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Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, die Eröffnungsfeier

19.22: Jetzt wird’s wirklich peinlich, ich weiß: Habe auf dem Weg ins Stadion mal eben noch einen Freund gegrüßt. Sitze jetzt in Block 209, Reihe 12, Platz 11 – nur falls nachher jemand im Fernsehen nachsehen möchte. Jedenfalls, es gibt eine passable Lan-Verbindung. Ich kann ein bisschen mitbloggen und kommentieren. 34 Minuten und 3 Sekunden noch, bis die Show beginnt. Die taktisch-technischen Daten: 91.000 Zuschauer, 203.000 Videokameras, schätzungsweise 48 Grad im Schatten, totale Luftfeuchte. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu weit rausschwimme. Kann sein, dass die Tastatur versagt, wegen akuten Andrangs von Körperflüssigkeiten. Ja, Olympia ist eine harte Sache. Eigentlich wollte ich über das Thema schwitzende, stinkende Journalisten erst in zwei, drei Tagen nach den ersten Besuchen in meinen geliebten Mixed Zonen schreiben. Im Moment bin ich akut Kreislaufkollapsgefährdet. Deshalb Pause.

19.33: Kommentarfunktion ist selbstverständlich angeschaltet.

19.41: Fürchte, es wird verdammt selbstreferenziell in den nächsten Stunden. Versuche, nur einfach still zu sitzen und mich zu konzentrieren. Sehr anstrengend: Es fließt gleich ein halber Liter.

19.53: Der weit gereiste, lebenskluge Kollege links neben mir erinnert zurecht an den Slogan des heutigen Abends. „Don’t mix politics with games!“ Wir wollen das mal überprüfen.

19.55: Gerade schickt mir eine Freundin die Textpassage aus der Meldung, wie Steven Spielberg im vergangenen Jahr Februar seine Absage auf die Regie der Eröffnungsfeier begründete:

In a statement sent to the Chinese ambassador and the Beijing Olympic Committee on Tuesday, Mr. Spielberg said that his “conscience will not allow me to continue with business as usual.�
“Sudan’s government bears the bulk of the responsibility for these ongoing crimes but the international community, and particularly China, should be doing more to end the continuing human suffering there,� the statement said. “China’s economic, military and diplomatic ties to the government of Sudan continue to provide it with the opportunity and obligation to press for change.�

20.35: Schöne Bilder. Bunte Massen. Konfuzius sagt: „Der Herrscher ist wie der Wind. Der kleine Mann ist wie das Gras. Wenn der Wind weht, beugt sich das Gras.“

20.45: Glühwürmchen. Ich weiß, bisschen dünne die Einträge.

20.47: „Don’t mix politics with games“: War das eben eine Friedenstaube? Ein politisches Symbol? Die trauen sich was, die Chinesen.

20.56: Und jetzt kommen die Kinder. Und die Erde.

21.03: Ich bin ja im Hauptberuf Papa. Aber diese Kindernummer war wirklich sehr bemüht. Besser nicht hingucken. Und wieder Böller. Die mögen das. Sie haben es erfunden.

21.08: Es geht richtig los. Die Griechen als erste. Nein, nicht mit dem Motorrad, ohne Kenteris/Thanou, das schreckliche Duo. Die Fahne trägt Ilias Iliadis, ein Judoka.

21.17: Hab mich ein bisschen übernommen. Muss noch einen Text schreiben. Aber es ist ja jetzt auch nicht so spannend. Und die Kommentarfunktion bleibt offen.

21.22: Der Kollege aus Zürich, der immer den Eindruck macht, als sei er auf Sommerfrische, und bestimmt schon den Tisch in einem In-Restaurant geordert hat für heute Abend, begrüßt mich hinterhältig: „Du siehst ja so durchgeschwitzt aus, mein Lieber.“ Durchgeschwitzt? Ich habe den Aggregatzustand gewechselt.

