sportvölker mehrten, indem sie Fernsehreklame und Werbelogos erfanden? Stehen nicht die Spiele für ein wahrhaft völkerverschwägerndes Ereignis, bei dem ein jeder die Siege der anderen bejubelt, besonders, wenn die unter fremder Flagge starten? Steht nicht das IOC für eine Welt kerngesunder Athleten, an denen sich die von Drogen bedrohte, schlappe Restjugend was abschneiden kann? Reines Familienglück, eine Bewegung voller Vorbilder. Eine, die ihren Preis kennt: nobel muß er sein, von Friedenstauben umgurrt.
Der Countdown läuft seit Jahren, 1996 soll es endlich klappen. Wenn das IOC den Friedensnobelpreis nicht zum hundertsten Geburtstag der Spiele erhält, dürfte der Traum vorerst abgeschrieben werden. Getan hat man jedenfalls alles dafür. Zumindest hinter den Kulissen.
In Norwegen obliegt es der „Storting“ genannten Volksvertretung, ein eigenes Komitee zur Verleihung des Friedensnobelpreises zu berufen. Über sämtliche Nobelpreise für die Verdienste ums Menschengeschlecht befinden die Königlich-Schwedischen Akademien in Stockholm, einzig der Frieden wird in Oslo proklamiert. Mag ja Zufall gewesen sein, daß die Winterspiele im Jahr des 100. IOC-Geburtstages ausgerechnet im norwegischen Lillehammer stattfanden, obwohl nicht einmal die norwegischen Öko-Außenseiter selbst bei der Kür 1988 in Seoul damit gerechnet hatten, daß die Wahl auf sie fallen könnte. Mag ja kein cool kalkulierter Werbefeldzug gewesen sein, der Samaranch zu Spielebeginn kurz in die zerstörte Olympiastadt von 1984, Sarajewo, führte, um dort vor kopfschüttelnden Passanten und den Kameras der Welt um Frieden für die Dauer der Sportsause in Lillehammer zu bitten. Gewiß sind es beste Absichten im Dienste der Menschheit, die das IOC beständig antreiben, endlich Sitz und Stimme in den Vereinten Nationen zu ergattern. Und doch. Es gibt da eine Kleinigkeit, die nicht so recht ins Bild edler Selbstlosigkeit paßt.
1991 schloß das IOC in Birmingham ein Vertrag mit der weltweit operierenden Werbeagentur Grey Advertising und deren PR-Ableger GCI ab. Selbst der traditionelle IOC-Vermarkter ISL zeigte sich damals überrumpelt. Grey indes machte die neue Liaison stolz publik:
Grey/GCI wird auch für die internationale Vision des IOC und dessen Verpflichtung werben, über die Sportarena hinaus einen positiven Einfluß auszuüben… Zusätzlich wird Grey spezielle Kommunikationsprogramme durchführen für ausgewählte IOC-Projekte, die bestimmt sind, ein besseres internationales Verständnis und menschliche Harmonie zu fördern.
Von ferne klingt durchs Weltverbesserungsgeschwafel, was vornehmliche Aufgabe des marktbeherrschenden Werbetycoons mit 260 Büros in aller Welt ist: die Förderung der Nobelpreiskandidatur des IOC. Aber peinlich wurde der Vorgang erst, als er in dieser Deutlichkeit publik wurde. Zwei Jahre später posaunte IOC-Pressechefin Michele Verdier das freudige Ereignis voll argloser Indiskretion in die Welt: Bon, ganz richtig, der Vertrag sei mit diesem Ziel geschlossen worden. Danach kam es zu verwirrenden Dingen, die sich in summa so umschreiben lassen: Die Bewegung lief schamrot an. Das IOC streitet seither die Nobelpreisambitionen ab oder vermeidet konkrete Statements zum Thema.
Es war das Verdienst des norwegischen Journalisten Frank Brandsås vom „Arbeiderbladet“, für umfassende Aufklärung gesorgt zu haben. Brandsås hatte bereits erste Gerüchte über die Nobelpreisbemühungen aufgeschnappt, als im Juli 1992 ein Artikel im „Atlanta Journal & Constitution“ erschien. Darin packte der wegen olympischer Geschäftsverfilzungen ausgestiegene IOC-Vizepräsident Robert Helmick über die ehrenwerte Gesellschaft aus. Er meinte:
Als er (gemeint ist Samaranch/d.A.) die PR-Firma Grey Advertising anheuerte, sagte er, deren Erfolg wird sich daran messen, ob wir den Nobelpreis gewinnen oder nicht. Er will ihn für das IOC, aber das ist er selbst. In diesem Punkt betrachtet er sich selbst als das IOC.
