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Das Olympische Bildungsmagazin

Was vom Tage übrig bleibt (35): Der ISU-Beschluss im Fall Pechstein

Ich vergaß im gestrigen Beitrag den vollständigen Beschluss der ISU-Disziplinarkommission zu liefern: Decision of the ISU Disciplinary Commission in the matter of International Skating Union against Claudia Pechstein and Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft e.V. concerning alleged violation of rule 2.2 of the ISU Anti-Doping-Rules.

(Technische Anmerkung: Vielleicht ist jemand in der Lage, aus dem eingescannten pdf eine Textdatei zu machen und mir zu schicken. Ich vermag das technisch nicht. Danke, ist erledigt.)

Der Beschluss gibt einige Antworten auf in der Diskussion erörterte Fragen. Das Papier, soweit ich es gelesen habe und verstehe, bestärkt mich zunächst in der Meinung, dass bisher nur die ISU Fakten auf den Tisch legt. Andere behaupten nur etwas, bislang ohne öffentlich nachprüfbare Belege.

Eine für mich zentrale Frage: Handelte es sich nur um eine Probe, wie zuvor spekuliert wurde? Zitat von Seite 5 des Beschlusses:

  • 15. On the day before the 2009 ISU World Allround Speed Skating Championsships in Hamar, on February 6. 2009, blood samples were taken from all skaters as part of the ISU blood testing program. The results of the Alleged Offender gave rise to a suspicion of blood doping, because it showed an abnormal reticulocytes value of 3.5 %, which is 1.1 % point above the upper normal limit applied by the ISU.
  • 16. The next day, on February 7, 2009, a post race sample was taken from the Alleged Offender after the 3000 meter race; the results again showed high values of percent reticulocytes (3.46 % and 3.34 %). Consequently, an out of competition blood test was taken from the Alleged Offender on February 18, 2009. From the values of these tests, combined with the results of many earlier tests taken from the Alleged Offender from the year 2000 on, the Complainant came to the conclusion that blood doping had taken place shortly before the 2009 ISU World Allround Speed Skating Championships in Hamar.

Lektüre:

(…) Dass andere Blutwerte wie etwa das Hämatokrit in Claudia Pechsteins Proben unauffällig blieben, könnte aber einen plausiblen Grund haben. Sie sind leicht manipulierbar: „Das kann man mit einem Plasmavolumen-Expander machen“, sagte ein Profi unter den Analytikern dieser Zeitung: „Bei den Retikulozyten geht das nicht so einfach. Sie machen nur einen Prozentsatz der Blutkörperchen aus. Deshalb haben sie so eine Bedeutung bei der Interpretation.“

Der falsche Wert wurde in der Urteilsbegründung als Folge der Verwendung unterschiedlicher Maßeinheiten in den verschiedenen Ländern erklärt, Lücken nach der Datenübertragung in Excel-Tabellen der Pechstein-Zahlen als unwesentlich für den Gesamteindruck bezeichnet. Nur in einem Fall folgte die Disziplinar-Kommission einem entlastenden Hinweis des Gerichtsgutachters Professor Max Gassmann. Der Schweizer wollte nicht ausschließen, dass neben Blutdoping eine Blutkrankheit zur Erhöhung der Retikulozyten geführt haben könnte. „Bei 10.000 Proben gab es acht Fälle“, schilderte dagegen der Kläger, „in einem waren die Blutwerte so wie bei Claudia Pechstein.“ Eine Blutkrankheit hielten die Sportrichter zwar für unwahrscheinlich. Und sie zeigten sich überrascht, dass die Deutsche, obwohl lange informiert, bis zehn Tage vor der mündlichen Verhandlung keine eigenen Untersuchungen zum Beweis ihrer Unschuld eingeleitet hatte. (…)

(…) WELT ONLINE: Wie lief Ihr Verfahren dann ab?

