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Jens Weinreich

Wie DOSB und BMI den Bundestags-Sportausschuss narren

Nachklapp zur Schein-Debatte im Bundestags-Sportausschuss, zum sportpolitischen Komplex und dem so genannten Antidopingbericht 2008. Zum Reinhören: Gerade hat Astrid Rawohl im Deutschlandfunk ein ausführliches Interview mit der DLV-Vizepräsidentin und Sportausschuss-Chefin im Bundestag geführt, mit Dagmar Freitag (SPD). Es ist in gewisser Weise ein Dokument der Hilflosigkeit, Frau Freitag muss mehrfach schwer schlucken. Wer aufmerksam zuhört, dürfte die These der Überschrift bestätigt finden:

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Ich finde ja, demnächst sollte man sich mehr um jene kümmern, die imho ein bisschen Demokratie aushebeln – wie auch Dagmar Freitag eindrücklich beschrieben hat: Allen voran der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Bergner (CDU/SV Halle), die BMI-Sportabteilung, die FDP-Bundestagssportler um Joachim Günther und die CDU/CSU-Clique um Klaus Riegert (Schwäbischer Turnerbund) und Eberhard Gienger (DOSB-Vizepräsident) und natürlich DOSB-General Michael Vesper von den Bündnisgrünen.

Einige Informationen mehr zur traurigen Posse um den Antidopingbericht 2008 von Grit Hartmann im DLF:

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Und hier jener Brief, den DOSB-General Vesper am 4. März an betroffene Verbände geschickt hat.

Dopingbericht 2008: die 19 säumigen Verbände

Kurzer Nachtrag zum gestrigen Beitrag „Der sportpolitische Komplex …“ und die Rückforderungen des BMI an 19 Sportverbände wegen Nichteinhaltung der Antidoping-Richtlinien.

Mehr als diese zwei Seiten stellt das BMI der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Die Sport-Obleute der Fraktionen erhielten unter Hinweis auf Vertraulichkeit und Geheimhaltung 25 Seiten. Um es noch einmal festzuhalten: Der Antidopingbericht 2007 ist nicht öffentlich. Der Antidopingbericht 2008 ist nicht öffentlich. Und der für 2009 wird es …

Die Auflistung der 19 Sünder, wobei man sagen muss, dass in der dritten Spalte von rechts eben nur die so genannte Sockelförderung genannt wird. Tatsächlich erhalten die meisten Verbände viel mehr Steuermittel, etwa für die Finanzierung ihres Leistungssportpersonals. Das prozentuale Volumen der Rückforderungen würde sich nach meiner Rechenweise also beträchtlich verkleinern. Ich bitte, die Qualität zu entschuldigen, habe keine Zeit, die Tabelle neu und feiner zu erstellen:

Die vom BMI festgelegten Gattungen der Verstöße:

Der sportpolitische Komplex oder: Dopingmängel bei den Goldverbänden BSD und DESG

Moin, moin. Bin noch auf der anderen Seite des Atlantiks – gerade von Seattle in Chicago gelandet, über München geht’s in die Heimat – und kann deshalb nicht die Sportausschuss-Sitzung heute in Berlin verfolgen (und kann in diesem Beitrag auch nicht gewohnt oft verlinken). Ich sage das so ausführlich, damit mir Klaus Riegert (CDU/Schwäbischer Turnerbund) nicht Falsches behauptet.

Schade eigentlich, dass ich nicht im Bundestag sein kann, denn ich glaube, es ist mal wieder an der Zeit, den Damen und Herren Volksvertretern auf die Finger zu schauen – und natürlich den Sport-Ministerialen des BMI.

Die Meldung des Tages gibt es allerdings hier schon vorab, sie lautet:

Zu jenen Sportfachverbänden, die gemäß dem Antidopingbericht 2008 einen Teil ihrer Fördermittel (Steuermittel) zurückzahlen müssen, zählen zwei der gerade in Vancouver erfolgreichen Verbände:

  • Der von Andreas Trautvetter (CDU) – ehemals thüringischer Landesminister und Hobbysänger, inzwischen mit einem gut dotierten Posten versorgt – geleitete Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD).
  • Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), geführt von Funktionären wie Gerd Heinze, die im Fall Pechstein die Unwahrheit gesagt und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt haben.

