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Jens Weinreich

live von der 138. IOC-Session (Tag 1)

TOKYO. Ich bleibe in meiner Herberge an der Tokyo Bay in Urayasu, obwohl ich erstmals ins MPC könnte. Denn die IOC-Herrschaften tagen in Tokio im Okura Hotel. Dort darf kein Journalist rein, nicht einmal in die Nähe, verbotene Zone. Das heißt, vielleicht lassen sie einige rein, die ihnen genehm sind, who knows. Mit bedeutungsschwerer Stimme hat Jochen Färber als Zeremonienmeister die Session eingeleitet. Japans Premier Yoshihide Suga und TGIOCLOAT Thomas Bach (FDP) kamen selbstverständlich gemeinsam – und das gesamte IOC erhob sich.

So mag es der Thomas.

Leaders of the World in einem Leading Hotel of the World. (Screenshot IOC/Youtube)

Wer es noch nicht mitbekommen haben sollte:

  • TGIOCLOAT steht für The Greatest IOC Leader Of All Time.

Es kann nur einen geben.

Auf geht’s, viel Spaß heute in diesem Theater!

Und noch das: Es ist die 138. IOC-Session. Davon habe ich 31 vor Ort erlebt – und zehn weitere vom Schreibtisch aus betreut. 41 von 138. Ich bin ein Fossil.

Tokio, was vom Tage übrig bleibt (19. Juli 21) – weitere Einschränkungen für Pressevertreter

URAYASU. Einige Anmerkungen zur Nachtruhe. Doch zunächst: einen täglichen Olympia-Newsletter gibt es jetzt auch: Hier zu buchen.

Da ich noch mit anderen Themen beschäftigt bin, bin ich noch nicht im Nachrichtenflow. Aber dafür gibt es ja Twitter – und weltumspannende Agenturen. Bei Olympia ist es unmöglich, alles zu überblicken. Kein Genie schafft das. Jeder, der sich auf dem Raumschiff Olympia herumtreibt, muss aufpassen, dass er nicht nur mitgetrieben wird, sondern etwas mehr als nur das mitbekommt, was ihm im Mikrokosmos zwischen Hotel, Medienzentrum, Venue widerfährt. Mag sein, dass in der Corona-Blase von Tokio die Ablenkung viel geringer ist als sonst, wenn man sich halbwegs frei bewegen kann. Dafür geht viel Zeit mit anderen Dingen drauf.

Dass einige Arbeitswochen für die Vorbereitung verloren gingen, habe ich mehrfach skizziert. Bei gewöhnlichen Olympischen Spielen akkreditiert man sich mit einem Einzeiler beim DOSB, als Firma (ob großes Medienunternehmen oder Freelancer), irgendwann kommt die Bestätigung oder die Ablehnung, danach sind im Grunde nur noch zwei oder drei Termine wichtig: Unterkunft buchen, meist geht das nur über die Organisationskomitees, dann die namentliche Meldung der Akkreditierten – manchmal gibt es Nachfragen. Das war’s dann schon. Normalerweise kostet das vielleicht 1-2 Arbeitstage über einen Zeitraum von 1,5 Jahren gestreckt. Diesmal waren es viele Tage bis mehrere Wochen in der heißen Phase seit Ende Mai. Verlorene Zeit. Aber an diesem Punkt war ich bereits.

Es zeichnet sich ab, auch das hatte ich bereits angedeutet, dass so wenige Pressevertreter in Tokio sein werden, wie seit Jahrzehnten nicht. Das Gros derjenigen, die unter dem Label „Medien“ akkreditiert sind, gehört ja zum Fernsehen, inklusive der IOC-Firmen unter dem Dach OBS.

Die Quote, also die Obergrenze, für die E-Akkreditierungen (Press) liegt bei 6.000 für Tokio. Die Zahl der TV-Akkreditierungen (größtenteils Techniker, Produktion) beträgt ein Mehrfaches. Die Fotografen will ich nicht unterschlagen, kommen auch dazu. Bin gern bereit das zu korrigieren und mir an dieser Stelle wirklich nicht sicher, ich glaube aber, insgesamt lag die Zahl der „Medien“-Akkreditierungen schon mal bei mehr als 30.000. Ich hole diese Angaben nach.

Ich hatte vergangene Woche bereits geschrieben, dass über den DOSB 260 Presse-Akkreditierungen verteilt wurden – bis Ende Juni gab es fast ein Viertel Rückläufer, so viel wie nie. Inzwischen sollte sich die Zahl der Absagen weiter erhöht haben. Auch das wird aktualisiert.