21.45: Meine kluge Freundin Grit Hartmann schickt mir eine Email:

„Macht kommt aus dem Lauf eines Gewehrs“, sagt Mao. Das weiß auch Hu Jintao: Er hat 1989 als Parteichef von Tibet die dortigen Unruhen brutal niederschlagen lassen und sich damit seinen Aufstieg geebnet.

Aber das war eine total andere Geschichte. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. „Don’t mix politics with games.“

22.33: Bin wieder da. Reporters Stillleben (mit schweißgetränkten Tempos, so hart ist die olympische Wirklichkeit):

22.44: Gleich geschafft, nur noch 35 Länder, darunter Deutsche und Chinesen. Bis dahin gilt diese Leseempfehlung.

22.59: Hat jemand den Judoka namens Putin gesehen? Ist das nicht der, der die Spiele gekauft hat für seine Residenzstadt Sotschi – und der gerade schießen lässt, nebenan in Südossetien? „Don’t mix polititcs with games!“

23.05: Frage mich gerade, wie viele Sportler eigentlich verbotene Armbänder und Sticker getragen haben? Kann mir kaum vorstellen, dass es einem Zensor aufgefallen wäre.

23.13: Da sind sie, die Chinesen. Mit Verspätung. Der Einmarsch sollte schon 22.50 vorbei sein. Doch wer will an so einem Abend hetzen? Was ich mich nur frage, wie die Cheerleader das aushalten, seit zwei Stunden tanzen sie ununterbrochen.

23.25: Täusche ich mich oder leisten sich die Chinesen eine technische Schwäche. Mal ganz davon abgesehen, dass ich kein Wort verstehe: der Ton funktioniert gerade nicht, da der BOCOG-Mann die olympischen Werte preist. Schade, dass das Volk im Stadion nichts versteht, vielleicht macht er sogar Witze.

23.29: Auch Rogge ist nicht zu verstehen, wo er doch bestimmt gerade so kritische Sätze sagt. „One world, one dream“, das klingt in mein Ohr. Neulich hat eine freche Zeitung getitelt: Eine Welt, ein Traum und eine Lüge mehr.

23.42: Na endlich. Ganz ohne Stechschritt geht’s doch nicht.

23.45: Warum wackelt die China-Flagge wie verrückt im Wind, den ich nicht spüre? Oh, die müssen einen Lüfter installiert haben, denn die olympische Fahne weht nun auch.

00.05: Oops, einen Lüfter hätte ich jetzt auch gebraucht. Ich schwöre, gerade als ich einen gemeinen Satz über Hu Jintao geschrieben hatte und posten wollte – Totalabsturz. Und gleich nochmal. Der Kollege G. neben mir kann es bezeugen. Und ich war ja geistesgegenwärtig genug, auf den Auslöser zu drücken. Hier also die Dokumente des Grauens. Das passt gut, denn dieses Peking-Tagebuch sollte doch ein Protokoll eines Olympiareporters sein. Erst das:

Dann das:

00.22: Aber das habe ich dann doch noch mitgekriegt (mein Nebenmann glaubt mir bis jetzt nicht, dass der Typ da oben, irgendwo neben der Flamme, die ihn hoffentlich nicht versengt hat, Li Ning heißt):

00.24: Das reicht für heute. Morgen mehr, bzw. in einigen Stunden. Aus dem Schwimmstadion. Das letzte Wort hat für den Moment meine Lieblings-London-Korrespondentin. Sie schreibt mir gerade vom anderen Ende der Welt:

Ich finde eh, das Ganze hat eine sehr kalte Pracht. Passt zur Diktatur und dem Diktatorenwinken; wie die das immer hin kriegen: Arm ausstrecken und mit Handgelenk wackeln, wie diese Spielzeug-Dackelköpfe in den zu großen Hälsen. Und jetzt is aber genug mit der Knallerei, ehrlich. Die armen Asthma-Schwimmer!