Vancouver, Closing Ceremony

VANCOUVER. Wer sagt’s denn. Noch 3:30 Minuten und ich bin schon auf meinem Platz. Ein tolles Blogging-Tool kann ich leider nicht mehr einrichten. Also auf die herkömmliche Art. Viel Spaß!

17.30 Uhr: Los geht’s! Habe ich eigentlich schon gesagt, dass ich dachte, die Abschlussfeier beginne erst um 20 Uhr? Ich sage nur: Recherche. Bin eher durch Zufall drauf aufmerksam gemacht worden, dass es sich lohnen würde, mal loszugehen. Danke, Kollegin R!

Wunderbarer Start! Sie machen sich lustig über die Panne bei der Eröffnung. Das nenne ich: Genial! Catriona Le May Doan darf die Flamme nachträglich entzünden. Und so sieht doch das schon besser aus – mit der vierten Pylone:

Und das ist noch von vorhin. Es war ganz großes Kino. Für sternburg:

Jacques heute mit Canada-Schal.

Wer hätte das wohl so gemacht wie die Kanadier? Ich meine, wer hätte sich selbst auf die Schippe genommen für die Hydraulikpanne vor zwei Wochen? Die Chinesen etwa?

Darf ich es nochmal sagen: Diese Zeremonien in einem Hallenstadion haben etwas. Obwohl, bei diesem Wetter hätte man das problemlos auch im Freien veranstalten können. In Lillehammer stand ich mal bei gefühlten Minus 30 Grad an der Skischanze bei so einer Feier. Es war trotzdem nett.

Die Sportler: Offenbar sind kaum noch deutsche Soldaten/Polizisten/Zöllner vor Ort. Anni Friesinger sah ich und André Lange. Im Übrigen habe ich vorhin im kanadischen Fernsehen so eine Highlight-Sendung gesehen. Fast nur Slomos, hübsch auf Musik geschnitten. Der übliche Trick. Wirkt immer wieder. Ich sehe Vancouver jetzt mit ganz anderen Augen.

Kommando zurück: Jetzt kommen doch noch etliche Deutsche. Die Sportlerteams sind ganz bunt gemischt. Kein Kompanie-Zwang. Das gefällt mir. Und denen offenbar auch sehr.

17.55 Uhr: Was mir ebenso gefällt: Wenn sie sich gegenseitig fotografieren. Hoffentlich denken sie aber an die IOC-Blogging Guidelines. Aber ich glaube, der Mann mit dem Canada-Schal wird sich heute nicht so haben. Im Grunde seines Herzens versteht der Spaß. Habe ich eigentlich mal erzählt, dass Rogge 1972 aus dem belgischen Olympiateam geschmissen werden sollte, weil er sich mächtig über Sportfunktionäre aufgeregt und diesen alten, verknöcherten Trotteln die Meinung gegeigt hat. Raoul Mollet, damals Belgiens NOK-Präsident, hat ihn rausgehauen und ihn für die Athletenkommission verpflichtet. Zunächst auf Probe. Ist dann  doch etwas Längeres draus geworden.

18.11 Uhr: @ Chuck: Journalisten finden an ihren Plätzen einen fetten Hefter vor mit allen Details zur Feier. Ist immer so, auch bei der Eröffnung. Fernsehleute bekommen das wohl meist etwas früher, glaube ich. Damit die Moderatoren nicht ganz so unvorbereitet sind.

Ich finde, die drei Langläufer haben gerade eine sehr schöne Siegerehrung. Das werden sie ihren Enkeln erzählen. Hatte gar nicht mitbekommen, dass es noch eine Medaille für Deutschland gab. Nummer 30. Damit zweitbestes Olympia-Abschneiden. Ein bisschen wird es die DOSB-Helden ärgern. Denn sie tun ja immer so, als habe im Mai 2006 eine neue Ära begonnen. Sie wollten mehr Medaillen als 2002 in Salt Lake City (36).