Anfang 1993 suchte der Journalist aus Norwegen das IOC in Lausanne auf. Madame Verdier bestätigte ihm und seinem Kollegen Einar Odden das Zitat, ohne Helmicks Namen selbst zu erwähnen. Mehr noch, so bezeugen es die Journalisten: „Sie machte die Sache größer, indem sie sagte, daß die PR-Aktionen für den Nobelpreis die eigentliche Hauptaufgabe für Grey Advertising sei.“ Bevor Brandsås die Geschichte publizierte, versicherte er sich bei Helmick persönlich. Der Anwalt aus Iowa bestätigte die Aussage nicht nur, er wiederholte sie.
Mit Blick auf die Allmachtpolitik des IOC, das im Ernstfall sowohl Helmick als auch Verdier mundtot machen würde, fahndete Brandsås nach weiteren Informationsquellen. Er wurde fündig bei einer in Oslo ansässigen Firma namens Jensen Grey A/S. Firmenchef Ingar Andresen erwiderte seine Frage („Was haben Sie bisher unternommen, um Grey und das IOC bei der Kampagne für den Nobelpreis zu unterstützen?“) ausweichend: Man habe noch nicht begonnen, zudem sei diese Arbeit nicht offiziell. Am selben Abend druckte „Arbeiderbladet“ die Nobelpreisgeschichte über die gesamte Titelseite.
Brandsås erhielt eine Einladung, die Story im nationalen Fernsehsender NRK zu debattieren. NRK teilte dazu mit, daß Ingar Andresen alles bestritten habe. Brandsås rief Andresen an. Der stritt ab, was er zuvor angeblich NRK gesagt hatte. Brandsås hakte nach, erkundigte sich, wie er, Andresen, wohl reagieren würde, wenn er in einem der bekanntesten TV-Programme per Tonband der Lüge überführt werde? Der PR-Mann lud ihn daraufhin in sein Büro ein, um einige Papiere vorzulegen. Brandsås ging hin und erfuhr von Andresen, daß ihn Grey/IOC angewiesen hätten, nichts mehr zu dem Thema zu sagen.
Derweil hatte NRK ein Team nach Lausanne geschickt. Aus der Verabredung mit Madame Verdier wurde nichts, der Reporter hatte es statt dessen mit IOC-Generaldirektor Francois Carrard zu tun. Überhaupt ist von Madame Verdier seither nicht mehr viel zu sehen. Sie nennt sich zwar noch Informationsdirektorin des IOC, bei Pressekonferenzen aber führt zumeist Carrard das Wort. Frau Verdier teilt die Fragesteller ein, ansonsten sieht man sie vorwiegend mit Stößen kopierten Pressematerials im Arm durch die Arbeitssäle huschen.
Doch selbst des gewiegten Carrards Ausflüchte retteten damals nichts mehr. Inzwischen erinnerte sich auch der Sportdirektor des norwegischen NOK, Bjorge Stensbol, gegenüber „Arbeiderbladet“, daß Samaranch schon drei, vier Jahre zuvor eine von Stensbol begleitete norwegische Besucherdelegation in Lausanne gefragt habe, ob einer der Gäste vielleicht Mitglieder im Nobelpreiskomitee kenne. Wofür braucht man die Bekanntschaft von Nobelpreisjuroren? Einen zum Kegeln, zwei zum Skat? Mit einer Melange aus Heiterkeit und grimmiger Empörung wurde in Norwegen reagiert, auch Komiteemitglieder kommentierten böse die olympische PR-Offensive.
Besonders schmerzlich für das IOC dürfte eine Darstellung des Vorgangs durch die angesehene „Neuen Zürcher Zeitung“ gewesen sein, die quasi vor der eigenen Haustür erscheint und bis ins Hinterstübchen rumpelte. Das Blatt schrieb im Februar 1993:
Schon die Tatsache, daß sich zwei Komiteemitglieder öffentlich äußerten, kann als Ende aller IOK-Ambitionen gewertet werden. Die drei Männer und zwei Frauen des Komitees pflegen sich für gewöhnlich in absolutes Schweigen über alle vorgeschlagenen Kandidaten zu hüllen, so daß die Empörung über das dreiste IOK-Gebaren in Oslo sehr groß gewesen sein muß.
Aber auch ohne den jetzt entstandenen schalen Geschmack wäre wohl nichts aus dem Vorhaben geworden. Aud-Inger Aure, norwegisches Parlamentsmitglied der Christdemokraten, hält Samaranch selber für ein Hindernis. Seiner Meinung nach wäre es ein Hohn, den Friedenspreis an das IOK, eine ‚Organisation selbsternannter Bonzen‘ mit zum Teil schlimmer politischer Vergangenheit, zu vergeben.
