Ralf hat hier (Gendoping – die Mutanten greifen an) bereits einige Links notiert. Die Universitäten Tübingen und Mainz teilen heute mit:
Gendoping mit einfachem Bluttest nachweisbar
Wissenschaftler aus Tübingen und Mainz haben einen Bluttest entwickelt, der Gendoping zuverlässig auch nach längerer Zeit nachweisen kann.
Wissenschaftler der Universitäten in Tübingen und Mainz haben einen Test entwickelt, mit dem sich Gendoping zweifelsfrei nachweisen lässt. „Damit steht uns erstmals ein Direktnachweisverfahren zur Verfügung, um Doping durch Gentransfer in normalen Blutproben noch lange nach dem eigentlichen Dopingvorgang festzustellen“, teilte Prof. Dr. Dr. Perikles Simon von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz am Donnerstag mit. „Damit lässt sich nicht nur Gendoping mit EPO, sondern auch Doping mit den wichtigsten anderen Genen relativ kostengünstig nachweisen“, sagte Simon bei der Vorstellung des Verfahrens. Sportler, die Gendoping anwenden, konnten bislang nicht ermittelt werden. „Das Verfahren, einzelne Gene in bestimmte Körperzellen einzubringen, kommt von der Idee, schwerwiegende Krankheiten durch diese neue Technologie zu heilen. Man ging bislang davon aus, dass sich Gendoping mittels Gentransfer in erster Linie wohl nur mit sehr aufwendigen indirekten Testverfahren aus der Molekularen Medizin eines Tages nachweisen lassen würde“, erklärte der Gentherapeut Prof. Dr. Michael Bitzer vom Universitätsklinikum Tübingen.
Das international renommierte Wissenschaftsjournal „Gene Therapy“ hat die Gendoping-Studie der Tübinger und Mainzer Wissenschaftler am Donnerstag online publiziert. Wie es darin heißt, liefert der Test eindeutige „Ja-oder-Nein-Antworten“, je nachdem ob sogenannte transgene DNA in Blutproben vorhanden ist oder nicht. Transgene DNA oder tDNA stammt nicht von dem Untersuchten selbst, sondern wurde – häufig über Viren – in dessen Körper eingeschleust, um an Ort und Stelle die leistungssteigernden Stoffe wie beispielsweise Erythropoetin (EPO) zur Bildung von roten Blutkörperchen herzustellen. „Vom Körper eines gengedopten Menschen selber werden dann die leistungssteigernden Hormone hergestellt, ohne dass irgendwelche Fremdsubstanzen dem Körper zugeführt werden müssten. Der Körper wird auf Dauer zu seinem eigenen Dopinglieferanten“, erklärt Simon. Er hatte 2006 als damaliger Mitarbeiter der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen ein Verfahren entwickelt, mit dem sich geringste Spuren transgener DNA im Blut nachweisen lassen.
Die Effektivität dieses Verfahrens konnte jetzt erstmals, zunächst im Mausmodell, belegt werden. Zur Anwendung kam insbesondere ein ausgeklügeltes Verfahren, das in der Lage ist, die von außen eingebrachte Erbsubstanz sehr spezifisch und um eine kleine Einstichstelle herum an die Muskulatur zu vermitteln. Dort wurde dann im Überschuss ein Hormon produziert, das die Blutgefäßneubildung anregt. Sogar noch 2 Monate nach der Genspritze in die Muskulatur konnten die Forscher anhand von sehr kleinen Blutproben sicher unterscheiden, bei welchen Tieren Gendoping stattgefunden hat und bei welchen nicht. „Durch die Entwicklung eines zuverlässigen Nachweisverfahrens für den Missbrauch von Gentransfer soll gewährleistet werden, dass diese neue Technologie mit bisher nur zum Teil bekannten Nebenwirkungen nur bei schwerwiegenden Erkrankungen eingesetzt wird“, betont Bitzer. Das Universitätsklinikum Tübingen plant in den nächsten Monaten z. B. eine entsprechende Therapiestudie bei fortgeschrittenen Tumorpatienten.