Die neuen Athletenvertreter im IOC vorzustellen, ist auch eine schöne Sache. Gibt es seit 2000 in Sydney.

Ich vermisse meinen Dauerpartner, den Kollegen G.

Stichwort Sportsoldaten:

Jetzt gehts nach Sotschi.

Diese Hymne habe ich schon als Kind gern gehört :) Natürlich wie alles hier: Fantastisch vorgetragen.

Russland, unser geheiligter Staat.
Russland, unser geliebtes Land.
Tatkräftiger Wille und großer Ruhm
Sei dir eigen für alle Zeit.

Refrain

Ruhmreiches Vaterland, unser freies!
Brüderliche Völker, vereint seit Jahrhunderten,
Von den Vorfahren überlieferte Weisheit des Volkes
Ruhmreiches Land, wir sind stolz auf dich!
Von den südlichen Meeren bis zum Polarkreis
Erstrecken sich unsere Wälder und Felder.
Einzig bist du in der Welt, so einzig,
Dass von Gott die Heimaterde beschützt wird.

Refrain

Ein weiter Raum für Träume und Leben
Eröffnet sich uns in den künftigen Jahren.
Uns gibt Kraft unsere Treue zu unserem Vaterland –
So war es, so ist es, und so wird es immer sein.

Refrain

Kleiner Vorgeschmack auf die Spiele am Badestrand. Natürlich dürfen die Kosmonauten nicht fehlen. Waleri Gergijew kommandiert seine Künstler, die in Moskau sitzen, von hier aus. Auch ganz nett. Wenn sie es bei der Musik belassen würden, die Russen, wäre das großartig. Aber so bunt. So durcheinander. Die lieben das eben.

Oh, Alexander Ovechkin hat sich von den letzten Nächten wieder erholt. Er ist hart im Nehmen. In den, nun ja, Tanzlokalen, wurde er stets mit mehreren Blondinen gesichtet. Ich hab’s einmal erlebt. Nähere Angaben kann der Kollege B. machen, der mehrfach Zeuge wurde.

18.40 Uhr: Gaaaanz wichtig: John Furlong spricht nicht nur Englisch, sondern auch Französisch. Das hatte er zu Beginn noch vermieden und wurde dafür scharf kritisiert.

The time is come to say goodbye!

Um mit Furlong zu sprechen: Ja, die Welt kennt Kanada jetzt, eeh!

Oh je, kann mir jemand helfen? Ich bin so leicht zu beeindrucken. Joseph Blatter würde jetzt seine Unterarme freimachen und seine Gänsehaut zeigen: Can you see my emotions?

Es sind die Kleinigkeiten. Er sagt auch nicht einfach, ich danke den Volunteers, nein, er sagt: Blue Jackets. Geradezu liebevoll. Er sagt Blue Jackets 1 – Cypress Mountains Weather 0!

Auch das ist groß: Man stelle sich vor, ein deutscher Organisationschef würde sich beim Kanzler/in und Bundespräsidenten nur so bedanken: Our leaders, sitting over there … Und zeigt mit dem linken Arm rüber zur VIP-Loge.

To the people of Georgia: We are so sad and so sorry for your loss.

Standing ovations.

Rogge. Jetzt ohne Schal. Aber mit roter Krawatte. Hat Anne gut ausgesucht. Kumaritaschwili habe ich auch mit bescheidenen Französischkenntnissen verstanden.

Mir fällt gerade ein: In Sotschi hält ein neuer IOC-Präsident die Rede. Kleine Umfrage:

[poll id=“11″]

19.04 Uhr: Diesmal hat die Hydraulik nicht versagt: Pylonen und Feuerschale sind weisungsgemäß im Boden versunken.

Sehr witzig, so weit ich es verstanden habe: William Shatner, Catherine O’Hara und Michael J. Fox.

Nun kanadische Folklore. Bin großzügig, ist ja die Show von Gastgebern.

Die komplette Rede von John Furlong:

Closing Ceremony speech by VANOC CEO John FURLONG (CAN)

Excellencies, Chiefs, President ROGGE (BEL), Members of the International Olympic Committee, Prime Minister, Heads of State, Premiers, Mayors, Ladies and Gentlemen, Athletes of the World

Good evening.

