ZÜRICH. Fast hätte ich es vergessen. Passend zum Tage, wer mag, kann sich meinen „Hintergrund Politik“ von heute Abend im Deutschlandfunk anhören. Eine weitere Analyse zur Korruption im Sport. Dauert rund 18 Minuten. Der Korruptionsexpertin Britta Bannenberg zu lauschen, lohnt sich immer. Viel Vergnügen.
:
Über die Ereignisse in Zürich, über Yussuf Blatter (das ist wirklich einer seiner Spitznamen) und Wladimir Putin, über den Emir von Katar und andere Milliardäre, die demnächst Fußball-Weltmeisterschaften ausrichten, kann hier weiter diskutiert werden, da schreibe ich heute auch noch weiter.
Nachtrag, 3. Dezember: Nun steht der (redaktionell gekürzte) Text online, den ich flugs hierher kopiere. Manches habe ich schon oft genug besungen, wird ja stets aufs Neue bewiesen. Frau Bannenbergs Analysen, ich sagte es bereits, sind immer eine Lektüre wert. Und Rogges Ausführungen, nun ja, sind schlicht enttäuschend.
Korruption und Wettbetrug. Täglich werden kleine und große Fälle von Manipulationen im Sport bekannt. Von den großen Verbänden werden diese zumeist als Einzelfälle heruntergespielt. Der organisierte Sport macht Korruption leicht. Denn das Sport-Business mit seiner eigenen Rechtswelt hat strukturelle Probleme.
Der Fußball-Weltverband FIFA hat heute in Zürich zwei Weltmeisterschaften vergeben: Die WM 2018 findet in Russland statt, die WM 2022 wird in Katar ausgetragen. Die Entscheidung des FIFA-Exekutivkomitees wird seit Wochen von Korruptions-Enthüllungen begleitet. Zwei bestechliche Exekutivmitglieder – Amos Adamu aus Nigeria und Reynald Temarii aus Tahiti – wurden suspendiert und durften nicht mit abstimmen. Vier weitere einflussreiche Funktionäre wurden ebenfalls gesperrt.
Doch drei andere Exekutivmitglieder, die schon vor Jahren eine zweistellige Millionensumme an Schmiergeld von der Vermarktungsagentur ISL/ISMM kassiert haben, durften mit abstimmen. Dazu gehört Ricardo Teixeira, der Präsident des brasilianischen Fußballverbandes, der auch als Chef des WM-Organisationskomitees 2014 agiert. Gegen ihn wird nun in Brasilien ermittelt. Die Veröffentlichung weiterer Namen von bestochenen Top-Funktionären versuchen FIFA-Anwälte derzeit zu verhindern.
Derlei Skandale werden von den Amtsträgern gern als Einzelfälle beschrieben. FIFA-Präsident Joseph Blatter kürzlich am Rande des DFB-Bundestages in Essen:
„Die FIFA hat 208 Verbände. Und wenn einige Individuen aus diesen 300 Millionen Teilnehmern der FIFA vielleicht korrupt sind, dann kann man nicht sagen, die ganze Familie ist korrupt. Das kann man nicht sagen.“
So kennt man Sepp Blatter. Er spricht stets von seiner „Familie“, von Einzelfällen. In Wahrheit sind diese Fälle nur die Spitze des Eisberges. Korruption im Sport ist zu einem Dauerthema geworden. Das globale Geschäft mit den Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften garantiert Milliardengewinne für die Sportverbände. Die Verlockung ist groß, sich dabei auch privat die Taschen zu füllen. Verbände, Funktionäre, Vermarktungsfirmen, Trainer, Betreuer, Athleten, sogar Politiker – viele Personen und Institutionen verdienen auf illegale Weise.
Täglich werden kleine und große Fälle von Manipulationen bekannt. Vom größten Korruptionsskandal der Sportgeschichte rund um die Firma ISL/ISMM, die mehr als 140 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld gezahlt hat, sind auch Funktionäre des Internationalen Olympischen Komitees betroffen: IOC-Doyen Joao Havelange, der FIFA-Ehrenpräsident, Issa Hayatou aus Kamerun und Lamine Diack aus dem Senegal, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF.