47 Gedanken zu „Peking, die Eröffnungsfeier“

  1. Also die Geschichte mit den Kindern, die die Flagge auf die Soldaten übergeben war schon irgendwie grenzwertig.
    Die fliegenden Olympia-Ringe und jetzt grade die „malenden Körper“ hingegen schon ziemlich schick inszeniert.

  2. Sind da noch ein paar verstreute Chinesen draußen im weiten Lande? Oder hat man die komplett alle im Stadion zur kompositorischen Körperertüchtigung versammelt?

  3. ja haha die soldaten haben mich zum schmunzeln gebracht, genauso wie die 2008 trommler da am anfang.

    ansonsten bisher sehr schön. haben die grad gesagt, zhang yimou ist der künstleriscvhe leiter der show? das passt ja.

  4. @ marcel: keine ahnung, ich höre ja nichts. jedenfalls keinen tv-kommentar. bin ich deshalb dümmer? aber das feuerwerk gerade, das höre ich.

    @kli: die haben schon noch einige chinesen. hier ist es so: jedes statement jedes fahnenträgers wird von einem chinesen zu jedem einzelnen journalisten an den platz gebracht. ich weiß nicht, wie viele hier also zwischen unseren sitzen herumwuseln. aber sie sind ganz lieb. dem leicht übergewichtigen deutschen hier auf meinem platz, der doch schwer mit dem klima zu kämpfen hat, hat ein mädel gerade eine flasche wasser besorgt. nett.

  5. nach dem 33. „gibt’s nicht“ und den 17. „das können nur Chinesen“ schwöre ich, aufzuhören.

    Aber was für Charakter muss Spielberg haben, wenn die Chinesen einem Regisseur all das zur Verfügung- stellen. Er hätte alle seiner (Regie-Träume erfüllen können. Jetzt ohne Zynismus – aller Achtung

  6. @Kli

    Ähnliches dachte ich mir auch schon… Hat alles irgendwie eine gewisse morbide Faszination vor dem politischen Hintergrund Chinas, dass hier so ein hoher „Menschenaufwand“ betrieben wird.

    Aber optisch ist das alles einfach eine Wucht.

    Sehr amüsant übrigens der Kommentar von Siggi Heinrich auf Eurosport als die Puppenspieler der chinesichen Oper zugange waren: „Ein Bild mit einer gewissen Symbolkraft. So haben sich vermutlich auch die Herren des IOC von der chinesischen Regierung behandelt gefühlt.“

  7. Ich find die Eröffnungsfeier passt zur chinesischen Kultur. Man kann kaum erwarten, dass sie eine komplett westliche Eröffnungsfeier machen. Besonders hat mir die Kampfsport-Einlage gefallen, aber da bin ich auch nicht wirklich objektiv.

    @Regie: Warum hat man überhaupt einen Ausländer gefragt, wenn man doch Zhang Yimou hat? Künstlerisch gesehen (besonders was Beschreibungen durch Farben und Choreographie angeht) hat der wesentlich bessere Regiequalitäten als Spielberg.

    @ARD-Kommentar: Schön zu wissen, dass für die meisten Westler der Unterschied zwischen Tai Chi Quan und Kung Fu (Gongfu) nicht klar ersichtlich ist. Der wechselt hat ca. 3 – 4 min vor dem Kommentar begonnen.

  8. Bauer vom Dreigestirn

    Spannend find‘ ich ja mal aus aktuellem Anlass den Einmarsch von Georgien und Russland. Wo sich die beiden Länder den Kriegsbeginn ganz im Sinne des olympischen Geistes bis zum Eröffnungstag aufgehoben haben.

  9. Wo haben die denn die ganzen großen Chinesinnen her, die da im Kreis stehen? Der Einmarsch der Nationen ist ja schön und gut, aber doch ein wenig spannender könnte man das schon gestalten.

  10. Mit diesen ganzen Bollern, wundert sich wirklich jemand über Smog? Und ja, danke China, wenn Ihr einen Punkt daraus macht, für die Erfindung des Schießpulvers. Wirklich. Im Namen der Menschheit.