The 2010 Olympic Winter Games have taught us that we are not 6 billion people. We are all members of the same family. Over these remarkable 17 days we have together demonstrated the remarkable powers of sport to the human world. We have seen first hand that there is indeed a beautiful force that can unite, inspire and liberate – a force that can replace despair with hope and ignite the human spirit. This force is sport in the arena of the Olympic Games. And because we had sport here – we too had peace. And because these Games took place in the spirit of peace, they took place in the spirit of friendship.

But the time has come to say goodbye, to say thank you. And to perhaps compare for a moment the Canada that was with the Canada that now is.

I believe we Canadians tonight are stronger, more united, more in love with our country and more connected with each other than ever before. These Olympic Games have lifted us up. If the Canada that came together on Opening night was a little mysterious to some it no longer is.

Now you know us….eh?

If we were once the few we are surely now the many. That quiet, humble national pride we were sometimes reluctant to acknowledge seemed to take to the streets as the most beautiful kind of patriotism broke out all across our country; so many new and dazzling applications for the Maple Leaf – so many reasons to smile and be joyful.

Canadians you joined each other and our colourful international visitors in common celebration – radiant, jubilant, spontaneous, peaceful. For us you were the wind beneath our wings. You did not just cheer – rather you lived every glorious moment as if you yourselves were competing for gold. You were the bench strength we had hoped for – the difference makers at these Games.

Alexandre [BILODEAU, CAN – Moguls] – your first Gold Medal gave us all permission to feel like and behave like champions. Our last one will be remembered for generations.

To the Men and Women in the Blue Jackets, you are the undisputed heroes of these Games. The class of 2010. A perfect team – you have behaved with great dignity, poured your hearts and souls into every task. You smiled – you cheered and you filled the hearts of our visitors with friendship and goodwill. For many of you who toiled behind the scenes no thanks will ever be enough. You took on a stubborn mountain with all your might. The final result – Blue Jackets 1 Cypress Mountain Weather zero. You were tested again and again and reminded us all every day that there is no force that can sustain itself against the full thrust of a determined human heart. May your contribution here be worn as a badge of honour for the rest of your lives. For you have – through your service – defined for all to see what it is to be a proud, generous Canadian.

Vancouver, der letzte Tag

VANCOUVER. Das Ende naht. In 20 Stunden ist alles vorbei. Für mich gibt es aber noch ein volles Programm. IOC-Session am Morgen (ab 18 Uhr MEZ), dann das Eishockeyfinale und am Abend die Abschlussfeier. Das wird stimmungsvoll. Sollte jemand Interesse an einem bescheidenen Live-Blogging von der Abschlussfeier haben – bitte melden und in die Kommentarliste eintragen. Bei mehr als 30 Interessenten wird gebloggt, einen Arbeitsplatz mit Internet habe ich bekommen.

Und weil ich gerade so in Stimmung gerate, eröffne ich die Notizen vom letzten Tag dieser Olympischen Winterspiele mit einem Freundschaftsfoto. Andere finden sich bereits in der Kammer des Schreckens. Ich komme gerade von einem Empfang des Koreanischen Olympischen Komitees (KOC), wo ich Gelegenheit hatte, eine Weile mit Präsident Park Yong Sung zu plaudern.

Herr Park war auch mal IOC-Mitglied und Präsident des Judo-Weltverbandes. Nun ist er als NOK-Chef eine treibende Kraft der Olympiabewerbung von Pyeongchang 2018. Weil der Fotograf des Herrn Park ohnehin schwer beschäftigt war, hat er für mich auch gleich noch ein Foto fürs Poesiealbum gemacht.

Vancouver, Tag 15: Sechskommanull für Anni Friesinger

VANCOUVER. Ich weiß nicht, ob es kuriosere Szenen gab bei diesen Winterspielen. Aber was Anni Friesinger-Postma da gerade aufs Eis des Olympic Oval gezaubert hat, war schon sehenswert. Ich würde sagen: Sechskommanull, ist noch mal alles gut gegangen, und in anderthalb Stunden gibt es vielleicht sogar eine Goldmedaille.