Nun mal der internationale Aspekt, und hier wird es richtig spannend:

IOC und TOCOG rechneten noch mit 5.000 Pressevertretern in Tokio (von ursprünglich 6.000).

Am Montagmorgen waren lediglich 1.700-1.800 Pressevertreter eingereist.

Ich hatte es beschrieben: Die Abschreckungstaktik wirkt.

Wenn die Kraft nicht mehr zum Weinen reicht: über Zahnspangen, Ruinen, Drogen und Caipirinha in Eimern

URAYASU. So, Freunde der Nacht: Es folgt der nächste lange Riemen. Es ist Sonntag, die Corona Games stehen vor der Tür, was gibt es da Schöneres, als eine Lektüre, um anschließend einen der Olympia-Pässe zu buchen?

Heute jammere ich nicht über langsames Internet und den ersten verpassten Corona-Test, sondern bleibe gut gelaunt optimistisch: Ich serviere olympische Geschichte, relativ nah erlebt und erlitten. Viele Themen, die uns bis Mitte August in diesem Theater beschäftigen werden, töne ich an. Über allem stehen die immer wieder jungen Fragen, ein Leitmotiv dieser Webseite:

  • Was darf man glauben?
  • Dürfen wir überhaupt etwas glauben von der Bilderflut, die uns das IOC-Fernsehen serviert?

Es ist vor Olympischen Spielen Tradition, dass ich ein bisschen von jenen Spielen erzähle, die ich vor Ort erlebt habe. Mein Sohn sagt in derlei Momenten gern: „Papa erzählt vom Krieg.“ Doch was wissen Pubertierende schon. Ich habe das vor Peking gemacht, denke ich, vor London und vor Rio de Janeiro – und jetzt wieder. Das mache ich sehr gern. Ich habe mir deshalb aber nicht angeschaut, was ich vor fünf, vor neun und vor dreizehn Jahren dazu geschrieben habe. Mit den Jahren verblasst so manche Erinnerung, anderes erscheint einem plötzlich wichtiger. Gut so.

Man nennt das auch: Leben.

Ich habe mich nicht bei allen Olympischen Spielen nur um das IOC, Doping und wirtschaftliche und sportpolitische Hintergründe gekümmert. Lange Zeit habe ich bei Sommerspielen sehr umfangreich über Sport berichtet, mit all seinen Auswüchsen: Ich habe meistens durchweg die olympischen Kernsportarten betreut, jene beiden Sportarten, die schon 1896 im Programm standen und bis heute die meisten Olympia-Entscheidungen aufweisen: Schwimmen und Leichtathletik. Immer in dieser Reihenfolge: Eine Woche Schwimmen, dann überschneidet es sich ein paar Tage, dann Leichtathletik bis zur Schlussfeier.

Es war, trotz allem, ziemlich großartig, selbst wenn sich der eine oder die andere vielleicht an Rio de Janeiro erinnern, als ich den Weltrekord von Wayde van Niekerk über die Stadionrunde erlebte und sofort das MacBook zuklappte und das Weite suchte. Dazu gleich mehr. Ich glaube, damals hatte ich versprochen, nicht wieder in einem olympisches Leichtathletikstadion zu sitzen. In Tokio gehe ich dennoch wieder. Warum? Das will ich erklären.

Beginnen wir aber, damit das erledigt ist, mit der traditionellen Kammer des Schreckens:

Falls wieder ein witziger Schlaumeier fragen sollte: Nein, die Angaben zum Körpergewicht werde ich nicht nachtragen.

Und schon beginnt die olympische Weltreise:

Live aus Tokio: „Vakzine gegen virale IOC-Narrative“

URAYASU. Eingeweihte werden bei dieser Ortsmarke aufhorchen. Von wegen Tokyo, was erzählt der Typ? Urayasu, ist das nicht fast Chiba?

Korrekt. Aber das ist mir im Moment so was von egal.

Adrenalin ist alles nach 32 Stunden Reise.

Und für mich ist der Großraum Tokio mit seinen mehr als 37 Millionen Einwohnern, vielleicht gar schon 40 Millionen, who knows, ohnehin meist: Tokio. Obwohl ich die Unterschiede zwischen Yokohama, Kawasaki, Saitama, Tokyo, Shinjuku oder eben Chiba schon ein bisschen kenne, von vielen Besuchen gerade in den letzten Jahren. Das erste Mal war ich 1998 in Japan, bei den Winterspielen in Nagano. Damals sind wir mit dem Bus von Narita nach Nagano kutschiert wurden, wie eine Reisegruppe, mit Pinkel-Aufenthalten auf Raststätten. Weißt Du noch, Barbara? Sechs Stunden müssten das gewesen sein. Nagano liegt ein paar Hundert Kilometer entfernt in den Bergen.