  11. ich habe hier kein Fernsehen, aber zwei Blogs zum Lesen, das Spottblog der SZ ist eine wunderbare Ergänzung…. –Detlef

  12. Soeben sehr schön ARD-kommentiert: Guam marschiert ein. – Ton: �Wissen Sie, wo Guam liegt, wer das Staatsoberhaupt ist? George W. Bush, denn es ist eine US-Militärbasis.� Kamera schwenkt auf Bush im Publikum, er wackelt wie ein kleines Kind auf seinem Stuhl herum, macht keine Anstalten, sich zu erheben. ARD-Kommentar: „Da ist er. Der Staatsoberhaupt von Guam. – Ob er das weiß?�. lol

  13. Wer in der ARD kam denn auf die Idee Frau Maischberger kommentieren, äh, aus der Wikipedia vorlesen zu lassen? Da ist ja Sigi Heinrichs „eins, zwei, Test, ich hör nichts, hallo?“ auf Eurosport inspirierter.

  14. Danke für den Blog zuerst. Ich finde ja die Sportler und Funktionäre, die beim Einmarsch TELEFONIEREN müssen, besonders lustig. Ist sowas normal…? Haben die gesonderte Sponsorenverträge?

  15. Putin, der strippenziehende Judoka, ohne weibliche Begleitung unterwegs. Gebt acht, ihr flotten rhythmischen Gymnastinnen! *lach*

  16. Weiss jemand, ob die Bilder im TV live sind? Oder haben die Chinesen eine Sicherheitsverzögerung eingebaut, um unliebsame Bilder schnell rauszuschneiden?

  17. Samaranch im Fernsehbild auf die Uhr schauend… der will wohl ins schicke IOC-Hotel zum Schlafen oder was?

  18. Vielleicht liegt es an der ungünstigen Uhrzeit und der Tatsache, dass die meinen Hinterkopf bescheinende Sonne nicht recht zu den TV-Bildern passen will,..

    aber die Eröffnungsfeier, also die Veranstaltung an sich – mal abgesehen von aller genereller Kritik an Olympia 2008 – reißt mich nicht wirklich mit. Optisch sicher sehr aufwändig inszeniert, zugegeben. Das Prozedere wirkt auf mich aber alles in allem seltsam steril und langweilig. *gähn*

    Wenn ich da an Sydney 2000 denke..

    Aber vielleicht geht es auch nur mir so..

  19. nein, ich fands auch langweilig. nur die entzündung der flamme mit dem luftigen stadionlauf war schick gemacht.

    @jens weinreich: wurden eigentlich auf den bildschirmen der journalisten erläuterungen zu den fackelträgern eingeblendet? glaube kaum, daß die ard-kommentatoren die alle aus dem stand zuordnen konnten.

  20. Ein echtes Highlight für alle Freunde des Sports war natürlich, als Sepp B. beim Bewinken „seiner“ Schweizer gezeigt wurde.

    Da kann man fast etwas neidisch werden auf unsere Alpenfreunde. Naja, wir wurden ja immerhin von Thomas B. repräsentiert. ;)

    Mich würde interessieren, ob das Bilder der Weltregie oder der ARD waren..

  21. da die deutschen ja auch ziemlich lange im bild waren, dürfte ard eigene bilder gehabt haben. oder zumindest eigene auswahlen.

  22. „Einmarsch der Nationen“, auf einmal bekommt ein so simpler satz wieder bedeutung, danke an weinreich, er hat das auch nicht vergessen.
    nur die vielen sportler haben gestört.

  23. das Trauma meiner Kindheit holt mich wieder ein: Manisch grinsende Frauen, mechanisches Winken…merkt denn keiner, dass das alles Fembots sind?

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  25. Konnte mir die Eröffnungsfeier jetzt erst als Aufzeichnung anschauen. Sehr interessant. Irgendwie musste ich die ganze Zeit an 1936 denken. Wenn es damals eine Eröffnungsfeier gab, dann muss sie so ähnlich ausgesehen haben.

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