Ein Abgesang auf Olympia
Rowohlt Berlin Verlag
April 1996
mit Thomas Kistner
NEU im Shop: pdf-Version
Lob & Tadel
die tageszeitung
15. Juli 1996
Andrew Jennings in seinem Buch ‚Das Olympia-Kartell‘ und die beiden deutschen Journalisten Thomas Kistner und Jens Weinreich in ihrem edler aufgemachten Opus ‚Muskelspiele‘ haben eine Fülle von Material zusammengetragen, das einem teilweise den Atem stocken läßt, selbst wenn man vieles schon wußte, manches ahnte, anderes dafür kaum für möglich gehalten hätte. (…) Die dankbarsten Quellen für Enthüllungsjournalismus in Sachen Olympia stellen die vor dem Reißwolf geretteten Aufzeichnungen der für die Stasi tätigen DDR- Funktionäre dar. Jennings zitiert ausführlich aus der Akte des IM Möwe, die auch der heute erschienene Spiegel als Grundlage für seine Geschichte über angebliche Verwicklungen von IOC-Mitglied Thomas Bach in unsaubere Machenschaften benutzt. Auch Kistner/Weinreich greifen bei ihrer Behandlung des Dopings im Spitzensport und seiner beharrlichen Verharmlosung und Vertuschung durch das IOC dankbar auf eine Stasi-Quelle zurück: die von dem Ehepaar Berendonk/Franke gesicherten und ausgewerteten Berichte des Doktors Manfred Höppner (IM Technik), die aber nicht nur Einblicke in die Dopingpraxis des Ostens geben, sondern auch darlegen, wie der Westen konterte. Der Aufstieg des umtriebigen Horst Dassler vom Schuster zum kommerziellen Spiritus rector des IOC, an dem kein Sportfunktionär vorbeikam, wird in beiden Büchern geschildert, in ‚Muskelspiele‘ ist ein Extrakapitel dem Dassler-Zögling und Samaranch- Günstling Thomas Bach gewidmet, dem Idealbild des technokratisch-glatten Olympiafunktionärs der Zukunft. (…) Beide Bücher liefern Porträts der wichtigsten Olympier, neben Samaranch der südkoreanische Ex-Geheimdienstler und Mitarbeiter der Militärdiktatur Un Yong ‚Mickey‘ Kim, die mexikanischen Milliardärsbrüder Rana, die schuld sind, daß Schießen immer noch olympische Disziplin ist, und der Leichtathletik-Boß Primo Nebiolo, ein Dunkelmann olympischen Ausmaßes, der es tatsächlich geschafft hat, Bundespräsident Weizsäcker 1994 das Bundesverdienstkreuz abzuluchsen – vermutlich die schmachvollste Ordensverleihung seiner Amtszeit. ‚Muskelspiele‘ bietet als Zugabe einen Abriß der deutschen Olympiageschichte mit ihrem ‚Höhepunkt‘ 1936. Wer diese Bücher in seinem Schrank weiß, wird während der Olympischen Spiele auch dann nicht unter Langeweile leiden, wenn ihn ein plötzlicher Mattscheibenüberdruß befällt. Vor einer von den Autoren durchaus erwünschten Nebenwirkung sollte jedoch geflissentlich gewarnt werden: Nach der Lektüre wird kaum jemand die gebotenen Höchstleistungen und großen olympischen Gefühle noch mit gleichen Augen wie vorher sehen.
Frankfurter Rundschau
15. Juli 1996
Die Autoren der IOC-Kritik Muskelspiele legen einige der (meist bekannten) Skandale offen dar: die aktive Bestechung von Kampfrichtern, die Vertuschung von positiven Ergebnissen bei Doping-Tests, die Bestechlichkeit von IOC-Mitgliedern, die belastete Vergangenheit einiger der Samaranch-Mitstreiter, die noch nie einer IOC-Karriere im Wege gestanden hat, und schon gar nicht seiner eigenen. Es ist nachzulesen, daß dem IOC die Anhäufung von Macht und Geld das wichtigste ist und daß es dazu den olympischen Sport und dessen Stellenwert in der Welt benutzt – insgesamt ein Kontrastprogramm zu dem, was sich demnächst in Atlanta tut.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
20. Juli 1996
Der schrille Ton macht die Musik. Mehr Sachlichkeit, größere Zurückhaltung und wohl auch ein wenig Distanz hätten besser getan. Denn sowohl die wirtschaftliche wie auch die politische Macht, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) als Eigentümer der Spiele und als Entscheidungsgremium über ihre Austragungsorte gewonnen hat, verlangt nach einer aufmerksamen und kritischen Betrachtung; zumal die offiziell als Botschafter einer olympischen Idee im Sinne Coubertins ernannten IOC-Mitglieder den Eindruck erwecken, sich auch als Gesellschafter eines profitablen, multinationalen Unternehmens mit dem Markenzeichen der fünf Ringe recht wohl zu fühlen. (…)
Selbstverständlich setzen sich die Autoren über die Forderung Samaranchs hinweg, nur Spanier dürften seine Tätigkeit, unter anderem als Nationaldelegierter für Sport während des Franco-Regimes, beurteilen. Bestenfalls die Fußnoten sind sachlich und weitgehend nachvollziehbar. Im Text herrscht die Tonlage der persönlich ihrer olympischen Illusionen beraubten Sportliebhaber vor. (…) Pauschale Hinweise „Insider“ aber oder etwa der Versuch, durch die geschickte Plazierung einer Fußnote den Eindruck zu erwecken, der DDR-Dopingarzt Manfred Höppner habe in seiner Rolle als Stasi-Informant über tödliche Genmanipulationen in sibirischen Trainingslagern berichtet, machen um so deutlicher, daß hier weniger Bedarf an Empörung als an Enthüllung besteht. Das zeigt auch die vor allem im Magazinjournalismus verbreitete Technik, mit oft nebensächlichen Details über Ungenauigkeiten in der Hauptsache hinwegzutäuschen.
Obwohl viele Anekdoten wirken, als hätten ihre Autoren sie vom Hörensagen, und die Fußnoten einer Vielzahl von Behauptungen belegen, daß sie einer Schnitzeljagd durch das Zeitungsarchiv entstammen, wecken sie in ihrer Summe wieder und weiterhin erhebliche Zweifel an der Kredibilität einer Vielzahl von Mitgliedern des IOC und damit an diesem bedeutendsten Sportgremium selbst. Ob es dabei um die durch Stasi-Protokolle des Funktionärs Karl-Heinz Wehr belegten hemmungslosen Manipulationen des Boxturniers von Seoul 1988 geht oder darum, daß das IOC, etwa bei den Spielen 1984 in Los Angeles, positive Dopingproben hat verschwinden lassen – es gibt genügend Skandale, um die Integrität und die Qualifikation des IOC zur Führungsrolle im Weltsport zu bezweifeln. Ethos und Moral scheinen hinter dem wirtschaftlichen Erfolg des Spektakels Sport zurückstehen zu müssen.
Davon zu überzeugen, ist allerdings der Zungenschlag bei Kistner/Weinreich ungeeignet. Hämisch und sarkastisch schreiben sie über die Dopingvertuschung 1984 ein „Götterbote“ sei zu Hilfe gekommen, ein „Urin-Fetischist“, ein großer Unbekannter, ein vertrottelter Hoteldieb. Das weckt den Verdacht, daß sie der Kraft der Indizien und dem Gewicht der Ungeheuerlichkeiten nicht trauen.