Im Halbfinale des Teamwettbewerbs gegen die USA rutschte Friesinger gerade so ins Ziel (Screenshot ARD):

In der Totalen sah das so aus.

War wirklich sehr hübsch anzuschauen, der Moment, als sie begriff, dass sie trotzdem im Finale steht. Und ich ärgere mich, dass ich von der Bilanz-Pressekonferenz im Deutschen Haus nicht eher aufgebrochen bin, um nach Richmond zurückzufahren zum Eisschnelllaufen.

Eine verrückte Zuspitzung nach all dem.

Ganz großes Kino natürlich auch im Langlauf der Frauen: Die Dreifachsiegerin Marit Björgen gegen Justyna Kowalczyk, die Björgen gerade Doping vorgeworfen hatte, oder sollten wir sagen: Medikamentenmissbrauch?

„Ohne ihre Medikamente hätte sie nicht gewonnen. Marit weiß genau, dass sie ohne ihre Hilfsmittel nicht viel zu bieten hätte.“

Oh, ich glaube, das war nicht nur Sport. Was für ein Duell. Gold für Kowalczyk. Bin auf den Verbal-Wettbewerb gespannt.

13.24 Uhr: Kleine Indiskretion: Ich sitze noch im Deutschen Haus. Vor mir ein Flatscreen. Gerade kommt eine Horde jener Bundespolizisten vorbei, die hier als gefühlte Hundertschaft für Ordnung und Sicherheit sorgen. Auf dem Bildschirm: der Friesinger-Sturz. Einer der Bundespolizisten im breitesten Sächsisch: „Sie hat’s versaut!“

Ich glaube, das war Volkes Stimme.

14.16 Uhr: Kurz vor dem Team-ESL-Finale. Hier schon mal erste deutsche Bilanzen. Unkommentiert. Nur O-Töne:

Es spricht Bernhard Schwank, ehemals NOK-Generalsekretär, heute einer der Geschäftsführer der Münchner Olympia GmbH und Chef de Mission des deutschen Olympiateams in Vancouver:

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Es spricht das UDIOCM (FDP):

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Es spricht Michael Vesper (Grüne), DOSB-Generaldirektor und Vorsitzender des Aufsichtsrats (!) der Münchner Olympia GmbH:

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Vancouver, Tag 14: Willy Bogner, Münchens Olympiachancen und die IOC-Präsidentschaft

VANCOUVER. Das Gesicht der Bewerbung ist müde. Willy Bogner sitzt in der Lounge II des Deutschen Hauses in Vancouver und braucht jetzt einen Kaffee. Er ist schon wieder zwölf Stunden auf den Beinen, und der Abend hat nicht einmal begonnen. Er muss noch zwei Interviews geben und in Kürze gibt es ein Essen zur Erinnerung an die Sommerspiele 1972 in München.

Walther Tröger kommt gleich, der Bürgermeister des Olympischen Dorfes von 1972, der in Vancouver mit seinen 81 Jahren – und trotz tagelanger heftiger Zahnschmerzen – tapfer fürs Vaterland schuftet. Tröger, seit Januar IOC-Ehrenmitglied, damit nicht mehr stimmberechtigt und also relativ unabhängig, blüht wieder auf. Denn München ist seine olympische Liebe. Er umgarnt die älteren IOC-Mitglieder, von denen es viele gibt, und er führt seinen Kumpel Willy Bogner (68) in diesen bizarren Zirkel ein.

So eine Olympiabewerbung ist eine anstrengende Sache. Jeden Morgen um 7.30 Uhr lässt Thomas Bach, IOC-Vizepräsident und Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), seine Pappenheimer aufmarschieren. Dann werden im Deutschen Haus die großen Themen und winzige Details besprochen. Die Deutschen sind gründlich.

Vancouver, Tag 13

VANCOUVER. Gleich spielt Kanada gegen Russland. Es hätte das Endspiel sein sollen. Kann mir das leider nicht live anschauen, weil ich ausgerechnet während des Matches einen Termin mit Willy Bogner habe.