Die sichere und fehlerfreie Anwendung des Nachweisverfahrens der Mainzer und Tübinger Wissenschaftler wurde dann noch im Rahmen einer sogenannten Spezifitätsprüfung an 327 Blutproben von Leistungs- und Freizeitsportlern nachgewiesen. Die Forscher gehen jetzt davon aus, dass sich für Athleten der Missbrauch der Gentherapie zu Dopingzwecken nicht mehr lohnt. „Spätestens das Wissen um das Risiko, auch Monate nach einem durchgeführten Gentransfer bei einer Wettkampfkontrolle entdeckt zu werden, dürfte auch die waghalsigsten Doper abschrecken“, glaubt Simon. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat die Arbeiten an dem Gendoping-Test während der letzten 4 Jahre mit 980.000 US-Dollar gefördert.
Interview mit Perikles Simon auf DRadio Wissen vom 2. September 2010:
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Meine kleine Linksammlung zum Thema des Tages, Pflichtlektüre:
- Gene Therapy, 2. September 2010, Beiter et al.: Direct and long-term detection of gene doping in conventional blood samples
- Informationen zum Forschungsprojekt Direktnachweis für Gendoping (deutsch)
- Projektbeschreibung bei der WADA (englisch)
- WIPO: Detection of Transgenic DNA (TDNA), Simon 2007
- Interview mit Perikles Simon (geführt von Monika Mischke) und Gendoping-Schwerpunkt mit etlichen weiterführenden Links auf Cycling4fans.de
- Gene Therapy, 13. Mai 2010, Baoutina et al.: Gene doping detection: evaluation of approach for direct detection of gene transfer using erythropoietin as a model system
- Michael Reinsch in der FAZ: Gendoping – das Unnachweisbare nachweisen
- Übersicht zum Gendoping, DSHS, Institut für Biochemie
Anno Hecker in der FAZ: „Wir zeigen, was möglich ist“
Gute Nachrichten!
Aus der Welt: Durchbruch – Forscher stoppen Gendoper mit neuem Bluttest
Gute Nachrichte.
Aber: Was helfen die ausgeklügelsten und treffsichersten Nachweismethoden wenn Verbandsfunktionäre bei FINA, IAAF, UCI, etc., oder gar ganze Länder (Spanien, Russland, Jamaika, etc.) praktisch kein Interesse am Anti-Doping-Kampf haben?
Das ist eine gute Nachricht. Selbst wenn man im nächsten Gedanken die Unmöglichkeit eines weltweiten Kontrollsystems erscheint. Jedenfalls können die Kur-Pfuscher jetzt nicht mehr davon ausgehen, dass ihr Dienst am Athleten für immer unentdeckt bleibt. Weiter so!
DRadio Wissen: Muskeln unbekannten Ursprungs: Gendoping-Gespräch mit Perikles Simon
Vielleicht ein wenig viel verlangt, aber:
Fühlt sich einer der Anwesenden in der Lage, kurz einzuschätzen, ob die Aussage „Gendoping mit einfachem Bluttest nachweisbar“ aus unabhängiger Sicht zutrifft/ zuzutreffen scheint/ zutreffen kann?
Mir können die ja schließlich alles erzählen.
Völlig korrekte Frage, mein lieber sternburg. Sieh’s mir bitte nach, dass ich das nicht flink unabhängig überprüft habe. Kann eigentlich nur zur Verteidigung anführen, dass Simons Werk doch einen auf mich herausragenden Eindruck macht, wenn es darum geht Postulate an der Wirklichkeit zu messen.
dpa: Bach: Gendoping-Nachweis bei Olympia 2012 denkbar
berliner zeitung: Maik Rosner: Ein Schritt auf schwierigem Terrain.
Erfolgsmeldung im Kampf gegen Gendoping relativiert
tagesspiegel: „Die Suche ist komplex“. Experte Fritz Sörgel spricht mit dem Tagesspiegel über den Kampf gegen Gendoping.
@Jens: Kein Grund für Entschuldigungen: „Ein wenig viel verlangt“ war durchaus wörtlich gemeint. Sollte ich vielleicht meine Zynismus-Frequenz überdenken?