Pechstein: Da waren neun Juristen, drei Ankläger, drei Richter, Verbandsjuristen und mein Anwalt. Es wurden fünf Sachverständige gehört. Alles auf Englisch. Mir wurde nicht mit der Anklage Anfang März die Möglichkeit gegeben, mich zu verteidigen. Die Anklage wurde gestützt auf eine Studie von Robinson/Sottas aus dem Antidopinglabor in Lausanne. Meine Werte hätten ein paar Mal über den Normalwerten gelegen. Dann gab es eine zweite Studie, dass Retikoluzytenwerte Anlass sein können, um weiter nachzuforschen nach Blutdoping. Die alternativen Erklärungen für solche Abweichungen folgten erst, als meine Sachverständigen in das Verfahren Ende April Eingang finden konnten. Dann erst folgten zwei Gutachten des Verbandes. Und schließlich noch ein unabhängiger Sachverständiger, Max Gassmann aus der Schweiz. Der sagt, dass der zwingende Nachweis für Blutdoping so nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann. Weil zum Beispiel eine erbliche Blutkrankheit die Anomalie auch erklären kann oder eine leichte Hämolyse, 300 mögliche Blutanomalien und Infekte vor allen Dingen. Obwohl Gassmann der neutrale Zeuge war, hatte seine Einschätzung keinen Einfluss auf das Urteil.

WELT ONLINE: Dass die Höchstwerte immer genau zu den Wettkampf-Höhepunkten aufgetreten sind, sprach nicht gegen eine Erbkrankheit?

Pechstein: Das war nicht der Fall. Die waren zum Teil auch im August. Da lässt sich kein System erkennen. Das mussten die in der Klageschrift selbst korrigieren. Ich bin in dem Zeitraum 160 Mal getestet worden, die Hälfte davon außerhalb von Wettkämpfen und es hat nie einen positiven Test gegeben. Sie können gern alle meine eingefrorenen Proben mit den neuen Methoden nachkontrollieren. Oder mich zu jeder Zeit pinkeln lassen.

WELT ONLINE: Die indirekten Nachweismethoden wurden ja gerade zugelassen, weil vor allem Radfahrer wie Bernhard Kohl gezeigt haben, dass sie trotz negativer Tests gedopt waren.

Pechstein: Aber wo ist denn die Logistik hinter mir? Das Labor? Der Arzt? Der Helfer?

WELT ONLINE: Kennen Sie den österreichischen Sportmanager Stefan Matschiner?

Pechstein: Nein.

WELT ONLINE: Waren Sie schon mal in einer Blutbank?

Pechstein: Erst im Nachhinein. Ich war zuletzt in der Charité, um mein Blut testen zu lassen.

WELT ONLINE: Waren Sie mal in der Sportmedizin der Universitätsklinik Freiburg?

Pechstein: Nein.

WELT ONLINE: Haben Sie mit Ihrem Trainer Joachim Franke über Doping gesprochen?

Pechstein: Natürlich. Immer, wenn mal wieder ein aktueller Höhepunkt da war. Aber wir hatten selbst mit Doping nichts zu tun.

WELT ONLINE: Haben Sie mit Franke über seine Arbeit in der DDR gesprochen: Dass er 1975 in der geheimen Forschungsgruppe „zusätzliche Leistungsreserven“ über Doping mitgearbeitet hat?

Pechstein: Darüber habe ich mit ihm nicht gesprochen. Mich interessiert nicht, was er in der Vergangenheit gemacht hat. Für mich ist er ein sehr guter Trainer, der mich von 1992 bis 2007 sehr gut betreut hat. Das hatte nichts mit Doping zu tun.

WELT ONLINE: Fragt man nicht als Athlet automatisch nach, weil der Ruf des Trainers auf einen zurückfallen könnte?

Pechstein: Nein. Ich hätte mich gefragt, wenn er gefragt hätte, ob ich das und das schon mal ausprobiert hätte. Aber er war beim Ergebnis jetzt auch geschockt. Er hat gesagt: Das haben wir nicht nötig. (…)

Analyse im Deutschlandfunk:

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Interview von Herbert Fischer-Solms im Deutschlandfunk mit dem Zürcher Anwalt und CAS-Richter Stephan Netzle:

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22 Gedanken zu „Was vom Tage übrig bleibt (35): Der ISU-Beschluss im Fall Pechstein“

  1. Pingback: Claudia Pechstein wegen Blutdopings gesperrt : jens weinreich

  2. S. 14, Punkt 37 kann man ohne, hm, Häme formuliert interessant nennen. Hier steht, Pechstein hatte die Chance, ihre genetische Blutkrankheit „within reasonable time“ zu belegen. Wollte sie nicht, bestand auf einem Urteil.