Lesebefehl für zwischendurch:

  • Thomas Hahn auf sueddeutsche.de: „Trügerische Sauberkeit“. Über Rasmus Damsgaard, Blutprofile, zerstörte B-Proben, Dopingkontrollen in Vancouver, das IOC und die Glaubwürdigkeit von Statistiken.

Es gibt zwei neue IOC-Mitglieder und damit ausnahmsweise mal eine gute sportpolitische Nachricht für die Amerikaner. Das komplette Ergebnis der Athletenwahlen habe ich noch nicht. Das IOC sagt:

Adam Pengilly from Great Britain (bobsleigh) and Angela Marie Ruggiero from the USA (ice hockey) have been elected to the Athletes’ Commission of the International Olympic Committee (IOC) by their peers at the Vancouver 2010 Olympic Games for a term of eight years. During this period, they will also serve as IOC members, bringing the athletes‘ voice right to the heart of the Olympic Movement. The announcement was made today at Vancouver’s Olympic Village by Anita L. DeFrantz, Chairwoman of the Election Committee and IOC member. The election was held over the past 19 days in the Olympic Villages in Vancouver and in Whistler.

Online-Gebühren: Über den Wert von Qualitätsjournalismus

VANCOUVER. Kurz und schmerzlos: Ab heute erhebe ich Gebühren. Ich nenne das einfach mal so. Ich sage: Hier gibt es Journalismus, den es so kaum woanders gibt. Ich frage: Ist das etwas wert? Was ist es wert? Was ist es Ihnen wert? Was ist es Euch wert? Was ist es Dir wert?

Obwohl mich einige Leser mehrfach aufforderten, habe ich diese Entscheidung immer wieder hinausgezögert. Ich wollte immer erst etwas bieten, immer mehr bieten, auch jetzt aus Vancouver, um dann anzubieten, für das Gebotene einen Obolus entrichten zu können. Mehr nicht.

Ich will das allerdings nicht tun, ohne einige Notizen und bestenfalls sogar Gedanken nachzuschieben.

Viel wird über die Zukunft des Journalismus geschrieben. Viel Gutes. Viel Kluges. Viel Hilfloses. Viel unsagbar Dummes. Ich halte allerdings wenig davon, derlei Betrachtungen allgemein anzustellen. Journalismus ist immer konkret, finde ich. Und deshalb will ich nicht neunmalklug über eine Branche schwadronieren, in der es angeblich keine einflussreichen Blogs gibt (um mal nur ein kürzlich vorgebrachtes Argument zu nennen), will mir nicht anmaßen, Journalisten zu erzählen, was sie meiner Meinung nach zu tun hätten, das müssen sie schon selber wissen, will mich nicht als Berater aufdrängen, auch wenn ich glaube, einiges über die Verbindung von Recherchejournalismus und neuen medialen Möglichkeiten erzählen zu können – sondern ich muss zwangsläufig das eigene Schaffen thematisieren. Alles andere wäre etwas unaufrichtig und würde sich auch nicht mit meinem Verständnis von Journalismus im dritten Jahrtausend decken.

Ich bin Dienstleister. Mein Thema sind nicht bunte Multimedia-Präsentationen über Journalismus. Meine Dienstleistung nennt sich Journalismus, in allen möglichen Medien. Für diese Dienstleistung können meine Leser und Diskussionspartner eine Online-Gebühr entrichten. Dafür setze ich künftig Bezahlbuttons in Artikel.


Das ist nichts Neues, das ist nicht sonderlich originell. Das haben andere auch schon getan und wieder sein lassen. Wer nichts zahlen möchte, weil ihm die Dienstleistung nicht gefällt, weil sie ihm nicht gut genug ist oder gar, obwohl sie ihm nützlich erscheint, trotzdem nichts zahlen möchte, weil er sich sagt: das Zeug gibt es doch sowieso umsonst; der hat Argumente, die ich schwerlich entkräften kann. Wahrscheinlich werde ich so verrückt sein und weiter täglich viele Stunden in dieses Projekt investieren – und in das nächste.