Und kannst Du – oder sonst wer – abschätzen, ob und wann eine unabhängige Überprüfung möglich ist?
Ist ja wirklich schaurig, der Perikles Simon sagt bis 2012 ist der Test valide und der Gendoping Experte vom Tagesspiegel sagt niemals;-)
@ Walter: Ich bin ganz bei Ihnen und glaube, die kleine Spitze verstanden zu haben, die ich gern durchgehen lasse, wenn Sie nicht gleich wieder mit dem Fall CP kommen :)
@ sternburg: „Unabhängige Überprüfung“, das ist ja das Problem. Ich erinnere an andere Tests (HGH u.a), deren Anwendung viele Jahre verzögert wurde. Ich weiß es nicht, wann das wird. Auf Bachs Aussage #8 setze ich nicht. Typische Bach-Aussage: Test ist „denkbar“. Habe zuviel derartige Zitate in fast zwanzig Jahren in diesem Metier gehört, gerade auch vom UDIOCM.
Ich glaube, um den Text in der BLZ aufzugreifen, auch nicht unbedingt, dass eine Erfolgsmeldung relativiert wurde. Simon traue ich über den Weg.
Eine Tendenz – ad hoc gesagt – ist auch so ein Text vom AP-Olympiareporter Steve Wilson. Was er schreibt hat in der olympischen Welt stets etwas Offiziöses:
Achtung, Content-Klau:
Ich habe die aktuelle Publikation noch nicht gelesen, aber die Tübinger Nachweismethode ist mir aus vorangegangenen Veröffentlichungen durchaus geläufig. Die allenthalben artikulierte Euphorie, die einen Durchbruch in der Dopingbekämpfung ausmachen möchte, muss man aber nicht unbedingt teilen.
Nicht Gendoping im eigentlichen Sinne, also der Transfer fremder Gene in ein Individuum, eine dem experimentellen Stadium nicht entwachsene und mit schwer einschätzbaren Risiken verbundene Technik, dürfte auf absehbare Zeit die primäre Herausforderung für die Dopinganalytik darstellen, sondern das z.B. in Köln so bezeichnete „Gendoping“ im weiteren Sinn, die zunehmend gezielte Beeinflussung der Regulation der Expression körpereigener Gene, welche eigentlich unter das Fachgebiet der klassischen Pharmakologie fällt. Zu den lange bekannten, aber immer noch nicht ausreichend nachweisbaren Dopingsubstanzen, wie Steroid- oder Peptidhormonen, kommt eine unbekannte, z. Zt. wohl deutlich zweistellige und wachsende Zahl in Dopinghinsicht vielversprechender Substanzen in fortgeschrittenen Stadien pharmakologischer Forschung und Entwicklung, z.B. aus der in finanzieller Hinsicht besonders interessanten Suche nach „Anti-aging“-Medikamenten. Der Nachweis körperfremder Pharmaka ist zwar keine besondere Herausforderung für ein gut ausgestattetes Analyselabor, aber man muss dazu erstmal wissen, wonach genau man sucht. Hase und Igel.
Eine wirkliche Notwendigkeit mit Gendoping zu experimentieren, besteht derzeit wohl kaum. Wenn es praktiziert wird, dann vermutlich am ehesten in staatlich organisierten Programmen, wo Verantwortungen delegiert werden können, wenn etwas schiefläuft. Insofern wäre im Sinne des Athletenschutzes eine prophylaktische Abschreckung durch ein bereits existierendes Nachweisverfahren ganz sicher wünschenswert. Die wichtige Frage wird also sein: kann das vorgestellte Verfahren eine wirkungsvolle Abschreckung leisten? Wenn es umgangen oder ausgehebelt werden kann, gewiss nicht.