Eben habe ich vom Touchdown von QR806 in Narita bis zum Einchecken im Hotel knapp acht Stunden gebraucht. So ist das mit den COVID-19-Countermeasures.

Vom Wert des Journalismus bei den Propagandaspielen in Tokio

Ich bin dann mal weg. Der nächste große Text, ähnlich lang wie dieser Riemen hier, kommt am Freitag aus Tokio. Und darauf freue ich mich sehr – auf den nächsten Text, weniger auf das Abenteuer in Nippon. Ich bin zwar gern in Tokio, doch diesmal ist alles anders, aber es muss dennoch sein, das versuche ich, Ihnen an dieser Stelle in 23.000 Zeichen und etwa 17 Minuten Lesezeit zu begründen. Hoffe, dass Sie so lange durchhalten.

Olympische Spiele in der Pandemie sind ein unkalkulierbares Risiko. Dennoch ziehen das Internationale Olympische Komitee (IOC), Japans Regierung und das Tokyo Organising Committee of the Olympic and Paralympic Games (TOCOG) das Projekt Corona Games durch – gegen den Willen der Mehrheit der japanischen Bevölkerung (dazu frische Zahlen). Doch in bestimmten Medien und von gewissen Journalisten wird der Supreme Leader des IOC, der den Personenkult pflegt, schon wieder in eine Art Heldenstatus versetzt. Er tut und macht nun wirklich alles für die Athleten, der Thomas Bach (FDP), der unermüdliche Diener am Weltfrieden. Am Freitag, zum Beispiel, macht er in Hiroshima alles für die Sportler, und ja, ein klitzekleines bisschen für den Friedensnobelpreis.

Und am Tag vor Hiroshima dies:

Kurzum: Sie tragen weiter dick auf. Sie kennen keine Grenzen. Sie sind schamlos. Sie briefen Reporter in ungezählten sogenannten Hintergrundgesprächen. Alles folgt einem großen Skript.

Licht am Ende des Tunnels. Sichere Spiele. Weltfrieden.

So Sachen.

Mir graut schon vor der Eröffnungsfeier. Es wird immer schlimmer. Das lässt sich eigentlich nur an der Seite von Holger Gertz ertragen, wie so oft bei Eröffnungsfeiern. Weiß gar nicht, ob er sich das antut. Würde mir aber gefallen.

Und dabei sind die Corona Games nur die Overtüre für die nächsten Propagandaspiele in einem halben Jahr in China, die Winterspiele 2022 bei Bachs Sportkameraden in Peking. Deren Büttel, als Reporter getarnte Geheimdienstler, dürfen seit Jahren sogar ungestraft in Lausanne im Palace Hotel des IOC Journalisten angreifen:

Lausanne 2015: Chinesischer Stasimann mit Medien-Akkreditierung schlägt Tibet-Protest nieder – und schlägt mir auf die Kamera.

Corona Games – globale Skepsis

Jörg Mebus hat auf Twitter auf eine interessante Untersuchung des Marktforschungsinstituts Ipsos aufmerksam gemacht, die gestern veröffentlicht wurde:

Attitudes to the Tokyo 2020 Summer Olympics.

Hier das komplette Papier:

Ipsos-Global-Advisor-Toyko-Summer-Olympics-report-1

Ich habe im Dokument bislang vergeblich nach einem Auftraggeber gesucht, vielleicht habe ich etwas übersehen. Wäre top, wenn es jemand in die Kommentare schreiben könnte.

Jedenfalls, wenig überraschend: Die Skepsis gegenüber den Corona Games ist weltweit groß – am größten im Gastgeberland Japan. Das ist nicht neu, bleibt aber absurd.

Andererseits: Unter 28 Nationen ist demnach das Olympia-Interesse in Indien, Südafrika und China am größten – das geringste Interesse besteht in Deutschland, Frankreich, Japan, Südkorea und Belgien. Zwei Länder mit IOC-Präsidenten dabei, Deutschland hat den aktuellen (Thomas Bach/FDP), Belgien den Vorgänger und jetzigen Ehrenpräsidenten (Jacques Rogge).