Auf das fundamentale Problem der Branche finden Verlage kaum Antworten (sofern sie sich wirklich für die Antwort auf genau diese Frage interessieren), was ist da schon von einem freien Journalisten zu erwarten. Die Frage lautet:

Wie lässt sich Qualitätsjournalismus finanzieren?

Antworten darauf muss jeder selber finden. Oder sich einen anderen Job suchen.

Die Frage interessiert mich brennend, und sie hat mich schon lange interessiert, bevor ich mich entschlossen habe, frei zu arbeiten und die sensationellen Online-Möglichkeiten zu erschließen.

Kaum ein neues Medium, online und offline, hat in den vergangenen Jahren über sportpolitische Themen derart intensiv und umfassend berichtet, wie dieses Blog. Manche werden diese Behauptung als Anmaßung empfinden. Das Tolle am Journalismus ist aber auch, und das wird oft vergessen: Es lässt sich belegen. Mit allen Fehlern und Schwächen.

Ich bin nicht wirklich großmäulig, nur selbstbewusst, wenn ich sage: Dieses Blog setzt Themen. Dieses Blog wird wahrgenommen – von Kommunikatoren und von jenen, über die ich berichte, den internationalen Sportverbänden, weit über den deutschen Sprachraum hinaus. Dieses Blog nervt so manchen selbst ernannten Kommunikationsherrscher. Mehr nicht, aber eben auch nicht weniger. Die Rückmeldungen auf vielen Kanälen sind überaus erstaunlich.

Journalismus kostet Zeit. Journalismus kostet Kraft. Journalismus tut weh. Journalismus macht Spaß. Journalismus ermüdet. Journalismus kostet Geld.

Journalismus, der sich mit internationaler Sportpolitik beschäftigt, bedeutet: Bruder Google allein tut es nicht. Man muss auch manchmal vor Ort sein und seinen Stiernacken zeigen. In Lausanne, in Kapstadt, in Berlin, in Zürich, in München, in Vancouver. Präsent sein, beobachten, reden, fragen, dokumentieren, recherchieren. Das ist nicht Urlaub, sondern Kärrnerarbeit. Das machen wenige. Und das ist zum Beispiel der Grund, dass einige Figuren, die im Milliardengeschäft mit den olympischen Ringen oder dem FIFA-Weltcup zentrale Positionen einnehmen, im deutschen Sprachraum fast nur hier regelmäßig begleitet werden.

Journalismus ist ein verzehrendes Geschäft geworden. Aber dieses Geschäft macht noch immer Spaß. Und ich bin altmodisch genug zu sagen: Dieser Berufsstand hat eine Verpflichtung. Die heißt schlicht: Öffentlichkeit herstellen. Nichts anderes interessiert mich. Nie zuvor war das so gut möglich wie im Internet. Ich blogge, also bin ich. Journalist, Blogger, bloggender Journalist, journalistischer Blogger – für mich gibt es da keinen Unterschied. Ich habe Preise bekommen als Journalist und als Blogger, und ich amüsiere mich darüber, wie man mich bezeichnet. Für manche ist das irritierend.

Journalismus heißt für mich: Dialog. Diskutieren. Lernen. Vernetzen. Fehler eingestehen und korrigieren. Quellen offenlegen, solange nicht Quellenschutz gewährleistet werden muss, weil Hinweisgeber sonst Probleme bekommen. Journalismus heißt für mich: Wissen weitergeben. Verlinken. Dokumente zur Diskussion stellen. Einordnen. Erklären. Analysieren. Kommentieren. Berichten. Recherchieren. Dranbleiben. Beißen. Oder es wenigstens versuchen.

Journalismus heißt: Den Arbeitsprozess transparent gestalten. Den Leser/Hörer/Zuschauer/Diskussionspartner/Experten mit nehmen auf die Reise und immer auch erklären, wie ein Produkt entstanden ist. Ich liebe und lebe das.

Es heißt auch, mit einer Fachkompetenz, die man sich erarbeiten kann, den Lotsen zu spielen, den Moderatoren.