Korruption folgt nicht dem klassischen Täter-Opfer-Prinzip. Es gibt nur Täter – Geber und Nehmer. Die sind sich in der Regel einig und schließen auch keine Verträge ab. Das macht die Aufklärung so schwierig. Zumal die Geschädigten anonym bleiben – meist sind es die Steuerzahler.
Kriminologen wie Britta Bannenberg, Professorin an der Universität Gießen, gehen davon aus, dass in allen Bereichen der Gesellschaft mehr als 95 Prozent der Korruptionsfälle nie öffentlich werden. Von den wenigen Fällen, die juristisch verhandelt werden, endet nur ein kleiner Prozentsatz mit einem Schuldspruch. Der Sport macht da keine Ausnahme.
„Nein, im Gegenteil. Der Bereich des Sports ist ja noch abgeschotteter, weil es keine Kontrollstrukturen von außen gibt. Das Strafrecht zum Beispiel, das natürlich im Grundsatz bei Unternehmen und Verwaltungen einsetzbar ist, das greift im Sport ja meistens schon gar nicht. Weil nämlich Akteure gar nicht bestochen werden können. Die eigentliche Bestechung im Kern, die ist vom Strafrecht überhaupt nicht erfasst. Und auch Funktionäre, die ihre Stimme abkaufen lassen, die sind vom Strafrecht in den meisten Ländern nicht erfasst. Und dann ist auch für alles andere, was vielleicht möglich wäre, also Schadensersatzklagen, überhaupt gar kein Raum.“
In der ISL-Affäre wurden nur wenige der Schmiergeldempfänger bekannt. Die FIFA zahlte sogar ein Schweigegeld von 5,5 Millionen Franken an die Justizkasse des Kantons Zug, um die Veröffentlichung weiterer Namen zu verhindern. Experten bezeichnen derlei Abmachungen als Korruptionsverdunklungs-Vertrag. Es war nicht der einzige in der ISL-Affäre.
Die ISL-Gruppe unterhielt ein ausgeklügeltes Korruptionssystem mit Dutzenden von Briefkastenfirmen, geheimen Stiftungen und Schwarzkonten in zahlreichen Ländern. Mindestens 140 Millionen Franken wurden zwischen 1989 und 2001 bis zum Konkurs der Firma bezahlt. Ein ISL-Manager, der sich vor zwei Jahren nicht etwa wegen Korruption, sondern wegen Unterschlagung vor Gericht verantworten musste, sagte damals aus, Schmiergeld an Sportfunktionäre zu zahlen sei …
„… als wenn man Lohn bezahlen muss. Sonst wird nicht mehr gearbeitet. Sonst wären diese Verträge von der anderen Seite nicht unterschrieben worden. Diese Praxis war unerlässlich, sie gehörte zum Stil des Geschäfts.“
Der organisierte Sport macht Korruption leicht. Denn das Sport-Business mit seiner eigenen Rechtswelt hat strukturelle Probleme, die von den Verantwortlichen stets geleugnet werden, sagt Britta Bannenberg:
„Es sind sehr wenige Menschen mit sehr hoher Macht in diesen Bereichen tätig. Und sie werden im Grunde auch von staatlichen Spitzen hofiert und sind dadurch fast sakrosankt. Das ist eine ganz besondere Konstellation, die ja kaum Vorstandschefs von großen Unternehmen genießen. Und dadurch stehen sie noch mehr außerhalb der staatlichen Kontrolle. Aber es gibt ja auch kaum staatliche Regelungsmechanismen. Das staatliche Strafrecht greift für sie ja nicht. Und deshalb können sie sich auch leicht zurückziehen in ihre wortgewaltigen Ankündigungen der Konsequenzen, die dann aber ohne jegliche rechtliche Relevanz sind, weil selbst ihre Selbstkontrolle oder Eigenkontrolle im Grunde überhaupt nicht ausreichend ist, aber auch nicht konsequent durchgezogen wird.“