Baron Nepp in Hiroshima: „entsetzliches Ego“ auf der Jagd nach dem Friedensnobelpreis

Vorbemerkung des Hausherrn: Zu den Corona Games kooperiere ich mit dem Journalisten und Japanologen Andreas Singler. Stammgäste in diesem Theater werden Andreas als ausgewiesenen Fachmann in Dopingfragen (Aufarbeitung, Prävention) kennen. Ich sage nur: Freiburger Sportmedizin. Andreas Singler hat gerade in zweiter Auflage sein Buch „Tôkyô 2020. Olympia und die Argumente der Gegner“ herausgebracht, das auch hier im kleinen aber feinen Shop zu haben ist. Das E-Book „Tôkyô 2020″ ist zudem Teil des Tokio-Olympiapasses, mit dem Sie unabhängige und fachgerechte Berichterstattung während der Corona Games finanzieren können. Darüber hinaus gibt es das exklusive Tokio-Superpaket „Licht am Ende des Tunnels“ mit insgesamt sieben E-Books und vier E-Papern.

Aber dazu morgen zu meiner Abreise nach Tokio mehr, im ab dann täglich erscheinenden Olympia-Newsletter und in einem ausführlichen Blogbeitrag. Auf geht’s!

Wider die IOC-Propaganda

Ich habe vor ein paar Tagen einen Thread auf Twitter eröffnet, den ich bis nach den Corona Games pflegen will. Halte es für wichtig, auch auf diese Weise flink und unkompliziert auf die täglichen Jubelmeldungen des IOC und seiner Partner und auf Propaganda aller Art zu reagieren.

Muss mal schauen, wie ich das in diesem Theater noch etwas angenehmer einbinden kann. Es kommt ja täglich Neues hinzu. Vieles werde ich in den nächsten Tagen und Wochen natürlich nicht nur auf Twitter, sondern gründlicher in Texten und in den täglichen live-Blogs verarbeiten. Wie bei vorherigen Olympischen Spielen.

Sie werden hier gut informiert, keine Sorge.

Systemversagen des deutschen Verbandssports

Der deutsche Sport steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wer glaubt, die Wogen würden sich glätten, nur weil Alfons Hörmann (CSU) vor einigen Wochen unter Druck angekündigt hat, bei den anvisierten Neuwahlen im Dezember 2021 nicht wieder als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zu kandidieren, der irrt gewaltig und hat die Dimension des Problems nicht begriffen.

RIP, Gian Franco Kasper

Raucherpausen sind ungesund, aber wichtig. Wer sich viel auf Tagungen und Kongressen herumtreibt, weiß diese Momente zu schätzen, wenn die Süchtigen nach draußen eilen, um zu inhalieren. Zu wissen, wer raucht, kann durchaus hilfreich sein, wenn es darum geht, einen Kommentar zu erhaschen, um Gespräche zu bitten, Termine auszumachen oder diesen und jenen Sachverhalt bestätigen zu lassen. Raucherpausen sind eine Chance für Journalisten.

Im IOC-Umfeld checken Größen wie Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah, Prinz Faisal bin Al Hussein, Wladimir Lissin oder Nenad Lalović und etliche andere zunächst die Raucherecken, um wenig Zeit zu verlieren, wenn der Tagungsleiter ein Päuschen anberaumt. Dort wird so manches Thema bilateral besprochen. Als Beobachter sollte man sich daran orientieren. Gian Franco Kasper zählte zu diesem immer kleiner werdenden Trüppchen. Als er seine Karriere begann, wurde selbstverständlich noch während der Sitzungen geraucht, auch im Flugzeug, immer und überall. Fantastische Zeiten für einen wie ihn.

Die Zeiten haben sich entscheidend geändert. Doch eines blieb: Beim Rauchen konnte man Kasper näher kommen, sogar als Nichtraucher.

Gian Franco Kasper (1944 – 2021). Foto: Imago/Eibner

Classics: Warum die Fußball-EM paneuropäisch ausgetragen wird

Ich liebe den Blick ins Archiv. Man vergisst ja so schnell. In Vorbereitung auf ein Dossier Politik mit Ingo Lierheimer auf Bayern 2, das heute Abend ausgestrahlt wird und auch als Podcast zu hören ist, kam mir ein Text vom Dezember 2012 in die Hände, damals geschrieben für den SPIEGEL. Darin hatte ich skizziert, warum die EM 2020 (2021) paneuropäisch ausgetragen wird.

So wie ich unlängst alte aber immer noch hochinteressante Bücher als E-Books aufbereitet habe (Korruption im Sport, Der olympische Sumpf, Das Milliardenspiel, Muskelspiele), werde ich ab jetzt immer mal wieder alte Beiträge neu auflegen, wenn nötig ergänzen. Classics. Natürlich aus der Vor-Corona-Zeitrechnung.