In der Tat würde Samaranch mit der hauptsächlich von ihm betriebenen Kommerzialisierung der Spiele schwer etwa zur letzten Friedenspreis-Trägerin Rigoberta Menchu passen, einer Indianerin aus Guatemala, die gegen das dortige Militärregime gekämpft hat, das ihre Eltern und einen Bruder ermorden ließ.
Der Vorgang bereichert die Nobelpreisgeschichte um ein Novum, denn Marketingstrategien waren zur Kür von Persönlichkeiten wie Mutter Teresa oder Erzbischof Desmond Tutu bislang nicht erforderlich. Doch darf nicht verwundern, wenn das von Großindustriellen, Bankern und Advokaten dirigierte Weltsportimperium auch solche Ziele mehr nach den Gesetzen von Druckerpresse und Big Business verfolgt.
Friedensorganisationen und Menschenrechtskommissionen haben den Eindruck, daß Toleranz und Humanität vorwiegend unter merkantilem Aspekt Berücksichtigung finden im Tagwerk des superreichen IOC. Kaum eine von ihnen hat es geschafft, das IOC zu selbstloser Unterstützung ihrer Arbeit zu gewinnen. Gutes im stillen tun, zahlt sich nicht aus.
Für Insider wie Richard Dicker von der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ in New York, der die subtile Machtpolitik des IOC aus nächster Nähe studieren konnte, verkörpert die olympische Riege schlicht ein diktatorisches Gebilde, „zum Glück ohne direkten Zugriff auf ein Volk und auf die politische Macht“. Der weitgereiste Tibet-Experte Dicker hatte über Jahre verfolgt, wie das IOC die Kandidatur Pekings für die Sommerspiele 2000 begünstigte und wie die Nobelpreisjäger die massiven Proteste der von China unterdrückten Tibeter zu ignorieren versuchten.
Eine Ausgrenzung von Randgruppen paßt offenbar eher ins Bild, das für die Praktiken des IOC steht. Aus Sorge ums werbeträchtige Image gingen die Ringemakler in den vergangenen Jahren gar auf Distanz zu den Behindertenspielen, den Paralympics. Bei deren Fest gleich nach den Lillehammer-Spielen 1994 wurden zur Eröffnungsfeier erstmals zwei Fahnen gehißt: Eine mit fünf und eine mit drei Tränen. In Nagano, dem Austragungsort der Winterspiele 1998, wird es nur noch die Flagge mit drei Tränen sein – die mit den fünf Zähren ist dann für immer verschwunden. (…)
Zurück nach Oslo. Die Nobelpreisjury lacht über die guten Menschen vom IOC, und die Oberolympier fühlen sich wieder gründlich mißverstanden. Hatten nicht sie, die Hundertschaft der olympischen Gralshüter, Sinnstiftendes am Menschengeschlecht vollbracht? War es ihnen nicht gelungen, spätestens in Barcelona alle mal wieder zusammenzutrommeln? Haben sie Südafrika nicht zeitig wieder die Hand geboten? Hatten sie 1992 nicht die Athleten des kriegsführenden Serbiens mit einer IOC-Sondermaschine einfliegen lassen (gegen den Willen der UN, und während sich andere Teilnehmer aus dem von Serbien terrorisierten Rest-Jugoslawien irgendwie per Bus oder Autostopp nach Barcelona durchschlagen mußten)?
IOC-Generaldirektor Carrard hatte am Vorabend der Eröffnungsfeier in Barcelona vor der versammelten Presse mit einer denkwürdigen Adresse an die widerspenstige UN triumphiert: „Das IOC hat eine Schlacht gewonnen!“ Die Metaphorik deutet an, daß im olympischen Buhlen um den gewissen „human touch“ wenig heilig ist. Die Ziffern zählen. Teilnehmerkontingente, Fernseh-Milliarden, Sponsorzahlungen. Und Rekorde.
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Willi wills wissen.
Willi ist der Beste.
Hat er vor dieser Aussage vielleicht etwas
eingeworfen oder geraucht?Damit verherrlicht man ein
„totalitäres System“@ nocheinjurist: Sehr schön. Das gucken meine Kinder auch gern. Habe mir erlaubt, die Überschrift zu ändern.
Pingback: CK
Wills Willi wirklich wissen?
Gegenkandidat und Gegenargument:
China/Deutschland: Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo
AP: Syrian member: IOC should seek Nobel Peace Prize
UN-Sonderberater Willi Lemke im FAZ-Interview: „Man muss doch den Leuten Hoffnung geben“
Evi Simeoni in der FAZ: Israels Sport will Palästina helfen
sid: IOC und UN wollen Waffenruhe während Olympia 2012
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