    Pechstein sagt:

    Ich bin bereit, mich auf mögliche Anomalien untersuchen zu lassen. Ich biete auch ein Screening mit lückenloser Erhebung meiner sämtlichen Blutwerte an. Die ISU hat meinen Vorschlag leider ignoriert.

    Wieso sind DOSB und DESG darüber nicht „bestürzt“? Oder übersetze ich falsch?

  3. @ mds: Danke. Inzwischen habe ich ein neues Spielzeug zur komfortableren pdf-Einbindung in den Beiträgen gefunden.

  4. Sorry, FAZ hatte das auch schon dargestellt:

    Pechstein ließ das Angebot auch mit Blick auf ein langwieriges Verfahren ablehnen und forderte, was sie bekam: Ein Urteil. Unter Umständen ist es der Schlüssel für einen Freispruch vor dem Cas, der letzten Instanz des Sportrechtes. Denn Juristen wie der im Anti-Doping-Kampf engagierte Marius Breucker, auch Anwalt der DESG, zweifeln, ob Claudia Pechstein überhaupt ihre Unschuld beweisen muss.

    Die offizielle Erklärung der DESG war womöglich missverständlich:

    Die aus Mitgliedern der ISU bestehenden Disziplinarkommission war der Auffassung, Pechstein hätte den Beweis einer Blutkrankheit schon vor der mündlichen Verhandlung erbringen können. Pechstein kannte die medizinischen Hintergründe seit Ende Mai und hatte im Juni eine umfangreiche Diagnostik eingeleitet, die jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Die Disziplinarkommission war daher der Auffassung, Pechstein trage die Beweislast und sei zu sperren.

    Und der deutsche Sport hat etwas gegen den Indizienbeweis.

  5. Wie sagt man seit neustem so schön: „Jede gute Tour de France beginnt mit einem Dopingfall.“ Diesmal im Eisschnelllauf. Ich hab der Claudia mal eine Fan-Mail geschrieben und sie aufgefordert sich anders und vor allem intelligenter zu verhalten als alle anderen Doping-„Opfer“ (natürlich netter formuliert). Hoffentlich nimmt sie meinen Ratschlag entgegen.

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  9. Nur mal eine kurze blöde Frage: Erys haben keine Zellkerne, Retikulozythen sind junge Erys die noch Kernrese haben weil sie frisch aus dem Knochenmark kommen. Retis sind erhöht beim EPO-Doping, weil das Knochenmark stimuliert wird. Beim „Blutdoping“ (der Transfusion von Eigenblut oder Spenderblut) sind die Retis normalerweise NIEDRIGER als normal, weil die Blutbildung im Knochenmark gehemmt wird. EPO-Doping wird ihr aber nicht vorgeworfen, sondern „Blutdoping“. Dazu passen erhöhte Reti-Werte NICHT. Wie kann man das verstehen?

  10. Verblödungstechnisch gesehen passt diese Frage wirklich nicht.Ich warte auch auf mehr Informationen.
    Gelesen habe ich schon,dass nur Epo -oder Eigenblutdoping in Frage kommt.

    Bei EPO stellt sich mir die Frage,warum wird das Angebot von Claudia nicht angenommen,alle Proben auf EPO und CERA zu kontrollieren.Da dies sicherlich gemacht wurde(?),sind die neuen Tests gar nicht wirksam?

    Bei Eigenblutzuführung sinken die Retis ab,bliebe nur eine Blutabnahme unmittelbar vorm Wettkampf.Nur dann kann sie keine Medaille gewinnen.

    Retis erhöhen sich aber auch nach Anämien,Blutverlust oder Höhentraining.Nur müßten dann HKT und HG auch signifikant ansteigen?

    Ansonsten traue ich keiner ISU,die an höheren Grenzwerten bei HKT und HG festhält als beim Radsport.Aber besser als LA,dort gibt es immer noch keine Grenzwerte.

  11. @Thomas Marx
    Ich habe es nicht so treffend formulieren können, aber auch ich habe einen bis eben unklaren Widerspruch bemerkt. Nun konnte ich mich ein wenig schlauer machen, also der Abfall der Retikulozythen beim Blutdoping ist nur der erste Schritt zu einer anschliessenden extremen Steigerung. Also, laienmäßig ausgedrückt, erst runter mit den Dingern, damit der verstärkte Aufbau angeregt wird und dann schiessen sie in bisher unbekannte Höhen.

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