Alors ici, en mémoire de Monsieur Michel Platini:


Die Idee, eine Fußball-Europameisterschaft in einem Dutzend europäischer Metropolen auszutragen, entspricht dem Naturell des Michel François Platini. Es ist die französische Lösung. Eine mit Charme. Eine wirklich europäische und vor allem: eine problemlos finanzierbare Lösung. Das Problem aber bleibt bestehen. Denn es ging Platini nur darum, das Gesicht zu wahren und seine aufgeblähte EM zu retten.

Michel Platini in besseren Zeiten: 2014 in Gibraltar mit Verbandschef Desmond Reoch (Foto: InfoGibraltar/CC BY 2.0).

Der 57jährige Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union (UEFA), war Spielmacher und Torjäger, einer der weltweit besten Akteure der achtziger Jahre. Er lebte von seiner Intuition. Wenn er mit hängenden Stutzen über den Platz schlurfte, die Abwehrspieler ihm bissig folgten und in die Fersen traten, verblüffte er mit genialen Momenten. Ein öffnender Pass aus dem Fußgelenk, ein raffinierter Schuss – schon lenkte er sein Schicksal in geordnete Bahnen.

Als Sportfunktionär handelt Platini ähnlich. 

Aufstand im deutschen Sport? Abschied von DOSB-Präsident Alfons Hörmann (CSU)

PyeongChang 2018

Na endlich. Es hat viel zu lange gedauert. Nun handeln offenbar einige Mitarbeiter*innen aus der DOSB-Zentrale in Frankfurt am Main und erklären in einem Offenen Brief, warum der DOSB einen neuen Präsidenten braucht. (Nachrangig: Ich benutze keine Sternchen, im Brief stehen Sternchen.)

Die Absender des Papiers bleiben anonym. Der Inhalt des Schreibens klingt sehr nach DOSB und offenbart Insiderwissen.

Der DOSB behauptet inzwischen, das Schreiben sei von einem „Fake-Mail-Account“ verschickt worden. Was immer man darunter verstehen mag. Diese Mitteilung des DOSB wurde bundesweit zitiert:

„Wir bestätigen den Eingang einer anonymen Mail, die von einem Fake-Mail-Account versandt wurde. Von den im Adressatenkreis angesprochenen Mitgliedern des Präsidiums und des Vorstands haben nur einige dieses anonyme Schreiben erhalten. Wir werden die Hintergründe prüfen.“

Korrekt wäre: gesendet von einem Account eines Anbieters, der sichere und vertrauliche Emails offeriert – es ist logisch, dass derlei Schreiben nicht von offiziellen DOSB-Postfächern verschickt werden. Den Anbieter Mailfence kenne ich nicht aus praktischer Erfahrung, sehe bislang nur, dass Mailfence ziemlich gute Bewertung in Sachen Sicherheit und Privatsphäre bekommt – und genau darauf kommt es in solchen Fällen besonders an.

Zur Debatte um den DOSB und Alfons Hörmann habe ich in den vergangenen Monaten einiges beigetragen – und recherchiert. Wer nachlesen möchte:

Manche Recherchen wurden von Drohungen der von Hörmann/DOSB beauftragten Anwaltskanzlei begleitet. Und siehe, einige Details, etwa der (angebliche) Umgang mit jungen weiblichen Mitarbeitern in der Zentrale, werden in dem Papier thematisiert.

Hier der (anonyme) Offene Brief, der heute Vormittag verschickt wurde:


Warum wir eine/n neue/n Präsident*in brauchen: Offener Brief aus der Mitarbeiterschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes

An das Präsidium des DOSB
An den Vorstand des DOSB
in Kopie: an den Betriebsrat des DOSB

Sehr geehrte Mitglieder des DOSB-Präsidiums, sehr geehrte Mitglieder des DOSB-Vorstands,

als Dachverband des deutschen Sports stehen wir für sportliche Höchstleistungen. Noch mehr stehen wir jedoch für Werte. Sport ist mehr als Gewinnen. Und so arbeiten wir Mitarbeiter*innen täglich hart daran, daß wir diesen Wertekompass in Sportdeutschland mit Leben füllen. Allen voran steht dabei: Respekt und Fairplay. Ohne dies geht es im Sport nicht.

Und genau dies, Respekt und Fairplay, vermissen wir jeden Tag in unseren Führungsgremien, vor allem bei unserem Präsidenten Alfons Hörmann. Bei uns Mitarbeiter*innen hat eine schier endlose Reihe von zweifelhaften Verhaltensweisen, geprägt von einem uns gegenüber herablassenden Auftreten, dazu geführt, daß wir unsere Stimme hörbar machen wollen.