Die Tübinger Methode geht davon aus, dass die transferierten Gene auf cDNA basieren und frei von Introns, nicht proteincodierenden, im Transkript herauszuschneidenden Abschnitten, vorliegen. In einer Zeit, in der das Genom kompletter Organismen de novo synthetisiert werden kann, ist man aber nicht zwingend darauf angewiesen, Gene mittels reverser Transkription zu synthetisieren, welche stets intronfreie Sequenzen liefert. Wer oder was neuzeitliche Doping-Frankensteins daran hindern sollte, Gene zu designen und in geeignete Vektoren zu verpacken, die an den bekannten Bindungstellen für die Tübinger Primer Introns enthalten, die – wie das Genom nichtmodifizierter Zellen – die Bindung eben dieser Primer verhindern und den Dopingnachweis ins Leere laufen lassen, kann ich nicht erkennen.
Wie es Simon in einem Interview selbst formuliert hat, handelt es sich bei dem Gendoping-Nachweis um ein Prestigeprojekt. Prestigeprojekte haben es öfter an sich, dass die Frage nach der Sinnhaftigkeit eher im Hintergrund steht.
@all: Danke.
sternburg,
mich würde gerade interessieren, warum du dich bei @all bedankst;-)
Pingback: Die miserable Erfolgsquote der Dopinganalytik – und die Erfolgsmeldung von BMI, NADA und BVA : jens weinreich
S. Tug, U. M. Lauer und P. Simon (2012): Gendoping: Nachweis prinzipiell möglich
Ja, ein Dilemma. Je mehr man darüber nachdenkt, desto stärker wird die Befürchtung, dass der Missbrauch nicht zu beherrschen sein wird. Wer Geld hat, kann am intelligentesten, am schönsten, am sportlichsten , etc. sein. Wer wenig oder keins hat, kann nur so sein wie er geschaffen wurde. Und da ist er von vorn herein nie mehr als zweiter Klasse.
Perikles Simon im DLF-Gespräch mit Astrid Rawohl: Gendoping gefährdet Gesellschaft – Mainzer Forscher warnt im Sinne biologischer Sicherheit
Schauriges Szenario, was Prof. Simon da skizziert.
Wenn es keine wirkungsvollen staatlichen Überwachungs- und Kontrollmassnahmen sowie knallharte Sanktionen geben wird, kann der Zuschauer nur noch den Live-Veranstaltungen fernbleiben, um sich nicht der Gefahr einer Infektion auszusetzen. Leere Hallen, Arenen und Stadien, das wäre dann die einzig vernünftige Antwort der Sport-Enthusiasten. Sport ohne Live-Zuschauer ! ?
Mal ernsthaft, Sport in der Gesellschaft bedarf einer Neubewertung. Je länger gewartet wird – der Bachsche Vorschlag nach Olympia 2012 betrifft ja nur den Leistungssport und wird sich damit sicher nicht beschäftigen – desto dramatischer die Konsequenzen. Wäre doch mal eine Tagesordnungspunkt für den Sportausschuss des Bundestages, unter Ausschluss der Öffentlichkeit versteht sich. ;-)
Christian Spiller für Zeit online: Gendoping: Epo war gestern, Doping wird ansteckend
Pingback: Die miserable Erfolgsquote der NADA : jens weinreich
Christoph Fischer im GEA: Sportmediziner Perikles Simon fordert seit Jahren ein völliges Umdenken im Kampf gegen Doping – »Neuer Kurs funktioniert nur mit neuen Leuten«
Perikles Simon im Interview mit der Berliner Zeitung: „Warum sind keine deutschen Athleten dabei?“
Wie immer: Guter Mann. Gute Aussagen.
Das ist zwar nicht entscheidend, freut mich aber besonders. Denn ich habe immer gesagt, dass ich zwischen Raabs Wok-WM und Rodel-Weltmeisterschaften keinen großen Unterschied sehe.
Perikles Simon im Interview mit der Berliner Morgenpost: Dopingforscher Simon sagt Skandale in Deutschland voraus
Pingback: Was vom Tage übrig bleibt (77): WADA-Report by Richard Pound “Lack of effectiveness of testing programs” : sport and politics
ZDF: das aktuelle sportstudio
Oh, das ZDF diskutiert mal wieder über Doping? Dann muss wohl doch Sommerloch sein.
dpa: Daten unter Verschluss? Streit um Doping-Daten